Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Worum geht es in der Sache? – Die Hessische Verfassung enthält an zwei Stellen Aussagen zur Verstaatlichung bzw. zur Enteignung.Die erste Stelle ist Art.41.Danach sollten mit Inkrafttreten der Hessischen Verfassung – also bereits 1946 – Bergbau,Eisen- und Stahlerzeugung – die gibt es in Hessen inzwischen gar nicht mehr –, Energiewirtschaft und Schienenverkehr in Gemeineigentum überführt werden. Großbanken und Versicherungsunternehmen sollten vom Staat beaufsichtigt oder verwaltet werden. Das ist also eine entschädigungslose Verstaatlichung ganzer Branchen – unabhängig von Belangen des Gemeinwohls im Einzelfall.Allerdings wurde dieses Programm der Hessischen Verfassung nie umgesetzt. Das Gesetz, das zur Ausführung notwendig geworden wäre, ist nie erlassen worden. Mir ist auch kein Gesetzentwurf der LINKEN bekannt, der dies derzeit umsetzen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Sie wissen natürlich wie alle anderen in diesem Hause auch, dass seit Erlass des Grundgesetzes 1949 – das ist auch schon ein paar Tage her – dies nunmehr unzulässig ist. Der von Herrn Dr. Wilken zitierte Art. 15 Grund

gesetz eröffnet zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum – allerdings nach herrschender Auffassung nur durch ein auf den Einzelfall bezogenes Gesetz und – das haben Sie selbst zitiert – gegen Entschädigung. Das geht nicht umstandslos für ganze Branchen ohne Entschädigung, wie das nach dem Konzept der Hessischen Verfassung vorgesehen ist. Ich bin nun nicht der berufene Interpret der Äußerungen des Justizministers. Aber wenn er diesen Artikel in der Hessischen Verfassung gemeint hätte, könnte ich seine Wertung nachvollziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU und der FDP)

Allerdings ist wiederum die Verallgemeinerung, die der Minister daraus in, wie ich finde, unzulässiger Komplexitätsreduktion ableitet, genau das, was er auch selbst geäußert hat, nämlich Blödsinn.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn eine Enteignung – auch in Form der Verstaatlichung – ist natürlich bei übergeordneten Belangen des Gemeinwohls im Einzelfall gegen Entschädigung sehr wohl möglich. Das sieht die Hessische Verfassung selbst in Art. 45 Abs. 2 vor. Privateigentum, so heißt es da, darf im öffentlichen Interesse aufgrund eines Gesetzes in dem darin vorgesehenen Verfahren gegen Entschädigung enteignet werden. Diese Form der Entschädigung und Verstaatlichung steht natürlich in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz. Ich glaube, es ist Art. 14 Abs. 2, wie auch immer. Hätte der Justizminister nachgedacht, bevor er die Interviewfrage beantwortet hat, hätte er dies sicherlich auch etwas differenzierter erkennen müssen und dann richtig geantwortet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber meine Damen und Herren von der LINKEN, dies dann gleich als verfassungswidrige Äußerung zu geißeln, schießt nach meinem Ermessen deutlich über das Ziel hinaus. Die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN sollten mit solchen Wertungen auch lieber vorsichtig sein. Wenn mangelnde Kenntnis des Grundgesetzes oder jede undifferenzierte Äußerung zur Hessischen Verfassung ein Beleg für mangelnde Verfassungstreue wäre, dann hätten Sie schon viele davon in diesem Hause geliefert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU und der FDP)

Ich kann nur den Justizminister bitten, und ich kann nur die Kollegen von den LINKEN bitten: Verschonen Sie künftig dieses Haus von Ihrem Wettbewerb um die schlechteste Politik in Hessen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Verschonen Sie uns mit Ihrem Pingpongspiel von undifferenzierten Wertungen und Pauschalurteilen.In Zeiten der Krise brauchen wir keine schlechten Minister und keine schlechte Opposition. Wir brauchen gute Politik für die Menschen in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Bis auf den Halbsatz mit dem schlechten Minister war es gut!)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Ich darf jetzt Herrn Müller für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Jürgens, vielen Dank für diese rechtlich fundierten und zutreffenden Äußerungen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das steht jetzt im Protokoll, Gott sei Dank!)

