Protokoll der Sitzung vom 13.12.2007

Unsere durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei etwa 80 Lebensjahren. Wie sieht es nun im Gegensatz dazu bei auf der Straße lebenden Obdachlosen aus? Natürlich haben sie keine feste Adresse, sie haben keine Wohnung, sie sind nicht gemeldet, sie haben keinen Beruf, sie haben kein regelmäßiges Einkommen. 60 Prozent davon sind nicht bei der Krankenversicherung angemeldet und verfügen auch über keine Krankenversicherungskarte. Sie haben kein stabiles soziales Umfeld, keine Familie. Manchmal werden sie von ihrer Familie, von ihren Freunden oder von der Polizei verfolgt. Sie sind oft nicht in der Lage, die 10 Euro Praxisgebühr aufzubringen, wenn sie denn einen Arzt besuchen können und dort auch behandelt werden.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Sie haben keinen Hausarzt, sie sind oft suchtkrank, und zwar auffällig suchtkrank und ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Hamburg bei 46 Lebensjahren. Ich finde, das sind fundamentale Unterschiede.

Nun will ich auf diesen Unterschieden nicht spazieren gehen und Ihnen das alles lang und breit erklären, sondern ich will sagen, dass die Senatorin, die uns Ende August gesagt hatte, wir hätten in Hamburg ein umfassendes Unterstützungssystem, auch in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung für wohnungs- und obdachlose Menschen, das zwar so darstellen kann, dass das

aber mit der Lebensrealität wenig zu tun hat. Die Senatorin selber kam in ihrer Presseerklärung noch zu der Erkenntnis, dass leider viele Betroffene nicht oder erst nach langer Zeit in der Lage sind, dieses Unterstützungssystem überhaupt in Anspruch zu nehmen. Diese Erkenntnis ist immerhin schon erfreulich, dass man sie hat, aber darin klafft ja das eigentliche Problem, nämlich zwischen dem, was theoretisch geleistet werden kann und dem, was bei den Betroffenen wirklich ankommt oder was die Betroffenen selber auch in Anspruch nehmen können. Wir diskutieren heute nicht über polemische Fragen, sondern wir wollen mit Ihnen darüber reden, ob es nicht sinnvoll wäre, dass wir uns über die Frage des Zugangs zu dem Gesundheitssystem noch einmal neu verständigen. Die Mutmaßung der Senatorin, alles sei gut, kennen wir ja, weil Senatoren in Hamburg prinzipiell sagen, alles sei in Ordnung. Auch in diesem Falle sagen die Fachleute vor Ort, zum Beispiel die Betroffenen von "Hinz & Kunzt", alle, die eine Ahnung haben von "Cafée mit Herz", von anderen Einrichtungen, vom Diakonischen Werk, mitnichten sei alles in Ordnung, weil trotz des Krankenmobils und der Krankenstube, die es gibt, und trotz mancher angestrengter Initiativen von Ärzten es keineswegs so ist, dass die Krankenversorgung der hier unter offenem Himmel lebenden Obdachlosen wirklich gewährleistet ist. Leider ist das nicht so.

Etwa 60 Menschen in Hamburg starben auf der Straße, in der Regel an Infektionskrankheiten, die leicht zu behandeln wären. Das heißt, sie sterben, obwohl sie es nicht müssten. Ich finde, darüber nachzudenken, ob man das nicht doch besser vermeiden kann, ist der Schweiß der Edlen wert.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Es ist schlimm genug, dass Menschen an Krankheiten sterben müssen. Wenn sie aber sinnlos sterben, weil sie eigentlich vor dem Tod hätten bewahrt werden können, wenn wir nur mit unseren Angeboten an sie herankämen oder sie in die Lage versetzen würden, diese Angebote auch wahrzunehmen, dann müssen wir wirklich noch mehr unternehmen als wir das gegenwärtig tun und dazu haben wir in diesem Antrag Vorschläge gemacht. Wir bitten Sie darum, diesen Antrag im Ausschuss zu beraten. Wenn es in dieser Legislaturperiode nicht mehr klappen sollte, dann wird es auch in der nächsten Legislaturperiode intelligente Abgeordnete geben, die in der Lage sind, sich dieses Antrags anzunehmen. Insoweit gibt es keinen vernünftigen Grund, diesen Antrag nicht an den Sozialausschuss zu überweisen und deshalb bitten wir, das zu tun.

