Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Abstimmung zu sicheren Herkunftsstaaten – Drucks. 19/4457 –

Wir kommen vereinbarungsgemäß direkt zur Abstimmung. Wer ist dafür? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Die FDP und die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich? – Die SPD. Dann ist der Dringliche Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der FDP und der LINKEN bei Enthaltung der SPD angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Ein starkes und einiges Europa ist gerade in Zeiten wie diesen wichtig für Hessen) – Drucks. 19/4436 –

Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion der CDU, Herr Abg. Boddenberg.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben dieses Thema deswegen als Aktuelle Stunde angemeldet, weil wir, wie ich glaube, alle miteinander zunächst einmal feststellen können und feststellen müssen, dass Europa in einer sehr schwierigen Lage ist und vor großen Herausforderungen steht. Ich bin ziemlich sicher, dass wir in Zukunft auch im Hessischen Landtag häufiger über Europa werden reden müssen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Brexit, eine Entscheidung, die die britische Bevölkerung mit knapper Mehrheit getroffen hat, hat für alle Beteiligten sehr gravierende und in aller Regel sehr nachteilige Folgen. Das gilt für Großbritannien selbst, das gilt aber auch für die EU.

Wir sind dabei, die USA, in der wir über viele Jahrzehnte einen sehr verlässlichen transatlantischen Partner hatten, mit vielen Fragezeichen versehen zu müssen, weil der neue Präsident eine Politik betreibt, wie er schon im Wahlkampf angekündigt hat, die weniger auf Partnerschaft und mehr auf nationale Töne setzt. Ähnliches erleben wir in vielen anderen Ländern.

(Unruhe)

Einen Moment, Herr Kollege Boddenberg. – Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit und um Höflichkeit gegenüber dem Redner. Seien Sie so lieb, alle Gespräche, die nötig sind, draußen zu führen. – Das Wort hat Herr Kollege Boddenberg.

Ich könnte über Russland reden, ich könnte über die Türkei und die dortigen schlimmen Entwicklungen reden. Ich könnte aber auch über die derzeitigen Fehlleistungen innerhalb der Europäischen Union sprechen. Die Flüchtlingspolitik ist leider ein sehr unrühmliches Beispiel dafür, dass wir viel zu lange gebraucht haben, um zu gemeinsamen Beschlüssen und zu einer gemeinsamen Politik zu gelangen.

Nicht zuletzt wird uns der in vielen Ländern – auch in Deutschland – zunehmende Nationalismus umtreiben. Ich will gleich darauf eingehen, was wir denen, die glauben, dass man diese Welt auf einfache Weise erklären kann, sagen müssen: Protektionismus und Nationalismus führen zu schwierigen – bis hin zu teilweise unlösbaren – Situationen.

Den Briten müssen wir sagen, dass es keine Rosinenpickerei gibt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hatte am Montag Gelegenheit, im Kreis der Kollegen Fraktionsvorsitzenden mit Herrn Juncker darüber zu reden. Ich muss sagen, es hat mich sehr überzeugt,

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

mit welchem Selbstbewusstsein Herr Juncker die Position und auch die Machtfülle der Europäischen Union in diesem Zusammenhang dargelegt hat. Das kann man an wenigen Zahlen festmachen. Wenn man einmal die ökonomische Seite betrachtet: Es spricht Bände, dass 8 % der Exporte der EU nach Großbritannien, im umgekehrten Fall aber über 45 % der Exporte der britischen Wirtschaft in die Europäische Union gehen. Das zeigt sehr deutlich, dass Großbritannien auch zukünftig von guten Handelsbeziehungen mit der EU abhängig sein wird.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

Wir könnten als Hessen und als Frankfurter sagen, dass wir viele Chancen haben. Hier ist häufig darüber gesprochen worden, was das beispielsweise für den Finanzplatz bedeutet. Wir haben in diesen Tagen lesen können, dass Experten, die sich mit der Szenerie in London beschäftigen, sagen: Von 250 Auslandsbanken sind 100 dort, weil das ein Standort in der Europäischen Union ist. In vielen dieser 100 Banken wird man darüber reden, ob das auch in Zukunft ihr Standort bleiben kann. – In Richtung der amerikanischen Seite könnten wir ähnlich argumentieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich muss uns weiter an dieser Partnerschaft und an dem gemeinsamen Werteverständnis gelegen sein. Aber ich sage es hier einmal sehr deutlich: Auch wenn wir nur der Hessische Landtag sind, sollten wir einerseits sehr klar sagen, wofür wir stehen, und andererseits, dass wir als Deutsche – als Europäische Union – auf Augenhöhe mit Herrn Trump verhandeln können.

