Protokoll der Sitzung vom 29.03.2012

Unabdingbare Voraussetzung

Frau Kollegin Wiesmann –

für die Entfaltung des Kindes ist verlässliche Bindung. Eltern und Familie sind dafür unersetzbar. Hier wird das Betreuungsgeld oftmals als bessere Alternative zur Kita aufgeführt. Schon kleine Kinder können aber bereits zu mehreren Bezugspersonen stabile Beziehungen aufbauen, so auch zu den Erziehern und Erzieherinnen in der Kita. Krippen arbeiten mit Eltern als Partnern zusammen und verstehen sich als Orte der Elternbildung und Familienzentren. Insbesondere Sprachförderung ist nur mit aktiver Unterstützung der Eltern nachhaltig erfolgreich. Kinder wachsen heute oftmals alleine oder mit wenigen Geschwistern auf. Erst in der Kita können sie Erfahrungen mit Gleichaltrigen machen und dadurch soziale Kompetenzen entfalten.

So. Das ist alles vollkommen richtig. Es hat nur den Nachteil, dass es nicht von mir ist. Es ist wortwörtlich die Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, festgehalten auf der Homepage vom Februar 2012 „BDA kompakt“.

Ich könnte Ihnen jetzt noch vorlesen – aber dazu reicht die Zeit nicht –, was z. B. die saarländische Ministerpräsidentin dazu gesagt hat. Ich könnte Ihnen vorlesen, was der FDP-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, Herr Christian Lindner, dazu gesagt hat. Ich könnte Ihnen vorlesen, was die Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses, Frau Laurischk, ebenfalls FDP, dazu gesagt hat. Von der EU-Kommission war hier schon die Rede. Ich könnte Ihnen die Stellungnahmen der Chefs der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vortragen:

(Holger Bellino (CDU): Dann machen Sie es doch!)

Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsförderung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

Meine Damen und Herren, alles zusammen, die ganze Latte runter: Sie werden außerhalb der CSU und, wie ich mit Bedauern zur Kenntnis nehme, der hessischen CDU und von Ihnen, geschätzte Frau Kollegin Wiesmann,

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

niemanden finden, der irgendein gutes Haar an dem Gedanken des Betreuungsgeldes lässt,

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

weil es daran auch kein gutes Haar gibt. Es gibt daran kein gutes Haar, sondern zahllose Haare in der Suppe. Nicht das Geringste ist, dass alles das

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

das ist mein letzter Satz –, was Sie hier in Bezug auf die Kinderbetreuungseinrichtungen gefordert haben, die Verbesserung der Qualität, damit finanzierbar wäre. Rechnen Sie sich aus, was nach den üblichen Schlüsseln dafür auf das Bundesland Hessen entfallen würde, und rechnen Sie sich aus, was Sie damit machen könnten. Und dann sagen Sie uns, wie viel Geld Sie zusätzlich für das Kinderförde

rungsgesetz hier zur Verfügung stellen wollen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das Wort hat Herr Mick, FDP-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der ist doch eigentlich klüger als das, was im Koalitionsvertrag steht!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon angeklungen: Die Beschlusslage der FDP auf Bundesebene ist bekannt, genauer: die Beschlusslage, mit der die FDP damals in den Koalitionsvertrag hineingegangen ist. Insofern ist das Anliegen dieses Antrags absolut durchsichtig. Sie wollen damit einen Keil zwischen die Koalition treiben.

(Günter Rudolph (SPD): Das macht ihr im Zweifel schon selbst!)

Um die Spannung vorwegzunehmen: Ich kann Ihnen gleich sagen, das wird Ihnen nicht gelingen.

Schon die Überschrift ist falsch. Die Forderung „in frühkindliche Bildung investieren“ suggeriert, dass in diesem Bereich nichts geschehe. Das ist aber nicht richtig.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das Land unternimmt natürlich erhebliche Anstrengungen in der frühkindlichen Bildung. Die Investitionen in der U-3-Betreuung sind so hoch wie noch nie. Ich möchte das Familienprogramm erwähnen, den Hortplatzbonus für U-3-Plätze. Mit der qualifizierten Schulvorbereitung werden wir den Übergang zwischen Kindergarten und Schule entscheidend verbessern. Das KiföG wird weitere entscheidende Verbesserungen mit sich bringen, insbesondere bei den Arbeitsbedingungen für die Erzieherinnen und Erzieher. Die Familienzentren werden gefördert.

