Protokoll der Sitzung vom 09.02.2011

sondern eine Chance für Wilhelmsburg zu nutzen. Das ist richtig und darum sollten wir das heute auch gemeinsam beschließen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ich bedauere es zutiefst, wenn es denn so kommen sollte, wie Herr Hakverdi angedeutet hat, dass kein einheitliches Signal der Hamburgischen Bürgerschaft vor der Wahl an den Bund hinausgeht, nämlich dass auch neue Mehrheiten zu diesem Projekt stehen werden. Ich finde es nicht verantwortungsbewusst, was hier passiert.

(Jörn Frommann CDU: Richtig!)

Sie hätten sich dort einen Ruck geben sollen, denn Sie haben heute erklärt, dass Sie an der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße festhalten wollen. Dann müssen Sie aber auch die Verantwortung dafür übernehmen, die Bedingungen, die dafür notwendig sind, für Hamburg und Wilhelmsburg zu sichern. Sie vergeben eine große Chance

und ich hoffe, dass Sie damit dieses Projekt nicht gefährden.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Das wäre nämlich immer noch denkbar, denn dass diese Mittel kommen, kann der Bund jederzeit revidieren. Ein einheitliches Signal aus Hamburg, gemeinsam von allen Fraktionen oder zumindest von SPD, CDU und den Grünen, wäre sinnvoll gewesen. Ich bedaure, dass Sie sich dazu nicht haben durchringen können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Uns ist natürlich bewusst, dass es vor Ort viele Sorgen gibt, die sich aber nicht nur auf die Wilhelmsburger Reichsstraße beziehen, sondern auch auf die Trassenführung der Hafenquerspange. Ob sich der größere Teil der Sorgen durchaus auf die Hafenquerspange bezieht und ein Teil dieser Sorgen deshalb auch auf die Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße übertragen wurde – zu Recht oder zu Unrecht –, darüber lässt sich streiten. Aber wir haben jetzt einen Zeitablauf in diesem Verfahren, in dem beide Projekte entzerrt unter Umständen realisiert werden. Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße könnte jetzt sehr schnell geschehen und ob die Hafenquerspange jemals kommt, weiß heutzutage kein Mensch. Beim Widerstand gegen die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße immer mit der Hafenquerspange in der addierten Wirkung zu argumentieren, ist daher zum heutigen Zeitpunkt nicht die richtige Betrachtungsweise und verschenkt große Chancen für die Menschen in Wilhelmsburg, die im Moment gesundheitsgefährdendem Lärm ausgesetzt sind. Darum würde ich mir wünschen, dass wir in einem weiteren Beteiligungsprozess auch über die einzelnen Dinge reden. Wir Grünen sind dazu durchaus bereit.

Über die Trassenführung der Hafenquerspange müsste man auch noch reden, denn wir halten die jetzt gefundene Trasse nicht für optimal. Wir Grünen haben uns da nicht gegen die Lobby der Hafenwirtschaft durchsetzen können, die von drei südlichen Trassen die nördliche ausgeschlossen hat. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen und wenn es um ein Verkehrskonzept für Wilhelmsburg geht, dann braucht man in der Tat ein solches Konzept, wobei man allerdings die Frage der verkehrlichen Notwendigkeit einer Hafenquerspange durchaus noch einmal ergebnisoffen diskutieren kann. Aber das sind Gedanken für die Zukunft, die nicht zwingend mit der Wilhelmsburger Reichsstraße zusammenhängen.

