Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Wolff für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war natürlich nicht ganz ungefährlich, was Kollegin Wissler am Schluss ihrer Rede eben angefangen hat,

(Heiterkeit des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

nämlich die Wünsche, die man an das hessische Hochschulwesen hat, mit den Menschenrechtsverletzungen und den Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit in anderen Ländern auf eine Ebene zu stellen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich überhaupt nicht auf eine Ebene gestellt!)

Dass Sie behaupten, das nicht gemacht zu haben, sollte man zu Protokoll nehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wer lesen kann, der lese. – Meine Damen und Herren, ich zitiere aus der Paulskirchenverfassung von 1849:

Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.

Weimarer Reichsverfassung von 1919:

Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.

Deutsches Grundgesetz:

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.

In unterschiedlicher Tiefe und Geltung sind das die Maßstäbe für Wissenschaftsfreiheit, die, wie ich behaupte, nicht nur in unserem Land gelten, sondern die grundsätzlich in zivilisierten, demokratischen Staatsgebilden gelten müssten. Kollege May hat die Hessische Verfassung dazu schon zitiert.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Ich will deswegen sehr bewusst ein paar Zitate aus dem, wie ich finde, sehr wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dem Jahre 1978 zum damaligen Hessischen Universitätsgesetz bringen, in dem es heißt:

Damit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem Bemühen um Wahrheit ausrichten können, ist die Wissenschaft zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. Damit wird zugleich zum Ausdruck gebracht, dass Art. 5 Abs. 3 GG nicht eine bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie schützen will. Seine Freiheitsgarantie erstreckt sich vielmehr auf jede wissenschaftliche Tätigkeit, d. h. auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.

Das sind sehr grundlegende Formulierungen. Damit verbunden wird noch der Gedanke – ich zitiere erneut –, „dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die grundlegenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts. Auch diese sind mit Sicherheit nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland anwendbar.

Wir haben hier schon verschiedentlich über die weltweiten Bedrohungen gehört. Es ist darauf hingewiesen worden, dass das nicht nur die bekannten autoritären und totalitären Staaten betrifft. Andererseits will ich deutlich machen: Es darf nicht sein, dass wir über Länder wie Russland oder China nicht mehr sprechen, nicht mehr daran erinnern, nicht mehr mahnen und aufhören, darauf hinzuweisen, dass dort die Wissenschaftsfreiheit, die Freiheit von Forschung und Lehre, ein ums andere Mal verletzt wird.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es, weil sie so nah bei uns sind, genauso richtig bei Staaten, von denen wir dachten, dass sie wesentlich weiter sind. Natürlich ist es richtig, über Ungarn zu sprechen. Herr Kollege Grumbach, das ist philosophisch zwar ganz interessant, aber diese Hochschule, von der Sie sprechen, besteht seit 1991. Sie ist von George Soros gegründet worden, und dieser ist wohl in Ungnade gefallen. Deswegen und wegen des Anspruchs von George Soros, eine demokratische Gesellschaft in Mittelosteuropa aufzubauen, gibt es Probleme. Das ist der Hintergrund. Es sind nicht die Hintergründe, die Sie dem noch beigefügt haben – zumindest nicht vorrangig.

Die Gülen-Bewegung hat der Türkei als Vorwand gedient, entsprechende Maßnahmen vorzunehmen, also rund 15 Universitäten zu schließen und – mittlerweile – 5.000 Hochschulmitarbeiter zu entlassen. Das sind deutlich mehr als Einzelschicksale. Das ist auch etwas, was die Türkei selbst in einem unglaublichen Maß schädigen wird, weil es ein Aderlass ist und mit ihm langfristige Auswirkungen auf die wissenschaftliche Entwicklung und die Wirtschaft der Türkei verbunden sind.

(Manfred Pentz (CDU): Ja, nicht nur in dem Bereich!)

Die Türkei strebt im Moment kraft ihrer Regierung eine unkritische, uniforme und lediglich affirmative Wissenschaft an, und das nicht erst seit dem Putsch. Das will ich noch einmal deutlich machen. Es gab bereits vorher, nach dem Ende des türkischen Militäreinsatzes gegen die Kurden Anfang 2016, Verhaftungen und Anklagen gegen viele Wissenschaftler sowie eine Auflösung ihrer Beschäftigungsverhältnisse, nur weil sie Unterzeichner des Aufrufs „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein!“ gewesen sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie diese übergreifenden Muster betrachten, sehen Sie, dass wir hier ein bestimmtes Vorgehen haben: dass die missliebigen Äußerungen unterdrückt werden, dass sie in staatlichen Medien nicht allzu selten verhöhnt werden und dass die Personen, die dahinterstehen, lächerlich gemacht und angegriffen werden, um ihre Glaubwürdigkeit kaputtzumachen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in Zweifel gezogen, ähnlich dem Paradigma der sogenannten Lügenpresse, und es wird ein Umfeld geschaffen, in dem in Abrede gestellt wird, dass es etwas wie gültige wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt gebe. Das spielt sich im Moment teilweise durchaus auch in den USA ab. Beispiele hierfür sind schon genannt worden.

Es geht übrigens manchmal auch subtiler: wenn Projekte auslaufen, nicht verlängert werden und die wissenschaftliche Arbeit an dieser Stelle schlicht und einfach ausläuft. Deswegen ist es richtig, dass international und auch bei uns in Hessen Kundgebungen des March for Science stattgefunden haben. Ich bin froh, dass es die hessischen Hochschulen und die großen Hochschulverbünde alle gemeinsam verstanden haben, dies zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin auch der Meinung, dass wir dies überall brandmarken müssen, dass wir nicht gleichgültig werden dürfen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass wir manche Veränderung in anderen Ländern und auch in unserem eigenen Land sehr sorgsam in den Blick nehmen müssen, auch wenn es eine ganz andere Ebene der Auseinandersetzung ist – und von anderen Akteuren ausgeht –, die jedoch nicht minder zu beachten ist.

