Protokoll der Sitzung vom 01.06.2017

Man nannte es auch „rote Kaderschmiede“, Herr Irmer.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war es auch!)

Meine Damen und Herren, bitte sehen Sie uns deshalb nach, dass wir Ihrem Antrag nicht folgen können und die Frechheit besaßen, einen eigenen Antrag zu formulieren.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Die Reihenfolge der beiden heutigen Bildungsdebatten passt eigentlich insofern, als insbesondere der Sachverhalt, dass die Fortbildung in Hessen an die Wand gefahren wurde, sehr viel mit der Belastungssituation an den Schulen zu tun hat. Diese hat nämlich nicht nur mit fehlenden Stellen bzw. mit fehlenden Köpfen für die Stellen zu tun, sondern auch damit, dass das Fortbildungsangebot, strategisch gesehen, nicht mehr ordentlich organisiert ist.

(Beifall bei der SPD – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)

Ein aktuelles Beispiel. Anfang Mai schrieb der Hessische Rundfunk auf „hessenschau.de“ unter dem Titel „Kein digitales Konzept für hessische Schulen“, dass die digitale Welt nur in wenigen hessischen Schulen angekommen sei. Das wird daraus abgeleitet, dass Lehrkräfte bemängeln, dass eine medienpädagogische Strategie des Kultusministeriums fehle und medienpädagogische Fortbildungen eine Dauerbaustelle seien. Das ist nicht nur im Bereich der Medienpädagogik so. Ich werde ein paar Beispiele hierfür nennen.

Wie ist eigentlich die Lage an Hessens Schulen in Bezug auf die Unterrichtsqualität? Das hat nichts mit den Lehrkräften zu tun, die tun ihr Bestes. Es ist vielmehr so – das habe ich vorhin schon angesprochen –, dass inklusive Grundkompetenzen bei vielen Regelschullehrerinnen und -lehrern fehlen, weil diese Kompetenzen nach wie vor kein Bestandteil der Aus- und Fortbildung sind.

Der Anteil fachfremden Unterrichts hat deutlich zugenommen. Kollege Wagner sprach die Fächer Mathematik und Deutsch an. Da trifft das in der Tat nicht so ganz zu, aber im Fach Arbeitslehre wird in Hessen zu 60 bis 80 % fachfremder Unterricht gegeben. In Ethik und in Erdkunde ist der Prozentsatz nicht viel geringer, und in den Fächern, in denen politische und historische Bildung vermittelt wird, wird zu ungefähr 50 % fachfremd unterrichtet. Diese Angaben findet man in der Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Unterrichtssituation und zum Lehrkräftebedarf. So ist die Qualität des Unterrichts in Hessen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Welche Fächer bekommen zusätzliche Aufgaben? In Politik und Wirtschaft kommen per Erlass die Themen Berufsorientierung, Verbraucherbildung und finanzielles Grundwissen dazu, für die jetzt verzweifelt Lehrerfortbildungsmaßnahmen aus dem Boden gestampft werden müssen, weil man hier längst nicht auf der Höhe der Zeit ist, um den Anforderungen des Kerncurriculums gerecht zu werden.

Oder nehmen Sie die Antwort auf eine aktuelle Kleine Anfrage. Darin wird mitgeteilt, dass ganze 10 % unserer Lehrkräfte überhaupt keine Lehrbefähigung haben. Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 10 % der Lehrkräfte in Hessen haben keine Lehrbefähigung. Das nennen Sie „Unterrichtsqualität auf hohem Niveau“.

(Beifall bei der SPD)

Damit muss Schluss sein. Dagegen muss endlich etwas getan werden. Ich glaube aber kaum, dass der Antrag der CDU und der GRÜNEN hier ausreichen wird. Wir müssen nicht nur für die Schulleitungen, sondern für alle Lehrkräfte eine bessere Fortbildungsinfrastruktur aufbauen – übrigens auch für die Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamten, für die ebenfalls Fortbildungsbedarf angemeldet ist. Wir müssen außerdem Anreize schaffen, an Fortbildungen teilzunehmen. Hier gibt es viel zu tun und dementsprechend keinen Grund zum Jubeln.

