Protokoll der Sitzung vom 29.03.2012

Sicherlich, die Kinder sind ja auch nicht den ganzen Tag und die Nacht in der Kindergruppe.

Kindern, die vor der Einschulung z. B. eine Kindertageseinrichtung besucht haben, fallen sowohl die Eingewöhnung in die Schulsituation als auch das Miteinander mit fremden Kindern leichter.

Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum Anreize geschaffen werden sollen, Frauen länger aus dem Beruf herauszuhalten. Ist nicht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eines der zentralen Themen, die die CDU-geführte Bundesregierung umsetzen möchte? Wie verträgt sich dieser Ansatz mit dem Betreuungsgeld? Dieses Betreuungsgeld hat zudem eine selektierende Wirkung. Es wäre ein milliardenschweres soziales Ausgrenzungsprogramm und eine reine Subvention für Alleinverdienerfamilien. Was aber das Fass zum Überlaufen bringt, sind Überlegungen, das Betreuungsgeld auf die Grundsicherung anrechnen zu lassen.

Ich möchte daran erinnern, dass die 100 €, die es anfänglich geben soll, mehr als ein Drittel dessen sind, was Kindern aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, zusteht. Das will die schwarz-gelbe Bundesregierung genau wie das Elterngeld anrechnen. Ich kann über so viel Ungerechtigkeit nur den Kopf schütteln.

Auch verstehe ich nicht, wie dieses Betreuungsgeld dem so beklagten Geburtenrückgang entgegenwirken soll. Familienfreundlich ist es doch nur für die Familien, die es sich leisten können, auf ein Gehalt zu verzichten. Dafür sollen sie belohnt werden. Die vielen anderen Familien

und die Alleinerziehenden, die sich den Buckel krumm schuften, werden bestraft und gehen leer aus.

Da bringt auch der Vorschlag unserer Familienministerin Schröder nichts, das Betreuungsgeld auch dann zu zahlen, wenn das Kind von einer Tagesmutter betreut wird. Für 100 € monatlich gibt es keine Tagesmutter. Das ist auch gut so, weil auch hier Mindestlöhne endlich gezahlt werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinzu kommt, dass diese Idee widersinnig ist, da mit dem Betreuungsgeld die Erziehungsleistung der Eltern belohnt werden soll. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie bitten, die Äußerung unseres Ministerpräsidenten Volker Bouffier zu betrachten. Er sagte in einem Interview, er sei für das Betreuungsgeld, da eine Frau, die sich für die Betreuung ihrer Kinder entscheide, Respekt verdiene.

Herr Bouffier, diejenige, die sich nicht dafür entscheidet, verdient wohl nicht Ihren Respekt? Wir meinen, er sollte sich dafür schämen.

(Günter Schork (CDU): Das ist unterste Schublade!)

Wo ist denn die Logik dabei? – Wie anfänglich gesagt, wir finden den Antrag der GRÜNEN sehr gut, wir stimmen ihm zu und hoffen, dass er durchkommt. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Frau Staatssekretärin Müller-Klepper.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! U-3-Betreuungsplätze und Betreuungsgeld sind keine Alternativen, die sich ausschließen, sondern zwei Seiten einer Medaille. Diese Medaille heißt Wahlfreiheit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Beides sind unterstützende Elemente für unterschiedliche Lebensmodelle, damit das Ja zu Kindern leichter umgesetzt werden kann und Kinder gut betreut aufwachsen.

Eltern wollen unterschiedliche Wege gehen. Familienleben ist vielfältig, deswegen brauchen wir auch beides, wie es auch der Präsident des Familienverbandes, Dr. Klaus Zeh, fordert. Eltern brauchen Planungssicherheit und keinen Kampf, welches der beiden Modelle richtig oder besser ist.

Laut unserer Verfassung ist die Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Die Familie ist der Hort des Aufwachsens, der Wertevermittlung. Sie ist auch zentrale Bildungsinstanz und Lernort für wertvolle Kernkompetenzen.

