Protokoll der Sitzung vom 24.01.2017

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wir haben auch leider keine Anhörung mehr – weder eine schriftliche noch eine mündliche –, in der wir das noch einmal hätten vertiefen können, beispielsweise im Austausch mit den Kommunalen Spitzenverbänden, wo man das hätte erörtern können, was tatsächlich gebraucht würde, um eine vollständige Entlastung der Eltern von Kindertagesstättengebühren zu erreichen. Das ist keine triviale Aufgabe. Wir setzen uns gerade mit ihr vertieft auseinander. Und man hätte erörtern können, was gebraucht würde, wenn man das zu einem einheitlichen Fördertatbestand zusammenfassen will, um eine substanzielle Trägerentlastung tatsächlich zu erreichen.

Dazu schweigt sich Ihr Entwurf, und auch seine Begründung, vollkommen aus. Sie haben eine gegriffene Zahl genannt. Ich verstehe, dass einem das mit den 260 Millionen € und den 520 Millionen € am Anfang passieren kann. Aber die 520 Millionen € – auch das habe ich in der ersten Lesung gesagt –, die Sie eingesetzt haben, sind im Grunde vollkommen gegriffen, und man kann nicht nachvollziehen, woher diese Zahl kommt.

Im Übrigen haben Sie gesagt, es gebe einen schrittweisen Übergang. – Das ist nicht der Fall. Sie haben einfach § 32c gestrichen, sofort und gleich. Das kann man machen. Aber dann kann man nicht mehr von übergangsweiser Gebührenbefreiung reden, sondern das ist dann mit einem Schlag. Wie gesagt, das kann man wollen, aber Sie haben „schrittweise“ gesagt. Sie haben auch manches andere gesagt, was nach meiner Lesart nicht mit einer ordnungsgemäßen Gesetzeserarbeitung in Einklang zu bringen ist. Jedenfalls war das einer der vielen Widersprüche auch heute in Ihrer Darstellung.

Ich will hier kurz das skizzieren, was wir anstreben. Wir werden sehr sorgfältig den Evaluationsbericht studieren. Das haben wir schon getan. Wir werden sehr aufmerksam an dem runden Tisch teilnehmen. Wir werden sehr aufmerksam und sehr aktiv an der Ausschussberatung teilnehmen, die es dazu geben wird. Wir werden dann gemeinsam im Gespräch mit den Trägern, mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Gewerkschaften, mit den anderen Akteuren darüber beraten, welcher Reformbedarf für das KiföG aus den Erfahrungen aus der Praxis resultiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann wird auch die Frage der grundsätzlichen Fördersystematik wieder auf dem Tisch sein, also die Frage, ob es bei der Finanzierung pro besetzten Platz mit all den komplexen Berechnungsmodalitäten und all den komplexen Finanzierungsmodalitäten bleiben kann oder ob es klüger ist, die Finanzierung und die Verteilung der Finanzierung zwischen den Kommunen, dem Land und gegebenenfalls dem Bund auf eine neue, auch juristische, gesetzliche Geschäftsgrundlage zu stellen. Das ist Punkt eins.

Darin eingebettet werden wir einen Vorschlag für die stufenweise Abschaffung der Kindergartenbeiträge

(Beifall bei der SPD)

unter Einbeziehung der Mittel machen, die durch die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zur Verfügung stehen, von denen der Ministerpräsident gesprochen hat, als er sagte: Wenn wir dieses Geld haben, dann können wir über Gebührenbefreiung reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das werden wir tun. Wir werden Ihnen Anlass bieten, darüber nicht nur hier zu reden, sondern sich dazu auch politisch zu einem Gesetzentwurf zu verhalten, der allerdings nicht nur diese Frage regelt, sondern der dann auch die anspruchsvolle Aufgabe mit in Angriff nimmt, die Konsequenzen aus den Erfahrungen mit dem KiföG zu ziehen. Das ist keine triviale Aufgabe. Deswegen nehmen wir uns dafür Zeit.

Wir hatten einen Anlauf für einen Schritt gemacht. Aber wir glauben, dass gerade vor dem Hintergrund der Evaluation des KiföG und auch der Weiterentwicklung der Gebührenbefreiungsdebatte, die mittlerweile landauf, landab auf allen Ebenen geführt wird, weitere Schritte notwendig sind. Deswegen wollen wir das in einen einheitlichen Gesetzgebungsvorschlag bringen.

Wir werden uns bei dieser Gelegenheit auch mit der Frage befassen, wie die Finanzierungsmodalitäten und wie die Verteilung der Kosten für die Kinderbetreuung geregelt werden können, die gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Kosten sind. Da gebe ich dem Kollegen Rock ausdrücklich recht; das haben wir hier in vielen Debatten schon herausgearbeitet. Sie sind gesamtgesellschaftliche Investitionen und ziehen deswegen auch gesamtgesellschaftliche Finanzierungsnotwendigkeiten nach sich. Dies muss geregelt werden zwischen Bund, Ländern und Kommunen, aber ohne dass die Eltern dadurch belastet werden – aus den vielen Gründen, die hier schon vorgetragen worden sind, warum Elternbeiträge in der gegenwärtigen Lage einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Deswegen ist auch hier der größte Veränderungsbedarf. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Merz. – Zu einer Kurzintervention hat sich Frau Wiesmann, CDU, gemeldet.

