Protokoll der Sitzung vom 06.07.2016

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Junge, Junge, Junge!)

Meine Güte!

Sie haben das Wort.

Ja, also wir haben uns um die Aufsetzung dieses Punktes auf die Tagesordnung bemüht, weil wir ein großes Interesse an einer erneuten Diskussion dieses Themas haben. Und wenn ich der „Zeit online“, glaube ich, von heute oder von gestern Glauben schenken kann, dann besteht sogar die berechtigte Hoffnung, dass die GRÜNEN in einzelnen Ländern ihre Blockadehaltung zu dieser Thematik aufgeben. Insofern, glaube ich, ist es sogar ganz gut, dass wir das Thema heute gehört haben.

Ich bedaure es allerdings sehr, dass die Argumentation, die GRÜNE und LINKE bisher wie eine Monstranz vor sich hertragen, auch zu einer bewussten Irreführung der Bevölkerung führt. Begriffe wie Menschenrechtsverletzung, Folter, Bedrohung von Leib und Leben werden mit den Maghreb-Staaten in Verbindung gebracht, und dies, obwohl den Akteuren bestens bekannt ist, dass die Tatsachen eine andere Sprache sprechen. Letztendlich bringt die Verweigerung der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten auch eine zusätzliche hohe finanzielle Belastung für den Staat mit sich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht nicht um die Verletzung von Menschenrechten oder Folter, die verhindert werden sollen, sondern es geht überwiegend schlicht und einfach um Geld. Es geht um eine enorme, häufig sinnlose Arbeitsbelastung beim Bundesamt für Migration. Niemand beabsichtigt, in Not geratenen Menschen, die um politisches Asyl bitten, Hilfe und Unterstützung zu verweigern. Daran ändern auch konstruierte Schreckensszenarien nichts.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grundsätze des Asylverfahrens haben wir in diesem Landtag in fast jeder Sitzung diskutiert, und daran hat sich meines Wissens bis heute nichts geändert. Nach wie vor gilt, hat sich ein Antragsteller rechtmäßig in Deutschland registrieren lassen und hat er einen Asylantrag gestellt, dann bekommt er auch Bleiberecht, bis eine politische Verfolgung geklärt ist. Gegen Ablehnungsbescheide bestehen Rechtsmittel und in den Rechtsverfahren werden die vorgelegten Argumente nochmals von unabhängigen Richtern geprüft. Selbst wenn keine politische Verfolgung, sondern die Flucht vor Krieg und Terror vorliegen sollte, gibt das deutsche Recht nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem sogenannten subsidiärem Schutz ein Bleiberecht, allerdings in diesem Fall dann befristet. Aber in Krieg, Terror und Folter schicken wir niemanden zurück, und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Tatsache.

Was aber bedeutet die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nun wirklich? Bedeutet sie Abschiebung ohne Rücksicht auf Verluste oder geht es schlichtweg um eine Beweislastumkehr? Bisher wurde jeder Einzelfall überprüft, ob der Asylsuchende in irgendeiner Art und Weise verfolgt wird, sei es politisch oder kriegerisch. Kommt diese Überprüfung zu dem Ergebnis, dass dem Asylsuchenden in seinem Heimatland kein Ungemach droht, dann wird er zurückgeführt.

Wie sieht es nun aktuell im Fall der Maghreb-Staaten aus? Tatsächlich wurden in den letzten Monaten 99,3 Prozent der Asylanträge von Asylsuchenden aus Marokko, Tunesien und Algerien abschlägig beschieden. Den Asylsuchenden aus diesen Ländern wurde die freiwillige Ausreise nahegelegt und wer dieser Aufforderung nicht folgte, der wurde auch abgeschoben.

Die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration sind für mich konsequent und nachvollziehbar. Es ist aus meiner Sicht schlichtweg unmöglich, eine Asylpolitik zu fahren, die der Realität faktisch konträr gegenübersteht. Jedes Jahr fliegen Zehntausende Menschen in eben diese Staaten und machen Urlaub. Diesen Menschen ein Bild von politischer Verfolgung und Folter zu vermitteln, und das als Pauschalwertung, dürfte ziemlich schwerfallen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die bisherige Praxis ist extrem kosten- und personalintensiv, ich wies bereits darauf hin. Wir wenden jährlich mehrstellige Millionenbeträge für Personal, Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung der Asylsuchenden sowie für die Rechtsmittelverfahren auf, und das alles bei einer Ablehnungsquote von 99,3 Prozent. Diese Ausgaben gehen zulasten anderer Bedürftiger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst wird uns die Einstufung als sicheres Herkunftsland eine deutliche Kosten- und Personalentlastung bringen. Ich darf noch mal daran erinnern,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Darum gehts also! Kosten sparen!)

wir haben derzeit im Bundesamt für Migration mehrere Hunderttausend Anträge auf Halde liegen. Ich habe kürzlich gerade Asylsuchende aus Syrien bei mir sitzen gehabt, die seit Monaten, und zwar seit neun Monaten auf einen Bescheid warten. Auch diese Menschen leiden letztendlich unter dieser Politik. Und schon allein deshalb, weil …

Jetzt habe ich mich verhaspelt.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nicht zum ersten Mal!)

