Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

So, jetzt ist Schluss mit Konsens. Der vorgelegte Gesetzentwurf wird leider dem Problem nicht gerecht. Sie beziehen sich zwar auf die Empfehlungen der Enquetekommission, aber Sie kommen den Empfehlungen überhaupt nicht nach. Ihr Gesetzentwurf enthält keine Mindeststandards, und, was ich viel schlimmer finde, er enthält überhaupt keine Regelungen für eine verbindliche Finanzierung.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das wirft man uns normalerweise vor!)

Genau, normalerweise wird uns das vorgeworfen, dass wir nicht sagen, wie wir das finanzieren wollen. – Mehr als die Hälfte der Bibliotheken befindet sich in der Trägerschaft der Gemeinden. Kommunale Bibliotheken zählen zu den sogenannten freiwilligen Aufgaben der Kommunen, und deshalb sind die Existenz und der Entwicklungsstand oftmals abhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Trägergemeinde.

Angesichts der Krise der öffentlichen Finanzen mussten in den letzten Jahren Bibliotheken, Theater, aber auch Musikschulen den Sparzwängen geopfert werden. Zu einer funktionierenden Infrastruktur gehören aber zwingend auch Kultur- und Bildungseinrichtungen. Da die Bibliotheken zum Leidwesen der Kommunalpolitiker keine Pflichtaufgaben der Kommunen sind, sind Kommunen in der finanziellen Not auch gezwungen, eine Gemeindebibliothek zu schließen.

Deshalb schließen sich in vielen Kommunen Fördervereine zusammen und arbeiten auf ehrenamtlicher Basis. Das ist sicherlich ein tolles Engagement; aber den Mangel an qualifiziertem Personal können und sollen diese Strukturen nicht ausgleichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb hieß eine der Handlungsempfehlungen des Deutschen Bundestages, dass öffentliche Bibliotheken nicht freiwillige Leistungen sein sollen, sondern dass sie zu Pflichtaufgaben werden sollen. Diese Forderung teilen der Deutsche Bibliotheksverband und auch die Gewerkschaft ver.di. Sie fordern ebenso, dass es eine Verbindlichkeit in der Finanzierung geben muss.

Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis der Anhörung, in der die Kommunalen Spitzenverbände sehr klar gesagt haben, dass sie mehr Geld und nicht mehr Paragrafen brauchen. Der Städte- und Gemeindebund lehnt Ihren Gesetzentwurf ab. Der Landkreistag hat sich dahin gehend geäußert, dass ein solches Gesetz nicht schadet, aber auch keinen praktischen Nutzen bringt. Auch beim Hessischen Städtetag hält sich die Begeisterung in engen Grenzen. Sie schreiben:

Unstreitig dürfte auch sein, dass Hessens Bibliotheken nicht so sehr neuer Paragrafen als vielmehr ausreichender Finanzierung bedürfen. Dies gilt gerade in Zeiten dauernder finanzieller Auszehrung der kommunalen Kassen.... Der Städtetag nimmt zur Kenntnis, dass der Landtag der Forderung des Deutschen Bibliotheksverbandes nicht nachkommen will, Aufgaben und Finanzierung der öffentlichen Bibliotheken als Pflichtaufgabe der Kommunen festzuschreiben.

Zur Finanzierung heißt es bei Ihnen in § 8 des Gesetzentwurfs – ich zitiere –: „Die Bibliotheken werden von ihren Trägern finanziert.“ Dafür brauchen wir kein Gesetz. Das ist das, was Kollege Frankenberger sagte: ein schmaler Gesetzentwurf.

