Das in einer Situation, in der – das will ich noch einmal sagen – mittlerweile über 19.000 Menschen in Deutschland an diesem Virus gestorben sind und diese Pandemie weltweit weiter um sich greift. Wir sind in einer Situation, in der sich die Intensivstationen füllen, in der sich die Krankenhäuser füllen, in der die Beschäftigten an ihre Belastungsgrenzen gehen, in der Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger an ihre Belastungsgrenze gehen, um die Patienten irgendwie zu versorgen.
Nein, aber es bedeutet, solidarisch zu sein mit den Menschen, die unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit an vorderster Front dieses Virus bekämpfen. Das Mindeste, was man an Solidarität denen gegenüber zeigen kann, ist, das Virus nicht zu verharmlosen, Masken zu tragen, Abstände einzuhalten und sich nicht derartig rücksichtslos zu verhalten, wie Rechtsaußen das hier macht.
Das sind doch die Bilder gewesen, auch von den Querdenker-Demonstrationen: Keine Abstände, keine Masken, und
dazu noch Holocaust-Relativierungen und Vergleiche mit Sophie Scholl und Anne Frank. Das zeigt doch auch, welche Gesinnung viele bei dieser Bewegung haben.
Ich muss sagen, diesen ganzen Angriffen von rechts liegt auch ein völlig falsches Wissenschaftsverständnis zugrunde. Hier muss man im Übrigen auch sagen, dass dazu in Teilen auch die „Bild“-Zeitung in den letzten Monaten beigetragen hat.
Es wurde so dargestellt, als würden Virologinnen und Virologen jeden Tag ihre Meinung ändern und dauernd neue Empfehlungen geben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ändern nicht einfach ihre Meinung, sondern was sich ändert, sind die Erkenntnisse. Wir hatten es mit einem völlig neuen Virus zu tun. Natürlich muss man da forschen. Was ist denn mit der Frage des Ansteckungsrisikos von Kindern? Das wusste man im Februar und im März nicht. Was ist mit der Frage der Übertragungswege? All das sind Dinge, die erforscht werden müssen. Deswegen stellen Wissenschaftler Hypothesen auf, die sich bestätigen oder als falsch herausstellen, und deshalb zeugen diese Angriffe von einem völlig falschen Wissenschaftsverständnis.
Es sind auch nicht nur die Virologinnen und Virologen, die solchen Angriffen ausgesetzt sind, es sind auch die Klimaforscherinnen und -forscher. Es ist auch die Geschlechterforschung, die in diesem Hause regelmäßig von rechts verächtlich gemacht wird.
Auch wenn Sie über Kultur und Wissenschaft reden, läuft es mir immer kalt den Rücken herunter, weil Sie ein totalitäres, antidemokratisches Weltbild haben.
Der Grund ist natürlich, dass Ihr krudes Weltbild Realität und wissenschaftlichen Fakten nicht standhält, weswegen Sie nicht wollen, dass sie überhaupt erst erwogen werden.
Deshalb finde ich es wichtig, das in aller Deutlichkeit zurückzuweisen. Ich will mich jetzt aber auch nicht weiter mit der AfD auseinandersetzen;
denn es gilt immer noch der Satz: Mit Rechten zu diskutieren ist, wie mit einer Taube Schach zu spielen – man kann sich Mühe geben, soviel man will, am Ende wirft die Taube die Figuren um, kackt aufs Schachbrett und stolziert herum, als hätte sie gewonnen. – Ungefähr so sind Diskussionen mit Ihnen, meine Damen und Herren.
Die massiven Angriffe gegen die Wissenschaft müssen wir zurückweisen. Ich finde, das ist die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten.
Ich will es explizit nicht auf die gleiche Stufe stellen, möchte aber auch darauf hinweisen, wo andere Gefahren für Entwicklungen bei Wissenschaft und Forschung liegen, wo Forschung erschwert wird und Forschern das Leben unnötig schwer gemacht wird. Bundesweit und auch in Hessen ist die Hochschulfinanzierung, speziell die Forschungsfinanzierung, zunehmend abhängig von Drittmitteln. Das ist ein Problem, weil es natürlich die Freiheit von Forschung gefährdet – zum einen ganz direkt, weil in dem Fall, wenn Industrieunternehmen Forschung finanzieren, sie natürlich eine Anwendung erwarten. Sie erwarten ein Produkt, sie erwarten ein Ergebnis. Natürlich gefährdet das auch die Freiheit von Forschung, wenn die Hochschulen immer mehr Auftragsforschung für Unternehmen machen müssen.