Frühkindliche Bildung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren durch die Eltern schließen sich nicht aus. Wer hier einen Gegensatz konstruieren möchte, diskreditiert die Erziehungsleistungen, die Generationen von Eltern erbracht haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Eltern, die sich voll und ganz der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder widmen, verdienen keine Häme, wie sie in der Diskussion um das Betreuungsgeld immer wieder geäußert wird, sondern Ermutigung und Dank. Wer Kinder erzieht, leistet wichtige Sorgearbeit und legt damit den Grundstein für die Zukunft unseres Landes.

Der aktuelle Familienbericht der Bundesregierung zeigt: Eltern wollen mehr Zeit für ihre Kinder haben. – Die Politik und zunehmend auch die Wirtschaft haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um diesem Wunsch Rechnung zu tragen. Das zentrale Instrument, damit Eltern Zeit für ihr Kind haben, gerade in den ersten Lebensmonaten, die so entscheidend für die Entwicklung sind, ist das Elterngeld. Was ist verwerflich daran, wenn Eltern bereit sind, auf Berufstätigkeit und Einkommen zu verzichten, wenn sie sich länger als ein Jahr Zeit nehmen und die Erziehungsarbeit in diesem Zeitraum in vollem Umfang übernehmen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Eltern sollen entscheiden können, ob sie ihre Kinder im Alter bis zu drei Jahren zu Hause betreuen oder sie in eine Einrichtung geben. Herr Wagner hat in der schulpolitischen Diskussion treffend gesagt: Eltern wissen, was das Beste für ihr Kind ist.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt stimmt es auf einmal!)

Die Politik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Eltern ihr Lebensmodell verwirklichen können, dass sie über das Familienleben, die Kindererziehung und damit über die Balance von Erwerbs- und Familienarbeit frei entscheiden können. Wir wollen niemanden abqualifizieren, weder die Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, noch die Familien, in denen die Mutter oder der Vater sich entscheidet, zu Hause zu bleiben, um sich der Kindererziehung zu widmen. Die Begriffe „Rabenmutter“ für die berufstätige Mutter und „Heimchen am Herd“ für die Mutter, die sich entscheidet, zu Hause zu bleiben, gehören in den Papierkorb.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Zu Recht ist der Begriff „Herdprämie“ im Jahr 2007 zum Unwort des Jahres gekürt worden, da er insbesondere die Frauen diffamiert, die sich der Kindererziehung zu Hause widmen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Aufgabe der Politik ist es nicht, einen Weg zu verschließen, indem er keine Unterstützung erfährt. Beide Wege sind gleichwertig. Wahlfreiheit als politisches Credo erfordert vielfältige Optionen einer flexiblen Kinderbetreuung. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot ist der Dreh- und Angelpunkt, damit Mütter und Väter, die Familie und Beruf vereinbaren wollen oder müssen, nicht mehr Berufsunterbrechung und Teilzeit in Kauf nehmen müssen.

Der Qualifizierung von Kindertageseinrichtungen als Bildungsstätten kommt darüber hinaus eine besondere Bedeutung zu, weil sie die erste öffentliche Bildungsinstanz sind. Gerade weil nicht alle Eltern ihren Kindern die notwendige Förderung garantieren können, bauen wir mit dem Bildungs- und Erziehungsplan und der qualifizierten Schulvorbereitung die frühkindliche Erziehung in Kin

derbetreuungseinrichtungen systematisch aus, damit soziale Benachteiligungen frühzeitig abgebaut werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Wahlfreiheit als politisches Credo erfordert aber auch eine familienfreundliche Arbeitswelt. Auch hier sind viele Maßnahmen auf dem Weg. Wahlfreiheit bedeutet aber auch mehr Anerkennung für selbsttätige Elternschaft. Es ist eine Aufwertung der Sorgearbeit erforderlich, die die Familien leisten: durch eine verbesserte Anerkennung in der Rentenversicherung sowie als Qualifikation für die Erwerbstätigkeit, durch ein Familien-Realsplitting, aber auch durch das Betreuungsgeld, das im Übrigen nichts anderes ist als die Wiedereinführung des Erziehungsgeldes früherer Zeit.

Frau Staatssekretärin, die Redezeit der Fraktionen ist überschritten.