All das sind Maßnahmen, die erheblich in frühkindliche Bildung investieren und für eine Verbesserung der frühkindlichen Bildung zur Verfügung stehen. Insofern sollten wir hier keinen Gegensatz aufbauen, der in der Realität nicht existiert.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Zitate, die gebracht wurden, sind ja alle vollkommen korrekt. Wissen Sie, was mich an der ganzen Debatte stört? – Das hat mich auch damals schon bei der Debatte um das Krippenprogramm der Bundesregierung gestört, nämlich wie diskutiert wurde. Bei der Familienpolitik hat jede und jeder Einzelne von uns ihre bzw. seine ganz individuellen Erfahrungen, sei es aus der eigenen Kindheit, sei es durch die Kinder aus der Nachbarschaft oder dem Bekanntenkreis. Ich habe das Gefühl, jeder möchte seine eigenen Erfahrungen auf andere Menschen übertragen. Das ist ein roter Faden, der sich durch die Argumentation der Vertreter aller Parteien zieht. Vielleicht werde ich es auch machen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Schulpolitik reden alle mit, alle waren mal in der Schule!)

Ich finde, das ist ein Gegensatz, den wir überwinden müssen. Es ist nicht richtig, dass all diejenigen, die ihre Kinder zu Hause betreuen, nur die Unterschichten sind, die das Geld mitnehmen. Ich kenne auch viele Akademiker, die darauf verzichten, wieder in die Arbeit einzusteigen und sagen, sie möchten gern ihre Kinder zu Hause betreuen. Es gibt andererseits viele, die ihre Kinder früh in die Krippe geben. Alle Kinder sind unterschiedlich, alle Familien sind unterschiedlich. Unser Ziel muss doch sein, eine Politik zu betreiben, die der Unterschiedlichkeit unserer Lebensentwürfe gerecht wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe der Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn man sich vor Augen führt, was damals mit dem Elterngeld eingeführt wurde, welche Diskussionen jetzt auf Bundesebene stattfinden und was Frau Wiesmann eben ausgeführt hat, dann muss man doch sehen, dass das letzte Wort beim Betreuungsgeld über die genaue Ausgestaltung, wem es zur Verfügung gestellt werden soll, noch nicht gesprochen ist. Es bestehen theoretisch durchaus noch Chancen – je nachdem, wie man es ausgestaltet –, es auch zu einem sinnvollen Baustein der Familienpolitik zu machen.

(Lachen bei der SPD)

Ich habe gesagt, die Ausgestaltung steht noch aus. Ich finde die Idee gut, die Frau Wiesmann eben geschildert hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich kann das auch aus meinem Bekanntenkreis berichten: Im ersten Jahr bleiben viele zu Hause und nehmen das Elterngeld in Anspruch. Im zweiten Jahr nehmen viele eine Teilzeitbeschäftigung in Anspruch. Das Betreuungsgeld könnte diese Verdienstlücke, die für die Frauen durch Teilzeitarbeit entsteht – meistens sind es die Frauen, die in Teilzeit arbeiten –, ausgleichen. Damit wäre die Logik des Elterngeldes auf das zweite Jahr weitergedacht, bis die Kinder in der vollen Betreuung sind und die Möglichkeit besteht, wieder in Vollzeit zu arbeiten.

Ich finde, es ist ein interessanter Gedanke, den Frau Wiesmann ausgeführt hat. Man sollte diese Idee nicht komplett vom Tisch wischen. Wenn man sich die Lebensrealität in vielen Familien anschaut, besteht die Chance, daraus etwas Gutes zu machen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir müssen uns vor Augen führen, dass der Staat 187 Milliarden € pro Jahr für familienpolitische Leistungen ausgibt. Wir brauchen dringend eine Gesamtüberprüfung der familienpolitischen Leistungen. Trotzdem wird das Land noch von vielen als familienfeindlich wahrgenommen. Das viele Geld scheint nicht immer sinnvoll eingesetzt zu werden.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es, mehr Infrastruktur und weniger Transferleistungen!)

Es ist gut, dass die Debatte um das Betreuungsgeld eine Möglichkeit bietet, diese familienpolitischen Leistungen zu überprüfen. Wir müssen insgesamt zu einer Familienpolitik kommen, die allen Lebensentwürfen gerecht wird.

Sie muss in diesem Land eine gute, familienfreundliche Situation für Kinder und Eltern ermöglichen. Ich bin guten Mutes. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort hat Frau Abg. Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich nehme es vorweg: Dem Antrag der GRÜNEN werden wir zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Holger Bellino (CDU): Da würde ich nicht applaudieren!)

Es ist ein guter Antrag, inhaltlich richtig und vom Gedanken der Gerechtigkeit geprägt.

Wir, DIE LINKE, haben uns schon auf Bundesebene konsequent gegen die Einführung des Betreuungsgeldes gestellt. Es ist und bleibt unseres Erachtens ein sozialpolitischer Irrweg. Die Forderung muss dagegen sein, für Kinder ab dem ersten Jahr eine beitragsfreie Kinderbetreuung flächendeckend und per Rechtsanspruch geregelt zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wissenschaftliche Studien zeigen, das Miteinander in Kindergarten und Kindergruppen ist wichtig für die Sozialisation und die Entwicklung der Kinder.

(Kurt Wiegel (CDU): Familie ist aber auch wichtig!)

Sicherlich, die Kinder sind ja auch nicht den ganzen Tag und die Nacht in der Kindergruppe.