Protokoll der Sitzung vom 16.04.2008

Damit komme ich zum zweiten Punkt. Diese Praxis wird nämlich zum Vorwand für Untätigkeit genommen. Wie auch andere CDU-Innenminister weigert sich Innensenator Nagel, die so gewonnenen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über die NPD für ein neues Verbotsverfahren zur Verfügung zu stellen. Herr Nagel argumentiert, dass das Zeugs infiziert sei und nicht verwendet werden könne. Tatsächlich ist es so: Um die Bedrohung festzustellen, die von der NPD ausgeht, bedarf es keiner verdeckten Operationen. Die NPD macht aus ihren antidemokratischen, verfassungsfeindlichen Zielen und ihrer Aggressivität keinen Hehl. Beides liegt offen zutage und erschließt sich jedem, der es wissen will. Ich zitiere zustimmend Frau Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden, die in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 13. April sagte:

"[Man] braucht keine V-Leute, um zu beweisen, welche Richtung diese Partei einnimmt und wie antidemokratisch und gefährlich diese Partei ist."

Zitat Ende.

Ich zitiere ebenfalls zustimmend den CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Caffier. Ich zitiere beispielhaft "WELT ONLINE" vom 11. April. Er sagte – Zitat:

"Wir haben aus öffentlich zugänglichen Quellen gesammelt, was führende NPDLeute wie Udo Pastörs geäußert haben. Danach ist klar: Die NPD verfolgt Ziele, die ein Verbot rechtfertigen … Sie will unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zerstören, sie will eine andere Gesellschaftsform. Dabei geht sie aggressiv und kämpferisch vor. Daraus erwächst für mich die Verpflichtung, etwas dagegen zu tun."

Zitat Ende. – Ihr Parteikollege.

Öffentliche Äußerungen und Taten des Hamburger NPD-Vorsitzenden Jürgen Rieger sind nicht weniger aufschlussreich als die von Herrn Pastörs. Im Gegenteil: Dieser Rieger ist einer der bekanntesten und gefährlichsten Neonazis überhaupt. Er ist mehrfach wegen Volksverhetzung und Körperverletzung vorbestraft. Auch derzeit läuft gegen ihn ein Verfahren wegen Volksverhetzung, weil er bei der Verteidigung des notorischen Holocaustleugners Zündel vor dem Landgericht in Mannheim selbst wiederholt den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung Europas geleugnet hat.

Wir fordern deshalb zum einen, dass Hamburg die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes für ein

neues NPD-Verbotsverfahren zur Verfügung stellt. Und vor allem und unabhängig davon möchten wir mit unserem Antrag erreichen, dass Innensenator Nagel seinen CDU-Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern unterstützt und Hamburg sich im Bundesrat für ein neues NPD-Verbotsverfahren einsetzt. Zudem stellt sich die Frage, wie lange die Innenbehörde dem Treiben der gewalttätigen freien Kameradschaften untätig zusehen will. Da erinnere ich an Herrn Wrocklage, der 2003 die freie Kameradschaft Hamburger Sturm 18 verboten hat. Die Figuren, die damals tätig waren, sind heute wieder in den Kameradschaften tätig. Dabei ist uns natürlich klar, dass Verbote das Problem des Neofaschismus und Rechtsextremismus nicht lösen. Gefordert ist die offensive Auseinandersetzung mit den Ursachen des Rechtsextremismus und mit dem braunen Gedankengut. Gefordert sind Strategien der Bekämpfung, die auf die Stärkung der Zivilgesellschaft und auf zivilgesellschaftliche Aktivitäten setzen. Hier hat die Politik in Hamburg erheblichen Nachholbedarf. Wir wollen zuallererst das bürgerschaftliche Engagement gegen Rechts stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem solchen Zusammenhang ist ein neues Verbotsverfahren ein wichtiges Signal. Faschismus ist keine Meinung, die unter dem Schutz der Meinungsfreiheit steht, keine Meinung, die man haben kann. Faschismus ist ein Verbrechen und muss geächtet werden. Auch Nichthandeln sendet ein Signal. Ich zitiere den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stefan Kramer, nach einer ddpMeldung vom 12. April. Er sagt:

"Wer an dieser Stelle zögert und mangelnde Erfolgsaussichten als Begründung anführt, der sendet nicht nur falsche Signale in die Gesellschaft, sondern setzt auch das Vertrauen in unsere Demokratie leichtfertig aufs Spiel."

Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt. Es ist außerordentlich erfreulich, dass sich gegen die geplanten Neonazi-Demonstrationen am 1. Mai in Barmbek vielfältige Initiativen in der ganzen Stadt von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Organisationen und Gruppierungen entwickeln – von Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, von Parteien, Anwohnerinnen und Anwohnern, Künstlerinnen und Künstlern und zahlreichen antifaschistischen Individuen und Gruppen, nicht zuletzt dem Hamburger Bündnis gegen Rechts. Diese Initiativen machen den Neonazis den öffentlichen Raum zur Verbreitung ihrer verbrecherischen Ziele streitig. Wir wollen ein ermutigendes Signal an diese Initiativen, ein Signal auch aus der Bürgerschaft, dass Neonazi-Aufmärsche und Neonazi-Propaganda in dieser Stadt unerwünscht sind.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güclü GAL)

Und dass man sie nicht gleichgültig zur Kenntnis nimmt und zur Tagesordnung übergeht, während andere bedroht werden. Denn diese Demonstration am 1. Mai ist eine Bedrohung und eine ungeheure Provokation. Die NPD und die freien Kameradschaften knüpfen offen an die Tradition der Nazis an, die am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser stürmten und die Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung in Gang setzten.

Auch die Auswahl der Redner – unter ihnen der schon genannte Rieger – macht deutlich, in welch provokativer, feindseliger und aggressiver Absicht die Neonazis diese Demonstration durchführen wollen. Wir fordern die Innenbehörde deshalb auf, alle rechtsstaatlichen Mittel für ein Verbot dieser Demonstration auszuschöpfen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güclü GAL)

Das Wort bekommt Herr Dr. Jäger.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Beginnen möchte ich meine Rede, indem ich an ein Ereignis erinnere, das ziemlich genau vor 75 Jahren stattfand und das inhaltlich gut zu dem heute zu debattierenden Thema eines NPD-Verbots passt. Am 23. März 1933 hielt Otto Wels seine berühmte Rede gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. In der Sitzung des Reichstags stimmten dann allein die 94 anwesenden sozialdemokratischen Abgeordneten gegen das Ermächtigungsgesetz – sicherlich eine der Sternstunden demokratischen Verhaltens in Deutschland.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das mutige Verhalten der damaligen Abgeordneten sollte für uns Mahnung für unser eigenes Verhalten sein. Die Bekämpfung des politischen Extremismus – egal ob von rechts oder links – muss für Demokraten immer höchste Priorität haben. Politischer Extremismus ist eine Kampfansage an unsere verfassungsmäßige Ordnung und damit eine zentrale Herausforderung für die wehrhafte Demokratie. Das gilt selbstverständlich auch für die Bekämpfung der NPD. Denn die politischen Ziele dieser Partei sind mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Sie ist antisemitisch, rassistisch und fremdenfeindlich. Sie stellt den Parlamentarismus infrage und propagiert zur Durchsetzung ihrer abstrusen Politikziele Gewalt. Zudem bietet sie Gewalttätern eine Heimat. Deshalb sind wir uns doch auch alle darüber einig, dass es das Beste wäre, wenn diese Partei so schnell wie möglich wieder aus der Parteienlandschaft verschwinden würde.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der CDU, der SPD, der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Aber, ist ein erneutes Verbotsverfahren wirklich der richtige Weg, um zu dem von uns gemeinsam gewünschten Ziel zu kommen? Angesichts des Scheiterns im ersten Verfahren müssen wir ein erneutes Scheitern vor dem Verfassungsgericht unbedingt vermeiden. Denn das wäre für die NPD ein großer Propagandaerfolg. Dazu darf es auf gar keinen Fall kommen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Gehen Sie doch mal auf die Argumente ein!)

Ich habe Ihnen auch zugehört, obwohl es mir schwergefallen ist. Dann hören Sie mir gefälligst auch zu.

(Beifall bei der CDU – Norbert Hackbusch DIE LINKE: Gehen Sie doch einmal auf die Argumente ein!)

Herr Hackbusch, ich lasse mir doch von Ihnen nicht vorschreiben, was ich hier auf dem Podium der Bürgerschaft zu sagen habe. Das müssen Sie sich schon anhören.

