Protokoll der Sitzung vom 19.04.2007

(Robert Heinemann CDU: Da sieht man, was dar- aus folgt! Das ist eine Katastrophe!)

Zum damaligen Zeitpunkt, Herr Heinemann, begann man gerade einzusehen, dass Schülerinnen und Schüler zu größerer Leistung anzustacheln sind, wenn sie sich das Prüfungsfach aussuchen können. Das ist jetzt fast 40 Jahre her und Sie von der CDU wollen nach fast 40 Jahren Weiterentwicklung in der gymnasialen Oberstufe genau dorthin wieder zurück. Für uns Sozialdemokraten geht es beim Streit um die Struktur der künftigen gymnasialen Oberstufe vor allem darum, ob damit die Exzellenz - das ist das Wesentliche - der angehenden Studierenden gefördert wird oder nicht. Die SPD-Fraktion bekennt sich jedenfalls ausdrücklich dazu, dass das Abitur in Hamburg durch Leistungen der Studienstufe erworben werden muss. Wir wollen sogar möglichst viel Exzellenz im Abitur erreicht sehen, wie sie laut LAU 13 in den bisherigen Leistungskursen - übrigens auch in Mathematik - erreicht worden ist. Das ist unser Ziel und das wollen wir in jedem Fall hinbekommen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber mit Ihrem vorgelegten Modell werden Sie gerade dieses nicht erreichen, Herr Heinemann. Alle Experten, insbesondere fast alle Elternräte, sprechen sich unverändert für die Mischung zwischen gewählten Leistungsfächern und Pflichtfächern, wie sie im noch gültigen Modell der gymnasialen Oberstufe praktiziert wird, aus. Sie wollen mehr Leistung beim Abitur abschaffen, wir wollen sie noch weiter steigern. Das stellen wir Sozialdemokraten fest.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Die CDU wirft uns nun vor, wir seien mit der Ablehnung dieses Modells strukturkonservativ; Sie sind es doch. Bei Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen, Herr Heinemann, steht das Gymnasium unter Artenschutz. Es muss für Sie auf alle Fälle erhalten bleiben, auch wenn immer deutlicher wird, dass dort nicht die Leistungen erreicht werden, die erwartet werden dürfen.

(Robert Heinemann CDU: Sie wollen es ja doch abschaffen, dann sagen Sie es doch endlich!)

- Habe ich doch gar nicht gesagt.

(Karen Koop CDU: Wir wollen es erhalten und Sie schimpfen darüber!)

Im Unterricht, aber auch in der Struktur muss viel mehr verändert werden, um die Leistungen von mehr Kindern

in den Jahrgängen fünf bis zehn zu steigern, Herr Heinemann. Dies ist auch der Grund, warum die SPD die Schule für alle als bessere Schulform propagiert, weil es dort bei besseren Lernleistungen aller Kinder sozial gerechter zugeht. Aber bei der Schulstruktur geht es nicht umsonst nur um die Jahrgänge null bis zehn.

Die CDU sagt weiter, es sei ein Widerspruch, die Schule für alle zu fordern, aber die Zusammenlegung von Grundkursen und Leistungskursen in Deutsch und Englisch abzulehnen; gerade darum geht es doch. Es geht in der gymnasialen Oberstufe um Jugendliche, die 16, 17, 18 Jahre alt sind. Da treten inzwischen, das wissen Sie auch ganz genau, solche Leistungs- und Interessensunterschiede auf, dass es nicht funktionieren wird, diese in einem Kursniveau zusammen zu lassen und gleichzeitig Exzellenz zu fordern; das kann nicht funktionieren.

(Robert Heinemann CDU: Das geht mit 15 schon, aber mit 16 nicht, oder was?)

- Das wird überall auf der Welt so praktiziert, da können Sie alle Pädagogen und Experten fragen.

Sie haben, meine Damen und Herren von der CDU, außer den Allgemeinplätzen, wie bessere Studierfähigkeit, keine pädagogisch tragfähigen Argumente vorgetragen, die eine solche Veränderung, wie Sie sie planen, rechtfertigen. Gehen wir doch einmal auf Ihr Argument der Studierfähigkeit, der grundlegenden Vorbereitung für das Studium, ein. Das haben auch schon zu Ihren Zeiten vor mehr als 40 Jahren die Universitäten beklagt und deshalb die Oberstufe so reformiert, wie wir sie weiter erhalten wollen.