Ich kann aber auch verstehen, dass es jetzt Unmut im Stadtteil gibt, denn unsere Senatorin hatte versprochen, dass ein Verkehrskonzept vorgelegt wird und auch die Lärmaktionspläne ausgelegt werden, die sehr deutlich belegen, dass durch diese Maß

nahme für Wilhelmsburg sehr viel Gutes getan werden kann und viele Bedenken nicht zutreffen. Seit wir nicht mehr am Senat beteiligt sind, haben wir auch keinen Einfluss mehr darauf, ob diese Pläne vorliegen. Wir wissen, dass sie fertig sind. Es gibt ein Verkehrskonzept, das an dem Tag, als Frau Senatorin Hajduk entlassen wurde, in der letzten Stufe der Abstimmung war, und ich weiß, dass dieses Konzept jetzt eigentlich auch fertig ist. An den CDU-Senat gewandt verstehe ich nicht, warum dieses Verkehrskonzept nicht im Haushaltsausschuss vorgelegt worden ist. Man hätte dann darüber reden können und viele Sorgen hätten sich vielleicht schon aufgelöst, wenngleich ich das nicht genau weiß, weil ich es in der Tat – ich bin nur Parlamentarier – selbst noch nicht gesehen habe.

Es wird zum Start des Planfeststellungsverfahrens vorgelegt werden. Ich sehe gerade Signale der CDU-Fraktion, aber ich hoffe, dass es dann vorgelegt wird, denn aus unserer Sicht muss man das im Kontext gemeinsam beraten. Wenn Frau Senatorin Gundelach nicht erst vorgestern über die Lärmschutzpläne vor Ort geredet hätte, sondern schon frühzeitig, nämlich in dem Moment, als diese Drucksache das Parlament erreicht hat, dann hätte es eine ganze Menge unnötigen Unmut und Befürchtungen nicht gegeben.

(Robert Heinemann CDU: Hätte, hätte, hät- te!)

Das hat nichts damit zu tun, dass die Grünen die Regierung verlassen haben, sondern es gibt fertige Pläne und aus mir nicht erfindlichen Gründen legt ein amtierender CDU-Senat sie zu der Beratung einer Drucksache nicht vor. Ich halte das nicht für klug, weil wir weiterhin gemeinsam mit Ihnen zu diesem Projekt stehen. Darum werden wir heute auch mit der CDU noch die gemeinsame Entscheidung treffen, diesen Plan für Wilhelmsburg zu realisieren, aber man hätte viel Ärger und Unmut durch ein klügeres Vorgehen vermeiden können.

(Beifall bei der GAL)

Insofern hoffe ich, dass wir in den nächsten Monaten beim Planfeststellungsverfahren und bei den weiteren Debatten und Diskussionen im Stadtteil ein besseres Ergebnis in einem Beteiligungsprozess erzielen können, aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass es, wenn Gespräche scheitern, nicht immer nur an einer Seite liegt. Gespräche von einem Moratorium abhängig zu machen und dann nicht weiter reden zu wollen, wenn das Moratorium kommt, ist auch eine Strategie, die zum Scheitern eines Gesprächsprozesses beitragen kann. Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam nicht weitere Fehler machen. Ich will gar nicht sagen, dass aufseiten der Behörde alles richtig gemacht wurde, aber dieses Projekt ist zu wichtig für die Menschen in Wilhelmsburg und die Entwicklung dieses benachteiligten Stadtteils, wo eine große Resignation

herrscht, dass in den letzten Jahrzehnten dort nichts passiert ist. Es wäre schade, wenn wir diese große Chance für Wilhelmsburg verpassen würden. Lassen Sie uns in Zukunft gemeinsam versuchen, diese Chance zu ergreifen und Gutes für Wilhelmsburg zu tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält Herr Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kerstan, Sie haben recht, ich bin dieses unzuverlässige Element und werde mit unserer Fraktion gegen dieses Papier stimmen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Was hier passiert, ist ein ziemlich starkes Stück. Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass vielleicht bis 2004 – ich kann das aus eigener Anschauung nicht nachvollziehen – die Mehrheit der Bevölkerung in Wilhelmsburg für dieses Projekt war, und Sie haben am Schluss gesagt, dass sich etwas verändert hat. Ich möchte gar nicht sagen, dass die Mehrheit dagegen ist,

(Jörn Frommann CDU: Das kann doch nicht wahr sein!)

aber es gibt massiven Widerstand. Es hat am Samstag noch einmal eine Demonstration vor dem Rathaus gegeben.

