Herr Riecken und ich haben überhaupt nicht dagegen gesprochen, dass Sie die Projekte, die Sie der Bürgerschaft als Aktionsfahrpläne vorgestellt haben, hier noch einmal vorstellen, und dass die immer noch genauso gut sind wie damals und im IuK-Ausschuss von allen Fraktionen gleichermaßen positiv bewertet wurden. Was wir Ihnen vorwerfen, ist etwas ganz anders. Sie bezeichnen den Aktionsfahrplan plötzlich als Strategiebericht. Er ist aber nicht strategisch. Das mag Ihnen gar nicht auffallen, weil Sie vielleicht nicht strategisch denken.
Diesem E-Government-Strategie-Bericht fehlt jede Auseinandersetzung mit zukünftigen Problemen. Er beschäftigt sich nicht mit der sozialen Spaltung und wie man sie überwinden will. Das wären alles Fragen, die in einem E-Government-Strategie-Bericht, der angeblich mehr ist als die Auflistung von Projekten, beantwortet werden müssen. Genau vor dieser Beantwortung drücken Sie sich. Sie schreiben sogar in Ihren Strategiebericht hinein, dass Sie noch mehr vorlegen wollen. Jetzt schimpfen Sie Herrn Riecken und mich dafür, dass wir die Sätze aus dem Strategiebericht zitieren, die Ihnen nicht in den Kram gepasst oder die Sie vielleicht selbst übersehen haben.
Wer stimmt einer Überweisung der Drs. 18/6908 an den Haushaltsausschuss zu? - Gegenprobe. – Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 18 und 28, Drs. 18/6926 und 18/6973, Bericht des Wirtschaftsausschusses: Bundesratsinitiative für Mindestlohn und Wer arbeitet, verdient mehr - Hamburg startet eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Mindestlöhne mit dem Antrag der SPD-Fraktion: Für einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland - Unterstützung der Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz.
[Bericht des Wirtschaftsausschusses über die Drucksachen 18/5641: Bundesratsinitiative für Mindestlohn (Antrag der GAL-Fraktion) und 18/5644: Wer arbeitet, verdient mehr - Hamburg startet eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Mindestlöhne (Antrag der SPD-Fraktion) - Drs. 18/6926 -]
[Antrag der Fraktion der SPD: Für einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland - Unterstützung der Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz - Drs. 18/6973 -]
Meine Damen und Herren! Das Thema Niedriglöhne und Mindestlöhne hat nach meiner Ansicht drei Dimensionen. Es geht erstens um die sozialen Auswirkungen, zweitens um die wirtschaftlichen Folgen und drittens um die ethische Dimension. Ich will mich in aller Kürze, aufbauend auf der Beratung in den Ausschüssen, diesen drei Dimensionen des Themas noch einmal nähern.
Das erste Thema: Die soziale Dimension. Wir haben uns in den letzten Tagen mehrfach mit Niedriglöhnen befasst. In Deutschland sind 20 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten - also jede fünfte Vollzeitbeschäftigte und jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte, Männer wie Frauen - im Niedriglohnbereich gelandet. Das soll heißen, sie verdienen weniger als Zweidrittel des Durchschnittlohns in diesem Lande. Jede achte Person - man kann fast von einem
Frauenthema sprechen, weil es überwiegend Frauen sind - verdient nur die Hälfte dessen, was ein Durchschnittseinkommen in diesem Lande beträgt. Da sprechen wir in Europa von Armutslöhnen.
Es ist unglaublich, aber es ist wahr, inzwischen ist es so, dass die Zahl der Niedriglöhne in Deutschland über dem EU-Schnitt liegt. Wir haben also eine dramatische Entwicklung. Es geht nicht um bedauernswerte Einzelfälle, über die wir auch schon gesprochen haben - Sie erinnern sich an die Diskussion über Beschäftigte im Hotelgewerbe und im Friseurhandwerk -, sondern wir haben eine dramatische Lohndrift nach unten. Für die Schwächsten in dieser Gesellschaft, vor allem also für die nicht Tarifgebundenen fallen die Löhne über viele Jahre hinweg schon ins Bodenlose. Das ist die reale wirtschaftliche Lage.
Das zweite Thema: Die wirtschaftliche Dimension. Die Reallöhne - Sie erinnern sich an die Debatte, die in den letzten Tagen durch die "Bild"-Zeitung stattgefunden hat - sind seit 1991 für die Beschäftigten in dieser Republik gefallen. Die Einkommen aus Gewinnen und aus Kapitalerträgen sind dagegen seit dem Jahre 2000 allein um 25 Prozent angestiegen. Hier klafft eine Schere auseinander und diese Schere kommt auch in Hamburg an.
Ich will noch einmal sagen, was die Niedriglohnentwicklung bedeutet. Wenn es jeder Fünfte ist, dann bedeutet das in Hamburg, dass wir 150.000 Hamburgerinnen und Hamburger haben, die Niedriglöhne beziehen, und dass wir 90.000 Menschen in dieser Stadt haben, die, obwohl sie Vollzeit beschäftigt sind, Armutslöhne haben.
Inzwischen ist es allgemein anerkannt, dass die schwere wirtschaftliche Krise, in der wir in den letzten Jahren standen, vor allem mit dem Thema zu tun hat, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt hat, dass die schwache Binnennachfrage eine Rolle gespielt hat. Exportweltmeister waren und sind wir schon seit vielen Jahren. An der Binnennachfrage hat es gefehlt und dieses Problem schlägt durch.
