Dritte Feststellung. Man könnte darüber noch annähernd diskutieren, wenn die Eignungsempfehlung, die festgestellt wird und die Sie zum Kriterium erheben möchten, zumindest den Tatsachen und der Eignung des Kindes entspräche. Bloß ist es doch so, dass zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler, die am Ende das Abitur machen, nach der Grundschule überhaupt keine Gymnasialempfehlung hatten. Grundschulempfehlungen sind leider nicht immer richtig, um es einmal diplomatisch auszudrücken. Je höher das Einkommen der Eltern bzw. das Bildungsniveau der Eltern ist – das haben wir hier schon alles hoch und runter diskutiert –, umso höher ist das Leistungsniveau der jeweiligen Grundschüler. Selbst bei gleichem Leistungsniveau erhalten die Kinder aus Akademikerhaushalten im Schnitt bessere Bildungsempfehlungen für die weiterführenden Schulen. Das heißt also: So zutreffend ist die Grundschulempfehlung eben nicht immer. Dementsprechend ist auch alles, was diese Empfehlung bei der Schulwahl zu einem Kriterium macht, ad absurdum zu führen.
Vierte Feststellung. Jetzt kann man noch behaupten, auch der Elternwille sei sozial selektiv, weil sich Eltern manchmal ebenso beeinflussen ließen. – Das mag sein. Bloß geht es am Ende gar nicht um die Frage: „Welche Kriterien sind entscheidend?“, denn eigentlich geht es im Kern der Sache darum – das hat auch Frau Cárdenas angesprochen –, dass es in der 4. Klasse im Grunde einfach zu früh ist, darüber zu entscheiden, welchen Abschluss ein Kind machen soll.
Das sieht im Übrigen auch der Landeselternbeirat so. Deshalb brauchen wir mehr Anstrengungen für längeres gemeinsames Lernen, natürlich auf freiwilliger Basis.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich von mir weisen, dass diese neue Schulform, diese neu
verpackte Hauptschule – das ist im Rahmen des Bildungsgipfels gerade in der Diskussion –, die aus der alten Hauptschule besteht und gegebenenfalls noch die einen oder anderen Realschüler dabei hat, die neben sich noch die Realschulen, die Gesamtschulen und die Gymnasien hat und der am Ende nach wie vor eine Rest-Aufsammelfunktion zukommen wird, als „Schule des längeren gemeinsamen Lernens“ zu titulieren ist, wie dies von CDU und GRÜNEN auf dem Bildungsgipfel vorgeschlagen wird. Hierfür das Prädikat „längeres gemeinsames Lernen“ zu verwenden, ist eine Frechheit.
Anstatt also darauf Energie zu verwenden, ob man wieder bindende Grundschulempfehlungen einführt oder nicht, sollten wir uns darauf konzentrieren, zu schauen, wie man längeres gemeinsames Lernen ermöglicht und dies für Schulen attraktiv machen kann, damit sie sich dafür freiwillig öffnen und die Frage der Empfehlung nach der 4. Klasse nicht mehr so hoch bewerten. Das, meine Damen und Herren, ist das eigentliche Ziel.
Die Debatte, die heute angestoßen wurde, gehört in die Siebzigerjahre. Da kann die FDP auch die Farbgebung Magenta und alles, was Sie tun, um sich ein hübsches und frisches Auftreten zu geben, sein lassen. Das ist wirklich ein Griff in die Siebzigerjahre und ein altbackenes Auftreten. Das wird Ihnen leider nicht helfen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Degen. – Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Lorz. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal ausdrücklich begrüßen, dass sich auch die Fraktion der FDP mit dem Problem der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern in weiterführende Schulen, das immer wieder aktuell ist, befasst. Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn mehr Schülerinnen und Schüler die Aufnahme in eine Schule begehren, als es deren Kapazität zulässt, stellt sich alljährlich von Neuem, und zwar – das ist der erste Punkt, der hier zu betonen ist – nicht nur in Frankfurt.
