Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Das Wort bekommt Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! So einig wir uns damals waren, als wir den Antrag zur Einreichung dieser Bundesratsinitiative verabschiedet haben, so schade finde ich es, dass beim Aufruf des Themas zwei Drittel der Abgeordneten den Plenarsaal verlassen haben.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Drei Vier- tel!)

Ich habe durchgezählt, es waren ungefähr 40 Abgeordnete.

(Wolfgang Beuß CDU: Machen wir jetzt Ma- thematikunterricht, oder was?)

Auf jeden Fall zu viele. Ich glaube, ich lag ganz richtig.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Man soll nicht die beschimpfen, die da sind!)

Ich hoffe, die Bundesländer, die im Bundesrat gegen diese Initiative gestimmt haben, bekommen

das nicht mit. Eigentlich müsste hier ein Aufschrei durch unser Parlament gehen; es ist eine Sauerei, dass das im Bundesrat nicht durchgegangen ist.

Es kommt nicht oft vor, dass wir uns einig sind, und so ist es besonders schmerzlich, dass wir mit einer Angelegenheit, bei der uns ein interfraktioneller Antrag gelungen ist, scheitern. Äußerst bitter ist, dass die Ablehner im Bundesrat mit äußerst dünnen und formalen Argumenten die Bundesratsinitiative der Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin abgebügelt haben. Einige der Argumente sind hier schon genannt worden.

Ich finde, der Ablehnung liegt eine katastrophale Fehleinschätzung zugrunde. So sagte der hier schon erwähnte niedersächsische Justizminister Busemann, dass der Diskriminierungsschutz bereits durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gegeben sei. Ich teile diese Auffassung nicht, und zwar deswegen, weil mir schon nach meiner eintätigen Betriebsratsschulung zum AGG nach dessen Inkrafttreten 2006 klar geworden ist, dass dieses Gesetz unzureichend und ein fauler Kompromiss ist. Viele Experten und Expertinnen haben schon damals bei seinem Inkrafttreten angemahnt, es so schnell wie möglich zu überarbeiten.

Der hessische Fraktionsvorsitzende der FDP, Hahn, möchte keine Verwässerung und Überregulierung des Grundgesetzes und meint, dass das Grundgesetz nicht der Platz sei, um Bekenntnisse zu historischen Verantwortungen abzugeben. Ich bin exakt anderer Meinung. Kein Platz ist dafür besser geeignet als das Grundgesetz. Aber der Mann ist ja auch in der FDP, ihm ist sein Parteikonto wohl wichtiger als die Abbildung der Lebensrealitäten im Grundgesetz.

Das Grundgesetz hat eine Leitwirkung, und daher war und ist es an der Zeit, die Varianzen der sexuellen Vielfalt in der menschlichen Gesellschaft endlich entsprechend zu benennen und zum Ausdruck zu bringen, dass alles normal ist, was es gibt, und nicht nur das, von dem eine Mehrheit glaubt, dass es normal sei.

Aus Sicht der LINKEN wäre die Aufnahme der sexuellen Identität ins Grundgesetz, 60 Jahre nachdem die Nazis Homosexuelle systematisch verfolgt haben, ein klares Bekenntnis gegen den Faschismus gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann man nicht oft genug bekunden, aufschreiben und aussprechen; wir sehen es ja jetzt. Sich gegen den Faschismus mit seiner verbrecherischen Auswirkung zu bekennen scheint auch heute noch, oder schon wieder, manchen Politikern völlig abhandengekommen zu sein.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Was?)

Jedes Volk bewegt sich in seiner eigenen Geschichte und hat seine eigene Vergangenheit. Die

(Gabi Dobusch)

se muss wach gehalten werden, damit die Verbrechen der Vergangenheit nicht wieder geschehen können.

(Viviane Spethmann CDU: Erzählen Sie das doch mal dem Bundestag und nicht uns!)

Es fällt vielen Homosexuellen, Transgendern, Transsexuellen und Intersexuellen immer noch schwer, sich zu ihrer Identität zu bekennen, auch deswegen, weil die Entwicklung der Sexualität kein statischer Weg ist. Es ist gesellschaftlich noch lange nicht anerkannt, wenn ein fünfzigjähriger Mann seine Silberhochzeit platzen lässt, weil er einen Mann liebt und sich endlich zu ihm bekennen möchte. Wie sagt er es seinen Kindern, wie seiner Frau, seinen Eltern und Kollegen und seinem Chef? Es ist ebenso wenig gesellschaftlich anerkannt, wenn sich eine Frau in ihrem Körper fremd fühlt oder wenn ein Kind mit einem nicht eindeutigen Geschlecht geboren wird. Man hat in dieser Gesellschaft Frau oder Mann und möglichst auch noch hetero zu sein, so ist es doch, sehr geehrte Herren und Damen. Das geht aber an der Lebenswirklichkeit vorbei und deswegen sind Homophobien und böse Schwulen- und Lesbenwitze auch immer noch Alltag an den Schulen, in den Betrieben und am Stammtisch. Und wenn dieser Herr Busemann von der niedersächsischen CDU sagt, dass das Grundgesetz nicht nach Belieben abgeändert werden solle, sondern ein auf Unabänderlichkeit angelegtes Normengefüge sei, dann kann ich nur sagen: Ja, genau. Wir wollen, dass die Anerkennung der Vielfalt sexueller Identitäten eine unabänderliche Norm wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt ist der Bundestag gefragt. Die Grünen und auch die Bundestagsfraktion der Linken und, wie ich eben gehört habe, auch die SPD haben Gesetzesentwürfe eingebracht, damit das Merkmal sexuelle Identität ins Grundgesetz aufgenommen wird. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Lebenswirklichkeit auch im Bundestag ankommt und die Änderung des Artikels 3 Grundgesetz dort eine Mehrheit findet.

