Protokoll der Sitzung vom 19.04.2007

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will das, was meine Vorredner, insbesondere Frau Ernst, an Würdigung der Arbeit der EnqueteKommission hier gesagt haben, nicht wiederholen. Es ist vieles dabei, dem ich mich persönlich anschließen möchte. Es war eine angenehme Arbeit, es war eine offene Arbeit, es war eine Arbeit, die insbesondere bei den ersten vier Teilthemen zu großer Übereinstimmung geführt hat und das ist immerhin anerkennenswert. Es wird ein Steinbruch für viele Entscheidungen der nächsten Jahre sein, was man nicht einfach marginalisieren kann.

Ich möchte mich jetzt auf Ihren Antrag beziehen und Ihnen erklären, warum wir diesem Antrag so nicht zustimmen können, denn in der Begründung, Herr Heinemann - ein Teil der Begründung ist eben doch mit dem Petitum verwoben -, loben Sie vehement Ihre Partei für die Bildungswende und diesem pauschalen Lob wird und kann sich die SPD–Fraktion in keiner Weise anschließen.

(Bernd Reinert CDU: Wenn Sie ehrlich wären, könnten Sie es! - Robert Heinemann CDU: Un- sinn!)

War es eine Bildungswende, wenn Sie 2001 in großem Maße Lehrerstellen strichen und dem Herrn Vizeadmiral als Schulsenator dafür freie Hand gaben?

(Wolfgang Beuß CDU: Kommen Sie doch mal zur Sache! - Gegenruf von Ingo Egloff SPD: Das hät- ten wir uns bei Herrn Heinemann auch ge- wünscht!)

War es eine Bildungswende, wenn Sie den Lehrern eine Arbeitszeit von 46 Stunden in der Woche auferlegen und sich dann vor den Konsequenzen drücken, die aus dem Gutachten von Mummert & Partner, das Sie selber bestellt hatten, folgen? Wir warten seit zwei Jahren auf die Auswertung, vor der Sie sich drücken. Gehört der Einstieg in die Privatisierung von Sportunterricht etwa auch zu dieser Wende? Vermutlich ja. Sicherlich war das Bekenntnis zur Sinnhaftigkeit übergroßer Klassen ein Beitrag zu genau dieser Bildungswende, wie es die Frau Senatorin vor kurzem noch gemacht hat, bevor sie sich dann aus dieser Wende mit großem Getöse möglichst schnell herausstehlen wollte, denn es kommt ja Wahlkampf. In Wirklichkeit haben Sie große Klassen gefordert und jetzt plötzlich kleine verordnet; das nenne ich Wende.

(Ingo Egloff SPD: Wendehals!)

Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Für eine Wende, die solche Entwicklungen einschließt, werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb stimmen wir der Kernaussage Ihres Petitums auch nicht zu. Wir wollen kein Schulsystem aus Gymnasien einerseits und dem versammelten Rest der anderen

Schulformen andererseits. Wir wollen keine starre Reduzierung von der Drei- zur Zweigliedrigkeit und dann ein schnelles Ende der Reformen; das wäre CDU-Wende.

Wir Sozialdemokraten wollen eine Schulentwicklungsplanung im Zuge der Reduzierung der Zuvielgliedrigkeit, die nicht schon von vornherein die Gymnasien ausschließt, denn unser Ziel ist eine Schule für alle – Herr Heinemann, so leicht machen wir es Ihnen nach den Wahlen nicht –, auch wenn wir sie nur mittelfristig erreichen.

(Wolfgang Beuß CDU: Wann schließen Sie die Gymnasien?)

Deshalb sind wir auch dafür, die Hauptschule möglichst schnell zu schließen und in einer integrierten Haupt- und Realschule aufgehen zu lassen, denn Sie blenden völlig aus, dass, wenn eine Hauptschule im nächsten Jahr nicht mehr eingerichtet würde, dann die siebte Klasse nicht eingerichtet wird. Sie werden im Ernst nicht glauben, dass eine Stadtteilschule sofort in allen Jahrgängen parallel eingerichtet werden kann; das ist ein aufwachsender Prozess.

(Wilfried Buss SPD: Eben! Die dauert drei Jahre, Herr Kollege!)