(Robert Heinemann CDU: Das war gut vor 30 Jah- ren, dann ist das heute noch gut!)

Herr Heinemann, Sie sagen, ohne eine gute Ausdrucksfähigkeit im Deutschen, ohne grundlegende Kenntnisse in der englischen Sprache und der Mathematik könnten die künftigen Abiturienten kein erfolgreiches Studium absolvieren; da haben Sie recht.

(Robert Heinemann CDU: Ja, danke!)

Die Ansprüche sind in der Tat und zu Recht gestiegen, aber sehen wir doch einmal ins Detail. Wozu brauchen die künftigen Medizinstudenten vertiefte Kenntnisse in deutscher und englischer Literatur mit literaturwissenschaftlichen Fragestelllungen, wie sie in einen Leistungskurs Deutsch oder Englisch gehören?

(Karen Koop CDU: Das kann ja wohl nicht ange- hen! Haben Sie schon mal was von humboldt- schen Ideen gehört?)

Das wollen Sie aber den künftigen Studenten aufzwingen.

(Karen Koop CDU: Zu Recht, das gehört zur All- gemeinbildung!)

Stichwort Mathematik: Schon heute müssen sich die künftigen Studenten mit den Grundlagen der Mathematik bis zum Abitur beschäftigen. Die beklagenswerten Defizite in diesem Fach, Frau Koop - ich verweise auf LAU 13 -, sind aber doch der mangelhaften Qualität des Unterrichts in der Mittelstufe geschuldet. Das können Sie doch nicht über vier Semester mit vier Stunden Unterricht in der Studienstufe ausbügeln. Wo leben Sie denn?

Wir Sozialdemokraten wollen mehr junge Menschen besser auf ein Studium im 21. Jahrhundert vorbereiten.

Wir wollen, dass mehr Exzellenz in Wahlfächern erreicht wird durch weiterhin fünfstündige Leistungskurse. Wir wollen aber - das ist auch für uns der zweite wichtige Punkt -, dass wirklich fächerübergreifend zwei Jahre lang gelernt wird, und dieses erreicht man mit der Verknüpfung von zwei Leistungs- und drei Grundkursen, und zwar mit echten Oberstufenthemen wie bei allen fünf Profilfächern auch. Das, Herr Heinemann, ist das echte Original der Profiloberstufe der Max-Brauer-Schule, das Sie abschaffen wollen. Das bisschen Profil, das Sie in den geplanten Oberstufen bei zwei Fächern und einem Seminarfach mit einem einzigen Leistungskurs einführen wollen, ist nicht die Exzellenz, die wir brauchen, um die Studenten in das 21. Jahrhundert zu bringen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL - Dr. Willfried Maier GAL: Da sind sie, da sind sie!)

Die übrigen Fächer, die bei Ihrem Modell dann noch nachbleiben, werden von Ihnen auch noch zu zweistündigen Absitzkursen abgewertet, was, Frau Koop, das Ziel der Allgemeinbildung weiter fraglich werden lässt, das Sie so hoch halten.

Zusammenfassend: Sie geben wohlklingende Ziele vor, werden diese nicht erreichen und deshalb lehnen wir diese Struktur ab. Wir wollen die jetzige Struktur der gymnasialen Oberstufe retten, weil sie mehr Leistung abrufen kann und abruft. Das kann die Entscheidung am Wahltag im Februar 2008 noch ganz entscheidend beeinflussen und da werden die entsprechenden Leute auch ein wichtiges Wörtchen mitreden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL - Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

Das Wort erhält der Abgeordnete Heinemann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schon etwas merkwürdig. Da diskutieren wir seit 2004 über die Reform der gymnasialen Oberstufe, die Elternräte werden umfangreich beteiligt, stimmen in der Anhörung sogar zu, die GAL stimmt unserem Antrag zu, die SPD in Schleswig-Holstein schließt sich unserer Reform an und jetzt auf einmal ist für die SPD und GAL alles falsch und die Opposition entdeckt plötzlich ihre Liebe für die Leistungskurse.