Natürlich. – Das Einzige, was Sie nicht ganz richtig bewertet haben, ist das Verhalten der Landesregierung; denn wir haben eine gute Landesregierung,und wir haben gute Minister in Hessen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Dr. Jürgens, Sie haben ja schon beinahe die Verteidigungsrede für den Minister gehalten. Das war schon ganz hervorragend.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir setzen uns immer für die Armen und Schwachen ein! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können das natürlich nicht bis zum letzten Punkt durchziehen und auch noch sagen, dass die Interpretation des Statements von Herrn Hahn gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ durch die LINKEN auch falsch interpretiert worden ist.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind für die gerechte Gesellschaft, im Gegensatz zu euch! – Günter Rudolph (SPD): Jetzt ist die Presse schuld!)

Nein, von den LINKEN ist falsch interpretiert worden.

(Günter Rudolph (SPD): Wenn Hahn Unsinn redet!)

Nein,Herr Rudolph,hören Sie doch auf.– Ich lese Ihnen einmal vor, was Herr Hahn gesagt hat:

Und jetzt gerade haben wir im Landtag erleben müssen, wie sich die Postkommunisten

das sind die Herren hier drüben;

(Willi van Ooyen (DIE LINKE):Ach so!)

Entschuldigung, es sind auch Damen dabei –

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wir haben auch Frauen in der Partei! – Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

auf die in der Hessischen Verfassung verankerte Möglichkeit zur Verstaatlichung von Betrieben berufen. Jeder weiß, dass das Blödsinn ist und – wie gesagt – mit Blick auf das Grundgesetz auch gar nicht geht.

Da braucht man nicht differenzieren. Herr Dr. Jürgens, das, was die LINKEN wollen, ist eine entschädigungslose Enteignung.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Genau das ist Blödsinn. Genau das gibt es nicht. Von daher hat Minister Hahn sich genau richtig ausgedrückt. Auch Sie haben eben gesagt, Sie würden dem entsprechen, dass das, was hier gefordert wird, Blödsinn ist.

Meine Damen und Herren, wenn nicht Herr Dr. Jürgens hier eine so geeignete Rede gehalten hätte, hätte ich beinahe keine Lust mehr gehabt, hier etwas zu sagen, weil das Niveau dessen, was die LINKEN hier vortragen, mit einer solchen rechtlichen Unkenntnis gepaart, kaum noch auszuhalten ist. Das tut mir ernsthaft leid.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Günter Rudolph (SPD): Dann machen Sie es ohne Lust! – Zurufe von der LINKEN: Oh!)

Man muss sich vorstellen, dass ein anderer Oppositionspartner von Ihnen diese rechtlich fundierte oder eben unfundierte Erklärung ebenso gegeißelt hat. Insofern ist das hier kein Regierungsgetue oder Regierungskoalitionsgetue.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, Sie sind völlig fern jeder Selbstkritik,

(Günter Rudolph (SPD): Das sagt der Richtige!)

Sie verstehen die Grundprinzipien der Verfassung nicht, Sie interpretieren Dinge hinein,bauen dann einen Popanz sondergleichen auf.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das liegt Ihnen völlig fern! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Warum will die FDP die Verfassung ändern?)

Es gibt das von mir angeführte Zitat. Daraus machen Sie erst einmal eine Demo im Innenhof, wenn ich das richtig gesehen habe. Dann ziehen Sie zum Justizminister, überreichen Ihrer Meinung nach eine Belehrung. Leider haben Sie den Paragrafen falsch zitiert. Noch nicht einmal den Paragrafen konnten Sie bei dieser Inszenierung öffentlichkeitswirksam inszenieren.

(Günter Rudolph (SPD): Artikel! Sehen Sie, wenn man so schlau sein will wie Sie! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So viel Zeit muss sein! – Weitere Zurufe)

Artikel, danke schön. So viel Zeit muss sein. Da haben Sie Recht. – Sie haben den Artikel falsch zitiert. Sie haben dann zugesagt, ihn zu korrigieren. Auch dazu waren Sie nicht in der Lage. Stattdessen bringen Sie lieber diesen unsachlichen und unqualifizierten Antrag in das Parlament ein.

(Janine Wissler (DIE LINKE):Da müssen Sie ruhig sein! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sie haben Angst vor der Verfassung!)

Meine Damen und Herren, es tut mir ehrlich leid: Das macht keinen Spaß. Ich denke, Sie sollten mit diesem Unsinn aufhören, weil Sie sich damit nur bloßstellen. Nein, zum Spaß sind wir wirklich nicht hier. Aber das, was hier abgeliefert wird, ist teilweise unterhalb der Grenze, was man noch ertragen kann.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Sowohl das Grundgesetz als auch die Hessische Verfassung räumen dem Eigentum eine Vorrangstellung ein.