Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Chancengleichheit und zur Qualitätsverbesserung in der frühkindlichen Bildung (Chan- cengleichheits- und Qualitätsverbesserungsgesetz – ChancenG) – Drucks. 19/5467 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Beste kommt zum Schluss. Mit großer Freude und auch mit einem gewissen Stolz legt Ihnen die SPD-Fraktion heute einen Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Chancengleichheit und zur Qualitätsverbesserung der frühkindlichen Bildung vor. Mit diesem Gesetzentwurf verfolgen wir vier große Ziele.
Erstens. Wir wollen eine vollständige Gebührenbefreiung für alle Kinder, unabhängig vom Alter und von der Betreuungszeit, also auch für Kinder unter drei Jahren, für Kinder, die in Horten untergebracht sind, für Kinder, die ganztags betreut werden, und für Kinder in der Kindertagespflege.
Wir wollen dieses Ziel in zwei Schritten erreichen, und zwar in einem ersten Schritt zum 1. September 2018 mit der vollständigen Gebührenbefreiung, inklusive der Ganztagsbetreuung, für die Drei- bis Sechsjährigen. Alle anderen Kinder und ihre Eltern werden dann zum 1. September 2019 von den Gebühren befreit.
Damit unterscheidet sich unser Gesetzentwurf fundamental von allem, was bisher vorgelegt worden ist – insbesondere von dem, was morgen zu anderer Stunde zu diskutieren sein wird.
Zweitens. Wir wollen – gleichberechtigt mit dem Ziel der Gebührenbefreiung – in drei Stufen Strukturreformen als Voraussetzung für die Verbesserung der Qualität der Arbeit in unseren Einrichtungen erreichen, weil wir wissen, dass das den Eltern wichtig ist, weil wir wissen, dass das dem Personal wichtig ist, weil wir wissen, dass das auch den Trägern und den Personen, die in den Einrichtungen arbeiten, wichtig ist.
Die erste Stufe soll die Einführung – ebenfalls zum 1. September 2018 – eines Ansatzes von 20 % auf die normale Personalbemessung für die sogenannten mittelbaren pädagogischen Zeiten sein. Sie alle wissen, was das ist. Wer es nicht weiß, dem erkläre ich es noch einmal. Mittelbare pädagogische Zeiten sind die Zeiten, die eine Erzieherin oder eine Einrichtungsleiterin zur Vor- und Nachbereitung, zur Planung von besonderen Aktivitäten und insbesondere auch für Elterngespräche benötigt. Diese Zeiten werden seit Langem in der Kinderbetreuungslandschaft für unabdingbar gehalten. Im Grunde wird von niemandem bestritten, dass sie eigentlich unabdingbar sind, jedenfalls von niemandem, der sich in dieser Szenerie auskennt.
Der zweite Schritt wird sein – das ist ein kleinerer Schritt, weil es dafür eine Vorlage gibt –, die Ausfallzeiten für Krankheit und Urlaub, die derzeit nach dem KiföG bei 15 % liegen, auf 20 % zu erhöhen.
Der dritte Schritt – mindestens so bedeutsam wie der Ansatz für die mittelbaren pädagogischen Zeiten –: Wir werden eine gesetzliche Regelung für die Freistellung von Kindertagesstättenleitungen vorsehen.
Es gibt eine aktuelle Untersuchung der Bertelsmann Stiftung, aus der unter anderem hervorgeht, dass Hessen im Ländervergleich, was die Freistellung von Kindertagesstättenleitungen angeht, zumindest nicht in der Spitzengruppe liegt – ich will es einmal so ausdrücken. Das ist ein Zustand, der dringend geändert werden muss. Deswegen wollen wir diese drei Schritte bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode, also bis zum Jahre 2022, gegangen sein.
Drittens. Wir wollen eine entschiedene Entbürokratisierung des gesamten Verfahrens der Personalbemessung und der Bezuschussung erreichen. Dazu werden wir zu dem alten, gruppenbezogenen System der Personalbemessung und zu den alten Standards zurückkehren, was die Gruppengrößen angeht.
Zu dieser Entbürokratisierung und radikalen Vereinfachung trägt viertens unser Vorschlag zur Neuregelung der Finanzierung der frühkindlichen Bildung bei. Wir haben
bisher ein auf die komplizierten Regelungen für die Personalbemessung und auf die komplizierten Regelungen für die Zusammensetzung der Gruppen aufgesetztes System von Pauschalen, eine Festbetragsfinanzierung.
