Nach Auskunft der Hessischen Landesregierung machen – vom Land finanziert – nur 303 von rund 1.300 Grundschulen ganztägige Angebote. Dazu habe ich eine Kleine Anfrage gestellt. Ich finde, die Antworten sollte man sich noch einmal zu Gemüte führen.
Auf meine Frage, ob die Hessische Landesregierung wisse, wie viele Betreuungsplätze für Grundschulkinder es an den Grundschulen gebe, hat sie geantwortet, über die Anzahl der Betreuungsplätze lägen keine Informationen vor. Auf die nächste Frage, wie hoch der Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder von sechs bis zehn Jahren sei, hat die Hessische Landesregierung geantwortet, ihr lägen keine verlässlichen Daten über den Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren vor.
Wissen Sie, was das bedeutet? Das bedeutet, dass die Hessische Landesregierung keine Ahnung davon hat, wie hoch der Betreuungsbedarf bei Grundschulkindern im Alter zwischen sechs und zehn Jahren ist. Das ist eine Kapitulation vor der größten Aufgabe der Kinderbetreuung: Wir brauchen nämlich eine auskömmliche Betreuung der Grundschulkinder.
Wir müssen davon ausgehen, dass Zehntausende von Eltern vor der Frage stehen, wie sie ihre Grundschulkinder betreuen lassen können. Herr Minister, das ist im Jahr 2013 für viele Eltern ein brennendes Problem.
Wie wird das in dem Entwurf für dieses KiföG beantwortet? Frau Wiesmann sagt: Wir schützen den Bestand an alten Hortplätzen. – Das bestreitet auch niemand. Aber wo, bitte, gehen Sie diese Herausforderung mit einem Jota an?
Jetzt kommen wir zu der nächsten wichtigen Herausforderung. Das ist die Frage: Wie gehen wir in diesem Land mit Behinderten um? Wie gehen wir mit behinderten Kindern um? Hierbei geht es um die Inklusion. Der Kollege Mick sagt – das ist vielleicht nicht ganz fair –, das sei eine technische Frage.
Nein, das ist keine technische Frage. Bei der Frage geht es darum, ob die Landesregierung eine der wichtigsten sozialpolitischen Herausforderungen nicht nur mit dem lapidaren Satz „Im Übrigen gilt die UN-Behindertenrechtskonvention“ angeht, sondern ob sie den Mut hat, die Inklusion zu einem Bearbeitungsfeld in einem Landesgesetz zu machen. Diesen Mut hatten Sie nicht. Von der Inklusion steht nichts darin, und deswegen haben Sie den Zweck dieses Gesetzes verfehlt.
Da Sie sagen, das alles sei doch nur hysterisches Geschrei, und alle anderen seien Handlanger der Opposition, darf ich aus der Stellungnahme der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen zitieren. Ich glaube nicht, dass sie ein grünes Parteibuch hat. Aber es ist die Stellungnahme der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen. Ich darf zitieren, was sie sagt:
Die in der Gesetzesbegründung angeführte Absicht zur Inklusion reicht dabei nicht aus, zumal sie keinen Niederschlag im Gesetz selbst findet.
Mit den Grundschulkindern haben Sie es nicht so, mit der Inklusion wollen Sie nicht wirklich etwas zu tun haben, und mit den Fachkräften haben Sie es versägt. Jetzt wollen Sie in letzter Minute noch etwas retten. Da bleibt Ihnen noch die Frage der Flexibilisierung der Mindeststandards.
Können wir uns jetzt auf irgendetwas einigen? Ich schlage vor, wir einigen uns auf Ihre These, die da lautet: Wir wollen flexibilisieren. – Wollen Sie flexibilisieren, ja oder nein? Sie wollen flexibilisieren.
Das sagen der Kollege von der FDP und die Kollegin von der CDU. Die heilsbringende Botschaft dieses Gesetzentwurfs ist doch: Flexibilisierung für die Kommunen, Freiheit für die Träger. Was heißt „Flexibilisierung“? Wollen Sie es, oder wollen Sie es nicht? Wenn Sie es nicht wollen, ist es gut; dann hauen Sie diesen Gesetzentwurf in die Tonne. Wenn Sie bei den Fachkräften und bei der U-3-Betreuung keine Flexibilisierung wollen, müssen Sie den Entwurf für das KiföG verändern.
Wenn Sie sie allerdings wollen und gleichzeitig sagen: „Aber das ist doch nicht unser Bier; die Kinderbetreuung
ist ein kommunaler Auftrag“, nehmen Sie das aus diesem Gesetzentwurf heraus. Warum schreiben Sie denn eine Flexibilisierung hinein, wenn Sie sie nicht wirklich wollen? Das ist doch schizophren.
Entweder man will eine Flexibilisierung, und sie führt zu Veränderungen bei den Qualitätsstandards, oder man will sie nicht. Wenn man sie nicht will – wie wir; wir haben nämlich eine Mindestverordnung –, darf man das nicht so in den Gesetzentwurf schreiben. Das ist der entscheidende Kritikpunkt. Sie haben den Gesetzentwurf falsch formuliert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht nicht nur darum, was man in ein solches Gesetz hineinschreibt, sondern sehr oft stellt sich auch die Frage, wie man mit den Akteuren der Kinderbetreuung umgeht. Ich weiß, das wird bei Ihnen auf taube Ohren stoßen. Wer fünf Jahre lang im Gutsherrenstil regiert hat, wird es vermutlich sechs Monate vor der Landtagswahl auch nicht mehr verstehen.
