Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

Nicht gleich, sondern sofort.

Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung der NSUVorfälle muss in diesem Land absolute Priorität haben. Das zeigt auch eine aktuelle Meldung von heute, wenn ich das sagen darf. Es gibt wieder Unterstützer, die bekannt geworden sind; es ist ein bekannter NPD-Mann, der dem NSU zugearbeitet hat. Deswegen hat das hier absolute Priorität. Ich glaube, wir müssen darüber hinaus vieles tun. Deswegen werde ich der PKV den Vorschlag unterbreiten, dass wir den Rechnungshof auch das Landesamt für Verfassungsschutz prüfen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Faeser. – Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Schaus jetzt das Wort. Bitte schön, Herr Schaus.

(Holger Bellino (CDU): Wir haben leider auf rechter und linker Seite diesen Sumpf, aber wir bekämpfen ihn!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von den Regierungsfraktionen hier vorgelegte Gesetzentwurf ist auf der ganzen Linie ein einziges Ärgernis. Das beginnt mit dem von CDU und FDP gewählten Verfahren, denn es soll mit dem vollständigen Ausblenden des NSU-Skandals weitergehen, und es endet im grundsätzlichen Mangel jeglicher – aber wirklich jeglicher – Regelung zur Stärkung des demokratischen und transparenten Rechtsstaates. Die hier im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen nutzen sowohl dem Parlament als auch der Öffentlichkeit wirklich gar nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Greilich, eher können Sie den Hessischen Landtag mit einem Kugelschreiber blau anmalen als mit diesen Regeln Transparenz und Kontrolle der Geheimdienste herstellen. Es ist zudem ein Armutszeugnis, vor allem für die sogenannte liberale Landtagsfraktion. Wenn bei der FDP

nicht einmal mehr beim größten Geheimdienstskandal in Deutschland der Ruf nach mehr Bürgerrechten und Transparenz erschallt, wann denn dann, meine Damen und Herren?

Ich ärgere mich aber auch über den gesamten Verlauf der Debatte hier in Hessen. Das will ich deutlich auch in Richtung SPD und GRÜNE sagen: Seit Jahren hat die Sicherheitspolitik die Bürgerrechte an den Rand gedrängt. Jetzt erleben wir, dass die Sicherheitsbehörden bei rechtem Terror in Deutschland nicht nur gänzlich versagt haben, sondern dass die Aufklärung mit allen Mitteln verhindert wurde.

Das Bundesamt schreddert stapelweise zentrale Akten zur Arbeit im NSU-Umfeld. Der Militärische Abschirmdienst hält Informationen zu früheren Vernehmungen eines der NSU-Terroristen zurück. Die Berliner CDU will vertuschen, dass das LKA über Jahre mit dem Bombenlieferanten des NSU zusammengearbeitet hat. Seit gestern berichtet die Presse, dass der NPD-Funktionär Wohlleben die NSU-Mordwaffe beschafft haben soll; er soll ebenfalls ein V-Mann des Geheimdienstes gewesen sein. Dass ein vom Verfassungsschutz bezahlter Rechtsradikaler jetzt auch noch direkt an den schrecklichen Morden beteiligt sein soll, das wäre der Super-GAU in unserem Land.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Das muss uns doch alle wachrütteln. Das schreit doch geradezu nach grundlegenden Änderungen in dieser Architektur.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich halte angesichts dieses Desasters den rot-grünen Streit mit der schwarz-gelben Landesregierung und den Fraktionen darüber, ob man sich künftig in geheimen Sitzungen eines geheimen Landtagsgremiums Notizen machen darf oder nicht, für völlig daneben und weltfremd.

(Beifall bei der LINKEN)

Da lachen sich die Hüte doch schlapp.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Die führen gerade vor aller Öffentlichkeit das Parlament an der Nase herum, und sie treten im Übrigen noch das Recht des Terroropfers auf Aufklärung mit Füßen. Der Rechtsstaat wird ad absurdum geführt, weil die Geheimdienste, statt Aufklärung zu betreiben, fröhlich Akten und Beweismittel zurückhalten oder sogar vernichten. Das soll künftig verhindert werden, indem sich fünf Abgeordnete in Geheimgremien Notizen machen und Sachverständige einladen. Glauben Sie ernsthaft, dass fünf Landtagsabgeordnete in geheimer Sitzung wirklich in der Lage sind, einen Geheimdienst zu kontrollieren? Was soll das bringen? Nein, DIE LINKE will eine andere Sicherheitsarchitektur und damit eine deutliche Stärkung der Demokratie und der Bürgerrechte.

(Beifall bei der LINKEN)

Augenscheinlich geht dies nicht mit, sondern nur gegen die Geheimdienste. Diese sind nämlich ein Relikt des Kalten Krieges. Kein westliches Land außer Deutschland hat einen politischen Inlandsgeheimdienst. Auch das sollte uns nachdenklich machen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass er auf dem rechten Auge blind ist, wenn nicht sogar gefährlich, hat er immer wieder bewiesen. Dass er sich eben nicht demokratisch kontrollieren lässt, hat er auch mehr als deutlich bewiesen, Herr Frömmrich. Ein Geheimdienst kann auch gar nicht transparent sein.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Denn zwischen geheim und transparent besteht ein Grundwiderspruch. So haben wir die hessischen Vertreter des Verfassungsschutzes im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages auch gemeinsam erlebt.