Wir wissen alle, dass der Vorschlag, der hier auf dem Tisch liegt, als Reaktion auf die besonders herausfordernde Situation in Frankfurt, die auch durch die Presse gegangen ist, zu verstehen ist. Es ist eine polittaktisch nachvollziehbare, dennoch populistische Reaktion, einfach ein Paragrafenzeichen davorzusetzen und damit die Landtagsbühne zu suchen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Elternprotest ist nicht populistisch, sondern berechtigt!)
Wenn man an ein solch komplexes Gebilde wie das Hessische Schulgesetz herangeht und damit feste Regeln für das gesamte Land schafft, dann darf man es sich nicht ganz so einfach machen und muss auch die Rück- und Wechselwirkungen der verschiedenen gesetzlichen Regelungen in Betracht ziehen.
In unserem Falle sind das – das ist schon erwähnt worden – vor allem die §§ 70 und 77 des Hessischen Schulgesetzes. Das Verfahren der Aufnahme an der weiterführenden Schule besteht aus verschiedenen Schritten und Entscheidungsprozessen, die eng aufeinander abgestimmt sind. Das gilt insbesondere für das Zusammenspiel des Wahlverfahrens bezüglich des weiterführenden Bildungsgangs und des Aufnahmeverfahrens an der einzelnen Schule. Wenn wir hier isolierte Veränderungen vornehmen, verschiebt sich die gesamte Normenkette und damit die Konsistenz des Gesetzes.
Meine Damen und Herren, aus gutem Grund überlassen wir den Eltern – sicherlich nur nach intensiver Beratung und auf Basis der Empfehlung der Grundschule – die letzte Entscheidung über die schulische Laufbahn ihrer Kinder nach der Grundschule. Dazu gehört das Recht – auch wenn das im Einzelfall ganz sorgfältiger Überlegungen bedarf –, sich in letzter Konsequenz über die Empfehlung der Grundschule hinwegzusetzen.
Wenn wir aber dieser Empfehlung plötzlich eine partielle Rechtsqualität zusprechen, dann wäre die Konsequenz: Wessen Kind keine passende Empfehlung aus der Grundschule mitbringt, kann zwar weiterhin den Bildungsgang frei wählen – so steht es in dem Gesetzentwurf, das habe ich gelesen –, muss aber mit der Schule vorliebnehmen, die übrig bleibt. Damit verschiebt sich das gesamte Bild. Es stellt sich im Übrigen die Frage, ob die Eignungsempfehlung der Grundschule dadurch den Charakter eines Verwaltungsakts annimmt. Das kann dann mit Widerspruch und Klage angegriffen werden. Herr Abg. Greilich, das ist übrigens das, was Ihre vorgeschlagene Nr. 5 von den anderen vier Kriterien unterscheidet. Wir bekämen hiermit eine vorgeschaltete Verwaltungsentscheidung, die verbindlich die Auswahlkriterien festlegt bzw. die Auswahl beeinflusst.
Das bedeutet, dass wir ein rechtssicheres Verfahren des Übergangs von Klasse 4 in Klasse 5 erst einmal mühsam erarbeiten müssten. Wenn ich von „mühsam“ spreche, dann tue ich das auch mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung, die hierbei ebenfalls zu berücksichtigen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1972 festgestellt, dass das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen nicht mehr als notwendig begrenzt werden darf.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat 1988 im Anschluss daran besonders betont, wie wichtig die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei jeder Einschränkung des elterlichen Rechts auf die Wahl der Bildungswege ist.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat zuletzt 2007 einen Versuch abgelehnt, die Eignungsempfehlung und Zeugnisnoten aus der Grundschule als Kriterien in der Verteilerkonferenz zu etablieren.
Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim – der zugegebenermaßen für uns nicht zuständig ist, aber man muss ihn trotzdem im Blick behalten – hat 2010 sogar eine an der Eignung des Schülers ausgerichtete Auswahlentscheidung in Baden-Württemberg für unzulässig erklärt.
Das muss man alles im Blick haben. Das zeigt, dass wir uns auf einem ausgesprochen schwierigen Terrain bewegen. Man muss bei allem, was man überlegt, gerade auch
mit Blick auf die Situation in Frankfurt, berücksichtigen: Wenn man an die grundsätzlichen Auswahlkriterien, die im Hessischen Schulgesetz formuliert sind, herangeht, dann muss man sehr gut überlegen, was gegeneinander abzuwägen ist. Dazu haben wir im weiteren Fortgang des Verfahrens mit Sicherheit noch Gelegenheit.
