Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung – Drucks. 18/3116 –

Dazu rufe ich Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Landkreisordnung – Drucks. 18/3117 –

Die Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten je Fraktion. Das Wort hat Herr Kollege Hermann Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hessen braucht eine neue Kommunalverfassung. Denn Hessen ist im Vergleich mit den anderen Bundesländern weit hinten, wenn es um die direkte Mitbestimmung der Menschen geht.

Von wem und warum in Stadt, Kreis und Gemeinde oder ihren Unternehmen bestimmte Entscheidungen getroffen werden, ist für die Menschen nicht transparent. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund von den Kommunalwahlen ausgeschlossen sind. Sie sind es selbst dann, wenn sie bereits Jahrzehnte mit uns hier leben.

Die hessischen Kommunen werden in ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit selbst auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge seit Jahren gegenüber der Privatwirtschaft benachteiligt. Öffentliches Eigentum soll demnach vorrangig privatisiert und an den Mann gebracht werden.

Wir haben deshalb einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Bürgerbeteiligung, der Transparenz sowie einer effektiven bürgernahen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung für die hessischen Kommunen und Landkreise eingebracht.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Angesichts der kommunalen Finanzkrise und auch angesichts einer Krise der Demokratie, in der sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, halten wir diese Diskussion für dringend notwendig.

Unser Gesetzentwurf beinhaltet folgende Themenfelder. Zum einen geht es um die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Informationsrechte der gewählten Vertreter gegenüber dem Gemeindevorstand und dem Magistrat sollen erweitert werden. Ebenso sollen die Rechte der Beiräte, also der Ortsbeiräte, der Ausländerbeiräte, der Kinder- und Jugendbeiräte, sowie der Frauenbeauftragten gestärkt werden. So sollen sie z. B. Antragsund Rederecht zu ihren eigenen Anträgen im Kommunalparlament erhalten.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Ebenso wollen wir neue Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten der Gemeindevertreterinnen in den Aufsichtsgremien kommunaler Unternehmen schaffen. Wir folgen damit unserer Auffassung, dass, wenn man schon Gremien wählt und diskutieren lässt, diese dann auch tatsächlich etwas entscheiden sollen. Kommunale Selbstverwaltung ist keine Alibiveranstaltung.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Dann geht es auch um mehr Demokratie und Transparenz. Die in Hessen bestehenden hohen Hürden beim Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wollen wir erheblich absenken. Dabei haben wir uns an Regelungen orientiert, die sich in Bayern bewährt haben.

Wir sind dabei nicht nur an die Quoren herangegangen, sondern haben auch viele fortschrittliche und in anderen Ländern bewährte Instrumente aufgenommen, damit die Menschen in Zukunft besser entscheiden können. Es geht dabei um Kompromissregelungen, die Verkleinerung der Ausschlusskataloge, Fairnessregeln und vieles mehr. Natürlich geht es dabei auch um die direkte Demokratie auf Kreisebene.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Darüber hinaus wollen wir, dass der Gemeindeantrag sowie ein kommunales Petitionsrecht in Hessen eingeführt werden. Das sind sehr unmittelbare Beteiligungsrechte, die es in vielen anderen Bundesländern bereits gibt.

Ich komme jetzt auf das verbesserte, weil erweiterte Wahlrecht zu sprechen. Das aktive kommunale Wahlrecht soll bereits ab dem 16. Lebensjahr gelten. Diese Regelung gilt bereits in fünf anderen Bundesländern und war auch schon einmal in Hessen Gesetz. Das wurde dann wieder abgeschafft.

Darüber hinaus sollen alle mindestens drei Monate in der Gemeinde lebenden Menschen, also auch alle Bürgerinnen und Bürger, die nicht aus Staaten der Europäischen Union stammen, wahlberechtigt werden.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Warum soll eine Schwedin, die seit drei Monaten in einer Gemeinde lebt, wählen dürfen, eine Norwegerin, die möglicherweise schon seit drei Jahrzehnten dort wohnt, aber nicht?

(Holger Bellino (CDU): Weil sie keine Schwedin ist!)

Auch hierzu gibt es in vielen anderen europäischen Ländern, in denen Integration und Wahlrecht einander nicht ausschließen, sondern bedingen, entsprechende Regelungen. Herr Bellino, z. B. gibt es in Irland eine Regelung für Ausländer, die nicht aus der Europäischen Union stammen, der zufolge sie nach sechs Monaten dieses Recht haben.

(Holger Bellino (CDU): Norwegen ist Norwegen, und Schweden ist Schweden!)

Ich komme jetzt zum Haushalt und zur wirtschaftlichen Betätigung. Die Aufsichtsbehörden nehmen zunehmend mehr Einfluss auf die einzelnen Haushalte. Dies schränkt die kommunale Selbstverwaltung erheblich ein. Wir wollen aber, dass Kommunen investierend tätig sein können, indem für den Ausgleich des Haushalts ein mehrjähriger

Zeitraum zugrunde gelegt wird. Ein entsprechender Finanzplan muss damit einhergehen.

Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit soll einen neuen Stellenwert erhalten, indem der Begriff „öffentlicher Zweck“ erweitert und die Subsidiaritätsklausel entschärft wird. Als neues Rechtsinstitut sollen „Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts“ eingeführt werden, um weitere Privatisierungen oder Ausgliederungen in privatrechtliche Gesellschaften, also GmbHs oder Aktiengesellschaften, zu vermeiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rekommunalisierung wollen wir durch den Eigenbetriebsvorbehalt gefördert sehen. Die Privatisierung hingegen soll weitestgehend verhindert werden.

Damit künftig nicht länger im Geheimen und am Willen der Gemeindeangehörigen vorbei kommunales Vermögen veräußert werden kann, sollen solche Beschlüsse nur noch in öffentlicher Sitzung der Gemeindevertretung gefasst werden können. Das soll also im Licht und im Auge der Bürgerinnen und Bürger, die davon betroffen sind, geschehen.

Ich komme jetzt auf den kommunalen Umweltschutz und die Klimaziele zu sprechen. Zur Erreichung regionaler Klimaschutzziele und zur Vermeidung von Umweltbelastungen sollen die neu zu schaffenden Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang dienen. Damit sollen die Gemeinden beim Klimaschutz und bei der Energieerzeugung aktiv werden können.

Darüber hinaus sollen die größeren Kommunen und die Kreise verpflichtet werden, Umweltschutz- und Klimabeauftragte zu bestellen, die konkrete Vorschläge zur Nutzung nationaler und internationaler Förderprogramme machen und lokale Klimaschutz- und Energieeinsparziele verfolgen und überwachen sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf wurde unter Bezugnahme auf die Bestimmung des § 11a der HGO bewusst nur in weiblicher Schreibweise abgefasst.

Ich komme zum Schluss. DIE LINKE will die Demokratie beleben, indem den Kommunen und den Menschen bessere Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe, zur Transparenz von Entscheidungen und für eine nachhaltige kommunale Wirtschaft im öffentlichen Eigentum gegeben werden. Insofern freuen wir uns auf die Debatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Kollege Schaus. – Das Wort hat der Abg. Beuth, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schaus hat zum Schluss gesagt, DIE LINKE wolle die kommunale Welt beleben. Ich glaube eher, dass DIE LINKE auch mit diesem Gesetzentwurf deutlich macht, dass sie einem anderen Staatswesen nachtrauert. Das werden wir auf der kommunalen Ebene nicht mitmachen. Sie haben ein völlig verzerrtes Bild der kommunalen Welt in Hessen gezeichnet – sowohl in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs wie in der Begründung des

Gesetzentwurfs am Rednerpult. Der Gesetzentwurf der LINKEN ist voreilig. Er ist ideologisch, und vor allen Dingen ist er in weiten Teil rechtswidrig.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Voreilig?)

Voreilig, das werde ich Ihnen sofort begründen, Frau Kollegin Wissler. – Derzeit wird das Gesetz, die Hessische Gemeindeordnung, ohnehin evaluiert, weil wir in Hessen Gesetze befristen, weil wir im Hessischen Landtag bis zum 31.12. des Jahres 2011 ohnehin eine neue HGO beschließen müssen. Deswegen ist es natürlich voreilig, vor der Evaluation, bevor sich die Kommunalen Spitzenverbände zur Hessischen Gemeindeordnung geäußert haben, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.

Wenn man sich anschaut, was Sie vorschlagen, kann man das nachvollziehen; von dem, was Sie vorschlagen, werden wahrscheinlich die Städte, Gemeinden und Landkreise in diesem Land keinen einzigen Vorschlag übernehmen. Insofern ist wahrscheinlich konsequent, dass Sie hier voreilig arbeiten.

Wenn man sich die Problemschilderung in der Gesetzesvorlage anschaut, dann fällt einem dazu nur ein: Von der LINKEN wird kein Gesetz eingebracht, ohne dass nicht mindestens einmal die sozialistischen Kampfbegriffe bemüht werden.

(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die Absurdität des Ganzen finden Sie darin, dass in der Problemstellung geschrieben wird, dass es sich bei der Hessischen Gemeindeordnung um eine Gemeindeordnung „neoliberaler Prägung“ handele. Das ist einfach lächerlich.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden am Ende diesem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht zu einer Mehrheit in diesem Hause verhelfen. Wir wollen nicht, dass Ihre linke Ideologie in jedes hessische Dorf getragen wird.

(Lachen bei der LINKEN – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wir sind schon da!)

Lassen Sie mich noch zu ein paar Punkten Stellung nehmen, die in Ihrem Gesetzentwurf angesprochen sind. Sie sind konsequent – das muss man Ihnen an der Stelle lassen – gegen alle Effizienzen, die wir in den letzten Jahren in der Hessischen Gemeindeordnung etabliert haben. Sie wollen die wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten der Gemeinden wieder ausdehnen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber hallo!)