Erstens. Zunächst ist fraglich, ob im Falle von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung überhaupt von einer Verfälschung oder Verzerrung des Wettbewerbs gesprochen werden kann, da die Privatbanken so groß und mit der übrigen Volkswirtschaft verflochten sind, dass im Falle ihrer Insolvenz eine Wirtschaftskrise drohen würde. Hier müsste dann ein bail out - das ist eine Staatsbürgschaft gegenüber Banken - erfolgen. Dies bedeutet, dass zwar nicht formal, wohl aber faktisch auch eine Haftung des Staates gegenüber den Privatbanken besteht, die der Gewährträgerhaftung entspricht. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf das Rating der Privatbanken. Hinzu kommt, dass die Refinanzierungsvorteile, die die Landesbanken und großen Sparkassen aufgrund des durch Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verbesserten Ratings haben, kleiner sind als unterstellt. Der größte Anteil des Refinanzierungsvolumens besteht hier nämlich aus gedeckten Schuldverschreibungen, d. h. aus Pfandbriefen und Kommunalobligationen.
- Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin. Hier ergibt sich die gute Bonität aus der Produktgestaltung und nicht aus der Anstaltslast oder Gewährträgerhaftung.
Würde die Europäische Kommission den Ländern und Kommunen die Übernahme dieser Haftung untersagen, so würde sie faktisch eine Unternehmertätigkeit des Staates verunmöglichen. Damit würde die Kommission gegen Artikel 295 des EG-Vertrages verstoßen. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind, wie die Bundesregierung bereits in ihrer Stellungnahme vom 5. Dezember 1997 folgerte, Eigenhaftung kraft Unternehmensorganisation. Die gegenwärtig diskutierte Quantifizierung und Gegenüberstellung des Wertes von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung einerseits und des Wertes der von den Sparkassen und Landesbanken erfüllten öffentlichen Aufträge andererseits sind daher ebenso unangebracht wie gefährlich. Sie implizieren nämlich den Trugschluss, dass Anstaltslast und Gewährträgerhaftung eine Leistung seien, die die Sparkassen und Landesbanken von Dritten erhalten und daher entschädigen müssten. Eine solche Aufrechnung von Leistung und Gegenleistung wäre zudem auch nicht praktikabel.
- Genau. - Indem die Kommission derzeit mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung eine tragende Säule der öffentlich-rechtlichen Banken angreift, geht sie einen weiteren Schritt auf dem Weg, dessen nächste Etappe in einer Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Systems besteht. Ich erinnere daran, dass sich nicht nur die Reform der Transparenzrichtlinie, sondern auch die erwähnte Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrages auf staatliche Beihilfen auf den gesamten öffentlichrechtlichen Bereich und damit u. a. auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beziehen.
Zusammenfassend sage ich für die CDU-Fraktion: Es gab gute Gründe dafür, nach 1945 den öffentlich-rechtlichen Sektor als eine Komponente der sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln. Anstatt das, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, vielleicht unwiderruflich dem Zeitgeist zu opfern, sollten wir es als Instrument zukünftiger Politik bewahren. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein merkwürdiger Kompromiss, den die Ministerpräsidenten am letzten Wochenende geschlossen haben: Man zementiert das Existenzrecht der Länder und hat sich gleichzeitig auf die Seite von Stoiber geschlagen und eine Breitseite gegen die Europäische Union abgefeuert. Öffentliche Daseinsvorsorge und Föderalismus bedroht, alles auf einmal, plötzlich, ganz katastrophal – „Moment mal“, sage ich mir.
Die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland hat Verfassungsrang und ist mit aller Macht zu verteidigen. Das gilt. Dazu bedarf es aber wohl keiner gemeinsamen Schwüre von Ministerpräsidenten, sondern sorgfältiger Vorbereitung und
Abstimmung mit dem Bund und den Ländern, um dies auch in allen EG- und EU-Verträgen zu verankern. Fraglich ist, ob das Drohen mit der großen Keule - mit der Versagung der Zustimmung für die Osterweiterung oder mit anderen Entscheidungen, die für die EU von zentraler Bedeutung sind - die wirkungsvollste Methode ist; schließlich gibt es genug Länder, die in der Osterweiterung der Europäischen Union in erster Linie Vorteile für die Bundesrepublik Deutschland sehen.