Insofern werfen Sie Nebelkerzen, wenn Sie in einem Jahr schon etwas ganz anderes wollen, das ist natürlich Unfug.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch und Jens Kerstan, beide GAL)

Es bedarf einer Schulentwicklung vor Ort und Sie sagen, dass Sie das auch wollen. Notwendig wäre dazu allerdings, zügig eine schulformübergreifende Schulaufsicht und Beratung zu entwickeln. Das aber soll nach Ihrer Vorstellung erst am Ende des Transformationsprozesses geprüft werden.

Die von Ihnen festgeschriebene behördliche Verantwortungsstruktur der Schulräte, fein säuberlich getrennt nach Gymnasien auf der einen Seite und GHR–/Gesamtschulen, später Stadtteilschulen, auf der anderen Seite, kann diesen Entwicklungsprozess zweifellos nicht fördern. Sie soll es im Übrigen auch nicht, sonst hatten Sie es anders entschieden.

Für die von Ihnen gewünschte Einrichtung der beiden Säulen ist es nur konsequent, dass Sie am Etikett "gymnasial empfohlen" am Ende der Grundschulzeit festhalten, was man sich dann gegebenenfalls auf die stolz geschwellte Schülerbrust heften kann. Frau Goetsch hat darauf hingewiesen, welche sozialen Konsequenzen das hat.

In der Enquete-Kommission haben wir insbesondere in den ersten vier Themenbereichen Übereinstimmung erzielt, das soll festgehalten werden. Beim Teilthema fünf, bei dem es eigentlich um Schulstrukturen ging, in Wahrheit aber die von Schulstrukturen beeinflussten Lebenschancen vieler junger Menschen im Zentrum stehen müssten, trennt uns nach wie vor trotz vieler gemeinsamer Punkte viel und dabei wird es vermutlich auch bleiben. Die Verweigerung von Bildungschancen je nach sozialer Herkunft der Kinder ist kein zukunftsfähiges Konzept. Soziale individuelle Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft gebieten, die Begabungen und Fähigkeiten aller Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, zu fördern und zu nutzen. Vermutlich werden wir erst nach den

Wahlen 2008 sehen, welche Akzente sich tatsächlich durchsetzen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Heinemann, da Sie immer die Einheitsschule in den Mund nehmen: Früher hätte man gesagt, dann gehen Sie doch nach drüben. Das kann man jetzt nicht mehr sagen, aber Sie sollten sich ein bisschen in der Literatur erkundigen. Es gibt zum Beispiel unter Reformpädagogen der Zwanzigerjahre die elastische Einheitsschule, das sollten Sie einmal nachlesen, also bitte eine etwas genauere Definition dieses Begriffs.

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist ja noch rückwärts- gewandter!)

Ich möchte auf einen Punkt eingehen. Sie haben gesagt, es ginge alles viel zu schnell, wenn man 2008 schon keine siebten Klassen in den Hauptschulen mehr einrichten würde. Wir haben in Hamburg Gott sei Dank seit Anfang der Neunzigerjahre Erfahrungen der integrierten Haupt- und Realschulen vorliegen. Es gibt sehr gut ausgewertetes und bearbeitetes Material. Ich weiß nicht, ob man das sagen darf, aber Sie sind da ein bisschen "schietbüxig", wenn ich mir angucke, wie gut das gehen könnte. Wenn Sie - nicht Sie persönlich, aber die Senatorin - sich jetzt die Schulentwicklung ansehen, die Sie vor zwei Jahren gemacht haben, was keine regionale Schulentwicklung war, sondern da wurde jede Woche eine andere Sau in irgendeinem Stadtteil durchs Dorf getrieben, ist die Halbwertszeit dieser Schulentwicklung so kurz, dass Sie jetzt 56 Sonderausnahmen machen, prioritär vor allen Dingen HR–Schulen, die eigentlich auslaufen könnten. Sie könnten im nächsten Jahr locker damit anfangen. Jetzt hat man aus wahltaktischen Gründen Angst davor und macht um Gottes willen nichts; da sind Sie richtig schietbüxig.

(Wolfgang Beuß CDU: Was haben Sie eigentlich für ein Weltbild, Frau Goetsch?)