Deshalb haben wir gestern einen Gesetzentwurf eingebracht, der im Einklang mit der Verfassung und den europäischen Normen die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes fordert, verbunden mit der Einrichtung eines öffentlich zugänglichen, kontrollierbaren, wissenschaftlich arbeitenden Informations- und Dokumentationszentrums, ohne V-Leute.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Faeser, ich will durchaus anerkennen, dass sich die SPD bereits vor Bekanntwerden des NSU-Terrors für eine zumindest sanfte Reform der parlamentarischen Kontrolle ausgesprochen hat. Ich hoffe, dass Sie nach Bekanntwerden des NSU-Terrors dabei nicht stehen bleiben.

Okay. Unsere Position war das von Beginn an nicht. Denn egal, wie Sie die parlamentarische Kontrolle wo auch immer organisieren, kein Gremium bundesweit hat jemals zur Kontrolle der Geheimdienste geführt. Da sind wir in der Tat unterschiedlicher Meinung.

Was ich aber nicht verstehe: Seit fast einem Jahr appellieren Sie an CDU und FDP, dass man überparteilich aufklären und zu Reformen kommen müsse. Eigentlich müssten Sie inzwischen zur Kenntnis gekommen sein, dass CDU und FDP in Hessen keinen Beitrag zur Aufklärung leisten wollen und gar nicht an die Geheimdienste heran wollen. Meine Damen und Herren, das ist doch das Problem in der Diskussion. Eine eigenständige Aufklärung des NSUMords in Hessen hat es vonseiten der CDU und der FDP bisher nicht gegeben – nicht eine Initiative dazu, nicht eine kritische Frage an die Landesregierung. Seit Monaten werden alle Aufklärungsversuche der Opposition stumpf abgeschmettert.

Den Untersuchungsausschuss in Berlin, in welchem mehrfach heftige Kritik an Hessen geäußert wurde, ignorieren CDU und FDP komplett. Die Regierung hat zuletzt auf unseren Berichtsantrag im Innenausschuss gesagt, die Aussagen in Berlin seien irrelevant. Der innenpolitische Sprecher der CDU erklärte: Es gab keine Pannen. Es gab keine Probleme. Es gab keinen Konflikt mit den Geheimdiensten.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das war alles normal, wie immer!)

So geht man damit um. Dabei müssten Sie doch nur einmal mit Ihren CDU- oder FDP-Parteikollegen im Bundestag telefonieren. Dort erfahren Sie nämlich genau das Gegenteil. Stattdessen legen CDU und FDP auch nach der 20. Aufforderung der SPD zur überparteilichen Kooperation schnell einen eigenen Entwurf auf den Tisch. Warum?

(Alexander Bauer (CDU): Was haben Sie denn gemacht? – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Bauer, Sie tun das nur, weil das alte Gesetz ausläuft und Sie jetzt handeln müssen. Überschrift: „mehr Transparenz“, um die Medien zu beeindrucken. Was steht drin? Nichts Neues.

Entgegen jeder Vernunft werden alle bisherigen Erkenntnisse ignoriert. Die Vernehmungen hessischer Beteiligter vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin waren beschämend. Das hat kein Anwesender anders empfunden. Sie hätten dort erleben können, wie krude der bis 2006 oberste hessische Verfassungsschützer, Direktor I., argumentierte. Aber Sie waren nicht anwesend, Herr Bauer. CDU und FDP haben es auch nicht nötig, da anwesend zu sein.

Herr Ministerpräsident Bouffier wird sich am kommenden Freitag rechtfertigen müssen. Wir sind gespannt, was er da zu sagen hat.

(Holger Bellino (CDU): Er wird erklären!)

Herr Bellino, das können Sie so verstehen. Ich verstehe das anders.

(Holger Bellino (CDU): Sie verstehen eh nichts!)

Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal vorstellen: Ein Verfassungsschützer mit rechter Vergangenheit war am Tatort anwesend und war aus Sicht der Polizei dringend tatverdächtig. Aber die Polizei darf nicht umfassend ermitteln, weil er ein Verfassungsschützer war. Stattdessen wird er vom Direktor nach Wiesbaden eingeladen – als Mordverdächtiger. Die Polizei darf einen V-Mann nicht selbst befragen. Auf dem Register dieses V-Manns stehen Sachbeschädigungen, Körperverletzungsdelikte, Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Er habe zwar keine brauchbaren Informationen geliefert, haben wir in Berlin gehört, bekam aber jahrelang monatlich Gehalt vom Geheimdienst. Warum, für was? Warum darf man gegen so jemanden nicht in einer bundesweiten Mordserie ermitteln und ihn entsprechend befragen? – Das sind die Fragen, die nach wie vor im Raum stehen und die beantwortet werden müssen.

Im Parlament wird das nie berichtet, mit keinem Wort, trotz Nachfragen. Ich kann nur sagen: Ein Spitzendienst ist das und eine Spitzentransparenz.

Herr Kollege, Sie müssten zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, es mutet als ein Treppenwitz an, dass als Konsequenz des ganzen Schlamassels ausgerechnet die Geheimdienste nun noch mehr Kompetenzen erhalten sollen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

DIE LINKE sagt: Es ist dringend Zeit zum Handeln. Die Geheimdienste waren Relikte des Kalten Krieges. Sie haben sich seither zum unheimlichen Staat im Staate entwickelt, und sie haben beim Umgang mit dem braunen Terror jedes Vertrauen verspielt. Kein Demokrat, ob sozialdemokratisch, liberal, christlich, grün oder sozialistisch,

sollte sich und anderen da noch etwas anderes vormachen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Herr Kollege Schaus.

Bevor ich dem Kollegen Frömmrich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne unsere frühere Kollegin Frau Barbara Bergelt recht herzlich. Herzlich willkommen.

(Beifall)