Das geht noch weiter. Das haben Sie durch einen nachträglich eingereichten Änderungsantrag noch abgeschwächt. Vor diesem Änderungsantrag haben wir noch überlegt, uns zu enthalten. Aber jetzt steht darin: „Darüber hinaus kann das Land im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel die öffentlichen Bibliotheken fördern...“ Ich stelle fest: „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“. – Wie viel ist das? Ich stelle fest, dass da jetzt ein „kann“ vorkommt, das vorher nicht da war. Das heißt im Klartext: Sie wollen den Kommunen keine zusätzlichen Mittel zukommen lassen. Dann schreiben Sie das doch auch hinein, und sagen Sie es offen.Aber tun Sie nicht so, als wollten Sie es doch tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Gesetzentwurf ändert an der derzeitigen Mangelsituation gar nichts. Das ist das Ärgerlichste. Er kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Landesregierung den Kommunen 360 Millionen c wegnimmt. Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein Vernichtungsprogramm für kommunale Bibliotheken, Schwimmbäder und Jugendzentren. Die Kommunen brauchen mehr Geld, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, aber keine Paragrafen in Schaufenstergesetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bitte kommen Sie zum Ende.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss. – Wir setzen uns für eine gesetzliche Regelung ein, die den Unterhalt öffentlicher Bibliotheken zur Pflichtaufgabe macht. Das wäre eine demokratische Grundvoraussetzung für den Erhalt der Bibliotheken.Aber leider wird Ihr Gesetzentwurf dem nicht gerecht. Deswegen können wir ihm leider nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Frau Abg. Sorge, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lenz, in einem Interview zur Einbringung eines Bibliotheksgesetzes haben Sie sich in der „Frankfurter Rundschau“ vor einigen Monaten als Einzelkämpfer für Bibliotheken bezeichnet. Ich hatte Ihnen bereits in der ersten Lesung Unterstützung angeboten, und zwar dafür, dass es in Hessen nicht zu einer Farce, nicht zu einem Bibliotheksgesetzchen, sondern zu einem richtig ausgewachsenen Bibliotheksgesetz kommt, einem Gesetz, das den Anforderungen der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages – Frau Wissler hat eben noch einmal ausgeführt, welche Anforderungen

das sind – gerecht wird, das Mindeststandards festlegt und das den Erhalt der Bibliotheken in Hessen sichert.

Wir haben viel über Mindeststandards gehört. Wir haben viel über Finanzierung gehört.Ich will noch etwas darüber sagen, warum gerade Bibliotheken so wichtig sind: weil Bibliotheken ein Bindeglied zwischen Bildung und Kultur sind und vor allem weil sie ein sehr niedrigschwelliges Angebot sind, um an Bildung und Kultur heranzuführen.

Um das zu sein, müssen Bibliotheken allerdings da sein. Sie müssen vor Ort sein. Sie müssen interessant und aktuell ausgestattet sein.Da sind wir nun wirklich beim Kern des Problems. Ich zitiere aus einer Stellungnahme zur Anhörung. Da steht:

Nach dem Kulturfinanzbericht 2008 des Statistischen Bundesamtes liegt Hessen bei den öffentlichen Ausgaben für Bibliotheken pro Einwohner

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

mit 10,40 c auf dem 11. Platz der 16 Bundesländer... Würden nur die Landesmittel für Bibliotheken berechnet, läge Hessen noch weiter hinten, da in diese 10,40 c alle öffentlichen Bibliotheksausgaben eingehen, d. h. vor allem die in Hessen besonders hohen kommunalen Anteile sowie die Bundeszuwendungen an die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt.

(Unruhe)

Frau Kollegin, einen Augenblick bitte. – Ich möchte für die letzten Minuten dieses Plenums um völlige Ruhe bitten und die Gespräche nach außen zu verlagern. Das gilt für alle. – Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Lenz, diese Zahlen zeigen, wo unsere eigentlichen Hausaufgaben liegen. Es gibt aber noch weitere Hausaufgaben für ein Bibliotheksgesetz. Herr Kollege Lenz, die haben Sie selbst 2007 schon richtig beschrieben. Da haben Sie ein Bibliotheksgesetz gefordert – ich zitiere –, „das verbindliche Standards innerhalb des gesamten Bundeslandes festschreibt,bestehende Defizite bei Personalausstattung und Medienbestand korrigiert und regionale Disparitäten bei der bibliothekarischen Grundversorgung einebnet“. So weit, so gut. Leider aber wird der vorliegende Gesetzentwurf diesen Anforderungen nicht gerecht.Er ist eine reine Willensbekundung.

Herr Kollege Paulus, auch ich will ein paar Stellungnahmen zitieren. Beispielsweise schreibt der Hessische Städtetag:

Für den Hessischen Städtetag erschließt sich nicht, warum der Landtag in Zeiten der Deregulierung ein neues Gesetz auflegen möchte.

