Protokoll der Sitzung vom 28.03.2007

A C

B D

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 und 22, der Großen Anfrage der SPD-Fraktion: Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern und dem Bericht des Sozialausschusses: Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern – Drucksache 18/5834 –]

[Bericht des Sozialausschusses über die Drucksache 18/4511: Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern (SPD-Antrag) – Drucksache 18/5870 –]

Die SPD möchte die Drucksache 18/5834 an den Sozialausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Kienscherf, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Senatorin! Frau Strasburger, auch wenn wir jetzt schon beim nächs- ten Tagesordnungspunkt sind, einleitend dann doch noch einmal ganz kurz zu Ihnen: Wenn Sie meinen, dass sich irgendwelche Abgeordneten hinsichtlich des Todes in Osdorf zynisch geäußert hätten oder dass es zynisch sei, das zu politischen Angriffen zu nutzen – ich habe gesagt, dass die Politik aufgefordert ist, die niedrig schwelligen Angebote zu stärken und dass wir darüber gemeinsame Gespräche führen sollten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich glaube, ich habe mit keinem einzigen Wort die Senatorin angegriffen. Das haben wir uns in diesem Fall verkniffen, weil es uns darum geht, den Menschen zu helfen, und weil das für uns im Vordergrund steht und nicht die politische Auseinandersetzung unter der Gürtellinie. Bei Ihnen scheint das anders zu sein, Frau Strasburger.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Stefanie Strasburger CDU: Was ist das für eine Aussage, bei mir scheine das anders zu sein?)

Anfang der Neunzigerjahre – wir haben das im letzten Juni schon diskutiert – ist in Deutschland ein neues Betreuungsrecht in Kraft getreten. Es hat die Themen Entmündigung und Pflegschaften abgelöst. Es ging darum, den Menschen besser zu helfen, die sich aufgrund einer Erkrankung oder einer Behinderung nicht mehr um ihre Dinge kümmern können, und ihnen gleichzeitig mehr Selbstbestimmung zu garantieren. Wie wir alle festgestellt haben – auch gerade in Hamburg –, hat sich dieses neue Betreuungsrecht auf der einen Seite bewährt, auf der anderen Seite ist es aber dazu gekommen, dass wir in den letzten Jahren in Hamburg erhebliche Steigerungsraten von rund 50 Prozent erfahren haben, nämlich eine Steigerung von 16 000 Fälle auf 24 000 Fälle. Wir haben in diesem Bereich einen erheblichen Kostenzuwachs erfahren. Sie betragen 20 Millionen im Jahr und haben sich damit fast verdreifacht.

Zugenommen hat auch die Zahl von Beschwerden, bei denen Angehörige oder Betroffene sich gemeldet haben und gesagt haben: So wie das läuft, so wie mit den Be

troffenen umgegangen wird, das kann nicht richtig sein. Vor diesem Hintergrund, auch angesichts der demografischen Entwicklung, die nach Ansicht vieler Experten dazu führen wird, dass sich die Zahl dieser Menschen und damit der Betreuungsfälle erhöhen wird und dass sich die Kosten erhöhen werden, dass aber auch das Qualitätsproblem neu erfasst werden muss, hat die SPD-Fraktion im Juni letzten Jahres eine entsprechende Initiative für mehr Transparenz und mehr Qualität im Bereich der Betreuung eingeführt. Ich glaube, es war richtig, dass unsere Fraktion dieses wichtige Thema aufgegriffen hat.

(Beifall bei der SPD)

Heute, neun Monate später, müssen wir feststellen, dass das, was jetzt im Ausschussbericht niedergelegt ist, und das, was die CDU mit ihrer Mehrheit im Ausschuss durchgedrückt hat, letztendlich die Beratung im Ausschuss selber völlig auf den Kopf stellt. Anstatt dem Senat noch einmal deutlich einen Fingerzeig zu geben, dass man im Bereich der Qualität, im Bereich der ehrenamtlichen Betreuung nacharbeiten muss, haben Sie dem Senat einen Freifahrtschein erteilt. Wir halten das für falsch, weil es nicht zu Fortschritt, sondern zu Stillstand in diesem wichtigen Bereich führt.

(Beifall bei der SPD)

Gleichzeitig mussten wir auch aufgrund der Beantwortung unserer Großen Anfrage, die wir nachgeschoben haben, erkennen, dass der Senat sich immer noch nicht bewusst ist, wie wichtig dieses Thema ist, und dass der Senat immer noch nicht in der Lage ist, Antworten auf unsere Fragen zu finden.