Zum Abschluss noch zu zwei Punkten, die in der Debatte angesprochen wurden. Zum einen zur neuen Schulevaluation. Dazu muss ich sagen: Das ist im Ansatz richtig. Auch wir haben ja gefordert, dass die Schulinspektionen abgeschafft werden, weil es einfach keinen Sinn gemacht hat, Inspektion auf Inspektion – allein der Begriff ist schon eine Qual – durchzuführen, ohne den Schulen ein Unterstützungssystem und Hilfe zu bieten, wie sie mit den Ergebnissen der Inspektionen weiterarbeiten können. Allerdings weiß ich nicht, ob das, was jetzt aus dem Boden gestampft wurde, nämlich an jedes Schulamt ein, zwei oder auch drei Personen – z. B. in Frankfurt – zu schicken, die bei den Schulen anrufen und fragen: „Habt ihr Bedarf, können wir bei euch etwas tun?“, ein effektiver Weg für die neue Schulevaluation sein wird. Dementsprechend sind wir gespannt, wie sich das weiterentwickelt.

Zum anderen zur Frage der Schulleiterqualifizierung. Auch hier bitte ich um Verständnis, dass wir noch kein voreiliges Lob aussprechen werden. Wir wollen erst einmal ein bisschen mehr darüber erfahren, wie der erste Durchgang lief, wie viele Menschen durchgefallen sind, was das für Gründe hatte. Da gibt es viele offene Fragen.

Dementsprechend verweise ich Sie auf den Antrag der SPD-Fraktion und freue mich, über die beiden Anträge im Ausschuss beraten zu können. – In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächste hat Frau Abg. Faulhaber für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Schwarz, vielleicht sollten Sie öfter einmal einen Antrag einbringen. Ihr Antrag hat mir immerhin ein neues Erlebnis verschafft: Sie haben das erste Mal, seit ich im Parlament bin, eine andere Rede gehalten. Ich finde es großartig, dass Sie nicht wieder die immer gleiche Rede gehalten haben.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Ich finde, wir haben jetzt eine gute Gelegenheit, die Debatte von vorhin fortzusetzen. Es ist sehr lobenswert, dass Sie Schulinspektionen in der bisherigen Form abgeschafft haben. Wir haben die Streichung der Schulinspektionen in den vergangenen Jahren mit unseren Haushaltsanträgen immer wieder gefordert, weil sie viel Geld gekostet und eigentlich nichts gebracht haben.

Nun legt die schwarz-grüne Koalition einen Antrag vor, der die Qualitätsentwicklung der Schulen und die berufliche Qualifikation zum Inhalt hat. Immerhin müssen Sie unter Punkt 1 aber zugeben, dass immer neue Aufgaben und Herausforderungen an die Lehrkräfte herangetragen werden. Da erinnere ich natürlich an die vielen Überlastungsanzeigen und Brandbriefe aus den letzten Monaten, in denen genau das Thema war. Die Anzeigen und Briefe sind von Ihrem Kultusminister allesamt ignoriert worden. Soll Ihr Antrag jetzt eine Reaktion hierauf sein? Wenn ja, dann muss ich sagen: Dies ist Ihnen nicht gelungen. Die Reaktion ist nicht angemessen.

Vielmehr ist es so, dass das Fortbildungsbudget für Lehrkräfte derart niedrig ist, dass es überhaupt nicht möglich ist, sich so fortzubilden, wie unsere Lehrerinnen und Lehrer es wollen und bräuchten. An dieser Stelle wird dann von „konkreter Nachfrage“ und von „zielgerichteten“ Angeboten gesprochen. Das klingt erst einmal ganz gut, ist aber bei genauerem Hinsehen wenig konkret. Haben Sie überhaupt genügend Fortbildungsangebote für Lehrkräfte? Sind die Fortbildungsangebote wirklich so ausgerichtet, dass die Anforderungen erfüllt werden, die Sie im ersten Satz Ihres Antrags formulieren? Gibt es ausreichend interkulturelle und interreligiöse Fortbildungsangebote? Gibt es genügend Angebote für Erziehungshilfe und für binnendifferenzierten Unterricht? Gibt es eine Fortbildungsoffensive für das große Ziel der Inklusion oder für die Integration geflüchteter Kinder?

Sie wissen: Das gibt es nicht. Sie postulieren das in Ihrem Antrag, aber die konkrete Umsetzung steht aus. Mit Spannung werden wir beobachten, welche Qualitätsstandards Sie entwickeln und welche zielgerichteten Angebote Sie den hessischen Lehrerinnen und Lehrern im nächsten Schuljahr machen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Schulevaluation möchte ich sagen, dass es für die Schulen sicherlich sehr hilfreich sein könnte, wenn sie Beratung anfordern oder externe Experten für die Schulentwicklung heranziehen könnten. Doch auch hier bleibt ab

zuwarten, wie diese externen Hilfen in der Praxis aussehen sollen. Das, was bisher an Hilfen zur Verfügung stand, war nämlich nicht besonders berühmt.