Die hessischen Kommunen haben in der Vergangenheit auch ohne Gesetz mit der Einrichtung und Fortentwicklung der Bibliotheken zu Bildungseinrichtungen große Anstrengungen unternommen, für ihre Bürgerinnen und Bürger Orte des Wissens und Lernens für die Teilnahme am politischen und wirtschaftlichen Leben die nötige Medien- und Informationskompetenz zu vermitteln.

Auf Einladung von Staatsminister Weimar sitzen zeitparallel im Dialogverfahren zwischen Landesregierung und Kommunen verschiedene Arbeitsgruppen zusammen, um Gesetze zu durchforsten und Standards abzubauen.

Da der Landtag trotzdem sehr gerne neue Gesetze auflegen will,muss man sich fühlen wie Herakles im Kampf mit Hydra: Für jeden Standard, für jedes Gesetz, das man mühsam abschafft, wachsen zwei neue...

Da sind wir bei der schmalen Gesetzgebung angelangt. Ob das Gesetz in dieser Form nötig ist, steht hier strittig.

Eine weitere Stellungnahme, die von der Kulturpolitischen Gesellschaft, besagt:

Ich finde in dem Gesetzentwurf wenig bis nichts, was hier zusammenfassend neu geregelt wird, und frage mich, was mit dem Gesetz bewirkt werden soll....

Angesichts der blamabel niedrigen Landesmittel in Hessen für bibliothekarische Aufgaben sowohl im Vergleich zu anderen Bundesländern als auch zu anderen Sparten im hessischen Kulturhaushalt hat es den Anschein, dass der vorliegende Gesetzentwurf eher Placebocharakter hat, als dass er etwas bewirken soll.

Ich könnte noch weiter zitieren. Ich sehe aber, dass die Zeit so langsam wegrennt. Ich führe noch ein letztes kurzes Zitat aus der Anhörung an. Hier heißt es:

Dieses Gesetz kann als unsoziales, redundantes Blendwerk in die Geschichte des Bibliothekswesens eingehen.... Denn dieser Entwurf ist überflüssig – daher: Shred it!

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal betonen – Frau Kollegin Wissler hat es auch gesagt –:Wir GRÜNE sind für ein Bibliotheksgesetz, aber für eines, das den Anforderungen an ein Bibliotheksgesetz, wie es die Enquetekommission formuliert hat, gerecht wird. Herr Kollege Lenz, die Änderungen in § 8, die noch einmal weniger substanziell sind als das, was Sie ursprünglich vorgelegt haben,zeigen doch,dass Sie sich irgendetwas schaffen wollen, was Sie sich zu Hause im Wohnzimmer an die Wand hängen können.

(Leif Blum (FDP): Na, na, na! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Die Situation der Bibliotheken in Hessen werden Sie damit leider, leider nicht ändern. Daher werden wir GRÜNE diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Lenz. Bitte schön.

(Beifall des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach zwei vergeblichen Anläufen 1969 durch die SPD und 1980 durch die CDU könnte heute der dritte Versuch, in der fast 65-jährigen Geschichte des Landes ein Bibliotheksge

setz zu verabschieden, mit der zweiten Lesung einen erfolgreichen Abschluss finden. Mit diesem Gesetz sollen die hessischen Bibliotheken rechtlich abgesichert und ihre bildungspolitischen und kulturellen Aufgaben, die Funktion der Bibliotheken wie auch ihre Kooperationsformen, z. B. mit Schulbibliotheken, festgeschrieben werden. Damit wird zugleich ihr Engagement für unsere Gesellschaft, gerade auch im Bereich der Integration, aufgewertet.

Wir folgen den wesentlichen Forderungen der Enquetekommission und sind damit neben den neuen Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt der Vorreiter in Westdeutschland; denn in anderen Ländern wird darüber noch beraten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es klar und deutlich zu sagen:Wir haben eine zentrale Forderung, die auch von den Bibliotheksverbänden erhoben wird, nicht in diesen Gesetzentwurf übernommen: die öffentlichen Bibliotheken als freiwillige Leistungen der Kommunen in eine Pflichtaufgabe der Städte und Gemeinden zu überführen. Dies ist auch die Hauptkritik vonseiten der Opposition. Es ist sicher ein berechtigtes Anliegen, das ich auch gerne unterstützen würde, aber wir leben nicht in einem Wolkenkuckucksheim;

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)