(Jörn Frommann CDU: 100 People!)

Meinetwegen nur 100 People.

Die Frage ist, woher dieser Widerstand und dieser Unmut kommen. Ich möchte Ihnen wenigstens noch einmal kurz die vier wichtigsten Argumente nennen und an Sie appellieren, sich das noch einmal zu überlegen.

Das erste Argument war, dass Bedingung für diesen ganzen Prozess war, nicht hier im Parlament, nicht im Ausschuss, sondern vor Ort, dieses Gesamtverkehrs- oder Gesamtmobilitätskonzept für den Hamburger Süden vorzulegen. Wir stimmen in dem Punkt überein – Sie wissen besser, wie weit das ist –, dass dieses Konzept nicht vorgelegt worden ist. Angesichts der jüngsten Entwicklung gibt es – Sie akzeptieren wenigstens den Tatbestand – ein großes Misstrauen, warum man das Konzept, wenn es bereits vorliegt, dann nicht zugänglich gemacht und rechtzeitig eingebracht hat, wenn man sicher ist, dass eine Reihe von Argumenten und Bedenken dadurch ausgeräumt werden könnten. Insofern ist die Drucksache, die jetzt dieser Abstimmung unterlegt wird, aus meiner Sicht als Mitglied des Stadtentwicklungsausschusses nicht vollständig. Da fehlen bestimmte Sachen und die zen

(Jens Kerstan)

trale Forderung des Gesamtmobilitätskonzepts wird nicht eingelöst.

Zweitens haben Sie das Argument des Zeitfensters angeführt. In meinem kurzen parlamentarischen Dasein ist es für mich zumindest ausgesprochen ungewöhnlich, dass ich zwei Tage, bevor die Drucksache im Haushaltsausschuss beraten wird, einen Änderungsvorschlag bekomme, in dem darauf hingewiesen wird, dass sich die Ausgaben vom Volumen her in etwa verdoppeln. Dazu wird das Argument angeführt, das zahle doch Berlin, deshalb müsse uns das nicht interessieren.

(Jens Kerstan GAL: Das ist doch mehr Lärmschutz, das ist doch gut!)

Lassen Sie mich doch ausreden.

Die Ausgaben sind mal eben verdoppelt worden und Sie kommen nicht drumherum, dass man dieses im Stadtentwicklungsausschuss hätte erörtern müssen. Da lag ein anderes Lärmschutzkonzept vor und es konnte insofern nicht diskutiert werden. Sie haben in der Drucksache geschrieben, Sie würden neben dem Neubau der Straße und der Anpassung der Anschlussstellen den gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutz berücksichtigen. So haben Sie das damals begründet und dann legen Sie jetzt etwas vor und sagen, Sie hätten toll verhandelt und der Lärmschutz sei verdoppelt worden. Das hätte man, wenn es so ist, im Stadtentwicklungsausschuss diskutieren und prüfen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach dem, was Sie in dieser Legislaturperiode hier abgeliefert haben, können Sie von mir und meiner Fraktion nicht erwarten, dass wir sagen, das sei schon in Ordnung. Das hätten Sie anders machen müssen.

Insofern kann ich jetzt das dritte Argument anhängen. Aus diesem Papier geht hervor, dass der Lärmschutz von knapp 10 Millionen Euro auf 35 Millionen Euro erweitert worden ist. Aber die Verdoppelung ergibt sich aus dem zweiten Punkt, wo Sie statt 3000 Meter Schiene 8000 Meter Schiene unterbringen. Vorher war nicht die Rede davon, dass auf einmal die ganze Infrastruktur des Schienenverkehrs massiv erweitert wird; davon war im gesamten Verfahren kein Wort zu hören. Insofern sind beide Punkte entscheidend für die Verdoppelung, einerseits die Ausweitung der Schienenstränge und andererseits möglicherweise die Verbesserung des Lärmschutzes. Da gibt es ein gewisses Misstrauen, denn auch ich würde mir gerne einmal im Einzelnen anschauen, warum kurz vor Toresschluss diese Erweiterung im Schienenbereich zustande gekommen ist und ob das zwingend geboten war. Das sind aus unserer Sicht die wichtigen Argumente, die uns gegenüber diesem Projekt misstrauisch machen.