Lieber Herr Kollege Merz, es ist mir doch ein Bedürfnis, zu einem Punkt Stellung zu nehmen. Sie haben mich kritisiert, auch nicht zum ersten Mal. Sie haben mich ein bisschen in die Ecke gestellt, nach dem Motto: Die Vertreterin der CDU ist rückwärtsgewandt und – das haben Sie

nicht gesagt, aber es ist neulich einmal angeklungen – fürchtet die Verstaatlichung der Kindheit. Das war Ihre Formulierung.

Ich möchte Sie gerne etwas fragen. Ich habe den Vorwurf an die Linkspartei – und nur an die Linkspartei, weil ich genau weiß, wo ich ihn loswerden muss und wo nicht – im Hinblick auf einen ganz spezifischen Punkt erhoben, zu dem Sie sich interessanterweise auch jetzt in dieser Rede nicht geäußert haben. Mich interessiert, was Sie davon halten.

Von Trägervielfalt ist im gesamten Gesetzentwurf der Linkspartei überhaupt nicht mehr die Rede. Der entsprechende Passus ist gestrichen, und die erhöhten Grundpauschalen – darauf haben Sie implizit hingewiesen – für nicht staatliche Träger fallen weg. Es gibt einen weiteren Passus, der ersatzlos gestrichen wurde. Ich will ihn noch einmal nennen. Darin heißt es, es bestehe eine Verantwortung des Trägers der Tageseinrichtungen „für die Ausgestaltung und Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsauftrages unter Mitwirkung der Erziehungsberechtigten“. Die Linkspartei schlägt vor, dies ersatzlos zu streichen. Das ist mir erst beim dritten Lesen aufgefallen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das ist für mich ein ganz grundsätzlicher Punkt, und ich befürchte, er würde unabhängig davon wirken, ob man Beiträge erhebt oder nicht. Denn wenn so etwas in einem Gesetzentwurf nicht mehr steht, dann heißt das, dass Eltern in ihren Gestaltungs- und Entscheidungsrechten im Hinblick auf die Erziehung ihrer Kinder massiv beschnitten werden.

(Beifall bei der CDU)

Denn sie haben als Ansprechpartner in dieser Partnerschaft nicht mehr den Träger, und sie haben auch nicht mehr die Auswahl. Das ist ein massiver Eingriff in Elternrechte, den ich dann in Verbindung mit der kompletten Gebührenfreiheit, die hier mit der Gießkanne und sofort mit allen Kritikpunkten, die Sie auch angesprochen haben, empfohlen wird, für in der Wirkung fatal halte, auch wenn es nicht so offensichtlich ist.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Wiesmann.

Ich komme zum Schluss. – Herr Merz, mich würde interessieren, wie das die SPD sieht, der ich an dieser Stelle ein differenzierteres Weltbild zutraue. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Frau Wiesmann. – Herr Merz, zur Antwort.

Herr Präsident! Frau Wiesmann, ich will Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Die unterschiedlichen Pauschalen für kommunale und für freie Träger haben mit der Trägervielfalt zunächst einmal nichts zu tun.

(Zuruf der Abg. Bettina Wiesmann (CDU))

Ich sehe nicht wirklich, wodurch eine niedrigere Pauschale für kommunale Einrichtungen – nicht staatliche, Frau Kollegin – im Verhältnis zu den freien Trägern gerechtfertigt wäre. Das hat aber nach meinem Verständnis nichts mit dem Aspekt der Trägervielfalt zu tun. Sehr viel spricht aber für die Aufrechterhaltung der Trägervielfalt, und Sie haben keinen Anlass, an unserer Position dazu zu zweifeln.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe hier immer gesagt: An der Stelle bin ich ein dogmatischer Verfechter der Subsidiarität, genauso wie ich ein dogmatischer Gegner der Kindergartenpflicht bin. Auch das wissen Sie.

Zum letzten Punkt. Ich sage noch einmal: Wenn man etwas gegen unterschiedliche Pauschalen hat – diese Frage haben Sie zuerst angesprochen –, dann hat das mit Trägervielfalt erst einmal gar nichts zu tun. Man kann das auch als Stärkung der Trägervielfalt betrachten. Denn viele Kommunen gehen mittlerweile dazu über, unter anderem weil es so ist, wie es ist, ihre eigenen Kindertagesstätten abzugeben, auszulagern und freie Träger damit zu beauftragen. Das führt zu der Situation, dass wir in manchen kommunalen Gebietskörperschaften keine kommunalen Einrichtungen mehr haben. Das würden Sie unter dem Aspekt der Trägervielfalt nicht unbedingt begrüßen können.

