Protokoll der Sitzung vom 09.12.2009

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schaffen das auch nicht mit den bisher im Haushalt für den ÖPNV eingesetzten Mitteln, von denen nämlich kein Euro aus originären Landesmitteln kommt. Zwar sollen die Bundesmittel schrittweise zu 100 % weitergegeben werden, und – wir erkennen an, dass jetzt auch Geld aus dem Kommunalen Finanzausgleich für den ÖPNV umgeleitet wurde; aber der Investitionsstau der letzten Jahre, weil bisher eben nicht alle Mittel weitergeleitet worden sind, und die Vernachlässigung des ÖPNV im Konjunkturprogramm machen in den nächsten Jahren erhebliche finanzielle Anstrengungen erforderlich. Nur wenn wir uns anstrengen, können wir im Verkehr zu einer Umkehr kommen und auch hier eine Verringerung des CO2-Ausstoßes erreichen. Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an den Satz von Herrn Röttgen.

Der öffentliche Personennahverkehr muss mit den übrigen Bestandteilen des Umweltverbundes – also den Fußgängern,Radfahrern,aber auch dem Carsharing – als vollwertige Alternative zum motorisierten Individualverkehr gesehen werden. Da ist es aus unserer Sicht von elementarer Bedeutung, bei den Kleinsten anzufangen – sei es durch die kostenlose Nutzung des ÖPNV für alle Kinder unter sechs Jahren oder durch die Einführung eines hessenweiten Schülertickets, ähnlich dem Semesterticket. Wenn Kinder und Jugendliche früh daran gewöhnt werden, den ÖPNV bequem und sicher zu nutzen oder kurze Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewältigen, ist dies für ihr späteres Mobilitätsverhalten entscheidend. Hier verhält es sich wie im gesamten Bildungssystem: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Und um Hans dauerhaft für den ÖPNV zu gewinnen, bedarf es einiger Anstrengungen, um ihm möglichst Kundenfreundlichkeit, Verlässlichkeit und damit eine hohe Mobilität zu gewährleisten.

Dazu gehört für uns auch die Einführung eines landesweiten integralen Taktfahrplanes, auch in den Tagesrandund Nachtzeiten sowie am Wochenende.

Staatssekretär Saebisch hat bei der ersten Lesung des ÖPNV-Gesetzes gesagt, mit der Änderung werden keine „tief gehenden verkehrspolitischen Weichenstellungen“ vorgenommen. Wir GRÜNE hoffen, dass Sie sich schnell daranmachen und die zwei Jahre der Verlängerung gut nutzen, um eine Umsteuerung zu erreichen. Denn wir brauchen eine neue Weichenstellung in der Mobilitätspolitik. Unser Antrag zeigt Ihnen, wie diese aussehen könnte.Wir bitten um Unterstützung für unseren Antrag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Timon Gremmels (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Das Wort hat Frau Abg. Waschke für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der Novellierung des ÖPNV-Gesetzes in Hessen hat die Landesregierung eine große Chance vertan.

(Günter Rudolph (SPD): So sind sie!)

Nur die Anpassung der EU-Vorgaben reicht uns nicht. Es wurden keine Rahmenbedingungen im Gesetzentwurf festgeschrieben, die den ÖPNV in Hessen attraktiver machen würden. Es wurden keine Vorgaben gemacht, die den Stellenwert des ÖPNV innerhalb der Verkehrspolitik steigern könnten. Es wurden keine Vorgaben gemacht, wie der öffentliche Nahverkehr in Zeiten zurückgehender Bevölkerungszahlen und immer älter werdender Menschen im Rahmen der Daseinsvorsorge organisiert werden könnte.Es wurden keine Vorgaben gemacht,wie Hessen den CO2-Ausstoß in absehbarer Zeit reduzieren kann und so den eigenen Klimaschutzzielen ein Stückchen näher kommen würde.

