Herr Minister, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht, und Frau Kollegin Fuhrmann meldet sich zu einer Zwischenfrage zu Wort. Gestatten Sie sie?
Herr Präsident, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Frau Kollegin Fuhrmann kann sie anders wieder füllen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluss Folgendes festhalten. Dieser Gesetzentwurf der Landesregierung ist für uns alle eine gute Gelegenheit, Farbe zu bekennen. Dieser Gesetzentwurf der Landesregierung ist für uns alle ein Lackmustest, ob wir es wirklich ernst meinen mit der Einführung der Schuldenbremse in der Hessischen Verfassung. Dieser Gesetzentwurf der Landesregierung zeigt, ob wir das, was wir sonntags zum Thema Schuldenbremse in die Hessische Verfassung aufgenommen haben, ernst genommen
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat mit sehr konkreten Vorstellungen nunmehr ihre Auffassung dem Parlament vorgelegt, wie eine effektive Justizorganisation in Hessen durchgeführt wird,
und das nach folgender relativ einfacher Alternative: Entweder es gibt weniger Standorte und viele Richter und Folgepersonal, oder es gibt mehr Standorte und erheblich weniger Richter und Folgepersonal. Wir haben uns für mehr Richterinnen und Richter in Hessen zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger ausgesprochen.
Vielen Dank, Herr Minister Hahn. – Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat sich Frau Kollegin Hofmann für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf kommt es nach 2004 zu einem weiteren massiven Rückzug der Justiz aus der Fläche. Wenn das Realität wird, so ist das nicht vertretbar und dramatisch für den Rechtsstaat hier in Hessen.
Als wesentliche Entscheidungsgrundlage für Ihre Schließungsentscheidung nennen Sie schon fast gebetsmühlenartig die entsprechenden Empfehlungen des Hessischen Rechnungshofs aus den Jahren 2003 und 2005. Bemerkenswert ist allerdings nur, dass Sie selbst diese Empfehlungen des Rechnungshofs gar nicht umsetzen.
Dieser hat nämlich in seinem Bericht aus dem Jahr 2005 aus Gründen der Standortsicherheit empfohlen, die Arbeitsgerichte Bad Hersfeld und Limburg zu erhalten.
Eben diese beiden Arbeitsgerichte sollen aber nun geschlossen werden. Das bedeutet für viele rechtsuchende Bürger in der Tat lange Wege – ich möchte daran erinnern, dass es von Bad Hersfeld bis Fulda immerhin ungefähr 50 km sind. Ich nenne auch noch einmal das Beispiel, weil ich es sehr eingängig finde: Wer z. B. entgangenen Lohn in Höhe von 50 €, also auch Kleinbeträge, einklagen will: Es rechnet sich überhaupt nicht mehr, dort sein Recht einzuklagen oder einzufordern.
Meine Damen und Herren,wir haben Ihnen schon immer gesagt – bereits in vergangenen Debatten –, dass die erwähnten Gutachten des Rechnungshofs aus den Jahren 2003 und 2005 veraltet und nicht mehr auf dem aktuellen Stand von 2011 sind, um damit eine entsprechend valide Entscheidung treffen zu können. Und, das haben Sie übrigens bezeichnenderweise gar nicht erwähnt, Herr Justizminister, das ist verräterisch: Der Rechnungshof selbst nimmt im Moment die Gerichte wieder unter die Lupe – und da, sage ich Ihnen, müssen Sie doch zumindest die aktuellen Prüfungsergebnisse des Rechnungshofs, die noch nicht abgeschlossen sind, auf keinen Fall vor der Sommerpause, abwarten, um nicht Fakten zu schaffen, die uns dann später wieder einholen.
Herr Minister, Sie haben von einer „konstruktiven Einbindung aller Betroffenen durch die KuK-Gruppe“ gesprochen – ich glaube, da wurde eher nach dem Motto: „Vogel friss oder stirb!“ verfahren.
Es war ja klar, dass dieses Argument von Rheinland-Pfalz kommen würde – aber Sie wissen ganz genau, dass die Gerichtsstruktur in Rheinland-Pfalz mit zwei Oberlandesgerichten mit derjenigen hier in Hessen mitnichten zu vergleichen und im rot-grünen Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten ist, dass die Amtsgerichte in RheinlandPfalz erhalten bleiben sollen.
Sie, Herr Minister, begründen die geplanten Gerichtsschließungen ja ausdrücklich mit dem Haushaltsdefizit des Landes Hessen und mit der Schuldenbremse, die, wie man an Ihrem Beispiel leider sieht, aus Ihrer konservativen Sicht wahrscheinlich für jede politische Maßnahme herhalten soll.
Sie sagen es sogar selbst und erheben es zum Lackmustest. Fakt ist, dass die von Ihnen behaupteten Einsparungen durch die Gerichtsschließungen, die Sie propagieren, bis zum heutigen Tag weder durch Anfragen von uns noch von Verbänden oder Initiativen präzise dargelegt und belegt werden konnten.
