Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Es wäre lustig und man könnte mit einem Augenzwinkern darüber hinweggehen, wenn nicht über diese Jahre etwas Seltsames in Deutschland passiert wäre und noch einmal verstärkt in den letzten fünf bis sieben Jahren insbesondere in Hamburg, dass nämlich die Sockelarbeitslosigkeit und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit immer weiter angestiegen ist, sodass wir inzwischen in ganz Europa und im ganzen Bereich der OECD-Länder trauriger Spitzenreiter geworden sind. Schauen wir uns dieses Kernproblem des deutschen Arbeitsmarktes an. Dann sehen wir, dass von den Langzeitarbeitslosen in Hamburg weit über 50 Prozent gering Qualifizierte ohne Berufsausbildung sind. Bei den Migranten sind es sogar weit über 75 Prozent, die keine Berufsausbildung haben und langzeitarbeitslos sind. Die konkrete Frage - das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern wenn das die Herausforderung der nächsten Jahre ist, wie wir Fachkräfte kriegen - ist, wie wir den Bogen zu den Verbesserungsmöglichkeiten und den Notwendigkeiten, die wir heute haben, kriegen, dass wir auch in der Zukunft ein erfolgreiches Wirtschaftswachstum fortsetzen können. Da sind Sie Antworten schlichtweg schuldig geblieben.

Wir nennen Ihnen vier bis fünf Beispiele, erstens ordnungspolitisch. Wie können Sie einen lebendigen und geordneten Arbeitsmarkt für gering Qualifizierte schaffen? Das Erste ist, die gering Qualifizierten zu mobilisieren. Da lassen die Integrationsquoten der Maßnahmen, die Sie heute immer noch in einem großen Einheitsbrei betreiben, deutlich zu wünschen übrig.

Das Zweite: Setzen Sie sich auch auf Bundesebene für einen Mindestlohn ein, damit gerechte Arbeit gerecht entlohnt wird und es dadurch auch einen deutlichen Anreiz für diejenigen, die gering qualifiziert sind, gibt eine solche Arbeit auch wirklich anzunehmen.

(Beifall bei Jörg Lühmann GAL)

Drittens: Schaffen und erhöhen Sie die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für gering Qualifizierte und versuchen Sie das Problem der gering Qualifizierten anzugehen. Schauen Sie sich in Hamburg den völlig zersplitterten Bereich des Übergangs von Schule zu Beruf an. Fünf Behörden agieren hier fast völlig unkoordiniert und richten mehr Schwierigkeiten an als eine wirklich schlüssige Vorgehensweise für die Betroffenen anzubieten. Dann kommt eine Behörde und setzt eine Internetseite auf, weil sie offensichtlich selber Schwierigkeiten hat, das Ganze zu verstehen, die sich www.ichblickdurch.de nennt,

(Ingo Egloff SPD: Die hat der Senator aber nicht gesehen!)

und zeigt schon allein mit der Wahl des Titels, dass es relativ schwer sein muss, durchzublicken, was überhaupt geschieht. Schaffen Sie die nötige Koordinierung, schaffen Sie ein Konzept aus einem Guss und stellen Sie den Jugendlichen bereits in der Schule Berufsbegleiter und Berufsberater zur Seite, die sie nicht verlassen, wenn sie die Schule verlassen, und die sie auch nicht verlassen, wenn sie in den ersten Maßnahmen noch nicht den richtigen Erfolg haben. Schaffen Sie eine Durchgängigkeit und damit eine Verbindlichkeit, die endlich - das ist das einzige Schlüsselmodell - wirklich zu einem Erfolg führen kann.

(Beifall bei der SPD und bei Gudrun Köncke GAL)

Viertens: Wir haben einen Fachkräftemangel, die berufliche Weiterbildung stand in den letzten Jahren auf einem absoluten Tiefststand. Dafür sind Sie nicht nur alleine verantwortlich aber es läge an Ihnen, das auch entsprechend öffentlich deutlich zu machen und selber gegenzusteuern.

Fünftens: Setzen Sie sich persönlich immer wieder und jedes Jahr neu in einer Ausbildungsplatzinitiative dafür ein, dass auch die notwendigen Ausbildungsplätze geschaffen werden. Statt Ihre Zeit teilweise damit zu verschwenden, sich mit inhaltsleeren Reden zu feiern, nutzen Sie jetzt in einem positiven Wirtschaftszyklus die Chancen, die Maßnahmen zu schaffen, dass Sie beim nächsten Abschwung in der Position sind, den jungen und älteren Langzeitarbeitslosen so viel Möglichkeiten und Chancen mitgegeben zu haben, dass sie als Fachkräfte im Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und dass wir nicht wieder einen noch weiteren Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit zu beklagen haben werden, der sonst eintritt, wenn wir heute nichts tun.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Köncke.

