Protokoll der Sitzung vom 03.02.2016

(Nicola Beer (FDP): Nein, wirklich nicht!)

Also, Strich drunter. Planungssicherheit mit uns, Zuverlässigkeit mit uns, Gesetzeslage aus einem Guss – das alles gibt es mit Schwarz-Grün. Das ist auch gut so. Darüber sind wir froh. Die Menschen sind im Übrigen auch froh darüber, dass das so ist.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Das werden die Menschen am 6. März auch so goutieren. Ich sage es Ihnen noch einmal in aller Klarheit: Dieser Gesetzentwurf hätte ohne die Frankfurter Situation und ohne Ihr Ziel, jetzt mit Blick auf die Kommunalwahl einen solchen Spaltpilz zu setzen, nie das Licht der Welt erblickt. Das ist durchsichtig. Das ist das alte Prinzip: keine Zuverlässigkeit bei Ihnen und Opportunismus pur. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Schwarz. – Das Wort hat Frau Kollegin Cárdenas, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind dankbar, dass die Kollegin und die Kollegen von der FDP diesen Entwurf eingebracht haben. Er ist völlig inakzeptabel, das ist klar, aber er gibt erneut Gelegenheit, einen Blick auf dieses verunglückte Schulsystem zu werfen.

Schon in der schriftlichen Anhörung wurde deutlich: Es herrscht große Unzufriedenheit, nicht etwa mit den bisherigen Kriterien, nach denen die Schülerinnen und Schüler für die weiterführenden Schulen ausgewählt werden, was im Übrigen in der tatsächlichen Praxis ganz anders aussieht – darauf werde ich noch einmal eingehen –, sondern mit dem Vorgang der Auslese an sich.

Zur tatsächlichen Praxis. Es ist nämlich so, dass Schulen längst nicht nur nach den vier im Schulgesetz verankerten Kriterien auswählen, sondern dass es an vielen Schulen schon Vorauswahlverfahren gibt. Das heißt, noch bevor das eigentliche Schulwahlverfahren im Frühjahr startet, haben viele Schulen ihre Schülerauswahl schon längst getroffen. Sie haben Bewerbungsschreiben entgegengenommen und persönliche Gespräche geführt. Wohlgemerkt: vor Beginn des eigentlichen Auswahlverfahrens. Das ist aber eine andere Baustelle, die wir demnächst angehen werden.

Die FDP hat diesen Gesetzentwurf aufgrund der katastrophalen Schulsituation in Frankfurt eingebracht. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen eines sagen: Katastrophal sind eigentlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die zu solchen Problemen führen. Lassen Sie mich bitte aus der Anhörung Ilse Marie Krauth, Vorsitzende des hessischen Grundschulverbands, zitieren:

Ohne die Kompetenz der Grundschulkolleg(inn)en infrage stellen zu wollen, ist die nach § 77 Abs. 3 von der Klassenkonferenz beschlossene Empfehlung für den gewählten Bildungsgang nur bedingt geeignet, Aussagen über den weiteren Schulerfolg zu tref

fen. Der frühe Zeitpunkt, zu dem diese Eignung ausgesprochen werden muss, erlaubt vielfach keine tragfähige Prognose. Der vorliegende Gesetzentwurf verschärft die Selektion, die – bedingt durch ein „begabungsgerechtes gegliedertes Schulsystem“ – ohnehin schon besteht.

Wohlgemerkt, das ist die Stellungnahme des Grundschulverbandes, also der unmittelbar Betroffenen und unmittelbar Beteiligten.

Wenn Herr Greilich eben bestimmte Stellungnahmen diskreditiert und damit deren Organisation herabgewürdigt hat, dann sollte den Mitgliedern des Hohen Hauses doch zu denken geben, dass es sich bei diesen Organisationen um diejenigen handelt, deren Mitglieder vor allem berechtigt sind, ihre Ablehnung kundzutun. Denn vor allem sie gestalten die Schulen. Das ist der Grundschulverband, Landesgruppe Hessen. Das sind die legitimierten Vertreter der Gruppen der Eltern, der Schüler und der Lehrer. Das ist die agah, also die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen, und es ist der Ganztagsschulverband. Das alles sind die unmittelbar Betroffenen und Beteiligten. Das sind diejenigen, die dieses Schulsystem tragen und leben. Davon abgesehen, dass sich damit dieser Gesetzentwurf sowieso erledigt haben sollte, wirft diese vehemente Ablehnung nicht nur Fragen, sondern vor allem Handlungsbedarf auf.