(Beifall bei Michael Neumann SPD)

Was haben wir an innovativen Modellen eingebracht? In Nordrhein-Westfalen, ausgehend von Köln, gibt es inzwischen ein System von ambulanter Versorgung für Obdachlose, das ich, jedenfalls so, wie es bisher beschrieben wird, für herausragend halte. Es gibt nämlich dort eine Verständigung zwischen den Krankenversicherungen und der öffentlichen Hand, wie man, nach Pauschalen organisiert, die Versorgung von obdachlosen Menschen besser bewerkstelligen kann und das, was von den Fachleuten berichtet wird, ist eher ermutigend. Deshalb möchten wir den Senat gerne auffordern, sich den Erfahrungen Nordrhein-Westfalens einmal anzunähern und zu prüfen, was wir davon in Hamburg, denn es sind auch dort die Großstädte, die das System umsetzen, übernehmen können. Wir glauben auch, dass es notwen

dig ist, dass wir die Ärzte und Krankenhäuser besser in die Lage versetzen müssen als das bisher der Fall ist, Obdachlosen zu helfen und Systeme zu finden, die sie dabei unterstützen.

Meine Damen und Herren, es fällt mir nicht leicht, aber es ist eine Realität, dass es auch in Hamburg Ärzte gibt, und zwar nicht wenige, leider auch Krankenhäuser, die obdachlose Menschen mit akuten Verletzungen abweisen. Das darf nicht die Zukunft in dieser Stadt sein.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Man mag darüber streiten, ob sich manche dieser Menschen ihre Verletzungen und Erkrankungen vielleicht fahrlässig selbst zugezogen und selber dazu beigetragen haben, das darf aber nicht in einer Stadt wie Hamburg dazu führen, dass sie am Ende von der Versorgung verwiesen werden und mit ihren Verletzungen und Erkrankungen auf der Straße bleiben. Das darf nicht die Zukunft sein. Also müssen wir die Ärzte, vor allem aber auch die Krankenhäuser unterstützen, dass das besser funktioniert. Ich persönlich glaube, so banal es klingt, dass die 10 Euro Praxisgebühr eine wesentliche Ursache dafür sind, dass sich sehr viele Obdachlose ärztlich nicht versorgen lassen, obwohl sie es dringend nötig hätten. Deshalb müssten wir eine Lösung suchen - das ist die Anregung -, wir schreiben auch nicht vor, welche, sondern wollen mit Ihnen darüber diskutieren, welche Lösung es gibt, um diese Praxisgebühr für solche Fälle abzuschaffen, darauf verzichten zu können, weil es den betroffenen Menschen dient, wo Not ist. Also, ein sachliches Thema. Es geht um die Menschen, die davon betroffen sind. Sie leben in dieser Stadt unter uns und sie haben unsere Unterstützung verdient. - Schönen Dank für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Fischer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Grund, Sie sind ein engagierter Sozialpolitiker, Frau Gregersen, Sie auch. Ich glaube, auch alle hier im Parlament denken in diesem Moment an Menschen, die auf der Straße leben. Es ist ja nicht so, dass wir kein Mitgefühl mit den Menschen haben. Ich denke auch, dass sich in der letzten Zeit etwas getan hat. Gerade über das Fachstellenkonzept konnten Leute von Wohnungslosigkeit wieder in Wohnungen zurückgeführt werden. Dieses Fachstellenkonzept ist ein Erfolg. Auch Obdachlosen konnten vereinzelt Wohnraum mit Betreuung angeboten werden.

(Beifall bei der CDU)

Dennoch meine ich, dass die medizinische Versorgung - genau wie Sie sagen, Herr Grund - verbessert werden kann.

(Antje Möller GAL: Genau!)