Also die Kosten- und Personalentlastungen – Herr Saalfeld, schönen Dank, aber Sie bringen mich dann immer wieder richtig auf den Weg – werden uns letztendlich nicht davon abhalten, auch zukünftig jeden Einzelfall zu prüfen. Bei den Antragstellern, die glaubhaft einen Asylgrund vortragen, wird sich am Verfahren auch nichts ändern. Was uns von GRÜNEN und LINKEN vorgegaukelt wird, dass Asylverfahren ausgehebelt werden sollen, ist meines Erachtens Unfug und geht zulasten der berechtigten Asylanträge. Ich sprach bereits darüber.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich sind die Lebensverhältnisse in den Maghreb-Staaten mit unseren nicht vergleichbar, aber diese Diskrepanz lässt sich nun mal nicht über das deutsche Asylrecht lösen. Deutschland unterstützt die Maghreb-Staaten bereits seit geraumer Zeit, und nicht nur beim Aufbau demokratischer Strukturen wie beispielsweise in Tunesien. Allein im letzten Jahr haben wir 700 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit mit Marokko, Algerien und Tunesien bereitgestellt. Diese Mittel wurden für gezielte Projekte eingesetzt: zur Verbesserung der Lebensverhältnisse, zur Stärkung von Frauen- und Minderheitsrechten, zur Stärkung guter Regierungsführung, zur Stärkung der Zivilgesellschaft und letztendlich auch für die Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz. Diese Aufbauarbeit gilt es fortzusetzen.

Auf der anderen Seite tragen wir allerdings auch eine große Verantwortung gegenüber den Bürgern, einen Asyl- und Sozialmissbrauch in unserem Land zu verhindern. Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist meines Erachtens dafür ein wichtiger Baustein. Ich fordere deshalb alle Kolleginnen und Kollegen auf, auf Bundesebene und auf Länderebene für entsprechende Unterstützung zu werben.

(Udo Pastörs, NPD: Heuchler! Absolute Heuchler!)

Ich sagte es bereits, es zeichnet sich möglicherweise bundesweit ein Kompromiss mit den GRÜNEN ab.

Für mich sind die Maghreb-Staaten sichere Herkunftsländer

(Gelächter bei Udo Pastörs, NPD – Julian Barlen, SPD: Da sind Sie Experte!)

und eine Zustimmungsverweigerung halte ich für kontraproduktiv,

(Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE: Stimmt nicht! Stimmt nicht! Stimmt überhaupt nicht!)

sie würde niemandem helfen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es nach unserer Landesregierung gegangen wäre, also nach SPD und CDU, dann hätten sich die Koalitionsfraktionen ihren gemeinsamen Antrag und der Landtag heute diese Aussprache schenken können, denn der Ministerpräsident ließ den Bundesrat am 17. Juni wissen, dass er es sehr gut gefunden hätte, „wenn wir bereits heute“, also am 17. Juni, „die Ausweitung der Liste der sicheren Drittstaaten beschlossen hätten“. Ich zitiere aus der Rede des Ministerpräsidenten vor dem Bundesrat:

„Zweiter Punkt: Gleichzeitig ist klar, dass Deutschland nicht jedes Jahr mehr als 1 Million Flüchtlinge aufnehmen kann. Die Zuwanderung wird nur dann Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn sie in geordneten Bahnen abläuft. Dazu gehört, dass wir Menschen, die unseren Schutz nicht brauchen, konsequent in ihre Heimat zu

rückführen. Dazu gehört, dass wir dabei so konsequente Signale geben, dass sich Menschen gar nicht erst auf den Weg machen, wenn sie bei uns nicht die Chance auf Schutzgewährung haben. Ich“ – ich, Erwin Sellering, Mecklenburg-Vorpommern – „hätte es deshalb sehr gut gefunden, wenn wir bereits heute die Ausweitung der Liste der sicheren Drittstaaten beschlossen hätten, meine Damen und Herren.“ Zitatende.

