Protokoll der Sitzung vom 29.06.2017

Das Wort hat Herr Kollege Klose für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich gebe zu, selten hat mich eine Situation, zu der ich hier gesprochen habe, emotional so berührt wie diese. Der Grund sind nicht die Anträge. Der Grund ist, dass wir uns am Vorabend einer Entscheidung im Deutschen Bundestag befinden, auf die jedenfalls ich mein ganzes bisheriges politisches Leben hingearbeitet habe. Ich habe mich sehr intensiv gefragt, was an einem solchen Vorabend eigentlich die wirklich angemessenen Worte und Sätze zum Thema sind.

Morgen geht hoffentlich ein Vierteljahrhundert des Kampfes um die rechtliche Gleichstellung aller Paare auch in diesem Land zu Ende. Von dem Moment an, in dem homosexuelle Menschen auch in Deutschland aus den Schränken kamen, ihre Gesichter zeigten und sich selbstbewusst und kämpferisch für ihre Rechte eingesetzt haben, über die „Aktion Standesamt“ am 19. August 1992, als 250 lesbische und schwule Paare das Aufgebot bestellen wollten und abgewiesen wurden, bis zum morgigen Tag, wenn die vollständige Gleichstellung endlich beschlossen wird, zieht sich eine lange Linie in den Farben des Regenbogens.

Es ist zuallererst dieser vielfältigen Bewegung zu verdanken, dass wir im Jahr 2017 endlich auch in Deutschland so weit sind. Deshalb ist es mir gleich zu Beginn das wichtigste Anliegen, mich hier und jetzt bei all denen zu bedanken, die in den letzten Jahren für diesen Moment gekämpft haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Bedanken will ich mich bei jenen, die angefeindet, beschimpft, bespuckt, drangsaliert und gequält wurden und die dennoch nicht nachgelassen haben. Wir haben euch unendlich viel zu verdanken. Der 30. Juni 2017, das ist euer Tag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Wissen Sie, was? Dieser Moment ist viel zu groß. Er bedeutet mir ganz persönlich und uns GRÜNEN viel zu viel,

als dass ich mich jetzt auf den letzten Metern hier im Hessischen Landtag auf Ihr Spiel einlasse.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ganz direkt und gleich jetzt zu Beginn:

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt wird es peinlich!)

Ja, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier im Hessischen Landtag haben zur Öffnung der Ehe durch den Deutschen Bundestag unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann unser gemeinsamer Antrag leider auch nichts anderes abbilden.

(Manfred Pentz (CDU): Ganz genau!)

Ich will da nichts verbrämen. Wir streuen auch niemandem Sand in die Augen oder vertagen Dinge 30-mal. So sind die Fakten, und darum wird nicht herumgeredet.

(Manfred Pentz (CDU): Sehr gut!)

Deshalb nutze ich lieber die Gelegenheit, um unsere grüne Position noch einmal klar zu formulieren.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist geheuchelt! – Gerhard Merz (SPD): Heuchelei! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wie bitte? Wie haben Sie mich gerade genannt, Herr Merz?

(Gerhard Merz (SPD): Ich habe gesagt: Heuchler! Das ist geheuchelt! – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU): Sie sind ein Arsch! So ein Arsch! Unmöglich! Ja, es ist so! – Lebhafte Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Kollege Klose, einen Augenblick, bitte.

(Stefan Grüttner (CDU): Das ist eine Schweinerei! – Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren! Darf ich bitte das Wort nehmen? – Herr Kollege Schmitt, haben Sie gesagt, der Kollege Klose habe geheuchelt?

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Dann rufe ich Sie hiermit zur Ordnung. – Sie haben das Wort, Herr Kollege Klose.

(Norbert Schmitt (SPD): Und Herr Pentz wird nicht gerügt? – Gegenruf von der CDU: Wofür denn? – Zurufe von der SPD sowie der Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Herr Schmitt, wollen Sie mit mir diskutieren? Ich habe Sie zur Ordnung gerufen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zur SPD gewandt: Ihr habt sie doch nicht mehr alle! – Gegenruf von der SPD: Dann schreibt ihr so einen Antrag! – Lebhafte Unruhe)

Herr Kollege Wagner, haben Sie eben zur SPD gesagt, dass sie sie „nicht mehr alle“ habe?