An der Stelle wäre ich also vorsichtig mit meiner Argumentation. Das andere, was Sie gesagt haben: Das ist mir in der Tat entgangen. Ich würde das für uns nicht teilen. Aber da wir den Gesetzentwurf sowieso ablehnen, steht das auch nicht zur Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Merz. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Bocklet das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der LINKEN sieht im Wesentlichen zwei Bausteine vor. Das eine ist der Beginn der Einführung der Beitragsfreiheit der Eltern für die Kinderbetreuung. Das Zweite ist die Frage der Änderung der Pauschalen.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Über die Beitragsfreiheit für Kindergärten haben wir hier schon ganz oft geredet. Ich glaube, wir haben mehrfach versucht darzulegen, dass wir bei der Kinderbetreuung eine andere Situation als bei der Schule vorfinden. Eigentlich haben wir erst seit 20 Jahren ein gesetzlich abgesichertes Recht auf Kinderbetreuung. Jetzt gibt es noch das Recht der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Wir haben jetzt einen langsamen flächendeckenden Aufbau der Einrichtung für Kinder unter und über drei Jahren und für die Kinder, die einen Ganztagsplatz brauchen. Dafür brauchen wir immense Investitionen, um überhaupt die Quantität aufzubauen, um für alle Eltern in Hessen tatsächlich ein Angebot für ihre Kinder zu schaffen.

Zweitens. Ich glaube, wir haben nicht nur den Auftrag, für Quantität zu sorgen. Vielmehr haben wir auch die Qualität

in den Kindergärten zu beachten und sie auszubauen. Das ist, wie ich finde, im Bildungs- und Erziehungsplan vorbildlich beschrieben. Der Schwerpunkt der Kinderbetreuungspolitik wird darauf gesetzt, die Quantität auszubauen und die Qualität tatsächlich zu verbessern.

Dafür steht Schwarz-Grün. Dafür haben wir viele Beschlüsse gefasst. In den letzten zwei Jahren ist die Summe von 420 Millionen € auf 460 Millionen € gestiegen. Das sind immerhin fast 10 % mehr. Das lässt sich sehen. Das ist für die Kinderbetreuung in Hessen ein guter Schritt.

Mit der Beitragsfreiheit ist das so eine Sache. Ich glaube, niemand in diesem Saal kommt am Ende des Tages zu dem Schluss, zu sagen: Es ist ein großer Lustgewinn, dass wir den Eltern viel Geld dafür abverlangen, dass sie ihre Kinder zur Betreuung geben. – Das sagt niemand in diesem Saal.

Die Frage ist tatsächlich nur die, mit welcher Prioritätensetzung man vorgeht. Man schafft Quantität und Qualität. Wenn die Finanzen stimmen, kommt man auch dazu, in die Beitragsfreiheit tatsächlich einzusteigen. Da die Schwerpunkte momentan so sind, wie sie sind, halte ich das aus finanzpolitischer Sicht für nicht umsetzbar.

Ich sage Ihnen aber auch: So, wie Sie argumentieren, trifft das nicht zu. Es ist nicht so, dass ärmere Eltern ihre Kinder nicht in die Betreuung geben können. Denn wir alle wissen, dass die Ärmeren natürlich Wirtschaftliche Jugendhilfe erhalten können. Das wissen wir. Bestenfalls betrifft das den prekären Mittelstand, die dann hohe Beträge zahlen müssen, weil sie zwei Kinder haben.

Natürlich ist das eine finanzielle Belastung. Das will niemand bestreiten. Aber man weiß, wie hoch die Besuchsquoten der Kindergärten sind. Wer das mit anderen Bundesländern vergleicht, in denen Beitragsfreiheit herrscht, der weiß, dass das Argument, das Sie bringen, nicht stimmt, dass Beitragsfreiheit dazu führen würde, dass Kinder nicht der frühkindlichen Bildung vorenthalten bleiben.

Da das alles so ist, kann man sagen: Beitragsfreiheit ist natürlich irgendwann wünschenswert. Bildung muss irgendwann einmal kostenlos sein.

(Zurufe von der LINKEN: „Irgendwann einmal“!)

Das ist eine Sache, die nicht falsch ist. Aber wir wissen, dass wir aufgrund der Historie etwas aufholen müssen, was in der Schulpolitik seit 100 Jahren gemacht wird. Dabei geht es um den flächendeckenden Ausbau guter Einrichtungen. Wir wollen auch die Umsetzung des Rechtsanspruchs für alle verwirklichen. Wir wollen gut geschultes Personal haben. Wir wollen den Bildungs- und Erziehungsplan tatsächlich umsetzen.

Da wir das alles tun wollen, können wir nicht sagen, wir können das alles auf einmal machen. Deshalb haben wir, wie Sie alle wissen, in den Haushalt für das Jahr 2017 keine Beitragsfreiheit geschrieben.