Ich möchte das an zwei Punkten festmachen: erstens an der Erfüllung der Klimaschutzziele,die wir uns schließlich selbst gegeben haben, und zweitens an den Herausforderungen, die der demografische Wandel an uns stellt. In Hessen ist die Klimabelastung pro Kopf nach wie vor weitaus höher als im Durchschnitt des gesamten Bundesgebiets.In der Konsequenz hieße das für Hessen unter anderem, dass es gelingen muss, den öffentlichen Nahverkehr wesentlich attraktiver zu gestalten und damit mehr Verkehr auf den ÖPNV zu verlagern. Es ist eben nicht damit getan, Menschen an der Haltestelle abzuholen und von A nach B zu bringen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Die Menschen müssen sich dafür entscheiden, das Auto stehen zu lassen und lieber den Bus zu nehmen. Dafür muss das Angebot attraktiv sein.Es braucht flexiblere Angebotsformen, wie Sammeltaxis und Rufbusse. Es braucht einen integrierten Taktfahrplan für alle Verkehrsangebote des ÖPNV, mindestens im Stundentakt und auch im ländlichen Raum. Durch eine stärkere Vernetzung der Verkehrsträger und die Vermeidung von Doppelstrukturen ließe sich nach unserer Auffassung insbesondere in belasteten Innenstädten eine Verbesserung erreichen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Technologien müssen an die Herausforderungen des Klimaschutzes angepasst werden. Das heißt, es muss gelingen, den ÖPNV nach und nach auf alternative Antriebstechniken und Energieträger umzustellen. Der vorliegende Entwurf zum ÖPNV-Gesetz bleibt zu all diesen Fragen Antworten schuldig. An vielen Stellen beschäftigen wir uns mit dem demografischen Wandel, aber leider nicht im Entwurf des ÖPNV-Gesetzes. Der demografische Wandel wird sich in Hessen, wie die Prognosen ausweisen, regional sehr unterschiedlich vollziehen. Deswegen muss die Nutzung des ÖPNV auch unter regionalen Aspekten betrachtet werden. Die starken Verkehrsströme werden auch in Zukunft in und zwischen den Zentren sein. Hier ist der Aufbau von Kapazitäten auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten bis zu einem bestimmten Punkt gerechtfertigt.

Der Gesetzgeber hat aber darüber hinaus aber auch die Pflicht, den öffentlichen Nahverkehr im Sinne der Daseinsvorsorge und unter Berücksichtigung der Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln – auch im ländlichen Raum und auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Taktzeiten zu reduzieren und das Netz zu verkleinern: Diese Antworten sind zu einfach; denn es geht auch anders. In Lausitz-Spreewald wurde ein Pilotprojekt gestartet. Der ÖPNV wird in Richtung flexibler Bedienverkehr umgebaut. Der Flächenbetrieb sieht Einstiegsmöglichkeiten und freien Ausstieg vor. Angebote wie Sammeltaxis und Anrufbusse ergänzen dieses Angebot.

Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise die Einführung von Bürgerbussen gesetzlich geregelt. Durch Investitionszuschüsse und eine jährliche Betriebskostenpauschale werden Bürgerbusprojekte in Nordrhein-Westfalen übrigens auch finanziell gefördert. Solche Ansätze für die immobilere und ältere Bevölkerung gerade im ländlichen Raum sind unverzichtbar. Es gibt also Beispiele, wie die Infrastruktur an weniger Nutzer angepasst werden kann, ohne an Qualität zu verlieren.

Die Weiterentwicklung des ÖPNV-Gesetzes unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und der Herausforderungen des Klimawandels, das hätten wir uns von der Landesregierung gewünscht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Es reicht auch nicht, die Regulierungsmittel des Bundes durchzureichen. Es braucht auch eigene Landesmittel. Die Kommunen dürfen in diesem Fall nicht alleingelassen werden; denn da kommen große Herausforderungen auf uns zu.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): War das ein Antrag zum Haushalt?)

