Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Wir müssen allerdings auch feststellen, dass diese Minderheit von einem Drittel – um das noch mal deutlich zu sagen – von Unternehmen gemeinsam mit dem Staat letztendlich sämtliche Lasten trägt, an denen die Gesamtgesellschaft hinterher partizipiert. Wir alle haben etwas davon – fangen wir an bei den Sozialversicherungsbeiträgen, den Steuern oder was auch alles sonst noch dazukommt –, wir alle haben was davon, wenn junge Menschen gut ausgebildet werden, hinterher ins Berufsleben eintreten können und dort erfolgreich sind. Aber auch die Unternehmen, die nicht ausbilden, meine Damen und Herren, haben etwas davon. Und auch das muss man an dieser Stelle ganz deutlich sagen.

Ich habe das jetzt nur gelesen, Herr Kollege Born, wenn das nicht richtig ist, müssen Sie mich korrigieren: Wer eine Ausbildungsplatzabgabe als Inbegriff realitätsferner Arbeitsmarktideologie bezeichnet – das soll in einer dpaMeldung gestanden haben, ich weiß es nicht, sonst sagen Sie, dass das nicht richtig ist –, der muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir heute in einer Situation sind, wo tatsächlich die Mehrheit der Unternehmen nicht mehr ausbildet, und wir uns mit dieser Situation politisch auch auseinander setzen müssen. Das ist keine parteipolitische Überlegung, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Sie haben ja Recht, wir müssen die Ausbildungsplätze, die Arbeitsplätze und die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen sichern. Aber dafür brauchen wir Ausbildung, dafür brauchen wir Ausbildung in diesem Land und durch die Unternehmen auch in diesem Land.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und es ist richtig, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte müsste – ich betone, müsste – im ureigensten Interesse der Unternehmen liegen. Wie gesagt, viele Unternehmen tun das auch. Aber wir müssen doch einfach zur Kenntnis nehmen, dass Ausbildung heute teuer ist. Und sie ist nicht etwa deswegen teuer, weil die Ausbildungsvergütungen so immens gestiegen sind. Ausbildung, auch Ausbildungsvergütung kann in einzelnen Fällen schon ein ganz ordentlicher Personalkostenbetrag sein. Sie sind Freiberufler, ich bin es auch noch. Sie haben wahrscheinlich ausgebildet, ich habe ausgebildet. Ich muss ehrlicherweise zugeben, Rechtsanwälte sind nicht diejenigen, die gerade die besonders hohen Ausbildungsvergütungen zahlen. Das hängt aber auch damit zusammen, weil es unter anderem ein Bereich ist, der tarifvertraglich nicht geregelt ist. Aber wenn wir die Bereiche …

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU: Und weil es den Anwälten so schlecht geht.)

Den Anwälten geht es auch so schlecht, das ist richtig. Kucken Sie uns beide an, wir sehen völlig verhärmt aus.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Angelika Gramkow, PDS: Jaja! – Siegfried Friese, SPD: Nun ist es aber gut hier!)

Herr Kollege Born, der springende Punkt ist doch der, dort, wo Ausbildungsvergütungen hoch sind, sind sie im Regelfall, sind sie immer vereinbart worden zwischen Tarifvertragsparteien. Das heißt, diejenigen, die von der Unternehmerseite, von der Arbeitgeberseite an den Tarif

verhandlungen, auch was die Ausbildungsplatzvergütungen angeht, an den Verhandlungen beteiligt sind, haben dort mit verhandelt und haben dem letztendlich zugestimmt. Und jetzt im Umkehrschluss zu sagen, allein die Höhe der Ausbildungsvergütung macht es denn nachher so, dass hier im Lande – jetzt meine ich die Bundesrepublik Deutschland, nicht nur Mecklenburg-Vorpommern – nicht mehr oder nicht mehr zur Genüge ausgebildet wird, das ist natürlich dann schon etwas abenteuerlich.

Ausbildung ist teuer. Ausbildung ist deswegen teuer, weil der organisatorische und auch der technologische Aufwand für die Unternehmen immer weiter wächst. Die Anforderungen an einen Ausbildungsplatz vor 30 Jahren waren wesentlich niedriger, auch was die Kostenseite angeht – und damit meine ich jetzt nicht die Ausbildungsvergütung –, als sie heute sind. Das hängt einfach damit zusammen, weil die Anforderungen, die derjenige am Ende seiner Ausbildung erfüllen muss, heute auch im Rahmen der Globalisierung natürlich wesentlich höher sind als vor 30 Jahren. Und wir müssen in dem Zusammenhang natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass wir heute in einer Situation in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt leben, dass manche Unternehmen, die tatsächlich ausbilden wollen, nicht ausbilden können, weil sie die damit verbundenen Kosten nicht tragen können.

