Daher stehen die Demonstrationen am kommenden Samstag nicht nur gegen TTIP und CETA, sondern auch für einen gerechten Welthandel. Immer mehr Menschen – nicht nur Ökonomen – erkennen, dass es ein Fehler war, die Märkte nur zu deregulieren, die Kapitalströme zu liberalisieren und den globalen Konkurrenzkampf immer weiter zu verschärfen. Ohne verbindliche Regeln, und ohne auch die negativen Effekte zu bedenken, führen diese Maßnahmen allesamt ins Chaos.
Es kommt nicht von ungefähr, dass eine Studie der Weltbank zu dem Ergebnis kommt, dass von den wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre weltweit insbesondere der reichste Teil der Einkommensbezieher profitiert hat. Deren Einkommen stiegen seit 1988 noch einmal um 60 %. Die Einkommen der ärmsten 5 % der Weltbevölkerung hingegen sanken seit 1988 weiter.
Diese Zahlen zeigen, dass wir keine weiteren Freihandelsabkommen brauchen, sondern über „internationale Harmonisierungsabkommen“ reden müssen, wie sie der US-Ökonom Larry Summers fordert. Wir müssen Abkommen entwickeln, in denen die Arbeitnehmerrechte und der Umweltschutz Vorrang haben.
Ein solcher Wandel in der globalen Wirtschaftspolitik ist zwingend notwendig, wenn wir Rechtspopulisten, die die globalisierungskritische Stimmung für ihre eigenen nationalistischen Ziele nutzen, stoppen wollen.
Mit den Demonstrationen am kommenden Samstag werden wir ein deutliches Zeichen gegen diese Freihandelsabkommen und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung setzen.
Vielen Dank, Herr van Ooyen. – Als Nächster spricht Abg. Clemens Reif für die CDU-Fraktion. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Handelsabkommen CETA und TTIP wurde in den letzten Wochen und Monaten viel diskutiert. Das gipfelt wieder einmal in Großdemonstrationen – dieses Mal am nächsten Wochenende in sieben Großstädten.
Zu Ihnen komme ich gleich, Frau Wissler. – Die Meinungen hierüber gehen auseinander, wie so oft im Hessischen Landtag. Während die eine Seite in den Abkommen große Chancen für die Wirtschaft sieht, befürchtet die andere Seite für die Wirtschaft und vor allem für die Verbraucher große Risiken und Nachteile.
Meine Damen und Herren, sobald das Abkommen in Kraft tritt und die Übereinkunft Wirkung zeigt, gibt es bessere Möglichkeiten für Geschäfte mit Kanada, die die Beschäftigung fördern, insbesondere in Deutschland und in Europa. Zölle und Zugangsbeschränkungen bei öffentlichen
Aufträgen werden beseitigt. Das Abkommen wird Dienstleistungsmärkte öffnen und damit Chancen erweitern. Es wird den Investoren verlässliche Bedingungen bieten und den Umfang der Investitionen erhöhen. Es wird auch die illegale Nachahmung von Innovationen und traditionellen Erzeugnissen in unserem Land und in anderen europäischen Ländern erschweren.
Die europäischen Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechte werden von dem Abkommen uneingeschränkt gewahrt. Das Abkommen stellt auch sicher, dass die wirtschaftlichen Vorteile nicht auf Kosten der Demokratie, des Umweltschutzes und der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher gehen – anders, als Herr van Ooyen sagte. Ganz im Gegenteil, CETA könnte dazu beitragen, Wachstum und Beschäftigung in Europa und insbesondere in Deutschland als der wichtigsten Exportnation innerhalb der EU anzukurbeln. Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür nennen; genau das bewirken nämlich die von der EU in letzter Zeit abgeschlossen Freihandelsabkommen. In den vier Jahren seit dem Inkrafttreten des Abkommens mit Südkorea war ein rascher Anstieg der Ausfuhren in dieses Land zu verzeichnen. Man höre und staune: Es gab eine 55-prozentige Steigerung bei Waren und eine Steigerung von über 40 % bei Dienstleistungen. Unabhängige Studien bestätigen, dass CETA sogar zu einer noch stärkeren Steigerung von Handel und Investitionen führen könnte.