Wie genau sollen sich denn die 600.000 € an Einsparungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit zusammensetzen? Wie sollen denn die angeblich entfallenden Mietkosten realisiert werden? – Sie haben selbst die Schließungswelle aus dem Jahr 2004 angesprochen. Und jetzt haben wir im Jahr 2011 die Antworten endlich auf dem Tisch, die klar belegen, dass die entsprechend erwarteten Einsparungen schon damals bis zum heutigen Tage nicht erzielt werden konnten.
Nehmen Sie einmal das Beispiel des damaligen Amtsgerichts Butzbach: Das ist für sage und schreibe 1 € veräußert worden – sensationell, meine Damen und Herren.
Das Amtsgericht Homberg (Efze) ist bis zum heutigen Tage nicht veräußert worden – da können Sie uns doch nicht weismachen, Sie würden nur auf eine Prognoseentscheidung abzielen. Ich kann nur eines sagen: So würde kein Unternehmer handeln. Was Sie hier vortragen ist absolut dünn, meine Damen und Herren.
Besonders ärgerlich ist auch, dass Sie nach Ihrer Regierungserklärung vom 22. Juni letzten Jahres, bei der Sie die Schließungspläne in diesem Hause angekündigt haben, bereits Fakten schaffen wollten. Die Umzugskisten in den einzelnen Gerichten sind ja schon gepackt, und wir beraten in der heutigen Parlamentssitzung das Gesetz erst in erster Lesung – meine Damen und Herren, das ist eine gnadenlose Missachtung des Parlaments.
Der Staatssekretär Dr. Kriszeleit wird in der „Fuldaer Zeitung“ vom 12. Mai auf die Frage der Direktorin des Amtsgerichts Schlüchtern mit den Worten zitiert: „Die Entscheidung des Ministers ist unverrückbar. Da kann kommen, was will.“ – Meine Damen und Herren, was ist das für ein parlamentarisches Verständnis?
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Leif Blum (FDP): Das haben Sie in der Zeitung gelesen? Das glaube ich nicht!)
Ich nenne Ihnen ein anderes Negativbeispiel: Die Arbeitsgerichte in Marburg und Wetzlar sollen künftig in Gießen in einer neuen Immobilie untergebracht werden. Hier soll die Miete von bisher 8,25 € pro m2 auf immerhin 7,77 € pro m2 reduziert werden. Aber auf wessen Kosten und zu welchen Preis? – Nämlich dadurch, dass die bisher kostenfreien Parkräume zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kostenpflichtig gemacht werden – ganz abgesehen davon, dass sich die monatlichen Gesamtmietausgaben nur um knapp 300 € verringern sollen, und unabhängig von der Frage, ob die Arbeitsgerichte, die jetzt an dem Standort Gießen zusammengeführt werden sollen, überhaupt adäquat untergebracht werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist richtig, dass in Zeiten knapper Kassen auch die Justiz keine Insel der Glückseligen ist. Aber ich will noch einmal ausdrücklich betonen: Was Sie dargestellt haben, ist doch nicht alternativlos, auch nicht, dass Sie behaupten: „Entweder gibt es weniger Standorte und mehr Personal oder mehr Standorte und weniger Personal.“ Wir sagen Ihnen schon seit etlichen Monaten und sogar Jahren, dass es eine klare Alternative gibt, gerade für die Justiz. Wir fordern Sie auf, endlich im Bereich der neuen Verwaltungssteuerung, SAP R/3, einzusparen und dies bei der Justiz auf ein Mindestmaß zurückzuführen. Das würde im Übrigen nicht nur einen zweistelligen Millionenbetrag einsparen, nein, das würde auch erheblich zur Mitarbeitermotivation beitragen.
Über bloße Willensbekundungen, dass man in diesem Bereich etwas machen muss, sind wir bis zum heutigen Tage nicht hinausgekommen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Herr Justizminister, es müsste Sie doch eigentlich argwöhnisch machen, dass neben vielen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, landauf, landab auch Wirtschaftstreibende, Rechtsanwälte, die IHKen, die Wirtschaftsjunioren in Limburg – also auch Ihre Wählerklientel, liebe FDPisten – zu Recht gegen Ihre Schließungspläne Sturm laufen. Es wird Ihnen also nichts nützen, dass Sie nun in der Mitte der Legislaturperiode Ihre Pläne gegen massive Widerstände durchzusetzen versuchen und darauf hoffen, dass gegen 2013/14, also zur neuen Landtagswahl –
mache ich –, dass Sie zur Landtagswahl 2013/14 nach dem Motto vorgehen, alles ist vergessen, und deshalb weiterarbeiten können. Die Klatsche bei der Kommunalwahl für die hessische FDP war Ihnen wohl nicht Denkzettel genug.