Ein letzter Punkt noch zu den Schulentwicklungsprozessen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass es ein längerer Prozess wird. Wenn man das fachlich wirklich gut machen will und das Ganze nicht nur aus wahltaktischen Gründen macht, dann muss man einen Prozess organisieren, der eine regionale Schulentwicklung beinhaltet; da sind wir uns einig. Nicht einig sind wir uns - die SPD hat es in ihrem Antrag stehen - bei den schulformübergreifenden Schulaufsichten. Es ist klar, dass nicht jeder Schulaufsichtsbeamte sein eigenes kleines Häuschen bewirtschaftet und ihm nicht daran gelegen ist, miteinander zu reden; das ist nicht gerade die derzeitige Behördenkultur. Und es geht darum, dass die Kollegen fortgebildet werden, damit sie in der Lage sind, individuelle Lernformen durchzuführen. Es geht darum, Bildungspläne entsprechend übergreifend zu machen, und all das ist nicht vorgesehen. Es ist keine Beteiligungskultur vorgesehen, aber das ist notwendig. Außerdem brauchen Sie auch in den Stadtteilen Menschen und keine Beamten mit Ärmelschonern, die Prozesse steuern und begleiten können. Das muss initiiert werden, um eine Schulentwicklung über einen längeren Zeitraum zu beginnen, die dazu

führt, dass wirklich alle Kinder zu ihrem Recht kommen. - Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Zunächst stelle ich fest, dass die Bürgerschaft den Bericht der Enquete-Kommission aus Drs. 18/6000 zur Kenntnis genommen hat.

Nun zum SPD-Antrag aus Drs. 18/6120. Die GALFraktion möchte Ziffer 7 gesondert abstimmen lassen. Wer den Antrag aus Drs. 18/6120 mit Ausnahme von Ziffer 7 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer Ziffer 7 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Auch Ziffer 7 ist mit Mehrheit abgelehnt.

Jetzt kommen wir zum CDU-Antrag aus der Drs. 18/6026. Da wünscht die SPD–Fraktion eine ziffernweise Abstimmung.

Wer Ziffer 1 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist einstimmig bei Enthaltungen angenommen.

Wer sich Ziffer 2 anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wer Ziffer 3 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ziffer 3 ist einstimmig angenommen.

Wer Ziffer 4 annimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Auch Ziffer 4 ist einstimmig angenommen.

Nun gibt es eine weitere Verschiebung der Tagesordnung; wir sind heute flexibel. Die Fraktionen sind übereingekommen, auch den zweiten Antrag zur Schulpolitik, nämlich Tagesordnungspunkt 25, zu debattieren und danach zur Fragestunde zu kommen.

Ich rufe jetzt Punkt 25 der Tagesordnung auf, Drs. 18/5847, den Bericht des Schulausschusses zur Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 8. Dezember 2005 – Neue gymnasiale Oberstufe für Hamburg: Breitere Allgemeinbildung, höhere Studierfähigkeit, bessere Vergleichbarkeit.

[Bericht des Schulausschusses über die Drs. 18/5146: Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 8. Dezember 2005 (Drs. 18/1219) – Neue gymnasiale Oberstufe für Hamburg: Breitere Allgemeinbildung, höhere Studierfähigkeit, bessere Vergleichbarkeit – (Senatsmitteilung) - Drs. 18/5847 -]

Hierzu liegt Ihnen als Drs. 18/6122 ein gemeinsamer Antrag von GAL- und SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktionen der GAL und der SPD:

Rettung der reformierten gymnasialen Oberstufe – Modernisierung statt Abschaffung des Leistungs- und Grundkurssystems - Drs. 18/6122 -]

Wer wünscht das Wort? Herr Buss.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Hamburgs Schulpolitik steht auch heute an einem Scheideweg. Die Frage lautet: Geht es für die künftigen Abiturientinnen und Abiturienten ins 21. Jahrhundert oder zurück in die Sechzigerjahre? Das Modell, das die CDU heute eingebracht hat, atmet in seinen Zwangsauflagen und dem verstärkten Prüfungszwang den Geist meines Abiturjahrgangs der Sechzigerjahre.

(Robert Heinemann CDU: Da sieht man, was dar- aus folgt! Das ist eine Katastrophe!)