Noch ein wichtiger Punkt zum Schluss. Kleine und mittelständische Busunternehmen brauchen klare Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb. Es gab in der Anhörung unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen ist. Die Kollegin Müller ist schon einmal darauf eingegangen. Wir befürchten, dass es eben nicht gelingen wird, Direktvorgaben klar und deutlich zu regeln. Es ist eine Tatsache, dass in der Vergangenheit viele kleine und mittlere Busunternehmen aufgegeben haben.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Der Wettbewerb darf nicht nur über den Preis verlaufen. Denn dann betreibt der billigste Anbieter die Linie. Man hätte auch gewisse Sicherheitsstandards im ÖPNV-Gesetz festschreiben können. Mindeststandards für Tarifvereinbarungen und zur Barrierefreiheit wären ebenso gesetzlich zu regeln gewesen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich habe an einigen Beispielen aufgezeigt, dass die Landesregierung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ihre Steuerungsmöglichkeiten nicht genutzt hat. Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Der Antrag der GRÜNEN entspricht im Wesentlichen dem, was ich gerade mündlich vorgetragen habe. Deswegen werden wir als SPD dem Antrag der GRÜNEN zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Wissler von den LINKEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des ÖPNVGesetzes ist in der Tat alles andere als ein verkehrspolitischer Meilenstein, gerade in Anbetracht dessen, was angesichts des sich abzeichnenden Klimawandels eigentlich notwendig wäre. Klimaschutzpolitik muss an der Verkehrspolitik ansetzen. Die Schiene muss gegenüber der Straße und dem Flugzeug privilegiert werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an der Stelle auch anmerken, dass die Beschäftigungseffekte im öffentlichen Personennahverkehr sehr viel höher sind als in der Automobilindustrie und beim Flugverkehr. Wer also Arbeit schaffen und sichern will, der geht auch da einen guten Weg, wenn er den öffentlichen Personennahverkehr ausbaut.

(Beifall bei der LINKEN)

Die umfassende Novelle des ÖPNV-Gesetzes wird uns in den kommenden Jahren beschäftigen. Das ist eine wichtige Debatte. Denn schließlich kommt dem öffentlichen Personennahverkehr eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung der Treibhausgase und des Individualverkehrs zu. Die Nutzerzahlen des ÖPNV müssen steigen, statt zu stagnieren,wie sie das in den letzten Jahren in großen Teilen Hessens getan haben. Das wäre umweltpolitisch,sozial und städtebaulich der einzige Weg,die sich anbahnenden Probleme zu lösen. Meine Damen und Herren, auch der Weg zum staufreien Hessen führt nur über den ÖPNV.

(Beifall bei der LINKEN – Günter Rudolph (SPD): Das weiß selbst der Minister!)

Herr Minister, daran führt wohl kein Weg vorbei.

Wenn Hessen die notwendige Politikwende hinbekommen will, die gerade in Kopenhagen verhandelt wird, und wenn wir Mobilität als Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe für alle sicherstellen wollen, dann kommen wir am Ausbau des ÖPNV nicht vorbei. Die aktuellen Veränderungen im ÖPNV-Gesetz, die der Entwurf der Regierungsfraktionen vorsieht, sind in dieser Hinsicht nicht gerade wegweisend, um das einmal sehr vorsichtig auszudrücken.

Auf europäischer Ebene wurde in langwierigen Auseinandersetzungen mit der EU-Verordnung Nr. 1370 eine Verordnung verabschiedet, die den unterschiedlichen Gegebenheiten und Erfahrungen gerecht zu werden versucht. Sie lässt den zuständigen Behörden einige Freiheit bei der Wahl der Mittel zur Herstellung eines angemessenen ÖPNV-Angebots. Dabei sollen weder öffentlichrechtliche noch private Unternehmen bevorzugt werden. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Ausschreibungen und Privatisierungen im ÖPNV zustande gekommen; denn die waren zum Teil katastrophal.

Zum Teil konnte das Niveau öffentlicher Verkehre gehalten werden. Aber allen Erfahrungen gemein ist es, dass der Wettbewerb mit einer Aushöhlung tariflicher Standards bei den Beschäftigten einhergeht. Denn das sind diejenigen, auf deren Rücken der Wettbewerb ausgetragen wird. – Herr Müller, da schütteln Sie den Kopf. Aber das macht es nicht falsch. Denn wenn man Wettbewerb auf der Schiene fördern möchte, wo wird er ausgetragen? Die Wagen kosten im Wesentlichen das Gleiche.Vielmehr ist es das Personal, auf dessen Rücken der Wettbewerb ausgetragen wird.