Und auch das will ich hier ganz deutlich sagen: Weder die Bundes-SPD noch die Landes-SPD will Unternehmen, die wirtschaftlich nicht in der Lage sind auszubilden, über eine Ausbildungsplatzabgabe dazu verpflichten und sie möglicherweise so, wie Sie das eben ausgedrückt haben, auch in die Insolvenz treiben. Also wer das behauptet, der sollte sich vielleicht vorher auch mal mit dem Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion beziehungsweise mit dem Bundesparteitagsbeschluss der SPD auseinander setzen. Da steht das nämlich gerade nicht drin.

Wir müssen auch feststellen – und ich glaube, da gibt es Einigkeit zwischen der CDU und den anderen Fraktionen hier in diesem Haus –, dass nicht jeder Schulabgänger für jeden Ausbildungsplatz allein schon aufgrund seiner entsprechenden Fähigkeiten geeignet ist. Und auch da muss man sagen, wenn es für ein Unternehmen trotz der Bemühungen, einen Ausbildungsplatz zu besetzen, keine Möglichkeit gibt, diesen Ausbildungsplatz mit einem entsprechend qualifizierten Schulabgänger zu besetzen, dann wird sich die SPD sicherlich nicht hinstellen und sagen, der muss dann zahlen, weil es geht erst mal um die Bereitstellung des Ausbildungsplatzes. Hier ein Horrorszenario an die Wand zu schmeißen, die Unternehmen würden ja gerne ausbilden, sie finden nur nicht die entsprechenden Auszubildenden und deswegen werden sie quasi zweimal bestraft, einmal weil sie diejenigen, die sie ausbilden wollen, nicht haben, und auf der anderen Seite, dass sie dann noch eine Abgabe oder eine Umlage zahlen müssen, das ist nun wirklich irreführend.

Aber wir müssen auch feststellen, dass bundesweit immer mehr Unternehmen sich offensichtlich auf den Standpunkt stellen: Lasst andere ausbilden, die tragen die Kosten,

(Zuruf von Birgit Schwebs, PDS)

und wir schauen hinterher, welche Mitarbeiter wir uns aus dem Pool, die dort ausgebildet worden sind, wieder heraussuchen können. Und vielleicht müssten all diejenigen, die hier das hohe Lied der einheimischen Unternehmen singen, auch mal deutlich machen, dass es ja gera

de hier in diesem Land so ist, dass junge Leute qualifiziert ausgebildet werden, aber wir hinterher immer wieder das Problem haben, dass sie dann tatsächlich hier im Land nicht weiterarbeiten, sondern andere Unternehmen, zum Bespiel aus dem süddeutschen Raum, die qualifizierten Mitarbeiter, die hier ausgebildet werden, abwerben. Und ich habe vor nicht allzu langer Zeit ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Aker-Werft geführt, der mir ganz ausdrücklich sagte, sie haben Facharbeiterbedarf.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja, ja.)

Auch das muss man feststellen. Das Problem ist also tatsächlich – bleiben wir bei Mecklenburg-Vorpommern –, wir bilden hier aus und offensichtlich werden dann die jungen Leute, die hier ausgebildet werden, abgeworben – ich will das mal so platt ausdrücken – von Unternehmen, die selber nicht für den eigenen Bedarf ausgebildet haben, und hier, wo der Facharbeiterbedarf dann immer noch da ist, fehlen sie wieder.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Ob das besonders vorteilhaft ist für die einheimische Wirtschaft, das möchte ich mal dahingestellt sein lassen.

Und einen letzten Satz vielleicht noch zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU. Es geht hier nicht um ein Zwangssystem. Das muss man ganz deutlich sagen. Sowohl die SPD-Bundestagsfraktion als auch der SPDBundesparteitag haben eindeutig gesagt, dass freiwillige Regelungen immer den Vorrang vor gesetzlichen Zwangsmaßnahmen haben.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist klar.)

Und das ist ja auch nichts Neues. Sie brauchen ja nur in den Bereich der Bauwirtschaft zu gehen, da haben wir schon tarifliche Regelungen, wo es tatsächlich über die Sozialkasse Bau umlagefinanzierte Ausbildung gibt. Warum – das muss mir dann allerdings wirklich jemand erklären – soll das in anderen Tarifvertragsbereichen nicht möglich sein

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Angelika Gramkow, PDS)

und warum sollen dort, wo es vielleicht aufgrund der mangelnden Organisationsfähigkeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite nicht zu tarifvertraglichen Regelungen kommt, warum sollen dort nicht zum Beispiel über Kammern und Verbände Umlagesysteme verwaltet werden, die auf einer gesetzlichen Grundlage stehen? Letztendlich muss es uns – und da komme ich doch vielleicht wieder auf das zurück, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Born – allen darum gehen, dass wir hier in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch bundesweit, um die Zukunft unserer eigenen Unternehmen zu sichern, die Ausbildungsplätze und die Facharbeiter, die wir aufgrund dieser Ausbildung dann auch irgendwann mal haben werden, tatsächlich in dem Maße zur Verfügung stellen, damit wir nicht im Jahr 2015 oder 2020 von der Unternehmerseite mit der Kritik konfrontiert werden – und die wäre dann ja zu Recht –, was habt ihr politisch getan, diese Situation, die wir dann vielleicht im Jahre 2020 haben, nämlich dass wir tatsächlich viel zu wenig qualifiziertes Personal in den Unternehmen haben, früh genug abzuwenden.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Renz?