Das zeigen einige wenige Zahlen. Wenn Sie sich einmal die Exporte der Vereinigten Staaten in die Europäische Union und umgekehrt die Exporte der Europäischen Union in die USA anschauen, stellen Sie fest, dass wir allein hier über Exporte amerikanischer Unternehmen nach Europa in der Größenordnung von 200 Milliarden € pro Jahr reden. Ich glaube, wenn Herr Trump diese Zahlen eines Tages kennenlernen wird – das wird hoffentlich bald der Fall sein –, werden die einen oder anderen Aussagen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die bisher sehr überschriftenheischend waren, etwas ruhiger werden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Vize- präsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vor- sitz.)

Nicht zuletzt – das gehört auch dazu, weil es konkret angesprochen wird –: Wenn man sich einmal anschaut, wie viele Zehntausende und Hunderttausende Arbeitsplätze deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten schaffen – Siemens 70.000, DHL 76.000, Volkswagen 60.000; ich könnte hier eine ganze Reihe von Zahlen in ähnlicher Größenordnungen vortragen –, erkennt man, Herr Trump und die amerikanische Administration müssen wissen, dass Deutschland ein fairer Partner ist und dass deutsches Investment Arbeitsplätze in den USA schafft. Die Wirtschaftsstärke der USA ist nicht zuletzt davon abhängig, dass gerade deutsche Unternehmen vor Ort sind und dort investieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben hier vielfach über die Asyl- und Flüchtlingspolitik gesprochen.

Das muss ich heute nicht weiter ausführen. Europa hatte wirklich große Anstrengungen zu unternehmen, um endlich auch in der Asylpolitik zu gemeinsamen Regelungen zu kommen. Das betrifft nicht nur die Verteilung derjenigen, die zu uns kommen. Es stellen sich viele weitere Fragen: die Erfassung von Ein- und Ausreisen – die Schaffung entsprechender Register –, die gemeinsamen Zentralregister, was die Kriminalitätserfassung und Identifizierung von potenziellen Straftätern und Gefährdern anbelangt, sowie viele andere mehr.

Herr Boddenberg, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin, glaube ich, zwei Minuten unterbrochen worden. Herr Präsident, ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben.

(Allgemeine Heiterkeit – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir sollten also alle miteinander feststellen: Die Europäische Union ist, wenn sie mit einer klaren Stimme in Richtung der Vereinigten Staaten, in Richtung Russlands und in Richtung der Türkei spricht, nicht nur handlungsfähig, sondern sie hat auch eine Machtposition inne, von der wir sagen können, dass sie damit große Chancen hat, mit dafür zu sorgen, dass die Welt dort, wo sie zwischenzeitlich in Unordnung geraten ist, wieder in Ordnung gerät. Ich glaube, das ist das, was uns alle vereint. Neben den anderen Streitpunkten, über die wir heute diskutieren, sollten wir uns alle hinter der gemeinsamen europäischen Idee versammeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Danke, Herr Boddenberg. Seien Sie versichert, dass nicht nur ich, sondern wir alle im Präsidium immer alles mitbekommen.

(Michael Boddenberg (CDU): Okay! – Holger Bellino (CDU): Oh, das merke ich mir!)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Beer das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vom ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher stammt das Zitat: „Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine“. Das ist sicher ohne Zweifel auch heute noch richtig. Herr Kollege Boddenberg, ich wüsste mich mit Hans-Dietrich Genscher aber auch darin einig, dass er dies so verstanden hat, dass man seine Zukunft gestalten muss, weil sie sonst verloren geht. Das heißt, wir müssen sie gestalten, und zwar am besten mit Herzblut und Verstand.

Lieber Kollege Boddenberg, deswegen möchte ich meinen Beitrag heute auch ein bisschen anders anlegen als Sie; denn ich meine, dass wir auf der emotionalen Tonspur am

Gefühl der Bevölkerung ein bisschen vorbeigehen, wenn hier nur Drohgebärden im Hinblick auf wirtschaftliche Stärke, Abhängigkeiten oder anderes aufgebaut werden. Mich persönlich treibt es um, dass dieses Europa, das wir alle, die wir hier sitzen, für eine großartige Idee halten – einen geeinten Kontinent zu haben, einen Kontinent des Friedens und der Freiheit, einen Kontinent, der gemeinsame Werte teilt und gleichzeitig auch gemeinsam Wohlstand erarbeitet –, möglicherweise keine Herzensangelegenheit der Bürgerinnen und Bürger auf diesem Kontinent mehr ist.