(Beifall bei der CDU)

Ein erneutes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht müsste sehr sorgfältig vorbereitet werden. Die demokratischen Organe der Bundesrepublik müssten sich eines Erfolges zumindest sehr sicher sein. Hier liegt meines Erachtens der Grund für das Dilemma, in dem wir uns befinden. Das Verfassungsgericht verlangt, unmittelbar vor und während des Verfahrens keine V-Leute in der Führungsebene der NPD zu nutzen. Das scheint mir allerdings im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Staates zur Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu stehen. Aus meiner Sicht brauchen wir die V-Leute, um auch in Zukunft die NPD wirksam beobachten zu können.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf Otto Wels und seine sozialdemokratischen Kollegen zurückkommen. Ihr Beispiel sollte für uns auch Verpflichtung sein, das wichtige Thema des Verbots der NPD aus dem parteipolitischen Streit herauszuhalten. Deshalb sollten wir die Anträge an den Ausschuss überwiesen und dort um den besten Weg zur Erreichung des gemeinsamen Ziels ringen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Frau Schiedek.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die SPD kann

ich ganz klar feststellen: Wir wollen ein erneutes NPD-Verbotsverfahren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Was jedoch noch viel wichtiger ist: Wir wollen endlich ein NPD-Verbot.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der springende Punkt. Ein erneutes Verbotsverfahren ist kein Selbstzweck. Mittelpunkt und Ziel aller Bemühungen muss der Erfolg eines solchen Verfahrens sein. Das ist die Quintessenz unseres Antrags, Frau Schneider. Denn nichts würde der NPD mehr nützen als ein erneutes Scheitern in Karlsruhe.

Zu dem rechtsextremistischen und verfassungsfeindlichen Wesen der NPD brauche ich, glaube ich, nichts mehr zu sagen. Das haben meine Vorredner mehr als deutlich getan. Das Bundesverfassungsgericht hat sicherlich 2003 hohe Hürden für ein erneutes Verbotsverfahren angelegt. Diese Hürden zwingen die Antragsteller bei einem zweiten Verbotsverfahren zweifellos zu einem noch sorgfältigeren und strategischeren Vorgehen, um alle Verfahrensrisiken zu minimieren. Sie machen ein NPD-Verbot aber auch nicht unmöglich. Vor dem Hintergrund dieser hohen Anforderungen an ein erneutes Verbotsverfahren können wir doch nicht so tun, als müsste der Verfassungsschutz nur seine V-Leute abziehen und ein NPD-Verbot ist eine sichere Sache. Insofern macht es sich Ihr Antrag ein wenig zu einfach.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber wir dürfen auch nicht vor den Anforderungen resignieren und ein Verbot dieser Partei aus lauter Angst vor einem erneuten Scheitern bis in alle Ewigkeit aufschieben. Insofern erwarten wir auch von dem Senat einen ausdrücklichen und nachdrücklichen Einsatz für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren.

(Beifall bei der SPD)

Was die Frage nach dem Abschalten der V-Leute betrifft:

(Präsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz.)

Selbst nach den Anforderungen des strengen Minderheitenvotums des Bundesverfassungsgerichts ist für ein Verbotsverfahren kein pauschales und vollständiges Abschalten sämtlicher V-Leute in der NPD notwendig, wie DIE LINKE dies in Ziffer 3 ihres Antrags fordert. Das Minderheitenvotum hat der Kollege Jäger schon zitiert. Es besagt, dass nur während des Verfahrens und unmittelbar davor keine V-Leute in den Führungsebenen der NPD genutzt werden sollen. Natürlich muss – und das ist zweifellos der schwierigere Part – sichergestellt werden, dass es sich bei dem Beweismaterial um

(Dr. Manfred Jäger)

sauberes Material handelt, das heißt, Material, das nicht von V-Leuten stammt oder von diesen direkt beeinflusst ist. Wenn dafür eine Reduzierung der V-Leute auf ein Mindestmaß notwendig sein sollte, muss gegebenenfalls so verfahren werden. Ob dafür aber ein vollständiger Verzicht auf V-Leute in der NPD notwendig ist, halte ich für zweifelhaft.

Aber insbesondere kann und will ich nicht beurteilen, ob ein Abschalten der V-Leute zum jetzigen Zeitpunkt bereits sinnvoll und notwendig ist. Denn – machen wir uns nichts vor – ein Verbotsverfahren würde Jahre dauern, Jahre in denen der Staat keinen Einblick in die NPD oder ihr Umfeld hätte und in denen Militante im NPD-Umfeld frei agieren könnten, ohne sich vor Beobachtung zu fürchten. Aus diesem Grunde halten wir eine solche vollständige und sofortige Abschaltung der V-Leute für schwer vereinbar mit dem Grundgedanken einer wehrhaften Demokratie gegen rechtsextreme Verfassungsfeinde.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Daher macht es sich der Antrag der LINKEN zu einfach, um Grundlage für ein erfolgreiches NPDVerbot zu sein, was sicherlich unser aller Ziel ist. Ein erneuter Verbotsantrag sollte erst dann gestellt werden, wenn hinreichende Aussichten auf Erfolg in Karlsruhe bestehen. Genau dann muss er aber auch gestellt werden.