Mehr noch - Herr Buss hat es bereits angedeutet: Grüne und zumindest Teile der SPD fordern die Einheitsschule, weil man doch in heterogenen Systemen am besten lernen könne. Nun führen - laut Ihrer Presseerklärung - heterogene Lerngruppen zur Unterforderung der Interessierten und zur Überforderung des größeren Teils. Hört, hört, würden Sie sagen, Herr Buss. Lesen Sie sich Ihren Pressetext einmal genau durch. Der ist nämlich doppelt interessant.

Zum einen habe ich den Eindruck, dass Sie selber nicht mehr an die individuelle Förderung in heterogenen Lerngruppen glauben. Herr Schirg von der Zeitung "Die Welt" hat das schon mal sehr deutlich herausgearbeitet. Zum anderen halten Sie offenbar - und das ist das eigentliche Problem - über die Hälfte unserer Abiturienten für überfordert, auf Leistungskursniveau Deutsch und eine Fremdsprache zu belegen.

Meine Damen und Herren! Das ist nicht nur eine Beleidigung der Hamburger Abiturientinnen und Abiturienten, sondern ist auch bar jeder Realität. Wenn Sie einmal in die Große Anfrage der GAL hineingucken würden, würden Sie feststellen, dass schon heute ein Drittel aller Oberstufenschüler einen Deutsch-Leistungskurs belegt und immerhin die Hälfte einen Leistungskurs einer Fremdsprache. Wenn nun künftig plötzlich mehr als die Hälfte überfordert sein soll, Herr Buss, dann weiß ich wirklich nicht, woher Sie diese Zahlen haben wollen.

Aber offenbar zweifeln Sie wirklich an den Fähigkeiten der Hamburger Abiturienten. Vielleicht liegt das daran, welche Erfahrungen Sie mit der früheren Schulpolitik gemacht haben, denn es folgt dann Ihr absoluter Hammervorwurf, die Oberstufenreform zwinge - man höre und staune - alle Schüler zur Beschäftigung mit belletristischen Texten. Das, meine Damen und Herren, ist natürlich völlig unmöglich, dass man Abiturienten mit solchen Dingen beschäftigen will. Nachher werden die Abiturienten vielleicht noch Journalisten, Verleger oder gar "Zeit"Herausgeber. Das können wir nun wirklich nicht wollen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Karen Koop CDU: Ja, das ist ja eine Zumutung!)

Meine Damen und Herren! Ihr Antrag kommt mit jahrelanger Verspätung, drei Jahre ungefähr, ist völlig altbacken und geht leider auch vollkommen an der Realität vorbei. Vielleicht liegt es daran, dass Sie bestenfalls irgendwann einmal die reformierte Oberstufe gefordert haben. Ich hingegen durfte sie als Schüler erleben und kenne von daher die Stärken, aber durchaus auch die Schwächen dieses Systems. Ich weiß, dass man Kurse nicht unbedingt nach den Neigungen, sondern auch nach den zu erwartenden Lehrern oder nach den kalkulierten Punkten wählt. Ich habe schon 1991 und nicht erst 2006 erlebt, dass sich theoretische Wahlmöglichkeiten sehr schnell in Luft auflösen können, wenn Kurse nicht zustande kommen. Ich habe mitbekommen, dass Wissenschaftspropädeutik doch ein sehr großes Wort dafür ist, was zum Teil in der Oberstufe stattfindet. Wenn das alles nur meine persönlichen Erfahrungen wären, Herr Buss, dann wäre das vielleicht nur ein Problem meiner Schule gewesen, aber auch unsere Expertenanhörung hat das gezeigt. Die KMK hat bereits 1995 in einer Expertenkommission festgestellt, dass wir es in der Oberstufe leider mit strukturellen Problemen zu tun haben. Das zeigt sich leider auch in der Frage der Studierfähigkeit.