Sie sprachen das Kölner Modell an. Dieses Modell geht von einer Mischfinanzierung aus, die wir so in Hamburg nicht haben. Das ist ein Projekt, das wird beobachtet und evaluiert. Das ist erst Ende 2007 zu Ende. Dann wird es ausgewertet und wir möchten, dass wir diese Auswertung bekommen. Ich weiß, dass sich der Senat natürlich auch dort sachkundig gemacht hat. Es gibt kurze Zwischenberichte. Die sehen nach meinen Informationen ein biss

chen anders aus, Herr Grund, als die, die Sie haben, denn dort taucht auch das Problem auf, diese Menschen wirklich zu erreichen und ins Regelsystem zu bringen, womit wir alle ein Problem haben. Das ist dort ein ähnliches Problem. Wenn dieser Bericht abgegeben und alles evaluiert worden ist, wenn wir Zahlen und Fakten haben, wenn man sich damit kritisch auseinandergesetzt hat, dann sind wir gerne bereit, uns dieses anzugucken, mit Ihnen darüber zu sprechen und zu sehen, ob sich etwas bewährt hat und sind wir bereit, das eventuell mit zu übernehmen. Aber im Moment macht das noch gar keinen Sinn, weil es nicht bewertet ist. Insofern können wir natürlich Ihrem Antrag so nicht zustimmen,

(Ingo Egloff SPD: Etwas anderes hätte uns auch überrascht!)

sondern wir sprechen dann in der nächsten Legislaturperiode darüber - das mag Mitte des Jahres sein - und bringen es dann auf die Tagesordnung.

(Beifall bei der CDU und Zurufe von der GAL)

Sie sprachen darüber, dass es Angebote gibt, die noch nicht ausreichen. Wir meinen, es gibt schon Angebote. Man kann gucken, ob Caritas etwas erweitert. Ich glaube, im Bereich Zahnmedizin soll erweitert werden. Der Ausbau dort wird über Spenden finanziert. Auch darüber kann man sich freuen. Insofern sind Schritte gemacht worden, aber das Wichtigste ist, dass diese Menschen ins Regelsystem kommen. Ich weiß nicht, ob die 10 Euro Praxisgebühr entscheidend sind. Ich glaube, dass es eher so ist, dass Menschen, die lange auf der Straße gelebt haben, wirklich Hemmungen haben, zu einem Arzt zu gehen. Wir müssen uns da überlegen, wie sie zu einem Arzt kommen. Wie klappt das besser im System. Wir sind doch nicht unmenschlich, wir möchten das gerne, dass es den Menschen besser geht.

(Beifall bei der CDU und Zurufe von der GAL)

Insofern, denke ich, sprechen wir in der neuen Legislaturperiode darüber, wenn das alles abgeschlossen ist. Ich bedanke mich und Ihren Antrag lehnen wir insoweit erst einmal ab.

(Beifall bei der CDU - Erste Vizepräsidentin Bar- bara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Das Wort bekommt Frau Gregersen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Fischer, es ist für mich schon ein bisschen unfassbar, dass Sie sagen, es interessiert uns schon, wie es den Menschen geht, wir evaluieren aber erst einmal das Fachstellenkonzept und lehnen ihren Antrag ab. Sagen Sie mir bitte, was das Fachstellenkonzept mit der Gesundheit und dem Alter von Wohnungslosen zu tun hat.

(Petra Brinkmann SPD: Nicht das Fachstellenkon- zept, sondern das Kölner Konzept!) - Entschuldigung, dann ist es hier falsch angekommen. Ich habe es falsch verstanden und entschuldige mich dafür. Es hätte mich aber wirklich sehr entsetzt, wenn es so gewesen wäre.

Aber zu behaupten, dass die 10 Euro Praxisgebühr nicht das Problem wären, ist schon komisch, denn jemand, der auf der Straße lebt, muss drei Monate lang die Praxisge

bührquittung in der Tasche tragen. Wie soll aber der Obdachlose, der bei Regen, Sturm mit Sack und Pack auf der Straße lebt, diesen Zettel ordnungsgemäß drei Monate verwahren können, damit er ihn immer wieder vorweisen kann? Schon dies allein stellt ein Problem dar, wenn man die 10 Euro überhaupt hat.

