Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU: Oh!)

Es ist im Übrigen keine Kampagne von SPD und GRÜNEN gewesen, sondern das Ganze ist ans Licht gekommen, weil es eine Schadensersatzklage eines Betroffenen gegen das Land Hessen gibt und dort Aussagen getätigt und Zeugen vernommen werden, dass einem die Haare zu Berge stehen. Herr Innenminister, das kann man nicht auf diese Art und Weise verleugnen, wie Sie das hier versuchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Es ist natürlich so, dass bei uns die Staatsanwaltschaften die Arbeit machen und in solchen Strafverfahren ermitteln. Das ist eine Selbstverständlichkeit; das brauchen wir,

glaube ich, hier nicht zu betonen. Herr Innenminister, wenn sich aber Polizeipräsidenten oder ehemalige Vizepräsidentinnen des Frankfurter Polizeipräsidiums in staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einmischen, weil sie an diese Staatsanwaltschaft Briefe schreiben oder mit dieser Telefonate führen, dann ist das in der Tat ein Problem und ein Skandal, der hier einmal festgestellt werden muss. Sie verwechseln in dieser Debatte Ursache und Wirkung.

Herr Innenminister, ich möchte Sie bitten, diese Dinge einmal klarzustellen: Es sind nicht wir, die dieses Problem auf den Tisch gebracht haben. Es sind nicht wir, die hier einen Skandal erzeugt haben, sondern es ist innerhalb dieses Verfahrens, das in Frankfurt vor dem Gericht anhängig ist, zutage gekommen. Sie sollten die Probleme, die dort vorgetragen werden, aufnehmen. Sie sollten an der Führungskultur der hessischen Polizei etwas ändern, und Sie sollten das in einen produktiven Prozess wenden. Sie sollten diese Probleme aufnehmen, um zu schauen, zu analysieren und dann Ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Sie sollten die Führungsetage der hessischen Polizei umbauen, damit solche Probleme erst gar nicht mehr auftreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Danke, Herr Frömmrich. – Dann darf ich Herrn Rudolph das Wort erteilen. Sie haben fünf Minuten Redezeit, wie es uns die Geschäftsordnung mitteilt.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Innenminister Rhein, das ist schon bemerkenswert. Es hätte bloß noch gefehlt, dass die Opposition für all die Dinge, die in der hessischen Polizei vonstattengehen, auch noch die Verantwortung trägt. Das ist in der Tat bemerkenswert.

Sie haben auch eine neue Kultur angekündigt. Herrn Nedela haben Sie rausgeworfen, weil er Ihnen politisch irgendwie nicht mehr in den Kram passte, nicht weil Sie aufklären wollten. Herr Nedela war auch eineinhalb Jahre lang bei Ihnen im Dienst, als Sie Staatssekretär waren. Also tun Sie hier bitte nicht so, was in der Öffentlichkeit teilweise gelungen ist, als wären Sie der große Aufräumer.

Meine Damen und Herren, zu dem System des ehemaligen Innenministers gehört aber auch: Immer dann, wenn die Fälle da waren, haben wir sie thematisiert. Es waren entweder die Medien oder die Opposition. Das ist auch der Job der Opposition.

(Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vor- sitz.)

Herr Innenminister, zu Ihrer Reaktion, dass an der Skandalisierung nichts dran sei. Nehmen wir einmal den Fall des Herrn Z. Im Jahre 2006 gibt es Vorwürfe gegen ihn. Dann wird von der Staatsanwaltschaft drei Jahre lang ermittelt – drei Jahre lang. Wir werden übrigens die Frage aufgreifen, ob die Information richtig ist, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach zwei Jahre eigentlich einstellen wollte, ob möglicherweise jemand gesagt hat: Ermittelt fleißig weiter. – Auch das sind nämlich Fragen, die den Rechtsstaat betreffen. Im letzten Jahr wird das Verfahren gegen Herrn Z. nach § 170 StPO eingestellt, und zwar mit einem völligen Freispruch. Das Disziplinarverfahren dauert noch einmal ein Jahr. Wer Herrn Z. bei den

Verhandlungen gesehen hat, der wird mir zustimmen: Er scheint ein sehr gebrochener Mann zu sein. Das ist kein Einzelfall in der hessischen Polizei. Kollegin Faeser hat einen weiteren, sehr tragischen Fall angesprochen.