Sicher ist, dass die wirtschaftlich Schwachen in diesem Lande - also die mit Niedriglöhnen oder mit Armutslöhnen - jeden Cent, den sie mehr bekommen, ausgeben und investieren. Das führt zu der Nachfrage, die gefehlt hat und die jetzt erst langsam wieder Belebung ins Geschäft bringt.
Es ist wirtschaftlich vernünftig, wenn ehrliche und solide Unternehmen davor geschützt werden, dass sie unfairen Wettbewerb nicht durchstehen.
Wenn Sie daran Zweifel haben, gehen Sie in die hamburgische Bauwirtschaft. Vor wenigen Tagen hatte ich Gelegenheit, die Damen und Herren zu besuchen. Dort ist noch einmal betont worden, wie wichtig die Tariftreueerklärung ist, die wir neuerdings oder seit einiger Zeit durch einen Beschluss dieses Hauses herbeigeführt haben, wo nach dem hamburgischen Vergabegesetz verlangt wird, dass bei öffentlichen Auftragsvergaben Tariftreue erklärt wird. Daran kann man erkennen, dass solche Sicherungen in der Praxis wirken.
Wer stattdessen im Wettbewerb versucht, mit Dumpinglöhnen Vorteile zu erwirtschaften, der verdient nicht unsere Anerkennung als vermeintlich erfolgreicher Unternehmer, sondern unsere Verachtung. Es findet nämlich eine menschenverachtende Ausbeutung statt.
Auch für die öffentliche Hand sind Mindestlöhne eine sinnvolle Entscheidung. Warum? Weil es inzwischen über 650.000 Menschen gibt, die, obwohl sie in dieser Republik vollzeitbeschäftigt sind, zusätzlich ergänzende Sozialhilfeleistungen beziehen müssen. Für Hamburg bedeutet das, dass etliche tausend Menschen aus den Sozialaufkommen zusätzlich unterstützt werden müssen, weil Vollzeitbeschäftigung Frau und Mann nicht ernähren.
Der Senat allerdings verweigert jede Aussage darüber, obwohl wir mehrfach nachgefasst haben, wie viele Hamburgerinnen und Hamburger zusätzliche Leistungen erhalten müssen. Wir bekommen diese Antwort nicht. Meine Vermutung ist, der Senat will es gar nicht so genau wissen, weil sonst öffentlich würde, wie drängend dieses Problem ist und wie günstig für die Stadt eine Mindestlohnentwicklung wäre.
Es wird immer wieder behauptet - wir sind ja beim Thema wirtschaftliche Dimension -, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze kosten. Ich möchte dazu folgende Bemerkung machen. Die Low Pay Commission - das ist in Großbritannien eine Kommission, die aus Arbeitgebervertretern, Gewerkschaftlern und Wissenschaftlern zusammengesetzt ist - hat in ihrem 5. Bericht im Jahre 2003 über die Frage der Folgen der Mindestlohnentwicklung in Großbritannien Aussagen getroffen. Ich zitiere:
"Der nationale gesetzliche Mindestlohn hat Vorteile für über ein Million Niedriglohnbezieher gebracht. Seine Wirkung ist ohne einen spürbaren negativen Einfluss auf die Wirtschaft und die Beschäftigung geblieben. Der Mindestlohn wurde angewandt und ohne größere Probleme, (…) obwohl er für einige Wirtschaftsbereiche eine Herausforderung war. Er ist deshalb keine Quelle von öffentlichen Auseinandersetzungen mehr, sondern ein akzeptierter Teil des Arbeitslebens geworden."
Soweit die Erfahrungen in Großbritannien. Wer diese Erfahrungen ignoriert, dem geht es in Wahrheit nicht darum, sich politisch auseinanderzusetzen, sondern der will sich drücken. Die CDU und der Senat in Hamburg wollen sich drücken.
Noch eine Bemerkung zum Thema Tarifautonomie. Es wird immer gesagt, wir wollen nicht in die Tarifautonomie eingreifen. Dieses ist ein Scheinargument, weil es in sehr vielen der angedeuteten Branchen, um die es geht, keineswegs Tarifautonomie gibt. Es gibt in sehr vielen dieser Branchen keine Tarifbindung, es gibt keine Tarifverträge, es gibt keine gewerkschaftlichen Grundlagen, es gibt keine Tarifmacht. Wer dann auf die Autonomie verweist, der täuscht die Öffentlichkeit.
Zweitens: Die Tarifparteien werden am Mindestlohnverfahren unmittelbar, und zwar sehr maßgeblich beteiligt.
Drittens: Alle internationalen Erfahrungen belegen, dass es jenseits des Mindestlohns eine sehr gut funktionierende lebendige Tarifgestaltung gibt.
Es ist also keineswegs so, dass ein Eingriff in die Tarifautonomie stattfindet, die unerträglich wäre.
Erstens: Wenn in einem reichen Land, speziell in einer so wohlhabenden Stadt wie Hamburg, das Einkommen, das man aus Vollzeitarbeit bezieht, nicht mehr zum Überleben ausreicht, dann ist dieses keine x-beliebige Frage, über die man zur Tagesordnung übergehen darf. Deshalb sagen wir, wenn wir das zulassen, dann wird das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen - nicht nur der Betroffenen, sondern der Menschen im ganzen Lande - zutiefst verletzt.