Ich sehe das so: Grundsätzlich müssen Schulen in die Lage versetzt werden, ihre Stärken und Schwächen selbst zu identifizieren. Man braucht Zeit und weniger Überlastung, um eigene schulische Programme zu entwickeln und Schwächen aus eigener Kraft anzugehen. Wenn vom Land eine behutsame Unterstützung dazukäme, wäre das natürlich sehr begrüßenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

An dieser Stelle möchte ich sagen: Wir unterstützen den Antrag der SPD auf einen Bildungsbericht. Der Kultusminister würde sozusagen seine eigene Arbeit evaluieren. Das wäre eine gute Grundlage für die systematische Entwicklung des hessischen Schulsystems.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, bei der Qualifizierung von Schulleitungen setzen Sie in letzter Zeit eher auf das Führen. Auch in diesem Antrag klingt das wieder an. Sie wollen professionelle Führungskräfte. Jetzt ist gegen professionelle Ausbildung gar nichts einzuwenden; aber dagegen, dass zunehmend der Gedanke der Führung anstelle des Gedankens einer kollegialen Schulleitung Einzug hält, ist auf jeden Fall etwas einzuwenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Prinzip „Führen und Folgen“ – so hieß mein Seminar – wird nicht funktionieren. Eine qualitativ hochwertige Schule braucht kollegiale Strukturen, die die Kraft und das Wissen aller Kolleginnen und Kollegen bündeln. Selbst in der freien Wirtschaft gilt das Führungsprinzip heute nicht mehr als unumstritten. Längst ist es überholt und wurde durch Teampower ersetzt.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Wir begrüßen die Abschaffung der Schulinspektion; der Fortbildungsetat der Schulen muss deutlich erhöht werden; Schulen müssen Unterstützung bei der Entwicklung ihrer eigenen Ziele erhalten; Schulleitungen sollten in Teambildung geschult werden. Da Ihr Antrag aber wieder einmal ein reines Postulat ist und keine konkreten Schritte enthält, werden wir ihn wegen seiner Placebowirkung ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Schwarz das Wort.

(Manfred Pentz (CDU): Guter Mann!)

Herr Präsident! Frau Kollegin Faulhaber, Sie haben eben wieder kraftvoll dokumentiert, dass Sie offensichtlich weder zuhören noch verstehen. Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen: „Der Schwarz stellt immer wieder die richtigen Dinge fest“, dann sage ich: Jawohl, das tue ich auch; denn bestimmter Unsinn muss immer wieder geradegezogen werden. Bestimmte Tatsachen müssen für Sie immer wie

der platziert werden, damit die Öffentlichkeit nicht in die Irre geführt wird. – Das ist der erste Punkt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Janine Wissler (DIE LINKE): Verhaltener Applaus, würde ich sagen!)

Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen: „Schulleiterqualifizierung ist zwar ganz schön, aber Schulleitung hat nichts mit Führungsaufgabe zu tun“, dann stellt sich für mich die Frage, in welchem Land, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Die ureigenste Aufgabe von Schulleitung ist, zu führen, Perspektiven aufzuzeigen und eine Schule natürlich in die Zukunft zu geleiten. Das ist die Aufgabe von Schulleitung – immer im Team, immer mit dem Kollegium, immer mit der Schulgemeinde. Das ist der zweite Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ga- briele Faulhaber (DIE LINKE))

Jetzt kommt der dritte Punkt. Jetzt hören wir noch eine Sache zur bedarfsgerechten Fortbildung. Was wollen Sie jenseits der Punkte, die ich hier aufgelistet habe, denn bitte noch mehr? Ich habe genau diese Punkte, die Sie eben genannt haben, benannt: Im Bereich der Inklusion kann Bedarf angemeldet werden, dann wird Fortbildung gegeben. Im Bereich der Medienkompetenz kann Fortbildung angemeldet werden, dann wird Fortbildung gegeben. Im Bereich des Ganztags kann Fortbildung angefordert werden, dann wird Fortbildung gegeben.

Bei dieser Thematik verweise ich auf Pressemitteilungen aus dem Februar dieses Jahres, in denen genau dieses Programm mit exakt diesen Punkten dargelegt worden ist. Deswegen bleibt es dabei: Der Unsinn, den Sie hier stetig als Wahrheit zu verbreiten versuchen, muss robust bekämpft werden, und es muss entschieden dagegengehalten werden.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Realität wird Sie überholen! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Alles andere würde die Öffentlichkeit irritieren. Genau deswegen ist es eine gute Gelegenheit, dem Hessischen Landtag die Positionen wechselseitig zu beschreiben.

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): So gehaltvoll war die Kurzintervention ja nicht! – Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): So gehaltvoll war sie nicht!)

Danke. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.