Frau Senatorin, wir haben Sie gefragt: Wie haben sich denn die Zahlen im Bereich der Betreuung entwickelt? Wie haben sich die Zahlen bei den Berufsbetreuern entwickelt? Wie haben sich die Zahlen im Bereich der ehrenamtlichen Betreuung entwickelt? Auf all diese Fragen haben Sie keine Antwort finden können. Aber auf der anderen Seite haben Sie in der Antwort festgestellt, dass Sie alle Steuerungsmöglichkeiten ausgenutzt haben und dass Sie nicht besser nachsteuern können. Frau Senatorin, wie können Sie zu dieser Aussage gelangen, wenn Sie auf der anderen Seite gar nicht die Daten haben, die Sie dafür eigentlich benötigen?

(Beifall bei der SPD und bei Martina Gregersen GAL)

Und erstaunlich ist auch, dass Sie in Ihrer Antwort zugegeben oder – besser gesagt – erklärt haben, dass die zur Verfügung stehende Zeit von vier Wochen nicht ausreicht, um auf diese Fragen entsprechend antworten zu können.

Frau Senatorin, wir haben diese Fragen nicht vor vier Wochen aufgeworfen, sondern sie stehen bereits seit neun Monaten im Raum. Seit diesem Zeitraum sind Sie nicht in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Ehrlich gesagt ist das ein Armutszeugnis, was Sie hier offenbart haben.

(Beifall bei der SPD)

Erstaunlich war auch die Rolle der CDU-Fraktion in dieser Angelegenheit.

(Gesine Dräger SPD: Die ist ja auch nicht da!)

In der Tat ist sie heute nicht hier beziehungsweise nur rudimentär. Aber das ist bei sozialpolitischen Themen meistens der Fall.

Es war bemerkenswert, welche Kehrtwende das Ganze genommen hat. Erinnern wir uns: Es war im Juni 2006, als wir unsere Initiative vorgetragen haben und viele Menschen der Meinung waren, dass es richtig ist, sich um dieses Thema zu kümmern. Hierüber gab es auch eine entsprechende Presseberichtserstattung.

Dann gab es einen Herrn Schira, der ansonsten nicht allzu sehr aktiv in diesem Bereich ist, der daraufhin gleich an die Presse gegangen ist und erklärt hat: Wir als CDUFraktion unterstützen das natürlich. Wir werden im Ausschuss dafür sorgen, dass wir zu diesem Thema eine Anhörung durchführen werden. Das war ein guter Anfang. Wir haben alle gehofft, dass die CDU-Fraktion hier weitermachen würde.

Hin und wieder haben Sie dann auch entsprechend intelligente Fragen im Ausschuss gestellt. Interessant vor allen Dingen war aber, dass wir nach den vielen Anhörungen im November im Sozialausschuss zum Ergebnis gelangt sind, dass wir im Januar 2007 zu einem abschließenden Ergebnis kommen wollen, in dem sich möglichst alle Fraktionen wiederfinden.

Am 5. Dezember hat sich auch der mitberatende Rechtsausschuss mit diesem Thema befasst. Es ist doch erstaunlich, mit welchem Ergebnis diese Beratungen im Rechtsausschuss abgeschlossen worden sind. Dort ist nämlich einstimmig beschlossen und dem Sozialausschuss empfohlen worden, die SPD-Initiative zu unterstützen. Dass sich die CDU seinerzeit enthalten und dadurch den Weg frei gemacht hat, dass diese Initiative vorangeht, hierfür möchten wir uns bei den wenigen von Ihnen, die damals im Rechtsausschuss anwesend waren, noch einmal ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und bei Christian Maaß GAL)

Das war am 5. Dezember. Nun wissen wir alle, dass wir Sie, Frau Senatorin, aufgefordert haben, in dieser Initiative nicht nur eine umfassende Problemanalyse darzustellen, womit Sie und Ihr Haus ohnehin Probleme haben, sondern wir haben von Ihnen natürlich auch gefordert, ein zukunftsweisendes Konzept vorzulegen, welches das Betreuungswesen voranbringen soll. Vor diesem Konzept haben Sie Angst und Sie sind nicht in der Lage, ein solches Konzept vorzulegen. Daher hieß es, diesen Beschluss wieder zurückholen zu müssen, weil Sie diese SPD-Initiative nicht annehmen wollten. Das ist zulasten der Menschen in unserer Stadt gegangen und das ist wirklich schade, Frau Senatorin.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben dann im Januar eine Sozialausschusssitzung gehabt, in der dann die CDU-Fraktion und insbesondere Frau Spethmann – Frau Koop, Sie waren dabei – dann noch einmal vorgetragen haben, dass man noch nicht soweit sei, denn es wäre ein kompliziertes Thema. Man würde sich aber bemühen, in den nächsten Tagen einen entsprechenden Antrag zu formulieren und vorzulegen.