Trotz der sehr umfangreichen Kritik, zum Beispiel des Deutschen Hochschulverbandes, behaupten Sie allen Ernstes, die Oberstufe hätte sich auch in der Frage der Studierfähigkeit bewährt. Warum, frage ich Sie, Herr Buss, bieten die Universitäten reihenweise Vor- und Brückenkurse an, wenn doch angeblich unsere Abiturientinnen und Abiturienten so gut in der Oberstufe auf ein Studium vorbereitet werden. Das Department Mathematik führte im Wintersemester beispielsweise einen Vorkurs für alle Studierenden der Bachelor- und Lehramtsstudiengänge ein. Ich zitiere einmal von der Homepage der Universität Hamburg:

"Ziel ist es, der großen Heterogenität der Vorkenntnisse entgegenzuwirken."

Das ist die Realität, auch in Hamburg. Herr Buss, ich stimme zwar völlig mit Ihnen überein, dass wir auch an der Mittelstufe arbeiten müssen, aber das, was in diesem Vorkurs gelehrt wird, ist gar kein Mittelstufenstoff, son

dern Analysis, also Integralrechnung, Differenzialrechnung, alles wunderbare Oberstufenthemen. Da liegen offensichtlich die Probleme.

Auch der GAL-Deputierte und frühere Schulleiter Edgar Mebus hat die Probleme in der Zeitung "die tageszeitung" bestätigt, indem er sagte, man könne heute nicht Physik oder Mathematik studieren, ohne diese Fächer als Leistungskurs gehabt zu haben.

(Wilfried Buss SPD: So ist es!)

- Ja, aber wenn es denn so ist und Sie dieses System als bewährt bezeichnen, dann verabschieden Sie sich doch von der allgemeinen Hochschulreife. Wir können gerne darüber diskutieren, ob wir eine fachgebundene Hochschulreife einführen wollen. Das haben ja andere Länder gemacht. Ich hielte es für falsch, weil ich nicht glaube, dass die meisten Schülerinnen und Schüler mit 16 Jahren schon wissen, was sie studieren wollen. Ich glaube sogar, dass die meisten mit 19 Jahren noch nicht wissen, wie viel Mathematik man für ein Psychologiestudium braucht. Aber wenn Sie unbedingt die fachgebundene Hochschulreife wollen, sagen Sie es, dass sie die einführen wollen und gehen Sie damit gerne in den Wahlkampf.

Wir hingegen wollen die allgemeine Hochschulreife beibehalten und dann müssen wir dafür sorgen, dass grundsätzlich jeder Abiturient ohne Vor- und Brückenkurse in der Lage ist, alle Fächer zu studieren. Ich nehme dabei solche Fächer wie Kunst, Musik und Sport einmal aus. Genau das ist eines der zentralen Ziele, die wir mit der Reform der Oberstufe erreichen wollen.

Lassen Sie mich noch ein paar Details klarstellen. Erstens haben wir die Erfahrungen von Baden-Württemberg aufgegriffen und werden Mathematik in Hamburg auf zwei Anforderungsniveaus anbieten. Das, was in Ihrer Pressemitteilung steht, in der Sie Schüler zitieren und dort die Kritik geäußert wird, wir würden Mathematik verpflichtend auf Leistungskursniveau anbieten wollen, ist schlicht falsch. Das wissen Sie auch.

Zweitens fordern Sie auf der einen Seite, das bisherige System mit individuellen Wahlmöglichkeiten beizubehalten und auf der anderen Seite aber eine Profiloberstufe und fächerübergreifenden Unterricht einzuführen. Das ist nun wirklich die Quadratur des Kreises. Entweder führen Sie, wie nach unserem Modell, die Wahl zwischen verschiedenen Profilen ein, oder aber Sie behalten die individuelle Kurswahl bei. Beides zusammen, Herr Buss, geht nur im Wahlkampf.

Ich möchte dazu einmal die Schulleiterin der Max-BrauerSchule zitieren, die in der Anhörung gesagt hat:

"Die Schüler wählen jetzt nicht mehr einzeln diese Fächer, sondern sie wählen (...) das Profil. Sie haben also (...), und das beklagen sie auch, eine Einschränkung ihrer Wahlfreiheit, aber mit einem unendlichen Vorteil, (...) dass ich problemorientiert arbeite und, bezogen auf jeweils ein Thema, das im Semester gestellt wird, dann auch aus dieser Fächerperspektive heraus auf das Thema hinarbeiten kann."