Aber man konnte eben schon feststellen, dass auch Herr Wolfgang Senff hier schon etwas zurückgerudert ist und die große Keule wieder ein bisschen in den Sack packen wollte. Man kann aber immer noch nachlesen, was am letzten Wochenende von allen Ministerpräsidenten gemeinsam – von Herrn Stoiber dann verkündet - in die Welt gesetzt wurde. Gleichzeitig soll dann auch noch der Wettbewerbskommissar ausgebremst werden, und es entspinnt sich eine merkwürdige Hetze gegen europäische Richtlinien und Grundsätze, denen man aber in der Substanz ja längst zugestimmt hat.
Meine Damen und Herren, ich frage mich: Wollen wir wirklich wieder Subventionswettläufe in allen Branchen und auf allen Ebenen? Geben die öffentlichen Haushalte das her? Ich frage mich bezüglich der Landesbanken: Was wäre bedroht, wenn sie ihren Gewährträgern einen geldwerten Vorteil für die Gewährträgerhaftung erstatten würden? Für die Sparkassen gelten sicherlich andere Regeln, weil sie lokal und regional agieren. Aber was ist mit den Landesbanken, die Filialen in Shanghai oder New York unterhalten und auf dem Markt ganz kräftig mitmischen? Wie wollen Sie als Land eigentlich die Eigenkapitalbasis dieser Landesbanken stärken und verbreitern angesichts des Landeshaushaltes, der uns allen bekannt ist? Wie wollen Sie da das Eigenkapital aufstocken, wenn Sie eine Umwandlung in Aktiengesellschaften von vornherein ausschließen? Welche Folgen hätten die Baseler Beschlüsse ohne Strukturanpassungen und ohne Modernisierungen in diesem Bereich?
Meine Damen und Herren, ich meine, wer sich zu spät bewegt, den holt nachher die Wirklichkeit ein, der wird dann durch Gerichte schon dazu gebracht werden, einiges anders zu regeln, als es heute der Fall ist. Aber dann hat man vielleicht bei der Gestaltung versagt.
Wenn ich mir den Verkehrsbereich anschaue, dann sehe ich: Es gibt sicherlich Chancen und Risiken bei der angestrebten Umgestaltung der Europäischen Kommission. Aber wenn ich heute sehe, dass Unternehmen nicht den Nutzen für die Fahrgäste, sondern die öffentlichen Subventionen zum Schaden der Fahrgäste optimieren, dann frage ich mich manchmal schon, ob man nicht noch einmal darüber nachdenken sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keinen ungeregelten Wettbewerb. Wir wollen keinen Manchester-Kapitalismus. Aber wir wollen auch keine verfilzten Monopolstrukturen, die jeden Fortschritt und jede Modernisierung verhindern.
Ich sage nur: WestLB. Da frage ich mich so manches Mal, ob man nicht einmal genauer hinschauen sollte, was dort gelaufen ist. Oder ich sage einmal: Vergabegesetz. Herr Plaue, warum hat sich die SPD-Fraktion bisher geweigert, ein Vergabegesetz mitzutragen, das im Baubereich dazu führt, dass dort endlich vernünftige Strukturen herrschen und dass nicht auf Teufel-komm-raus Lohndumping betrieben wird?
- Sie haben gesagt, Sie hätten unseren Antrag erst einmal in den Keller gelegt und würden einen einigenden Vorschlag vorlegen. Der ist aber bis heute nicht auf den Tisch gekommen.
Außerdem sage ich noch etwas: Herr Schröder hat sich dann in dieser Frage mit den Franzosen verbündet. Es ist ja nicht so, wie Herr Wegner gesagt hat, dass es in anderen Ländern nicht auch Bereiche gibt, die, wie beispielsweise in Frankreich, unter dem Begriff „services publics“ firmieren. Dazu rechnet man in Frankreich die EdF, die Electricité de France, den einzigen Monopolisten im Strombereich. Den will man in Frankreich natürlich in seinen Strukturen erhalten. Dazu muss man wissen, dass diese Struktur über Jahre hinweg jede
Innovation am Strommarkt verhindert hat und dass hier mit Macht verhindert wurde, dass moderne und innovative Technologien an den Markt kommen. Das will man konservieren. „Forsch voran“, kann ich nur sagen. Ich habe so meine Zweifel, ob das mit solchen Akteuren zukunftsfähig ist.