Ich freue mich auf die Beratungen dieses Gesetzentwurfs und darauf, was es vielleicht noch Neues zu lernen gibt – auch aus der bevorstehenden Kurzintervention von Herrn Greilich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Herr Kollege Greilich hat sich zu Wort gemeldet. Fünf Minuten Redezeit.
Frau Kollegin Wissler, so ist das eben, da gibt es Schwierigkeiten mit der Juristerei im Hinblick darauf, was eine Kurzintervention und was eine Wortmeldung ist. – Ich werde versuchen, es kurz zu machen. Je weniger Zwischenrufe kommen, umso leichter wird es mir gelingen. In der Sache ist es aber so: Wenn man alleine die Vernunft gegen alle verteidigen muss, dann braucht man auch die Zeit dafür.
Herr Prof. Lorz, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, insbesondere auch als qualifizierten Juristen; das ist ja Ihre eigentliche Profession. Ich kann verstehen, dass es Sie drängt, sie intensiv anzuwenden. Die Entscheidung auf der Grundlage des § 70 des Hessischen Schulgesetzes ist auch heute schon ein Verwaltungsakt, unabhängig von dem, was wir beraten und was das Ergebnis dieses Gesetzgebungsverfahrens sein wird. Natürlich wird auch die Normenkette ein Stück weit verschoben, das ist keine Frage. Die Frage ist nur, wie weit sie verschoben wird. Es geht um ein einzelnes Kriterium, ich habe es schon ausgeführt.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, um drei Feststellungen festzuhalten. Es sind relativ einfache Feststellungen. Es ist interessant, was sich in dieser Geschichte für Koalitionen bilden.
Da höre ich Herrn Degen, da höre ich Frau Cárdenas, da habe ich gelesen, was der Landeselternbeirat in Person von Herrn Pilz anführt, sie sind alle gegen diesen Gesetzentwurf. Warum sind sie gegen diesen Gesetzentwurf? Sie sind gegen diesen Gesetzentwurf, weil er sie behindert oder weil sie darin ein Hindernis zu ihren eigentlichen Zielen sehen. Herr Degen hat das relativ qualifiziert ausgeführt. Sie wollen es einfach anders. Sie wollen längeres gemeinsames Lernen. Ihr Ziel ist es nicht, die gymnasialen Bildungsgänge zu stärken. Ihr Ziel ist es, das längere gemeinsame Lernen voranzutreiben. Da sind wir offensicht
lich anderer Auffassung. Dafür ist das das falsche Vehikel; es sei denn, sie wollen mittelbaren Zwang ausüben.
Das Zweite betrifft die GRÜNEN. Was wollen die GRÜNEN? Die GRÜNEN wollen von ihrem Versagen in Frankfurt ablenken, von dem, was ihre Parteifreundin Sorge an Fehlern verbockt hat. Das ist nun einmal so.
Was mich am meisten erschüttert, ist, wie beispielsweise Frankfurter Abgeordnete der Union mit diesem Thema umgehen.
Die Union hat keinen Grund, davon abzulenken, dass Frau Sorge schlechte Politik in Frankfurt macht. Okay, Sie sind mitverantwortlich in dieser Stadt, aber dass Sie hier dokumentieren, dass für Sie Eignung nicht einmal als Hilfskriterium akzeptiert werden soll, sondern dass Ihnen die Eignung von Schülern für einen Bildungsgang schlichtweg völlig egal ist und das nirgends eine Rolle spielen soll, das ist schon enttäuschend. Es ist letztlich nur durch einen einfachen Tatbestand erklärbar: Die Gymnasien in Hessen geraten unter Beschuss.
Sie geraten in eine schwierige Situation. Wir werden aufpassen. Sie können sich die Botschaft aus der heutigen Debatte mitnehmen: Wir werden aufpassen, dass das nicht sang- und klanglos passiert.
Wir überweisen den Gesetzentwurf der FDP an den Kulturpolitischen Ausschuss zur Vorbereitung der zweiten Lesung.
Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes und anderer Vorschriften – Drucks. 19/2062 zu Drucks. 19/1852 –