Ich glaube, wenn Sie sich das anschauen, was sich von den sozialen Medien, der digitalen Kommunikation, auf den Wissenschaftsbetrieb überträgt, nämlich dass dort in gelegentlich anonymen Blogeinträgen zu den Lehrveranstaltungen bestimmter Professorinnen und Professoren einzelne Äußerungen herausgezogen werden, um diese zu brandmarken – bevorzugt als rassistisch oder nationalistisch –, stellen Sie fest, wir beginnen, uns auf einer Ebene zu bewegen, auf der wissenschaftliche Freiheit auf ganz andere Weise, nämlich von der sogenannten Anonymität der Masse, beeinträchtigt wird. So ist es bei Prof. Münkler geschehen, der im vorvergangenen Jahr im Hessischen Landtag drei wichtige Vorträge gehalten hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der wissenschaftliche Diskurs wird auf diese Weise angetastet. Auch dies geschieht in den USA. Das kann man betrachten; denn dann sieht man Dinge, die in einem gewissen zeitlichen Abstand auch bei uns landen. Dort war vermehrt zu beobachten, dass verschiedene Wissenschaftler ihre Vorlesungen nur in einem abgetrennten Raum halten konnten und diese per Videobotschaft nach draußen übertragen werden mussten, weil die Wissenschaftler und ihre Unterstützer, Menschen, die zum Teil ganz anders dachten, körperlich angegriffen worden sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat nichts mit der Unterdrückung durch die staatliche Ebene zu tun, sondern das hat dann etwas mit einer multiplizierten – zum Teil anonym multiplizierten – öffentlichen Meinung zu tun, die versucht, Einfluss auf die Wissenschaft zu nehmen. Deswegen sollten wir in all diesen Bezügen für wissenschaftliche Freiheit streiten. Wir sollten überall deutlich machen, dass wir es gesehen haben und dass wir dagegen kämpfen werden.

Ein Letztes. Ich glaube, es ist gerade während internationaler Konflikte von ungeheurer Bedeutung – das haben schon einige angesprochen –, dass die Beziehungen der wissenschaftlichen Community, die vorhanden sind, auch aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Ich habe erlebt, dass ein Alexander Gerst von seiner Kommunikation mit einem amerikanischen und einem russischen Astronauten berichtet hat, und zwar dort oben, in der Kapsel. Das war während des Ukrainekonflikts. Es gibt zahllose Kooperationen zwischen Hochschulen, die aufrechterhalten werden müssen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Sie müssen, wo immer es geht, in einem Gespräch, in internationalen Konferenzen weitergeführt werden. Sie müssen durch individuelle Solidarität unterstützt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu haben wir viele Programme; Erasmus-Plus ist nur eines davon. Hierbei gilt es tatsächlich, einen aufrechten Gang zu beweisen und diese Kontakte, diese kleinen Schlupflöcher zu stärken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wolff. – Auf der Besuchertribüne möchte ich unseren ehemaligen Kollegen Peter Stephan begrüßen. Schön, dass du mal wieder in den Landtag kommst.

(Beifall)

Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Rhein. Bitte schön, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Peter Stephan, es hat nicht lange gedauert, bis du wiedergekehrt bist. Du hattest offensichtlich Sehnsucht nach uns. Das freut mich natürlich ganz besonders. Dass dies bei einem wissenschaftspolitischen Setzpunkt ist, empfinden wir natürlich auch als große Freude. Herzlich willkommen.

(Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))

Lieber Marius Weiß, du musst dir um mich keine Sorgen machen; das ist alles in Ordnung.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Die Sorge reicht weit!)

Die sehr verehrte Kollegin Wolff hat auf die große Tradition hingewiesen, die die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland hat. Sie hat das Grundgesetz erwähnt. Sie hat die Paulskirchenverfassung und den § 152 erwähnt. Sie hat auch deutlich gemacht, dass in den vielen Jahren, in denen wir die Wissenschaftsfreiheit haben, diese mehr und mehr als eine Selbstverständlichkeit empfunden wird. Wir wissen natürlich, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, weil wir an so vielen Orten der Welt erleben, dass nationalistische und autoritäre Bewegungen erstarken, sodass die Liste der Länder lang wird, in welchen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „unter Druck“ geraten, wie es in dem Antrag heißt. Sie werden verfolgt. Sie werden drangsaliert. Es werden aber auch die Hochschulen, die Zentren des offenen Diskurses und Orte des kritischen Denkens sind, mehr und mehr infrage gestellt.

Unweit von uns – auch darüber sprachen wir heute bereits –, man muss fast sagen: unweit von unserer Haustür, ändert eine europäische Regierung das Hochschulgesetz, um eine, wie Frau Wolff sagte, „unliebsame Hochschule“ aus dem Land zu treiben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Schmeißt er sie jetzt raus, oder nicht?)

Der Präsident einer Weltmacht droht Forschern mit Budgetkürzungen, weil er die von Menschen gemachte Erderwärmung anzweifelt; und der Präsident eines anderen, in die EU strebenden Landes streicht kurzerhand die Evolutionstheorie aus den Lehrbüchern und -plänen der Schulen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das gab es schon einmal in Hessen!)

Das sind drei Nachrichten, die in nur drei Monaten aufs Tapet gekommen sind, und zwar in drei Ländern, zu welchen wir Beziehungen pflegen.