Dann hat Frau Hajduk auf der letzten, wieder von ein paar Hundert Leuten besuchten Versammlung eingeräumt, dass die Bürgerbeteiligung nicht in Ordnung war

(Jens Kerstan GAL: Sie war nicht erfolg- reich!)

meinetwegen nicht erfolgreich – und die GAL bestimmte Konsequenzen ziehen würde. Das ist in Ordnung, damit machen Sie jetzt auch Plakatwerbung. Sie müssen bei solchen Projekten die Bürgerbeteiligung ganz anders einbeziehen, als es nach meiner Wahrnehmung bei diesem Projekt der Fall war.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Wenn Sie das jetzt so durchziehen mit dem Hinweis, ein künftiger Senat könne damit alles Mögliche machen, dann bin ich nun wieder sehr skeptisch, denn was noch alles möglich ist, um solche Projekte aufzuhalten, haben wir in der Vergangenheit, angefangen beim Kohlekraftwerk Moorburg, gesehen. Wichtig ist aber, dass Sie sich bei diesem Hauruckverfahren eines überlegen: Herr Horch sagt, er wolle – das ist dann Ihre Aufgabe – dagegen kämpfen, dass sich in dieser Stadt eine Kultur des Dagegenseins ausbildet. Ich prophezeie Ihnen, wenn Sie dieses Projekt auf den Weg bringen, dann werden Sie erleben, was eine Kultur des Dagegenseins ist, und dann werden Sie weder die internationale Gartenschau erreichen noch in absehbarer Zeit das Planfeststellungsverfahren ohne Klagen und Widerstand über die Bühne bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Gregersen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einige Punkte des Kollegen eben eingehen. Der Vorschlag, die Wilhelmsburger Reichsstraße zu verlagern, die Verkehre zu bündeln und mit einem ausreichenden Lärmschutz zu versehen, kommt aus Wilhelmsburg selbst und ist dort in einem der Workshops erarbeitet worden. Die Politik hat diese gute Idee aufgenommen und will sie jetzt ausführen. Über den Zeitpunkt, dieses vor der Wahl zu beschließen, habe ich mir auch Gedanken gemacht. Ich habe sehr ernsthaft darüber nachgedacht, Kollege Bischoff, ob es legitim ist, dass wir das in der letzten Bürgerschaftssitzung vor der Wahl noch beschließen, und ich habe die Antwort für mich gefunden. Ich finde es legitim, weil ich hier von der SPD keine Ablehnung erfahre. Sie ducken sich weg, um mehr Stimmen in Wilhelmsburg zu bekommen, als Sie vielleicht bekommen würden, wenn Sie dafür wären, aber Sie sagen nicht Nein. Würde zum Beispiel eine große Mehrheit in diesem Haus sagen, sie sei nicht dafür und wolle das nach

(Dr. Joachim Bischoff)

der Wahl nicht, dann dürfte man das auch nicht in der Sitzung kurz vor der Bürgerschaftswahl beschließen; das wäre wirklich nicht fair. Aber ich sehe diesen Widerstand hier nicht. Die SPD duckt sich weg und enthält sich heute, will es aber eigentlich auch, wie wir gehört haben. Von daher kann man es in der letzten Sitzung vor der Bürgerschaftsauflösung noch beschließen.

Herr Bischoff, Sie sprachen eben an, dass es mehr Geld kostet. Es wird wesentlich mehr Geld kosten, aber wir erhalten auch wesentlich mehr Lärmschutz und das ist das, was sich die Politiker für die Bürger wünschen. Von daher ist das Geld hier sehr gut ausgegeben.

(Jörn Frommann CDU: Ja!)