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich entschuldige mich dafür!)

Danke schön.

(Holger Bellino (CDU): Bei so einer Rede muss man doch nicht so reagieren, wie ihr das da macht!)

Ich respektiere, dass Sie meine Haltung nicht teilen müssen. Das ist in Ordnung. Ich teile Ihre auch nicht. Ich will trotzdem unsere Position noch einmal klar formulieren.

Wir GRÜNE wollen die Öffnung der Ehe für alle Paare. Seit vielen Jahren streiten wir dafür. Wir haben vor mehr als 25 Jahren erstmals im Deutschen Bundestag beantragt, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen. Denn das hätte sofort die rechtliche Gleichstellung aller Paare zur Folge.

Wir haben die Öffnung der Ehe vor zweieinhalb Wochen auf unserem Bundesparteitag zur Koalitionsbedingung gemacht. Damit haben wir einen Stein ins Rollen gebracht. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür. Vor allem war es ein mutiger Fragesteller beim „Brigitte“-Gespräch, der dazu beigetragen hat, dass aus diesem Stein eine Lawine wurde, der sich auch die Bundeskanzlerin nicht länger in den Weg stellen wollte.

Ein Bauchgefühl kann als Begründung im politischen Diskurs eines Rechtsstaats niemals dauerhaft genügen, um Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Dass das Bauchgefühl durch die Gewissensentscheidung abgelöst wird, ist deshalb wohl ein Fortschritt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Dennoch kann ich, so wie ich Respekt für unsere Position erwarte, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, die Position der Menschen respektieren, für die es um ein religiöses Sakrament geht. Deshalb findet auch diese Haltung im gemeinsamen Dringlichen Entschließungsantrag der CDU und der GRÜNEN Niederschlag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ehe und Familie genießen den besonderen staatlichen Schutz. Ich finde, dieser besondere Schutz sollte bald für alle gelten, die den Mut und die Liebe aufbringen, sich zu binden und Verantwortung füreinander und auch für ihre Kinder zu übernehmen.

Niemand verliert seine Rechte, wenn andere diese Rechte auch erhalten. Es ist wirklich genug Ehe für alle da, oder, wie Claudia Roth es neulich in ihrer unnachahmlichen Art sagte:

Wer unbedingt heiraten will, soll das doch können. Die werden schon sehen, was sie davon haben.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Ich muss hinnehmen, dass es Ihnen heute noch einmal eine kleine Genugtuung verschafft, aus dieser Differenz zwischen uns Honig zu saugen, damit irgendjemand morgen im Bundestag eine hämische Bemerkung loswerden kann. Bitte sehr. Ich schenke Ihnen das. Das ist angesichts des Erfolges, den wir mit vielen anderen seit fast drei Jahrzehnten erkämpft haben – zu den vielen anderen gehören

auch viele hier – und über den wir uns heute freuen, noch nicht einmal eine Fußnote in der Geschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Herr Präsident, das mache ich. – Wir GRÜNE jedenfalls werden morgen viel Schwung für die nächsten Projekte holen. Wir werden mit der Community, die genau um den Anteil der GRÜNEN am Erfolg weiß, mit Carolin Emcke, Volker Beck, vielen anderen und den Regenbogenverbänden morgen in Berlin feiern, dass die Schwarte kracht. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, zu Ihrer Information: Ich habe, der Unterbrechung geschuldet, Herrn Kollegen Klose eine Minute Redezeit mehr gegeben. Ich habe eine Minute einfach geschaut, dass er gedanklich zum Ende kommt. Sie können sicher sein, dass alle von mir diesen Puffer bekommen werden. Das wollte ich nur zur Information hinsichtlich der Redezeit sagen.

Ich rufe jetzt Herrn Kollegen Lenders für die Fraktion der FDP auf.