Eines möchte ich an dieser Stelle auch noch erwähnen: Mir ist der Elternwille nicht das Wichtigste. Eltern wollen immer das Beste für ihre Kinder. Mir ist viel wichtiger, dass wir diese ganzen Probleme überwinden könnten, wenn wir diese mittlerweile völlig ausgeuferte hierarchische Mehrgliedrigkeit auf ein klares gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse zurückführen könnten.

(Beifall der Abg. Hermann Schaus und Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Die Vertreter des Grundschulverbandes sagen, es könne zu einem so frühen Zeitpunkt keine valide Prognose erstellt werden. Sie betonen die Notwendigkeit der individuellen Förderung einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers. Ich kann Ihnen als Diplom-Psychologin bestätigen, dass das Auseinanderreißen eines Klassenverbandes nach der 4. Klasse für viele der Kinder der größte und beängstigendste Schritt ist, den sie nie freiwillig gehen würden.

Wir sollten uns endlich unseren europäischen Nachbarn anschließen: Diese frühe Auslese muss überwunden werden. Herr Irmer, gemeinsames Lernen von der 1. bis zur 10. Klasse darf endlich nicht nur an Privatschulen möglich sein.

(Beifall der Abg. Hermann Schaus, Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE) und Turgut Yüksel (SPD))

Damit würden wir nicht nur den Kindern und Jugendlichen gerecht. Wir würden auch einen ganz entscheidenden Schritt hin zu einem inklusiven Schulsystem machen. Probleme wie die Verfügbarkeit an Gymnasialplätzen oder, wie hier in Wiesbaden, an Plätzen auf einer integrierten Gesamtschule würden damit endgültig der Vergangenheit angehören.

Ich finde es schrecklich, dass Schülerinnen und Schüler während der gesamten 4. Klasse darum bangen, einen Platz auf ihrer Wunschschule zu bekommen, dass im Herbst schon Bewerbungsschreiben an weiterführende Schulen herausgehen und von den dortigen Leiterinnen und Leitern

Bewerbungsgespräche geführt werden. Das kann doch nicht die Praxis in einem angeblich gerechten und sozialen Schulsystem sein.

Mit diesem Gesetzentwurf als Gesetz würde in Kauf genommen, dass die eh schon nicht tragbare Situation noch weiter verschärft würde. Wir werden den Gesetzentwurf zurückweisen, aber möchten eindringlich darum bitten, dass er als Anlass und Anstoß zum Umdenken genommen wird. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Kollege Daniel May für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Auch trotz aller Bemühungen der Mitglieder der FDPFraktion während der ersten Lesung und auch während der heutigen Lesung des Gesetzentwurfs ist doch hinreichend klar geworden, dass dieser, wie Herr Greilich sagte, Gesetzentwurf zur Schulwahlfreiheit als Gesetz genau das Gegenteil von dem bewirken würde, was Sie sagen. Es wäre dann ein Gesetz zur nicht freien Schulwahl. Denn damit würden Sie den Elternwillen beschneiden.

Von daher sind Ihre Erklärungsversuche fehlgeleitet. Sie gehen nach hinten los. Das, was Sie als ein Stück aus dem Tollhaus bezeichnen, ist letztendlich die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder, selbst entscheiden zu dürfen, auf welche weiterführende Schule sie gehen. An diesem Prinzip wollen wir festhalten. Ich werde Ihnen auch erläutern, warum das sachgerecht ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Armin Schwarz (CDU))

Wir haben die Entscheidung, auf welche weiterführende Schule die Kinder nach der Grundschule gehen, bewusst in die Hände der Eltern gegeben. Wir stellen ihnen aber die Empfehlung der Grundschule anheim. Die Grundschule stellt diese Empfehlung anhand der Erfahrungen aus, die die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer mit dem Kind in der Schule gemacht haben, und anhand der Leistungen, die das Kind in der Grundschule gezeigt hat.

Die Grundschullehrerinnen und -lehrer sagen selbst – das haben sie in der Anhörung deutlich ausgeführt –, dass das nur eine Empfehlung sein soll. Die Grundschullehrer sagen selbst, dass sie nicht möchten, dass diese Empfehlung zu einem zwingenden Kriterium für die Entscheidung zur Aufnahme in einem Gymnasium wird.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Nein. Die Grundschullehrer haben genau das gesagt. Das passt Ihnen gerade nicht. Herr Greilich, das ist aber fachlich angezeigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Grundschullehrer sagen selbst, dass das eine Überlastung dieser Grundschulempfehlung wäre und dass sie dafür sind, dass die Eltern im Gespräch mit den Vertretern der Schulen anhand der Empfehlung darüber entscheiden sollen, welchen Weg ihr Kind gehen soll, und dass das nicht von dieser Empfehlung abhängig gemacht werden soll.