Die meisten Drittmittel stammen ja nicht aus der Industrie, sondern aus öffentlichen Mitteln, weil auch Bundes- und Landesmittel zunehmend als Drittmittel vergeben werden, in Hessen z. B. über das LOEWE-Programm. Auch das ist ein Problem, weil es einfach eine unglaubliche Kurzfristigkeit bedeutet. Damit muten wir Forscherinnen und Forschern zu, dass sie alle paar Monate aufwendigste Antragsverfahren durchlaufen müssen, und die Zeit fehlt ihnen, um Wissenschaft wirklich voranzutreiben, weil sie immer wieder schauen müssen, wie sie Gelder für das nächste Projekt hereinholen, um ihren Job überhaupt weiter ausüben zu können.
Da sehe ich eine Gefahr beim Thema Wissenschaft und Forschung, dass wir diese Verdrittmittelung haben. Das ist eine schleichende Gefährdung der Freiheit von Forschung und Wissenschaft. Aber darüber gehen uns auch ganz viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verloren, die sich von einem Drittmittelprojekt zum nächsten hangeln, von einem befristeten Vertrag zum nächsten, und die einfach keine Perspektive für sich sehen. Das ist eine Gefahr, und ich finde, auch die muss man hier ansprechen, wenn wir eine Debatte über Wissenschaft führen.
Wissenschaft und Forschung müssen die Möglichkeit zum Scheitern haben. Es ist nicht so, dass man etwas kofinanziert, und dann muss dabei dies oder jenes herauskommen. Überlegen Sie sich, wie das Penicillin erfunden wurde. Das Penicillin wurde so erfunden, dass eine Petrischale wochenlang im Labor vergessen wurde und sich Schimmel gebildet hatte. Irgendwann hat man draufgeschaut und daraus Penicillin gemacht. – Gut, es war etwas komplexer, aber es ist nur kurz zusammengefasst. Auf jeden Fall war die Petrischale wochenlang quasi vergessen worden, und der gleiche Wissenschaftler hat daran weitergearbeitet. Heute hätten wir vermutlich die Situation, dass der zuständige Mitarbeiter längst ein neues Drittmittelprojekt gehabt hätte und es gar nicht hätte weiterführen können.
Deswegen: Forschung braucht Zeit, vielleicht auch, um das eine zu erforschen und etwas anders zu finden, nach dem einen zu suchen und auf etwas ganz anderes zu stoßen. Da sehe ich eine große Gefahr durch diese Finanzierung, die wir jetzt haben.
Herr Büger, ich möchte noch etwas zu Ihrem Beitrag sagen. Forschung und Wissenschaft müssen frei sein, aber sie sind nicht frei von Verantwortung, und sie stehen auch nicht außerhalb der Gesellschaft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren natürlich, wie Forschung z. B. in den Dienst von Frieden, von Umweltschutz oder von
friedlichem Zusammenleben gestellt werden kann. Sie haben die Zivilklausel angesprochen, die im Übrigen in demokratischen Abstimmungen an den Hochschulen, im Rahmen der studentischen und der akademischen Selbstverwaltung, erfolgt ist.
Ich finde es absolut legitim, wenn Hochschulen sagen: Wir sind dem Frieden verpflichtet, und wir wollen Dinge entwickeln, die den Menschen nutzen, und nicht Waffensysteme, die dazu geeignet sind, Menschenleben auszulöschen. – Ja, das ist vollkommen legitim, dass Hochschulen das machen.
Diese Frage müssen wir auch in anderen Bereichen stellen. Auch im Bereich der Gentechnik: Da kann es einfach Entwicklungen geben, die für den Menschen am Ende nicht mehr kontrollierbar sind und die sich am Ende verselbstständigen. Deswegen ist Wissenschaft auch immer eine Debatte über die Ethik und über die gesellschaftliche Dimension; denn Wissenschaft findet nicht einfach im leeren Raum statt.
Ich empfehle da noch einmal die Lektüre von Dürrenmatts „Die Physiker“, die Sie sicherlich kennen, Herr Büger. Darin ist dieses Dilemma beschrieben, dass Wissenschaftler Angst vor den eigenen Erkenntnissen haben und vor dem, was damit gemacht wird.