Das hatte etwas mit der Führungskultur von Herrn Nedela zu tun, den Herr Bouffier protegiert hat. Das war Ihr engster Mitarbeiter, der alles für Sie gemacht hat – im wahrsten Sinne des Wortes. Damit meine ich nicht den Hottehü-Ausschuss, sondern ich meine die ernsten Dinge, die ein paar Jahre später geschehen sind. In Polizeikreisen, bei Gewerkschaften, beim Bund der Kriminalbeamten hatte Herr Nedela – das klingt makaber – den Spitznamen „Der schwarze Abt“. Damit ist nicht der Krimi von Edgar Wallace gemeint, sondern das war eine Beschreibung des Klimas in der hessischen Polizei.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen Anspruch darauf, vom Führungspersonal ordentlich betreut und mitgenommen zu werden. Herr Rhein, deswegen ist unser Ansatz, einen Landespolizeibeauftragten zu berufen, richtig. Herr Möller ist eine ausgezeichnete Wahl, aber siedeln Sie ihn doch, wie wir es vorgeschlagen haben, beim Hessischen Landtag an, wie das beim Datenschutzbeauftragten der Fall ist. Das wäre das Signal: Ich habe verstanden, ich muss etwas ändern.

(Beifall bei der SPD)

Herr Greilich, früher war die FDP eine Rechtsstaatspartei. Was Sie machen, ist ausschließlich ein Beschimpfen der Opposition. Diese Regierung ignoriert doch Gerichts urteile, z. B. des Verwaltungsgerichtshofs.

(Beifall bei der SPD)

Wer hat denn einen Parteifreund auf ein wichtiges Amt bei der Polizei befördert? Übrigens: Herr Rhein, ich empfehle Ihnen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Kenntnis zu nehmen, das meinen Parteifreunden in Rheinland-Pfalz viel „Freude“ bereitet. Das müssen die an der Stelle leider ertragen. Wir fordern Sie aber auf: Nehmen Sie das Urteil zur Kenntnis. Überprüfen Sie angesichts dieses Urteils die Ernennung von Herrn Klüber noch einmal. Überprüfen Sie auch, wie Sie mit Herrn Ritter umgegangen sind.

Stattdessen stellen Sie sich hierhin und behaupten, alles sei wunderbar. Ja, die 15.000 Schutzpolizeibeamten in Hessen leisten einen tollen Dienst. Das hat nie einer bestritten. Wir Sozialdemokraten haben immer wieder Änderungsanträge zum Haushalt eingebracht, mehr Anwärterstellen zur Verfügung zu stellen. Das haben Sie jahrelang abgelehnt und ignoriert. Hören Sie doch auf mit Ihrer Beschimpfung, wir würden uns nicht für die hessische Polizei einsetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Das wissen Sie, und deshalb sind Ihre Äußerungen scheinheilig.

(Beifall bei der SPD)

Zu dem System Bouffier: Das ist das Klima in der hessischen Polizei. Das sind ja keine Einzelfälle. So gehen Sie mit den Mitarbeitern um. Uns berichten Mitarbeiter, gegen die Verfahren angestrengt wurden – dabei kam nichts heraus –, dass sie mit dem Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren die Entlassungsurkunde per Post zugeschickt bekommen haben. Was ist das für ein Umgang mit Bediensteten, die ihr Leben eingesetzt haben, um die Demokratie, um den Rechtsstaat zu verteidigen? Ich könnte Ihnen diese angeblichen Einzelfälle allesamt namentlich benennten. Solche Vorkommnisse sind ein Skandal. Es muss sich etwas ändern, und zwar zunächst in der politischen Führung. Herr Rhein, das haben Sie zwar angekündigt,

Sie müssen es aber endlich einmal umsetzen. Das ist unsere Forderung, um es deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So gehen Sie auch mit den Gewerkschaften um. Sie korrigieren ja jetzt bestimmte Entscheidungen. Herr Bouffier hat in der letzten Woche zugegeben, er habe etwas falsch gemacht. Das ist eine Erkenntnis; es ging ja auch gar nicht mehr anders. Wenn Sie jetzt sagen, Sie verändern die Strukturen, dann heißt das auch, die Strukturen waren vorher falsch. Dann wäre in der Tat auch einmal ein Wort des amtierenden Ministerpräsidenten fällig – dass es Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen gab. Die gibt es in der Politik. Sich aber hierhin zu stellen und zu behaupten, wir würden die hessische Polizei verleumden, ist ein abenteuerlicher Vorwurf, Herr Rhein, den Sie nicht ernsthaft aufrechterhalten können.

Zu dem Fall Z. kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind sehr gespannt, wie das Urteil des Landgerichts Frankfurt ausfällt. Sie haben ja gesagt, Sie würden auf Herrn Z. zugehen. Sind Sie auf Herrn Ritter oder auf einen der anderen zugegangen, denen man Unrecht getan hat?

(Holger Bellino (CDU): Herrn Ritter hat man kein Unrecht getan!)