Das bedeutet im Klartext: Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule können eine Prognose über den späteren Schulerfolg im Gymnasium abgeben. Aber das muss nicht der Fall sein.

Vielmehr hat sich mehrfach das Gegenteil bewiesen. Trotz schlechter Leistungen und anders lautender Empfehlung der Grundschule sind Schülerinnen und Schüler sehr erfolgreich auf das Gymnasium gegangen. Von daher wäre es ein Irrweg, den Weg zu gehen, den Sie vorhaben, nämlich eine zwingende Maßgabe für den Besuch des Gymnasiums einzuführen. Von daher lehnen wir diesen Angriff auf den freien Elternwillen ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege Greilich will Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

(Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Vielen Dank. – Herr Kollege May, könnten Sie mir bitte einmal erklären, wie das funktionieren soll, dass die Eltern aufgrund der Empfehlung der Grundschule entscheiden, ob sie ihre Kinder auf ein Gymnasium schicken oder nicht, wenn Sie keine Gymnasialplätze zur Verfügung stellen?

Sehr verehrter Herr Greilich, vielen Dank für die Rückfrage. Denn das bringt mich zu einem weiteren Zitat von Ihnen. Sie haben die Elternwahl ein Stück aus dem Tollhaus genannt. Diese Entscheidung wird Jahr für Jahr von Tausenden Eltern sehr wohl und sehr verantwortungsvoll getroffen. Von daher glaube ich, dass sich die Unterstellung, dass die Eltern das nicht verantwortungsvoll machen würden, selbst richtet. Ich glaube, dass unsere Eltern mündig genug sind, diese Entscheidung zu treffen.

Vor allen Dingen muss man fragen: Welche Konsequenz hätte es denn, wenn wir der Grundschulempfehlung diese Maßgabe angedeihen lassen würden? – Das würde doch dazu führen, dass der Leistungsdruck für die Schülerinnen und Schüler zunehmen würde. Dann wäre ein angstfreies Lernen in der Grundschule weniger möglich, als das bisher der Fall ist.

Sie haben auf die Situation in Frankfurt hingewiesen. Da war es in der Tat so, dass dort zeitweise nicht genügend Gymnasialplätze zur Verfügung standen. Sie haben aus dem Artikel des Herrn Trautsch zitiert. Ich möchte Herrn Trautsch deshalb auch zitieren. Er hat nämlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben – das ist dieselbe Ausgabe, aus der auch Sie zitiert haben –:

Während andernorts Schulen schließen oder zusammengelegt werden, ist Frankfurt dank der steigenden Schülerzahl in der Lage, neue Bildungsstätten zu eröffnen. Zu diesem Schuljahr kam das Gymnasium Nied hinzu, das 2018 in die Nachbarschaft der Goethe-Universität ziehen und mit seinem geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt ein Teil des Campus Westend werden soll.

Als Nächstes eröffnet in der Siedlung Westhausen das Gymnasium Nord, …

Wie kann man davon sprechen, dass die einzige Konsequenz aus einem temporären Mangel an Plätzen an einem bestimmten Ort die wäre, den Elternwillen auszuhebeln, wenn doch das viel sachgerechter ist, was Frankfurt jetzt macht, nämlich die Anzahl der Plätze an den Gymnasien jetzt auszubauen? – Das ist doch sachgerecht, und nicht das, was Sie dem Haus heute vorschlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Von daher kann ich auch beim besten Willen nicht nachvollziehen, dass Sie hier dem Kollegen Schwarz vorwerfen, die Zahl der Plätze an den Gymnasien solle zurückgeschnitten werden, oder die Gymnasien sollten verkauft werden, weil doch in Frankfurt genau das Gegenteil der Fall ist. Dort werden die Plätze ausgebaut. Die Stadtregierung hat auf die Nachfrage reagiert. Es werden neue Schulen eröffnet.

Ich glaube, dass das, was Sie hier vorschlagen, nicht sachgerecht ist. Sie wollen die Frage, die mit dem Schulentwicklungsplan in Frankfurt richtig angepackt wird, mit einer Grundsatzentscheidung verkoppeln, nämlich mit der Grundsatzentscheidung, wer das Sagen haben soll, wo die Schülerinnen und Schüler nach Abschluss der Grundschule hingehen. Wir sagen: Die Entscheidung soll bei den Eltern liegen. – Sie sagen: Die Eltern sollen da weniger zu sagen haben. – Das ist nach meinem Dafürhalten das Gegenteil von Liberalität. Ich glaube, das ist Staatsoktroyismus.

Von daher glaube ich, dass unser Vorschlag, nämlich Ihren Vorschlag zurückzuweisen, der zielführende ist. Ich habe die leichte Vermutung, dass das auch eine große Mehrheit hier im Hause so sehen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)