Was die Zufriedenheit der Kunden angeht, die ist im Rhein-Main-Gebiet seit dem verstärkten Einsatz von Ausschreibungen nur leicht gesunken. Wenn man sich aber die Entlohnungstabellen der Busfahrer bei den privaten Betreibern anschaut, dann zeigt sich eindeutig an der Gehaltsentwicklung,dass sie früher zufriedener gewesen sein müssen.

Für die Aufgabenträger und die öffentliche Hand insgesamt hat der hessische Weg in der ÖPNV-Politik nicht die versprochenen Einsparungen gebracht. Auch die Fahrgäste sind weder als Steuerzahler noch als Fahrkartenkäufer entlastet worden. Rechnet man noch die öffentlichen Ausgaben mit ein, die der Stellenabbau an Folgekosten mit sich bringt, dann gerät die Gesamtrechnung deutlich ins Negative.

Es geht auch um den Mittelstand, von dem Sie immer sagen, dass Sie ihn fördern und stützen möchten. Das haben sich die Regierungsparteien auf die Fahnen geschrieben. Er hat in Hessen und auch anderswo nicht von der neuen Ausschreibepraxis profitiert. Im Gegenteil, die großen Gewinner der Privatisierung sind Großkonzerne. Mittelständische Betriebe sind in großer Zahl aus dem Markt ausgeschieden. Verkehrsunternehmen stampft niemand aus dem Boden. Wenn ein Mittelständler erst einmal aufgegeben hat, dann wächst oftmals kein Ersatz für ihn nach.

Nun eröffnet die Richtlinie Nr. 1370 eine Reihe von Möglichkeiten, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Sie stellt es den zuständigen Behörden frei, soziale Kriterien aufrechtzuerhalten und zu erhöhen, z. B. im Hinblick auf den Umweltschutz oder die Mindestarbeitsbedingungen. Sie sollen ausdrücklich Lohndumping verhindern und Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen können. Das sind wertvolle Ziele, die die Richtlinie Nr. 1370 erwähnt, um die öffentlichen Personenverkehrsdienste optimal nach den Erfordernissen der Bevölkerung gestalten zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Gemeinden würden sich gerne dafür einsetzen.Was läge also näher, als die Gemeinden zu den zuständigen Behörden zu erklären? Gerade bei der Direktvergabe können die ortsansässigen Unternehmen, die ohnehin seit vielen Jahren wichtige Dienstleistungen für die Kommune erbringen, eine wichtige Hilfe sein. Die regionale Wirtschaft profitiert von regionalen Unternehmen. Ähnliche Vorteile entstehen auch aus der Vergabe an kommunale Eigenbetriebe, und zu den wichtigen Vorteilen zählt, dass sie oftmals eine höhere Tarifbindung haben als die privaten Unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Durch die Festlegung der lokalen Nahverkehrsorganisationen als zuständige Behörden im Sinne der Richtlinie Nr.1370 werden die Möglichkeiten zur Direktvergabe er

heblich eingeschränkt oder ganz verhindert. Damit gibt man Einrichtungen ein Recht an die Hand, von dem sie kaum Gebrauch machen können.

Ich möchte noch etwas zu einem weiteren Punkt sagen, zu den Rabatten für Schüler und Auszubildende. Die Tatsache, dass die Finanzierung der Rabatte nicht dynamisiert worden ist, lässt schon erahnen, welche Debatten darüber in den kommenden Jahren geführt werden. Denn entweder bekommen wir eine jährliche Auseinandersetzung über die Erhöhung der Landesmittel in diesem Bereich, oder Sie sagen ein für allemal, es gibt nicht mehr Geld. Aber Sie können nicht die Schulen in die finanzielle Selbstverwaltung des Mangels entlassen, den Kommunen 400 Millionen c aus dem Kommunalen Finanzausgleich streichen und ihnen dann die Entscheidung überlassen,ob sie in Zukunft die Förderung von Schülertickets an den Preissteigerungen ausrichten wollen.