Herr Rhein, wir bieten Ihnen eine Zusammenarbeit im Interesse dieser Beamtinnen und Beamten an. Es müssen aber endlich die richtigen und notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Das haben Sie bisher leider noch nicht getan, obwohl Sie es medial ganz anders verkauft haben. Sie sind nicht der große Chefaufklärer, sondern Sie sind der Abwickler dessen, was Sie von Herrn Bouffier übernommen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN – Holger Bellino (CDU): Herrn Ritter hat man nicht Unrecht getan! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Es wurden Gerichtsurteile ignoriert! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Das werden wir im Abschlussbericht sehen! – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Rudolph. – Jetzt hat sich Herr Kollege Schaus nochmals zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich in gebotener Kürze in dieser Debatte mit drei Punkten auseinandersetzen.

Der erste Punkt, der bei dieser Diskussion über Führungsprobleme in der Polizei gebetsmühlenartig wiederkehrt, ist die Kriminalstatistik. An dieser Stelle muss ich die Frage stellen: Was will uns das denn sagen? Will uns das sagen, dass die Kriminalstatistik unter anderen Bedingungen besser oder schlechter wäre? Was ist das Argument, was ist die Aussage?

(Zuruf des Ministers Boris Rhein)

Die einzige Aussage, Herr Minister Rhein, die einzige Schlussfolgerung, die ich daraus ziehe, ist, dass unter den

Bedingungen, wie sie beschrieben wurden, die hessischen Polizistinnen und Polizisten eine super Arbeit geleistet haben, die Sie sich jetzt auf die Fahnen schreiben und mit der Sie das Problem vernebeln wollen. Das ist das Ziel Ihrer Argumentation mit der Statistik, nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Ich habe aufgrund der Beiträge der Vertreter der CDU und der FDP festgestellt, dass Sie offensichtlich nicht bereit sind, sich als Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Gesamtverantwortung zu stellen, um die Kontrolle und die nachfragende Unterstützung in dieser Angelegenheit gemeinsam wahrzunehmen. Das kennen wir aus dem Untersuchungsausschuss zur Bereitschaftspolizeiaffäre schon zur Genüge, den Sie verschleppen, Sie sind nach wie vor darauf aus, das Thema möglichst schnell zu beenden. Das ist aber keine verantwortungsvolle Politik, auch nicht von Regierungsfraktionen gegenüber der Landesregierung. Auch Sie haben eine Kontrollfunktion, Sie nehmen sie aber nicht wahr.

Dritter und letzter Punkt. Es ist offensichtlich klar, und niemand zweifelt daran, dass die Verantwortung für die Situation in der Polizeiführung bei dem elf Jahre lang zuständigen ehemaligen Innenminister liegt. Herr Ministerpräsident, ich fordere Sie hiermit nochmals auf, heute und hier in diesem Parlament zu Ihrer Verantwortung und den von Ihnen zu verantwortenden Vorgängen bei der Polizei Stellung zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Mir liegen nun keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vor.

Daher kommen wir zu Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend das System „Bouffier“ zerbricht, Drucks. 18/3131, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Gegenstimmen? – CDU und FDP. Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.

Der Dringliche Antrag der Fraktion DIE LINKE wird an den Innenausschuss überwiesen? – Ja, dann verfahren wird so.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 63:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Karenzzeiten nach dem Ausscheiden aus Regierungsämtern – Drucks. 18/3130 –

Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten. Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Heute Vormittag hangeln wir uns offensichtlich von Skandal zu Skandal. Gleich kommen wir nämlich auf den nächsten Skandal zu sprechen.

Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch... hat Spekulationen über einen angeblich geplanten Wechsel an die Spitze des Baukonzerns Bilfinger Berger zurückweisen lassen. „Das neueste

Gerücht ist so Unfug wie die davor verbreiteten“, sagte Regierungssprecher Dirk Metz am Samstag zu einem entsprechenden Bericht der „Bild“-Zeitung... „Ministerpräsident Koch hat nirgendwo etwas zugesagt, er hat keinerlei Verhandlungen mit irgendwem geführt und nicht mal entschieden, welche berufliche Richtung er jenseits der Politik einschlägt …“

Meine Damen und Herren, das schrieb die „FAZ“ am 21. August 2010. Zwei Monate später war der „Unfug“ Realität: Koch wird Vorstandsvorsitzender bei Bilfinger Berger mit einem geschätzten Jahresgehalt von 1,5 Mil lionen €. Roland Koch hat sich also aus dem Amt verabschiedet, indem er den Bürgerinnen und Bürgern erneut die Unwahrheit gesagt hat.

Das Anrüchige an diesem Wechsel ist – das kritisiert auch Transparency International –, dass Bilfinger Berger in den letzten Jahren vom Land Hessen millionenschwere Aufträge erhalten hat. Beim Bau des Wiesbadener Justizzentrums beispielsweise belief sich das Auftragsvolumen auf knapp 130 Millionen €, und am Bau der neuen Lande bahn am Frankfurter Flughafen, für den sich Roland Koch vehement eingesetzt hat, war Bilfinger Berger mit 75 Millionen € beteiligt.