Ich möchte Ihnen eine weitere Zahl nennen. Besonders wichtig ist dabei, zu wissen, dass ein Ausfuhrvolumen von 1 Milliarde € durchschnittlich 14.000 Arbeitsplätze bedeutet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurzeit beträgt das Ausfuhrvolumen allein nach Kanada rund 500 Millionen €. Wenn wir dieses auch nur verdoppelten, würde das 7.000 zusätzliche Arbeitsplätze bedeuten. Wir haben heute Morgen über 4.000 Arbeitsplätze bei K+S gesprochen und haben uns leidenschaftlich darüber auseinandergesetzt. Ich würde mich freuen, wenn wir uns über 7.000 mögliche Arbeitsplätze ebenso leidenschaftlich auseinandersetzen würden wie heute Morgen im Falle von K+S.
Besonders wichtig ist dabei die Entlohnung dieser Arbeitsplätze. Sie ist tendenziell höher als bei Arbeitsplätzen in der Binnenwirtschaft, weil zusätzliche Qualifikationen notwendig sind, wie Sprachkenntnisse, geschliffene internationale Umgangsformen, Verhandlungsgeschick und vieles andere mehr. Das heißt, es sind gerade Jobs mit einem höheren Qualifikationsprofil. Das könnten Arbeitsplätze für viele junge Leute werden, die bisher in sogenannten Projektarbeiten gefangen sind und natürlich nach sicheren Jobs Ausschau halten.
Durch CETA werden alle Zölle für gewerbliche Waren beseitigt, was den europäischen Exporteuren Einsparungen von rund 600 Millionen € bringen würde. Für deutsche Exporteure wären es etwa 400 Millionen €, also zwei Drittel davon.
Die Abschaffung der Zölle erfolgt rasch, zumeist sofort. Die meisten entfallen bereits mit dem Inkrafttreten des Abkommens. Sieben Jahre später sollen im Handel mit Kanada keinerlei Zölle mehr auf Industrieprodukte erhoben werden.
Vorteile ergeben sich auch für die Importeure von Waren aus Europa, da die Kosten für die zur Herstellung ihrer
Auch in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor werden Zollabgaben weitgehend beseitigt. 92 % der Agrarund Nahrungsmittelerzeugnisse der EU könnten dann zollfrei nach Kanada exportiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine Fülle von empfindlichen Erzeugnissen – wie Rindfleisch, Schweinefleisch und Zuckermais auf der EU-Seite sowie Milcherzeugnisse auf kanadischer Seite – wird durch CETA der präferierte Zugang auf bestimmte Quoten beschränkt. Eine Öffnung für Geflügel oder Eier erfolgt durch CETA auf keiner Seite. Die EU-Einfuhrpreisregelungen werden aufrechterhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich, weil Herr van Ooyen auch das TTIP-Problem in die Diskussion eingewoben hat, etwas zum Verbraucherschutz und zum Umweltschutz sagen. Ich nenne nur das Beispiel VW. In den Vereinigten Staaten und auch in Kanada bekommt jeder Eigentümer eines Dieselfahrzeugs von Volkswagen eine Entschädigung in Höhe von 15.000 €. In Deutschland bekommt der Verbraucher, der ein baugleiches Auto gekauft hat, überhaupt nichts. – So viel zum Verbraucherschutz in den beiden Ländern.
Man kann also nicht generell sagen, der Verbraucherschutz in den USA oder in Nordamerika ist des Teufels, und wir in Europa leben in einem Land, wo Milch und Honig fließen. Nein, das Gegenteil ist der Fall.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schauen wir uns den Diesel-Skandal an. Wo ist er denn aufgedeckt worden? – So weit zum Umweltschutz. Der Diesel-Skandal wurde in den Vereinigten Staaten aufgedeckt. Auch in dieser Hinsicht muss man schon ein bisschen abwägen. Mir ist es recht, wenn Mythen aufgebaut werden. Aber manchmal spielen die Fakten eine größere Rolle als die Mythen. Das sind zwei Beispiele, bei denen man sagen kann, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern es gibt auch Töne dazwischen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Hessen bezogen, möchte ich sagen: Die Einfuhren von Waren aus Kanada belaufen sich im Berichtsjahr 2015 auf rund 550 Millionen €, und die Ausfuhren hatten ebenfalls einen Wert von rund 540 bis 550 Millionen €. Wenn ich den nordamerikanischen Markt dazunehme, dann haben wir Ein- und Ausfuhren in den nordamerikanischen Markt von rund 10 Milliarden €, allein auf Hessen bezogen. 10 Milliarden € Ausfuhren und 10 Milliarden € Einfuhren, das bedeutet einen Handelsaustausch von 20 Milliarden €. Wenn wir Zollerleichterungen haben und wenn wir all das haben, was ich eben beschrieben habe, dann werden wir als die stärkste Exportnation in Europa und damit auch als die stärkste Importnation sicherlich der größte Gewinner dieser Geschichte sein.