(Vincent Kokert, CDU: Und nun? Und nun? – Zuruf von David Petereit, NPD)

Ich muss ehrlich sagen, als ich den Tagesordnungspunkt gesehen habe, ohne zunächst die Reihenfolge der Antragstellung zu betrachten, habe ich gedacht, na das ist klar, das stammt aus der Feder der CDU,

(Vincent Kokert, CDU: Jetzt sind Sie sich nicht mehr so sicher, ne?)

weil das sozusagen auch die Lesart des Innenministers ist. Ich war, ich muss es Ihnen wirklich so sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zutiefst erschüttert, als ich dann in Vorbereitung auf diese Aussprache die Rede des Ministerpräsidenten gelesen habe. Da wundert mich nichts mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Torsten Renz, CDU: Wie meinen Sie das jetzt mit dem letzten Satz?)

Herr Ministerpräsident – er ist nun leider nicht da –, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem Bundesrat haben Sie, Herr Ministerpräsident, von einem klaren Kompass in der Flüchtlingspolitik gesprochen

(Torsten Renz, CDU: Ja.)

und dass Deutschland deshalb gut beraten sei, in der Flüchtlingsfrage auch in Zukunft auf Menschlichkeit und Mitgefühl zu setzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Menschlichkeit und Mitgefühl, dieser Kompass des Ministerpräsidenten ist den Koalitionsfraktionen bei der Formulierung des Themas wohl vollständig abhandengekommen. „Konsequent“, „verantwortungsbewusst“, „einstufen“ – vor diesem technokratischen Dreiklang würde ein mitfühlender Kompass in der Tat ein Fremdkörper sein. Im Kern geht es aber hier nicht um Menschlichkeit und Menschenrechte, hier geht es um knallharte Innenpolitik, und dass die Sozialdemokratie dieses Landes so etwas mitmacht, das erschüttert mich zutiefst.

(Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE: Ja.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es sich bei Algerien, Marokko und Tunesien keineswegs um asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten handelt, können Sie bitte dem Gesetzentwurf der Bundesregierung selbst entnehmen. Hier werden rechtsstaatliche Defizite und Grundrechtsverletzungen detailliert aufgelistet, wenn auch ganz offensichtlich mit schwerer Hand. Aber selbst ganz Hartleibigen muss doch das Verhalten anderer EU-Staaten zu denken geben. Algerien wird lediglich durch Bulgarien als sicherer Herkunftsstaat eingestuft. Weder Marokko noch Tunesien werden auch nur von einem einzigen anderen EU-Staat als sicherer Herkunftsstaat betrachtet, und der Ministerpräsident dieses Landes bedauert, dass der Bundesrat die Ausweitung nicht beschlossen hat.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetz zur Bestimmung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten, dem der Bundesrat nach Auffassung der Antragsteller unbedingt zustimmen sollte, also auch nach Auffassung der SPD unbedingt zustimmen sollte, verfolgt zwei grundlegende Ziele: eine Beschleunigung der Abschiebung im Asylverfahren und die Abschreckung vor der Flucht nach Deutschland. Einen mitfühlenden Kompass der Menschlichkeit, Herr Ministerpräsident und liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, kann ich hier nicht er- kennen!

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetz führt dazu, dass Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten mit legislativen und administrativen Maßnahmen der Schutz verkürzt und eingeschränkt werden soll. Asylrecht ist aber ein individuelles Recht, welches zwingend eine uneingeschränkte Einzelfallprüfung verlangt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Konzeption der sicheren Herkunftsstaaten folgt gerade nicht einem mitfühlenden Kompass der Menschlichkeit. Mit diesem System wird insgesamt eine falsche Richtung eingeschlagen. Hier marschiert bereits die CSU weit vorneweg, wenn sie Armenien, Georgien, die Ukraine, Bangladesch und Indien in diese Liste aufnehmen möchte – alles Staaten, in denen Bürgerkrieg, Krieg herrscht und Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung stehen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich wiederhole es: Hier geht es nicht mehr um Menschenrechte und Fluchtursachen, hier geht es um knochenharte Innenpolitik!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Aussprache um eine konsequente und verantwortungsbewusste Flüchtlingspolitik muss abschließend die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, die SPD-Politikerin Bärbel Kofler, zu Wort kommen, ich zitiere: „Aus grundsätzlichen Erwägungen lehne ich die Einstufung Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten ab. Fragen der Zu- und Einwanderung lassen sich durch dieses Konzept nicht lösen.“ Zitatende.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, und ja, auch liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Christlich Demokratischen Union, Sie sollten Ihre politische Agenda mit diesem eben zitierten humanistischen Kompass neu einnorden! – Herzlichen Dank.