Herr Uldall, was Sie hier als neuen Impuls für Ihre Wirtschaftspolitik zum Thema Arbeitsmarkt gesagt haben, war: "Ich habe gute Laune, also geht es der Wirtschaft gut. Das ist meine Wirtschaftspolitik." Viel mehr haben Sie leider nicht darüber ausführen können. Was Sie noch aufgenommen haben, waren die Bereiche Airbus und Hafen. Ich weiß nicht, ob

Sie meinen Kollegen, Herrn Maaß, absichtlich falsch zitiert haben.

(Michael Neumann SPD: Ja!)

Aber, was wir deutlich festhalten müssen, ist, dass hier die Weichen natürlich von Rot-Grün gestellt worden sind. Genau darauf ruhen Sie sich im Moment aus. Etwas darüber hinaus haben Sie uns leider nicht vermitteln können.

Dabei freue ich mich eigentlich immer wieder, wenn wir über das Thema Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik sprechen. Ich weiß genau - die Haltung von Herrn Uldall zeigt es ganz deutlich -, dass es für ihn immer Kleinkram ist. Ihm geht es um das Große, um den Hafen und um Airbus. Aber über Arbeitsmarktpolitik und das, was uns in dieser Stadt eigentlich als Frage gestellt wird - genau darauf -, lässt er sich ungern ein. Damit möchte er sich ungern beschäftigen.

Natürlich haben wir wesentliche Fragen zu lösen. Ich sage es immer wieder gerne selbst aber diesmal ist es ein Zitat von Herrn Steil:

"Trotz des stabilen Aufschwungs ist die strukturell bedingte Arbeitslosigkeit … nicht gelöst."

Herr Uldall, was machen Sie gegen diese strukturelle Arbeitslosigkeit, die ausgewiesenermaßen die Migranten und die Frauen wesentlich betrifft? Unter anderem - meine Kollegin hatte es herausgestellt - streichen Sie im Integrationsbereich für Migranten die Ausgaben um genau 12 Prozent. Die Folge ist, dass die Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund weiter rückläufig ist und inzwischen insgesamt bei ungefähr 6,3 Prozent liegt, obwohl diese Bevölkerungsgruppe 20 Prozent ausmacht.

Das Stichwort "Fachkräftemangel" haben wir schon genannt aber, ich glaube, ich möchte Ihnen noch einen Bereich zumuten, und zwar Herrn Uldalls Strukturpolitik. Wir haben im Haushaltsausschuss lange darum gerungen, welche Art von Arbeitsmarktpolitik wir eigentlich brauchen. Herrn Uldalls Entscheidung ist die Investition in Arbeitsplätze. Diese Investition in Arbeitsplätze, so führt er immer wieder aus, würde sich heute auszahlen. Genau deswegen hätten wir mehr Arbeitsplätze. Er hat unter anderem ungefähr 7,3 Millionen aus der aktiven Arbeitsmarktförderung herausgenommen. Herr Uldall, wenn es jetzt darum geht, zu sagen: "Wo kommen diese Arbeitsplätze eigentlich her, auf die Sie sich immer berufen?", dann ist es genau so, dass Sie von diesen 7 Millionen, die Sie der Förderung der Arbeitslosen entzogen haben, 1 Million umgesetzt haben. Das bedeutet doch ganz konkret, dass es zwar neue Arbeitsplätze gibt - klar, die Konjunktur brummt. Bloß, Herr Uldall, Sie können nichts dafür. Das ist doch genau der entscheidende Punkt dabei.

(Beifall bei der GAL und der SPD - Robert Hei- nemann CDU: Aber Sie bestimmt auch nicht!)

Ich glaube, hier herrscht ein bisschen Sommerstimmung oder Sommerferienstimmung. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen und den Herausforderungen, die der Arbeitsmarkt bildet, findet hier heute anscheinend tatsächlich nicht mehr statt, sondern es bleibt dabei, sich immer darauf auszuruhen, dass es der Wirtschaft gut geht. Das kann es letztendlich nicht sein. Wir werden morgen das Thema "Fachkräftemangel" sicherlich noch

weiter vertiefen. Ich hoffe, dass ich dann auf etwas mehr Aufmerksamkeit bei Ihnen treffen kann. - Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Damit ist die Aktuelle Stunde für heute beendet. Wir werden sie morgen, am Donnerstag, mit dem dritten Thema fortsetzen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2, der Wahl von zwei vertretenden Mitgliedern der Kommission für Stadtentwicklung.

[Unterrichtung durch den Präsidenten der Bürgerschaft: Wahl von zwei vertretenden Mitgliedern der Kommission für Stadtentwicklung - Drs. 18/6520 -]

Der Stimmzettel liegt Ihnen vor. Er enthält bei den Namen Felder für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Kreuzen Sie aber bitte bei jedem Namen nur ein Kästchen an. Mehrere Kreuze bei einzelnen Namen beziehungsweise weitere Eintragungen oder Bemerkungen würden zur Ungültigkeit führen. Auch unausgefüllte Stimmzettel gelten als ungültig. Bitte nehmen Sie jetzt Ihre Wahlentscheidung vor.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Ich darf die Schriftführerinnen bitten, mit dem Einsammeln der Stimmzettel zu beginnen.