Wir wollen zu einem Verfahren der Anteilsfinanzierung übergehen. Wir haben ursprünglich gesagt, in einer Übergangsfrist bis zum Ende der Legislaturperiode – also bis 2022 – solle das Land zwei Drittel der Betriebskosten übernehmen. Wir haben uns aus Gründen der Vereinfachung der Abrechnung dafür entschieden, bei der Finanzierung auf einen Anteil an den Personalkosten überzugehen. Das kann man im weiteren Gang der Debatte erläutern.
Es erspart uns die komplizierten Berechnungen bei den Sachkosten, die von Fall zu Fall, von Ort zu Ort und von Träger zu Träger sehr unterschiedlich sind. Aber die Personalkosten sind auf der Grundlage der geltenden Tarifverträge einheitlich berechenbar. 82,5 % der Personalkosten sind zwei Drittel der Betriebskosten.
Das will ich sagen: Dies ist nicht weniger als revolutionär; denn erstens erreicht es, was die Höhe betrifft
und zweitens ist es ein System, das bei wachsenden Bedarfen und wachsenden Kosten, sei es durch zusätzliche Plätze, sei es durch hoffentlich bald steigende Gehälter auch für die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen, dafür sorgt, dass der Landesanteil mitgeht und somit die Belastung für die freien Träger und die kommunalen Träger in Grenzen gehalten wird.
Das ist das eigentlich Bedeutsame, weil damit eine verlässliche und zukunftssichere gemeinsame Finanzierung durch das Land und durch die Kommunen erfolgt.
Letzter Punkt. Wir haben eine Reihe von weiteren Regelungen vorgesehen. Wir werden eine längst überfällige gesetzliche Regelung für die Betreuung von behinderten Kindern in unseren Einrichtungen einführen. Wir streben an – und sehen eine entsprechende gesetzliche Regelung dafür vor; darüber wird morgen noch etwas intensiver zu diskutieren sein –, eine Landeselternvertretung für die Kindertagesstätten einzuführen. Schließlich und endlich wollen wir ein Ende machen mit dem Unfrieden stiftenden § 28 HKJGB, der den interkommunalen Finanzausgleich regelt.
Ich hätte jetzt gern noch dem Kollegen Dr. Bartelt und auch dem Kollegen Boddenberg erklärt, wie das mit den Kosten und der Haushaltsbelastung aussieht. Aber ich vertraue fest auf eine zweite Runde. Bleiben Sie am Sender. Ich komme noch einmal.
Vielen Dank, Kollege Gerhard Merz. – Das Wort hat der Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt, CDU-Fraktion. Bitte.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen legen einen Gesetzentwurf zur Beitragsfreiheit für täglich sechs Stunden über den Zeitraum von drei Jahren und zur Qualitätssteigerung in Kindergärten vor.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU): Eines nach dem anderen! Lasst den Mann ausreden! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Diese Entlastung der Eltern und die Qualitätserhöhung sind mit 440 Millionen € plus 50 Millionen € im Doppelhaushalt solide finanziert. Es wird damit ein Versprechen des Ministerpräsidenten aus dem Jahr 2013 umgesetzt, der im Fall einer vernünftigen Vereinbarung im Länderfinanzausgleich eine spürbare Entlastung für Eltern angekündigt hat.
Die Oppositionsfraktion der SPD legt nun hektisch einen Gesetzentwurf zu diesem Thema vor, der nach ihrer Berechnung einen Betrag von 720 Millionen € jährlich erfordert.
(Günter Rudolph (SPD): Hektisch war nur Ihr Gesetzentwurf! Unserer nicht! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
(Lachen bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Wir haben ja zig Gesetzentwürfe! – Weitere Zurufe von der CDU und der SPD)
und Ihre Haushaltsanträge liegen ja noch gar nicht vor. Derzeit handelt es sich dabei bloß um Gerüchte.
Als Finanzierung wird vorgeschlagen, die geschätzten Einsparungen aus dem Länderfinanzausgleich in Höhe von 550 Millionen € zu verwenden. Den Rest könnte man problemlos finanzieren – so wird die SPD mehrfach zitiert –, wenn man auf sogenannte Prestigeobjekte verzichten würde. Abgesehen davon, dass die Zahlen nirgendwo verlässlich hinterlegt werden können, wird unterstellt, dass in allen anderen Politikfeldern keinerlei begründete Ansprüche entstehen.