Und vielleicht unterschreibt unser Erster Bürgermeister noch schnell den Aufruf unter www.artikeldrei.de, den bereits 24 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus Deutschland unterschrieben haben.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Welche denn?)

Ich gehe davon aus, dass er es nur vergessen hat. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Farid Müller GAL)

Das Wort bekommt Senator Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte jetzt keine Eulen nach Athen tragen, das Thema wird hier unisono beurteilt und das ist natürlich in der Sache sehr gut, bringt allerdings auch mit sich, dass die Spannung sinkt und die Abgeordneten dem Hunger und dem Durst nachgeben. Diese gemeinsame Haltung ist auch Ausdruck dessen, dass sich Hamburg in der Frage der Gleichstellung von Schwulen und Lesben wieder an die Spitze der Bewegung gesetzt hat, wie in vielen anderen Fragen, die in anderen Teilen der Republik erst einmal skeptisch gesehen wurden und mittlerweile selbstverständlich sind. Ich will hier erinnern an die Hamburger Ehe, mit der wir vorangegangen sind und die ein wichtiger Wegbereiter für die Lebenspartnerschaft war, die mittlerweile in vielen Bereichen akzeptiert ist; das war eben am Anfang gar nicht selbstverständlich. Ein ganz aktuelles Beispiel ist, dass bei uns die Gleichstellung im Beamtenrecht weiter geht als in allen anderen Bundesländern. Wir sind mittlerweile in Verästelungen angekommen, die man in der Plenardebatte kaum mehr darstellen kann, aber für die Betroffenen ist es natürlich ganz wichtig, dass beim Tod eines Lebenspartners, der Hamburger Beamter war, die Versorgung für die Hinterbliebenen deutlich besser ist als in anderen Bundesländern. Auch das ist ein wichtiger Punkt, wo Hamburg vorangeht und Beispiele setzt, sodass andere, die für die Rechte von Schwulen und Lesben kämpfen, auf Hamburg verweisen und sagen können: Es geht doch. Die Gleichstellung von Schwulen und Lesben sollte Normalität sein und sie sollte wirklich auch im Grundgesetz ankommen.

Ich habe mich jetzt gemeldet, weil ich selbst aus den Plenarberatungen im Bundestag berichten kann, denn bei beiden Plenarsitzungen, aus denen hier schon vielfach unter Verwendung der Plenarprotokolle zitiert wurde, war ich anwesend.

Eines, Frau Artus, wird man unserem Bürgermeister wirklich nicht nachsagen können, nämlich dass er sich in dieser Sache nicht hinreichend engagiert habe. Im Gegenteil, ich fand die Rede, die er bei Einbringung der Bundesratsinitiative gehalten hat, sehr beeindruckend. Herr Wowereit sprach vor ihm und benannte insbesondere die systematischen Argumente, warum das richtig ist, warum hier eine Lücke besteht und es Regelungsbedarf gibt und so weiter; all die guten Argumente, die zu nennen sind. Dann sprach Herr von Beust und er nannte ganz praktische Beispiele, wo Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Deutschland auch heute noch stattfindet, und machte dadurch deutlich, dass wir diese Diskriminierung von Schwulen und Lesben nicht akzeptieren können und wollen. Dann gab es die sehr interessante Plenardebatte, aus der hier schon mehrfach zitiert wurde, und dann kamen tatsächlich die ganzen fraglichen Argumente.

(Kersten Artus)

An dieser Initiative ist die Breite der beteiligten Parteien, die als Antragsteller auftraten, bemerkenswert. Wir haben in den drei Stadtstaaten drei unterschiedliche Koalitionen, schwarz-grün in Hamburg, rot-grün in Bremen, rot-rot in Berlin, und wir hatten die Unterstützung von Bundesländern, die auch noch einmal ganz unterschiedlich regiert werden. Also man konnte sehen, dass die Diskussion sich nicht streng an Parteilinien entlang zieht, sondern dass die Dynamik auch in den Parteien unterschiedlich ist.