Es gab letztes Jahr eine Ganztagsveranstaltung der HAG zum Thema Gesundheit von Wohnungslosen. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn ich dort die Kollegen der CDU gesehen hätte. Es gab aber auch noch eine Pressekonferenz und auf dieser wurde ein Heft vorgestellt. Es heißt "Hamburger Geschichten". Die Hamburger Geschichten berichten über die Schwierigkeiten wohnungsloser Menschen, medizinische Angebote in Anspruch zu nehmen. Ich bitte Sie alle, dieses einmal zu lesen, denn es ist nicht irgendein Heft, sondern es haben mitgewirkt die Caritas, die Diakonie, "fördern und wohnen", die HAG, Malteser, die Stadtmission und ich könnte endlos weitere Akteure aufzählen. Es sind viele Geschichten darin, die Ihnen erklären, woran es eigentlich liegt, dass Menschen gesundheitliche Hilfen nicht in Anspruch nehmen. Saßen Sie schon einmal in einem Wartezimmer, in dem ein Obdachloser saß, mit Sack und Pack und darauf wartete, dass er dran kam? Wohl kaum. Stellen wir uns doch einmal die Frage, ob Obdachlose denn auch gern gesehene Patienten in einem Wartezimmer sind. Sind sie wartezimmertauglich? Ja, Sie nicken jetzt, Herr Krüger, aber ist es wirklich so? Das Problem ist vorhanden, dass die Barriere ins Regelsystem für Wohnungslose einfach viel zu hoch ist.

(Beifall bei der GAL und bei Uwe Grund SPD)

Von daher brauchen wir unbedingt aufsuchende Hilfe, aber unser Ziel muss es sein, die Menschen ins Regelsystem zu bekommen. Es kann doch nicht sein, dass wir sagen, es sei alles gar nicht so schwierig. Wenn wir in der Tagesaufenthaltsstätte die Ärztin Frau Dr. Ishorst-Witte fragen, wo denn das größte Problem liegt, die Leute in die Praxis zu bekommen, dann sagt sie, ich schicke sie dort hin und sie werden wieder weggeschickt. Ja, dann muss Frau Ishorst-Witte nicht medizinische Hilfe leisten, nein, was tut sie? Sie sitzt am Telefon. Wenn sie die Hälfte ihrer Zeit am Telefon verbringt, um die kranken Obdachlosen und sozial Schwachen zu Fachärzten zu bekommen, weil sie nicht alles in ihrer Krankenstube machen kann, dann ist das wirklich vertane Zeit. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Türöffner nicht bräuchten, aber solange wir sie brauchen, müssen wir das realistisch sehen und sagen, wir brauchen da jemanden, der hilft, dass die Menschen dort hinkommen, wo ihnen die Hilfe gegeben wird. Es kann nicht sein, dass Menschen ins Krankenhaus gebracht werden, die wirklich krank sind und eine Stunde später sehen die Leute vom Rettungswagen denjenigen, den sie dort mit inneren Verletzungen eingeliefert haben, wieder in einem Wartehäuschen sitzen, weil man ihm im Krankenhaus nur ein Pflaster gegeben und wieder weggeschickt hat. Das darf nicht passieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Frau Schnieber-Jastram, Sie sagen immer, die gesundheitliche Hilfe sei gewährleistet seit es die Krankenkassenkarten für alle gibt. Dass das nicht so ist, beweist die Realität und das beweist auch Leonhard Hajen, wenn er seine exemplarischen Fälle dokumentiert hat. Bitte gucken Sie sich dieses Heft an. Ob das Kölner Modell nun das richtige ist, weiß ich nicht, weil es da mehr noch

um die aufsuchende Hilfe geht und ich die Leute gerne ins Regelsystem bekommen möchte. Von daher brauchen wir wahrscheinlich Vertragsärzte oder Vertragskrankenhäuser. Wenigstens ein oder zwei Krankenhäuser in der Stadt müssten in der Lage sein, sich intensiv um Wohnungslose zu kümmern und dafür ausgebildet werden. Von daher kann man dieses Thema nicht einfach ablehnen und sagen, wir evaluieren ein wenig und dann gucken wir irgendwann einmal, weil den Menschen geht es jetzt schlecht und unser Ziel ist, dass es ihnen besser gehen muss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann können wir zur Abstimmung kommen.

Wer einer Überweisung der Drs. 18/7416 in der Neufassung federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz und mitberatend an den Sozialausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Überweisungsbegehren ist abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer den SPDAntrag aus der Drs. 18/7416, Neufassung, annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zum Punkt 4 der Tagesordnung, den Berichten des Eingabenausschusses.

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben - Drs. 18/7375 -]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben - Drs. 18/7376 -]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben - Drs. 18/7377 -]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben - Drs. 18/7378 -]