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Wahlhandlung. Die Wahlergebnisse werden nun ermittelt und ich werde sie Ihnen im Laufe der Sitzung bekannt geben.1

Wir kommen zum Punkt 15 der heutigen Tagesordnung, der Senatsmitteilung "Hamburg schützt seine Kinder: Umsetzung der Maßnahmen".

[Senatsmitteilung: "Hamburg schützt seine Kinder: Umsetzung der Maßnahmen" - Drs. 18/6369 -]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion federführend an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss und mitberatend an den Schulausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? - Herr Kienscherf, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat dieses Thema heute zur Debatte angemeldet, nachdem es die CDU-Fraktion wieder einmal nicht geschafft hat, sich dazu durchzuringen, wie auch beim letzten Mal, als es im Dezember darum ging, die Stellungnahme des Senates zu dem Ersuchen des Sonderausschusses zu bewerten. Auch da haben Sie die Debatte nicht angemeldet. Das zeigt doch ganz deutlich, wie wenig Sie sich für dieses wichtige Thema interessieren. Das ist enttäuschend. Wir Sozialdemokraten interessieren uns für das Thema und wir wollen es voranbringen.

1 Ergebnisse siehe Seite 4464 D

(Beifall bei der SPD - Klaus-Peter Hesse CDU: Da klatschen Leute, die habe ich noch nie im Jugendausschuss gesehen!)

Was umso mehr bestürzt, Herr Hesse, ist, dass bei dem wichtigen Thema, als wir zum Beispiel in der letzten Woche im Jugend- und Familienausschuss, den Sie hier eben gerade angesprochen haben, über das Thema "Hilfen zur Erziehung" sprachen, es die Sozialsenatorin nicht für nötig empfunden hat zu kommen. Der Staatsrat hat es nicht für nötig empfunden zu kommen. Und die Senatorin hält es auch weiterhin nicht für nötig, an solchen Debatten teilzunehmen, gerade wenn es um ihr Konzept geht. Wie deutlich muss man denn sagen oder wie deutlich ist es denn, dass sie kein Interesse daran hat, dass es den Kindern in unserer Stadt besser geht, Herr Hesse?

(Beifall bei der SPD - Michael Neumann SPD: Schämen Sie sich!)

Das ist doch ein deutliches Signal. Es ist doch letztendlich ungeheuerlich, dass die Senatorin hier und heute - im letzten Ausschuss war sie nicht da - auch wieder die Diskussion verweigert. Das Einzige, was sie macht: Sie ließ sich gestern feiern und das - Frau Blömeke hat zu Recht gesagt - in selbstgefälliger Art und Weise. Oder sie macht Pressekonferenzen, wie zum Beispiel anlässlich dieser Drucksache. Sie macht auch Pressekonferenzen hinsichtlich unseres Ersuchens, das Sie auch mit beschlossen haben und in Ihrer Antwort. Aber was sie nicht macht, ist, hier in der Bürgerschaft die politische Auseinandersetzung zu führen. Stattdessen lesen wir vollmundig:

"'Hamburg schützt seine Kinder' …: Ein stolzes Bekenntnis zu dem, was wir in den vergangenen Jahren … erreicht haben."

(Rolf Harlinghausen CDU: Sie lesen vollmundig. Wie machen Sie das denn?)

Ich kann Ihnen nur eins sagen: Stolz können nur diejenigen sein, die trotz unzumutbarer Arbeitsbelastung und trotz der schlimmen Situation, die wir nach wie vor im ASD-Bereich und bei den Freien Trägern haben, die sich wirklich um den Schutz unserer Kinder kümmern. Das ist nicht die Sozialsenatorin, lieber Herr Hesse.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Deswegen empfinden wir es auch als völlig unangebracht - aber dazu können Sie ja vielleicht gleich auch etwas sagen -, wenn die Senatorin in ihrer Drucksache schreibt, da betreibt sie - das versucht sie schon seit einigen Wochen - Legendenbildung, dass der Senat nach dem Tod von Jessica umgehend alle Anstrengungen unternommen hat, um Kinder in Hamburg besser zu schützen, umgehend. Wir alle wissen, dass der tragische Tod von Jessica am 1. März 2005 war. Über sieben Monate später, am 17. November 2005 gab es einen kleinen Parteitag Ihrer Partei. Ich glaube, es waren Herr Weinberg, Ihr Ex-Kollege, und der Bürgermeister, die beide gesagt haben, dass wir es nicht mehr zulassen können, dass in dieser Stadt nichts passiert, und die die Sozialsenatorin aufgefordert haben, endlich etwas zu machen. Sich dann mehrere Monate später hinzustellen und zu sagen und zu behaupten, sie hätte umgehend alles Mögliche erlassen, entspricht nicht der Wahrheit, das ist Legendenbildung und nützt keinem in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Die eine oder andere Maßnahme haben Sie ergriffen, aber das, was Sie eigentlich hätten tun sollen, haben Sie bis heute nicht gemacht.

(Rolf Harlinghausen CDU: Polemisches Wortge- klingel!)