Dabei muss man natürlich sehen, dass auch die Meinungen innerhalb der Union zu diesem Thema sehr unterschiedlich sind und die Hamburger CDU auch in der Union offenkundig vorangeht. Aber auch auf Basis der Grundüberzeugungen hätte in dieser Situation die FDP springen müssen, um dafür zu sorgen, dass diese Initiative im Bundesrat zu einem Erfolgsthema wird. Und das finde ich wirklich ausgesprochen bedauerlich, denn es geht hier wirklich um eine ganze Menge. Es geht um symbolische Fragen, aber auch um tatsächliche Fragen. Symbolische Fragen sind angesprochen worden, zum Beispiel die Frage, warum ausgerechnet die in der Nazizeit diskriminierte Gruppe der Schwulen und Lesben bei der Formulierung des Grundgesetzes ausgelassen worden ist. Wäre das nicht ein wichtiger Punkt, um im Hinblick auf die Verfolgung in der Nazizeit ein wichtiges Signal zu setzen, aber auch im Hinblick auf die nach der Nazizeit fortgesetzte strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen? Es wäre ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, ein Zeichen der Wiedergutmachung zu setzen, weil meiner Überzeugung nach den Schwulen und Lesben auch in der Bundesrepublik sehr viel Unrecht angetan wurde.

Aber es geht auch um die tatsächliche Frage, dass eine solche grundgesetzliche Regelung sich mit Sicherheit in vielfältiger Weise auf Gesetzgebung und Rechtsprechung ausgewirkt hätte, weil das Grundgesetz eine wichtige Leitlinie für den Gesetzgeber darstellt und die Rechtsprechung in vielen Zweifelsfällen die besondere Betonung dieser Anforderung berücksichtigt hätte. Das hätte den zu begrüßenden Entwicklungen in der Rechtsprechung, die wir in den letzten Wochen und Monaten erleben konnten, noch weiteren Nachdruck verliehen. Auch in diesem Zusammenhang wäre es an der Zeit gewesen, Schwule und Lesben, Transsexuelle und Transgender unter den ausdrücklichen Schutz des Grundgesetzes zu stellen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Was wir erlebt haben, ist kein Grund, den Mut zu verlieren, davon bin ich überzeugt. Die anderen Beispiele im Kampf um die Gleichstellung von Schwulen und Lesben zeigen, dass man einen langen Atem braucht. Hamburg musste immer wieder vorangehen. Wir sind auch bei diesem Schritt vorangegangen und wir werden sicherlich nicht das

letzte Mal über dieses Thema geredet haben. Vielleicht wird die Debatte im Bundestag diesmal noch ein bisschen interessanter und erfolgreicher. Wenn nicht, dann wird es sicherlich noch viele Gelegenheiten geben, über dieses Thema zu sprechen. Mit dieser großen Mehrheit arbeiten wir in der Hamburgischen Bürgerschaft an der richtigen Sache. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL, der CDU und bei Ker- sten Artus DIE LINKE)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/4938 Kenntnis genommen hat.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 54, Drucksache 19/4989, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Die SAGA GWG als öffentliches Unternehmen gezielt (wieder) am Mietwohnungsmarkt aktivieren.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Die SAGA GWG als öffentliches Unternehmen gezielt (wieder) am Mietwohnungsmarkt aktivieren – Drs 19/4989 –]

Diese Drucksache möchte die Fraktion DIE LINKE an den Stadtentwicklungsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Schneider, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Thema unseres Antrags stand in dieser Legislaturperiode bereits einige Male auf der Tagesordnung dieses Hauses.

(Jörg Hamann CDU: Deswegen hatten Sie es auch mal angemeldet!)

Auch heute wurde es bereits im Zusammenhang des SPD-Antrags "Vorfahrt für Wohnungsbau!" angesprochen. Das hängt nicht damit zusammen, dass den Oppositionsparteien nicht genug andere Themen einfallen, sondern damit, dass das Problem Sicherung des Grundrechts auf Wohnraum nicht für alle Menschen in dieser Stadt gelöst ist, sondern sich im Gegenteil ständig verschärft.

(Beifall bei der LINKEN und bei Jan Quast SPD)

Erstens: Es gibt kein Konzept für die Wiederaufnahme des Sozialwohnungsbaus. Der soziale Wohnungsbau ist heute in Hamburg de facto ein Auslaufmodell. Hier tickt, darauf möchte ich hinweisen, regelrecht eine Zeitbombe. Im Jahr 1990 waren noch ein Drittel aller Wohnungen, nämlich genau 33,6 Prozent, Sozialwohnungen, im Jahr 2008 waren es gerade noch 12,3 Prozent. Da die Wohnungsbauförderung im Vergleich zu früheren Jahrzehnten praktisch zum Erliegen gekommen ist, fallen immer mehr Wohnungen – jährlich sind es Tau

(Senator Dr. Till Steffen)