Ein Letztes. Sie loben in Ihrem Antrag die Unikliniken und die Forschung, die sich im Pandemienetzwerk zusammengeschlossen hat und die Sie fördern. Da ist auch alles richtig und sinnvoll. Ich finde den Hinweis von Kollegin Sommer richtig, dass man das auch interdisziplinär denken muss, was z. B. die psychosozialen Folgen sind, was die gesellschaftlichen Folgen sind.
Ich will in diesem Zusammenhang aber schon noch auf die bundesweite Unterfinanzierung der Universitätskliniken hinweisen. Es zeigt sich bei Corona ganz besonders, dass die Universitätskliniken die Aufgabe haben, zu forschen, aber auch Lehre und Weiterbildung sowie die Krankenversorgung. Sie sind Häuser der Maximalversorgung. Das bedeutet, sie können nicht einfach einmal eine Abteilung schließen. Sie bekommen die schwierigsten und die seltensten Fälle, und das wird über die Fallpauschalen überhaupt nicht abgegolten. Die Hochschulmedizin ist bundesweit unterfinanziert. Es wird damit gerechnet, dass wegen Corona jede Uniklinik einen zweistelligen Millionenbetrag Minus macht. Das muss den Unikliniken ausgeglichen werden, damit sie ihre wichtige Arbeit weiter machen können.
Ein allerletzter Punkt, dann komme ich auch zum Schluss, Frau Präsidentin. Wir haben jetzt viel über das Lob gehört. Die Folge ist aber auch, dass das Personal überlastet ist. Da muss ich schon sagen: Wenn die Uniklinik Frankfurt, die nun eine Einrichtung des Landes ist, jetzt gerade gegen den Personalratsvorsitzenden vor Gericht zieht und ihn abmahnt, weil er gemeinsam mit 300 Mitarbeitern öffentlich die schwierige Situation beklagt und gesagt hat, es gebe zu wenig Tests, dann finde ich das ein ziemlich fatales Signal, gerade in dieser Corona-Zeit, dass man einen Personalrat in dieser Situation abmahnt und sich mit ihm vor Gericht streitet, weil er die Missstände beklagt.
Deshalb gilt: Wir müssen Wissenschaftsfreiheit verteidigen, wir müssen Wissenschaft unterstützen, und am aller
besten ist es auch, wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse politisch umsetzen. Das gilt z. B. beim Klimaschutz, aber eben auch bei der Bekämpfung der Pandemie. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin sehr geehrte Damen und Herren! Kennen Sie Ignaz Semmelweis? Das war ein Arzt im 19. Jahrhundert. Damals starben viele Mütter nach der Entbindung am Kindbettfieber. Semmelweis hatte eine ganz unerhörte Idee: Er meinte, es könnte helfen, wenn Ärzte und Krankenschwestern ihre Hände häufiger waschen würden. Er wurde damals aber keineswegs dafür gefeiert – „spekulativer Unfug“, hieß es, „Zeitverschwendung“. Semmelweis wurde depressiv, er kam in die Landesirrenanstalt und starb mit nur 47 Jahren unter ungeklärten Umständen. Erst ein halbes Jahrhundert später bestätigten andere Mediziner seine Thesen und erfanden die Krankenhaushygiene. – Warum erzähle ich Ihnen das? Weil dies zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse abgelehnt werden.
Wir haben das Mittelalter mit Hunger, Pest, mit Hexenverfolgung hinter uns gelassen, weil wir gelernt haben, auf die Wissenschaft zu hören.
Wir können weltweit Informationen abrufen, ins Weltall fliegen, Armut verringern, Krankheiten bekämpfen, weil wir Wissenschaft betreiben. Wir leben so gut, wie wir leben, weil wir in einer Wissensgesellschaft leben und weil die Herausforderungen der Zukunft so komplex sind. Nehmen wir die Klimakrise, den digitalen Wandel, alle aktuellen Bewältigungen – da ist es ausdrücklich richtig, über die Wege zu streiten, wie wir diese Krisen bewältigen und politisch in den Diskurs zu gehen. Da unterscheiden sich die Wissenschaft und die Politik.
Was aber ist brandgefährlich? Brandgefährlich ist es, wenn die Diskussionen auf der Basis von Glauben, von Halbwissen, von Propaganda und von Lügen stattfinden. Dem müssen wir uns verwehren.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns eine wehrhafte Demokratie gestaltet – aus sehr schmerzlichen Erinnerungen. Meiner Ansicht nach sind wir mittlerweile so weit, die Wissensgesellschaft verteidigen zu müssen.