Ich gestatte eine Zwischenfrage.

Bitte, Herr Renz.

Danke schön. Es könnten auch zwei werden.

Bin ich richtig informiert, dass der Fraktionsentwurf vorsieht, einen so genannten Zentralfonds einzurichten, um das Problem zu lösen?

Ich habe den Fraktionsentwurf nicht vorliegen, aber ich habe hier den Beschluss des SPD-Bundesparteitages und ich kann Ihnen sagen, er ist vom Grundsatz her ähnlich und der sieht vor, dass ein Fonds eingerichtet wird. Der Fonds soll tatsächlich eingerichtet werden, ich zitiere das jetzt mal: „Von der gesetzlichen Umlage werden Branchen mit vergleichbaren tarifvertraglichen Vereinbarungen ausgenommen. Das gilt auch für andere vergleichbare rechtsverbindliche Vereinbarungen.“ Und nur für die, die dann noch übrig bleiben, die sich entweder einer tarifvertraglichen Regelung entziehen wollen oder es nicht machen können oder die mit ihren Kammern – jetzt komme ich wieder zu dem Beispiel mit dem Kollegen Born –, die in Rechtsanwaltskammern möglicherweise organisiert sind oder in der Handwerkskammer, die dort keine Regelung finden, für die soll ein Fonds eingerichtet werden. Wie das Geld dann tatsächlich verteilt wird, das steht allerdings weder in dem bisherigen Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion noch in dem Beschluss der SPD.

Ist Ihre Frage damit zumindest so weit beantwortet, wie das zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist?

Ich hätte, wenn es gestattet ist, eine zweite und dritte Frage.

Herr Kollege, ich wollte ja eigentlich eben aufhören, aber trotzdem, wir machen jetzt weiter, wenn Sie möchten.

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU)

Bitte stellen Sie Ihre Frage, Herr Renz.

Meine zweite Frage lautet: Glauben Sie, dass ein Zentralfonds dieses Problem löst?

Herr Kollege, ich könnte jetzt gehässig sein und sagen, Glaube, Liebe, Hoffnung, Liebe ist die größte von allen, wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe. Aber das ist wahrscheinlich mehr das Thema, auf dem die CDU bewandert ist. Der springende Punkt ist …

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU: Wieso das denn?)

Aber Sie sind doch die Partei der christlichen Nächstenliebe. Oder sehe ich das falsch?

(Heiterkeit und Beifall bei einzelnen Abge- ordneten der SPD – Dr. Ulrich Born, CDU: Na, das gibt es doch bei Ihnen auch.)

Aber ich habe das nicht im Parteiprogramm stehen. Um jetzt auf …

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Rainer Prachtl, CDU: Da müsste man den Glauben haben, dann könnte man Berge ver- setzen. Aber das passiert bei Ihnen ja nicht. – Dr. Ulrich Born, CDU: Es gibt viele engagierte Christen, Gott sei Dank in allen Bereichen.)

Da bin ich ja beruhigt, Herr Kollege Born. Aber ich will Ihren Kollegen jetzt nicht so lange auf die Antwort warten lassen.

Was ich glaube, ist in diesem Zusammenhang völlig irrelevant. Ich gehe einfach davon aus, dass wir dieses Problem anfassen müssen. Und da es ja offensichtlich in der Vergangenheit nicht dazu gekommen ist, trotz aller Zusagen der verschiedensten Verbände und Organisationen eine Lösung zu finden, die keine gesetzliche Regelung zugrunde legt, sehe ich im Moment keine andere Möglichkeit, als diejenigen, die nicht freiwillig entsprechend ihren Verpflichtungen, sowohl ihren volkswirtschaftlichen als auch ihren gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen, agieren wollen,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Dr. Martina Bunge, PDS)

dass man die dann tatsächlich dazu bringt, auch im Interesse ihres eigenen Unternehmens über das einzelne Geschäftsjahr hinaus zu gucken und das zu berücksichtigen, was vielleicht in fünf oder in zehn Jahren auch für ihr Unternehmen sinnvoll sein könnte.

Jetzt die dritte?

Ich hätte eine dritte Frage und bitte um eine sachliche Beantwortung dieser Frage, da ich auch einschätze, dass ich meine Fragen sachlich stelle.

(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Die dritte Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1980 eine solche Abgabe als verfassungswidrig bezeichnet hat, weil diese Sache nicht gruppennützig ist? Das heißt, dass den Branchen, die einzahlen, dann nichts zugute kommt und der Zentralfonds dagegen verstößt. Ist Ihnen diese Tatsache vom Bundesverfassungsgericht bekannt und wie schätzen Sie die Chancen einer so genannten Zwangsabgabe aufgrund dieses Gerichtsurteils dann ein?