Müsste das nicht etwas sein, was mit sehr viel Herzblut, und zwar von allen Menschen in den Mitgliedstaaten, vorangetrieben wird? Herr Kollege Boddenberg, müsste es nicht eine Herzensangelegenheit und nicht nur eine Drohkulisse sein, damit sich die Menschen engagieren und für Europa eintreten?

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Bod- denberg (CDU))

Wir müssen uns nämlich gewahr werden, dass, wenn von der Politik in Brüssel die Rede ist, viele Menschen in der Europäischen Union heute nicht an Frieden, Freiheit und Wohlstand denken, sondern eher an Krise, Bürokratie und Fremdbestimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Sorgen darf niemand ausblenden, der Verantwortung für Europa trägt; denn letztendlich, Herr Kollege Boddenberg, gewinnt die Europäische Union, das europäische Projekt, seine Rechtfertigung aus der Überzeugung der Menschen, dass es mit der Europäischen Union eine bessere Zukunft gibt und dass die Gesamtheit der Europäischen Union mehr ist als die Addition ihrer Mitgliedstaaten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Völlig zu Recht sind Russland, China, die USA und die Populisten quer durch die europäischen Länder angesprochen worden, die versuchen, mit Angst Politik zu machen, während sie allenfalls Scheinlösungen haben. Gerade weil wir uns in diesen unruhigen Zeiten befinden, brauchen wir umso mehr mutige und anpackende Europäer, die endlich Lösungen finden, um die gemeinsamen westlichen europäischen Werte nicht nur zu verteidigen, sondern sie weiter voranzubringen.

Herr Kollege Boddenberg, genau deswegen muss diese Europäische Union längst an einer Neujustierung interessiert sein. Sie muss endlich tatkräftig unter Beweis stellen, dass sie in der Lage ist, auf die großen Fragen Antworten zu finden, die vereinbarten Regeln einzuhalten und vor allem durchzusetzen. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, den Populisten auf dem europäischen Kontinent sowie denen im Westen und Osten den Boden zu entziehen und gegen die Abschottung sowie für die Freiheit, für den gemeinsamen Binnenmarkt und für den Freihandel einzutreten.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Das Treffen in Koblenz zeigt nämlich, dass längst zum Angriff auf die europäische Idee geblasen worden ist. Herr Kollege Boddenberg, daher hilft kein Gesundbeten und kein Beschönigen. Auch die Entscheidung in Großbritannien – der Brexit – hat etwas mit dem aktuellen Zustand der Europäischen Union zu tun. Wir müssen letztendlich darangehen, das europäische Haus grundlegend zu sanieren.

Es ist in vielen Reden immer wieder betont worden, aber wir müssen es endlich umsetzen: Die Europäische Union konzentriert sich auf die großen Fragen unserer Nationen und hält sich dort heraus, wo regional vielfältig entschieden werden kann. Wir brauchen dringend mehr Gemeinsamkeiten dort, wo Europa nur gemeinsam stark ist, und wir müssen mit sinnvollen Lösungen vorankommen.

Da gibt es unglaublich viel zu tun, und da kann sofort angefangen werden. Statt weiter Verschuldungshilfen zu zahlen, sollte es eine gemeinsame Währung geben, die solide ist. Mit Verlaub, es macht mir Sorgen, dass einer wie Herr Schulz – den wir in Europa auch beim Kokettieren mit der griechischen Regierungspartei Syriza erlebt haben – jetzt in der Bundesrepublik Deutschland Verantwortung tragen will.

Wir brauchen einen Europäischen Binnenmarkt, der sich – bei der Energie genauso wie bei der Digitalisierung – modern aufstellt; denn das sind moderne Infrastrukturen. Hier wird Wachstum und Wohlstand erarbeitet. Das wird für die Zukunft entscheidend sein, denn weder Strom- noch Funkfrequenzen, so wie sie momentan auch in Deutschland verfolgt werden, sind etwas für Insellösungen, liebe Kollegen.

Frau Beer, bitte kommen Sie zum Schluss.