Es ist angemessen und fair, dass wir nicht nur den Ausbau der U-3-Betreuung durch einen Rechtsanspruch und die Bereitstellung öffentlicher Mittel besonders fördern, sondern dass auch die Erziehungsleistung von Eltern, die öffentlich subventionierte Kinderbetreuung nicht in Anspruch nehmen, eine höhere Anerkennung seitens der staatlichen Gemeinschaft erfährt. Das Modell des Elterngeldes II ist hier eine interessante und moderne Variante, die wir als Landesregierung unterstützen. Wir wollen die Familien und damit das tragende Element unserer Gesellschaft fördern. Starke Familien bedeuten eine starke Gesellschaft. Das Betreuungsgeld ist neben dem Ausbau der Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung ein Baustein auf diesem Weg – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Das Wort hat Herr Abg. Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich finde, dass wir in dieser Frage ehrlich sein müssen.

Frau Müller-Klepper, der Kollege Mick hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieses Land 180 Milliarden € für Leistungen ausgibt, die in irgendeiner Form Kinder und Familien betreffen. Trotzdem wird dieses Land als familienfeindlich wahrgenommen. Ich will Ihnen das an zwei Zahlen deutlich machen. Anfang der Neunzigerjahre betrug das Kindergeld pro Kind und Monat 70 DM. Inzwischen ist es bei 184 €. Das ist das höchste Kindergeld, das es auf der Welt überhaupt gibt. Trotzdem ist Deutschland weiterhin ein Land, in dem Kinder ein großes Armutsrisiko darstellen. Transferleistungsempfänger haben nämlich keinen Anspruch auf Kindergeld. Als wir über eine Regelsatzerhöhung im ALG debattiert haben, hat Ihre Arbeitsministerin gesagt, sie möchte gerne ein Bildungsund Teilhabepaket haben, keine Erhöhung der Transferleistungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Warum? Weil wir feststellen müssen, dass es, wenn wir etwas gegen die Kinderarmut tun wollen, wenn wir etwas gegen Bildungsarmut tun wollen, nur eine Lösung gibt, nämlich Investitionen zu tätigen in die soziale Infrastruktur,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

in frühkindliche Bildung, in die Kinderbetreuung, in die ganztägige Betreuung – mit allem, was dazugehört. Die Einführung einer weiteren Transferleistung führt nur zu Mitnahmeeffekten, weil sie denen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, nichts, aber auch gar nichts bringt. Im Gegenteil, sie schadet, weil man dann kein Geld mehr hat, um in die Infrastruktur zu investieren. Wenn Sie einmal überlegen, wie Sie bei den Transferleistungen im ALG II argumentieren, und das in Beziehung zu Ihrer eigenen Argumentation setzen, was für das Elterngeld II spricht, dann fällt Ihnen auf, dass das überhaupt nicht zusammenpasst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es kommt noch etwas hinzu. Die Wahlfreiheit ist das eine. Es gibt aber auch die sogenannte stille Reserve. Sie sind ja eine der wenigen Frauenpolitikerinnen in der Union. Die wissen um die Frauen, die gerne arbeiten wollen, nach dem Einstieg suchen und in keiner Statistik vorkommen. Wir werden durch den Fachkräftemangel in die Situation kommen, dass wir zunehmend auf diese Frauen angewiesen sind, nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung, sondern auch aus ökonomischen Gründen, weil wir es uns nicht mehr leisten können, gut ausgebildeten Frauen auch noch Anreize zu geben, zu Hause zu bleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Wissen Sie, wie viele Eltern sich inzwischen daran gewöhnt haben, dass es aufgrund des Rechtsanspruchs – eingeführt 1994 – eine gute Kinderbetreuung im Kindergarten gibt, sich zunehmend daran gewöhnen, dass es eine Betreuung auch der unter Dreijährigen gibt, das zunehmend nachfragen und unglaublich vor dem Schuleintritt ihres Kindes bibbern, weil es in vielen Fällen keine solchen Formen der Betreuung für Grundschüler gibt? Es ist doch nicht so, dass wir nichts mehr zu tun hätten. Wenn wir schon Geld in die Hand nehmen, von dem wir eigentlich zu wenig haben, dann sollten wir es da investieren, wo es wirklich etwas bringt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Merz für die SPD-Fraktion.