Herr van Ooyen, ich habe manchmal den Eindruck, dass bei Ihnen nicht nur die Sache eine Rolle spielt, sondern dass auch ein gewisser Schuss an Antiamerikanismus eine große Rolle spielt.
(Beifall bei der CDU und der Abg. Nicola Beer (FDP) – Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist lächerlich!)
Frau Wissler, wenn man bedenkt, was in diesen Demonstrationen für Plakate hochgehalten werden, insbesondere von denen, die Sie tatkräftig unterstützen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Schluss kommen und zusammenfassen. Das Freihandelsabkommen mit Kanada – das ist Ihr Thema, aber auch das Freihandelsabkommen mit den USA – bietet große Chancen für Unternehmen, aber auch für Verbraucher. Wir müssen die Risiken im Auge behalten; das ist auch eine Angelegenheit für die Kanadier selbst. Die Diskussion verträgt keinen Populismus, sondern sie bedarf einer sorgfältigen Analyse. Nach dieser sorgfältigen Analyse werden wir zu einem Ergebnis kommen, das unserem Standort, dem Exportstandort Deutschland und seinen Arbeitnehmern, Rechnung trägt und damit zum Schluss einen Gewinner hat. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Reif. – Als Nächste hat Frau Kollegin Hammann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das geplante Handelsabkommen mit Kanada, CETA, wird ebenso wie das noch nicht abgeschlossene Handelsabkommen mit den USA in der Öffentlichkeit recht kritisch diskutiert. Wir müssen feststellen, dass es zahlreiche Demonstrationen geben wird. Am 17. September wird es in mehreren Großstädten in Deutschland zu Demonstrationen kommen, auch in Frankfurt wird es zu einer Demonstration kommen. Man muss auch feststellen, die Aufrufer zu diesen Demonstrationen sind sehr verschieden. Ich nenne sie einmal: Umweltinstitut München, Brot für die Welt, kleine und mittlere Unternehmen gegen TTIP, Umweltverbände, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, DGB, und es sind auch andere dabei.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Da sind wir in bester Gesellschaft! – Stephan Grüger (SPD): Alle antiamerikanisch!)
Diese breite Protestbewegung findet große Aufmerksamkeit innerhalb der Bevölkerung, auch bei Menschen, die sich mit TTIP und CETA intensiv auseinandergesetzt haben. Wie intensiv, das ist natürlich zu hinterfragen. Man
Aber es ist das gute Recht und selbstverständlich die freie Entscheidung jeder Person, sich an den Demonstrationen zu beteiligen. In unserem gemeinsamen Antrag mit der CDU betonen wir nachdrücklich das Recht auf Meinungsund auf Demonstrationsfreiheit. Wir sehen eine friedliche Demonstration aus der Zivilgesellschaft als einen wichtigen Teil der demokratischen Kultur an. Es ist das gute Recht aller Menschen, Aufrufe mit zu unterzeichnen und an Bündnissen teilzunehmen. Deshalb – das wurde eben schon von den LINKEN gesagt – hat auch unsere Partei zur Teilnahme an diesen Demonstrationen aufgerufen.
Ich halte es auch für wichtig, dass sich nicht nur die Politik, sondern auch die Zivilgesellschaft für wichtige Entscheidungen interessiert und sich einbringt. Das mag unbequem sein, aber es ist wichtig, dass sich gerade die Zivilgesellschaft für diese weitreichenden Entscheidungen interessiert und sich überall deutlich dazu äußert,
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (frakti- onslos))
gerade auch dann, wenn im Fall von TTIP und CETA wichtige Entscheidungen von der Europäischen Union verhandelt werden und die Transparenz – darüber haben wir im Hessischen Landtag einmal gesprochen – über die Inhalte und Ziele doch stark verbesserungswürdig erscheint.
Meine Damen und Herren, man kann doch auch sagen, dieses Einmischen war durchaus erfolgreich. Der Protest hat bereits dazu geführt, dass nicht nur bei der Daseinsvorsorge der Trinkwasserbereich aus dem nun vorliegenden Handelsabkommen CETA herausgenommen wurde, sondern auch die ursprünglich vorgesehenen Regelungen zum Investitionsschutz, das Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren, das ISDS-System, deutlich nachgebessert wurde.