In den nächsten Wochen war nichts geschehen. Erst in der Ausschusssitzung Anfang Februar hat dann die CDUFraktion nach nun neunmonatiger Beratung eine entsprechende Tischvorlage präsentiert. Das zeigt doch, wie ernst Sie dieses Thema nehmen. So stellen wir uns Poli

tik im Sinne der Menschen nicht vor. Das ist leichtfertig, wie Sie mit diesem wichtigen Thema umgehen.

(Beifall bei der SPD und bei Martina Gregersen GAL)

Frau Spethmann hat es dann noch auf die Spitze getrieben. Nachdem Sie im Ausschuss diesen unsäglichen Antrag auch noch durchgesetzt haben, hat sie in einer Presseerklärung erklärt, dass die CDU-Fraktion den Senat unterstützt und mit einem Beschluss dafür gesorgt hätte, dass die ehrenamtliche Betreuung und die Betreuungsvereine ausgebaut werden. Das ist schlichtweg gelogen.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh! Das haben Sie nicht beschlossen. Sie haben zwar be- schlossen, dass die ehrenamtliche Betreuung und auch die Betreuungsvereine ausgebaut werden – Frau Koop, Sie waren dabei –, aber mit dem kleinen Zusatz "wenn möglich". Der Ausspruch "wenn möglich" – das wissen Sie doch ganz genau – lässt natürlich Spielraum offen für alles. Die SPD-Fraktion wollte die ehrenamtliche Betreu- ung ausbauen und die Betreuungsvereine stärken. Das haben Sie nicht beschlossen und somit letzten Endes die Menschen im Stich gelassen. (Beifall bei der SPD – Karen Koop CDU: Das ist doch Quatsch!)

Eines wurde bei der Beantwortung der Großen Anfrage auch ganz deutlich, Frau Senatorin. Wir haben einen Zuwachs von 50 Prozent an Betreuungsfällen. Was wir aber nicht haben, ist ein Zuwachs an Betreuungsleistungen oder Betreuungsfähigkeiten bei den Betreuungsvereinen, die hierfür zuständig sind. Sie mussten einräumen, dass Sie diese Mittel nach wie vor seit zehn Jahren konstant gehalten haben. Obwohl wir eine 50-prozentige Zunahme an Fällen haben, gibt es ganze zwölf Personen, die sich um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer und um die Betreuung dieser Betreuer in Hamburg kümmern sollen. Das ist zu wenig. Hier muss nachgebessert werden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Auch bei Ihren Forderungen muss noch nachgebessert werden. Sie haben in Ihrem Antrag gefordert die Evaluation abzuwarten, die auf Bundesebene läuft. Sie führen aus, dass man damit im Jahre 2007 in Hamburg anfangen kann. Dabei hat der Senat doch ganz klar in der Anhörung erklärt, dass erste Ergebnisse vielleicht im Jahre 2007 vorliegen, aber aussagefähige Ergebnisse erst im Jahre 2009. Das sind zwei Jahre, die ins Land gehen, und die dürfen wir nicht verschenken. Wir müssen jetzt handeln,

(Beifall bei der SPD)

und den Senat auffordern, die Informationskampagne fortzusetzen.

Es wurde deutlich, dass man darüber nachdenkt, mal wieder eine Informationskampagne aufzunehmen oder vorzubereiten. Das hat auch die Senatorin ausgeführt. Von fortsetzen kann gar keine Rede sein. Vor zwei Jahren haben Sie mal eine breite Informationskampagne durchgeführt und danach wurde es ganz still. Auch hierbei geht Ihr Antrag nicht weit genug.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Senat und die CDU-Fraktion nicht in der Lage und nicht willens sind,

sich diesem wichtigen sozialpolitischen Thema anzunehmen. Ihr Antrag im Sozialausschuss, den Sie auch hier in diesem Bericht niedergelegt haben und den wir natürlich ablehnen werden, geht in die falsche Richtung. Er führt im Betreuungswesen zu Stillstand und nicht zu den notwendigen Weichenstellungen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)