Wir sind der Überzeugung – Frau Wiesmann, das nennen Sie einen „Running Gag“ –, dass wir einen Betreuungsgipfel mit allen Akteuren der Kinderbetreuung brauchen. Das sind die Träger, die Eltern, die Kommunen und auch die Landesregierung. Wir brauchen in diesem Land einen Konsens darüber, was wir finanzieren müssen und was wir an Qualität und Quantität benötigen. Deswegen ist ein Betreuungsgipfel wichtig. Wir sind nämlich der Meinung, wir müssen miteinander reden und nicht übereinander. Schon gar nicht sollten die Gegner dieses Gesetzentwurfs beschimpft werden. Das ist der eigentliche Skandal.
Miteinander zu reden, statt die anderen zu beschimpfen, über die Betreuung der Grundschulkinder nachzudenken, die Inklusion tatsächlich auszubauen, den Fachkräftebedarf nicht derart zu flexibilisieren, wie Sie es vorhaben – schon sind wir auf einem deutlich besseren Weg.
In der nächsten Woche haben wir eine Anhörung; da werden Ihnen noch einmal die Löcher aus dem Käse fliegen. Es ist nicht so, dass nur ferngesteuerte GRÜNE oder ferngesteuerte Sozialdemokraten dorthin kommen. Es kommen auch viele Parteifreunde von Ihnen, inklusive derjenigen aus dem Main-Taunus-Kreis. Die Liste ist lang.
Aber das will ich Ihnen sagen: Wenn die Anhörung in der nächsten Woche läuft, werden Sie, so Sie das ernst meinen, aufgefordert sein, Korrekturen zuzulassen. Wenn Sie die Kernsäulen dieses Gesetzentwurfs nicht verändern wollen, bitten wir Sie eindringlich: Ziehen Sie ihn lieber zurück. – Vielen Dank.
Schönen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Grüttner das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zurzeit Mitarbeiter von Wikipedia im Haus.
Deswegen greifen wir auch ab und zu darauf zurück. Ich habe bei Wikipedia nachgeschaut, was Autosuggestion ist:
Autosuggestion ist der Prozess, durch den eine Person ihr Unbewusstes trainiert, an etwas zu glauben. Dies wird erreicht durch Selbsthypnose oder wiederholte Selbst-Affirmationen und kann als eine selbstinduzierte Beeinflussung der Psyche angesehen werden.
Die Wirksamkeit der autosuggestiven Gedankenformeln kann durch mentale Visualisierungen des erwünschten Ziels erhöht werden.
Der Erfolg der Autosuggestion wird umso wahrscheinlicher, je konsistenter und länger (bzw. öfter) sie angewendet wird.
Das mantrahafte Wiederholen von falschen Tatsachen kann man nämlich nur als Autosuggestion bezeichnen.
Um es an dieser Stelle noch einmal zu sagen: Auf dem Krippengipfel wurde vereinbart, dass im Landesdurchschnitt für 35 % der Kinder Plätze zur Verfügung stehen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir mit 2.000 Plätzen im Rückstand – nicht mit 8.000, wie bei der Abfrage eines Jugendinstituts herausgekommen ist, die wir selbst in Auftrag gegeben haben. Dort wurden im Unterschied zu der von Ihnen immer dargestellten Auffassung auch Bedarfe, die jenseits des 01.08.2013 liegen, abgefragt. – Das ist der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Die Landesregierung hat gemeinsam mit dem Kultusministerium als verantwortlichem Ressort die Kapazitäten in der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung auf ein historisches Hoch getrieben. Aber wir können die Menschen nicht dazu veranlassen, eine solche Ausbildung zu beginnen. Sie müssen selbst davon überzeugt sein. Wir können nicht sagen: „Sie werden Erzieherin, Sie werden Erzieher, und jetzt gehen Sie in eine Kindertagesstätte“, sondern wir müssen das attraktiv machen.
Dabei spielen die Kindertagesstättenträger eine Rolle. Das sind die Kommunen, die freien Träger, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände und viele andere mehr. Sie müssen für die entsprechende Bezahlung und Wertschätzung an dieser Stelle sorgen. Die Landesregierung kann zwar die Rahmenbedingungen schaffen – die haben wir geschaffen –; aber wir können niemanden dazu verpflichten, diese Ausbildung zu machen. An dieser Stelle muss man wiederum sagen: Ja, es ist Autosuggestion, wenn man permanent ein Mantra aufsagt.
Kommen wir noch zu den Schulkindern: Abgesehen von der Bestandsförderung gehen wir den Weg, die Ganztagsangebote an den Schulen – nicht an den Horten – konsequent auszubauen. Wir haben ein historisches Hoch. Ich bin dem Kultusministerium ausgesprochen dankbar, dass es auf diesem Weg so vorangegangen ist. Wir haben an dieser Stelle sehr viel Geld in die Hand genommen.
Da wir noch verschiedene Lesungen haben, will ich nur auf ein paar Punkte eingehen, bei denen ich immer wieder der Überzeugung bin, dass sie falsch dargestellt werden. Das ist gerade eben wieder von dem Kollegen Merz gemacht worden, der so tut, als ob er diese Diskussion nur aufnimmt und nicht selbst befördert.
Ich sehe die gesamten Einladungen, die von der SPD mit Herrn Merz als Referenten kommen. Schade, dass Sie trotz dieser ganzen Veranstaltungen immer noch nicht gemerkt haben, dass durch das Kinderförderungsgesetz kein Platz, keine Gruppe, sondern ein Kind gefördert wird.