Ich wollte dazu nur noch sagen: Herr Senff, es war sicherlich ganz gut überlegt, dass Sie gestern keine Regierungserklärung zum Thema Europapolitik abgegeben haben. Ich habe nämlich nach der Vorlage dieser beiden Anträge, die wir heute diskutiert haben und die sich inhaltlich in wesentlichen Punkten widersprechen, das Gefühl, dass es richtig wäre, wenn Sie intern noch einmal heftig diskutieren würden, welche Schwerpunkte Sie in Zukunft setzen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Ich sehe den Dissens, der hier von Herrn Wenzel in nicht erfolgreicher Weise aufgebaut werden sollte, in der Sache und in den Beiträgen derjenigen, die vor mir gesprochen haben - sowohl von der SPD-Fraktion als auch von der CDU-Fraktion -, nicht. Es war sehr wohltuend, zwei sachliche Beiträge zum Thema zu hören. Natürlich gibt es Probleme, aber ich bin sehr dafür,
dass wir die auch wegen der Schwierigkeit der Materie in einer sachlichen Debatte miteinander bereden.
Die Landesregierung hat selbstverständlich die Liberalisierung des Binnenmarktes unterstützt und unterstützt sie. Wer hat das eigentlich nicht getan, und wer hat nicht die Vorteile des offenen Binnenmarktes jederzeit haben, einstreichen und nutzen wollen? Dieser Binnenmarkt hat zu freiem
Warenverkehr, freiem Personenverkehr, freiem Dienstleistungsverkehr und natürlich auch zu freiem Verkehr für Kapital in Europa geführt. Es liegt auf der Hand, es war gewollt, es ist gewollt, dass Menschen von solchen Freiheiten Gebrauch machen. Das schafft Innovation, das schafft Impulse, das schafft Arbeitsplätze - natürlich auch Konkurrenz und Aufbrechen von Strukturen und Veränderungen auf Güter- und Arbeitsmärkten. Das ist selbstverständlich. Ich wiederhole meine Ausführungen von vor der Mittagspause: Das ist gewollt! Das ist ein Teil der gemeinsamen europäischen Politik. Das ist ein Teil der Erkenntnis, dass freier Handel den miteinander Handelnden in gleicher Weise nutzt und dass es zum Vorteil der Volkswirtschaften und zum Vorteil der Menschen ist und nicht nur, wie dargestellt, zum Vorteil derjenigen, die Wirtschaft betreiben, um damit Geld zu verdienen; das aber ist in Ordnung. Wir müssen die Folgewirkungen selbstverständlich kennen und mit den Folgewirkungen dieser Politik leben.
Natürlich loten Unternehmen nun auch Geschäftsbereiche aus, die ihnen vorher verschlossen waren. Sie loten Geschäftsbereiche aus, die bislang in staatlicher Obhut waren, die ihnen durch öffentliche Regelungen verschlossen waren. Uns steht ein besonderer Fall ins Haus. Die öffentlich-rechtlichen Landesbanken sind unter die Lupe der Wettbewerbspolitiker der Europäischen Union geraten. Das, meine Damen und Herren, sind auch Wettbewerbshüter. Man muss einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Europäische Union Wettbewerbskontrolle betreibt, damit keine ungerechtfertigten Vorteile auch anderer uns gegenüber greifen und zu unserem Nachteil gereichen.
Meine Damen und Herren, ein wenig haben die nun unter besonderer Betrachtung stehenden Landesbanken und wir selbst dazu beigetragen, dass sie in das Kreuzfeuer, dass sie in das Scheinwerferlicht der Europäischen Union geraten sind. Ich erinnere daran, dass die Erklärung zum Amsterdamer Vertrag zu öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten in Deutschland erst dazu beigetragen hat, dass jeder in Europa die Begriffe „Anstaltslast“ und „Gewährträgerhaftung“ kennt. Für Wettbewerbspolitiker, für Wettbewerbshüter in Europa waren das böhmische Dörfer. Die haben sich darum überhaupt nicht gekümmert.
Ich gebe zu - und es ist ja auch eine Tatsache -, dass uns der Fall der WestLB alle sensibilisiert hat. Es gibt nach meinem Dafürhalten auch niemanden, der diese Art der Wohnungsübertragung unkom
mentiert im Raum stehen lassen will. Ich bin auch sicher, dass in diesem Fall Korrekturen vorgenommen werden und vorgenommen werden müssen.
Meine Damen und Herren, uns reicht in diesem gesamten Paket öffentlich-rechtlicher Daseinsvorsorge die Klärung einer Frage. Dabei spielt die Frage, wie man alte Strukturen erhält, keine Rolle. Alte Strukturen müssen in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen veränderbar sein. Die Folgen, die sich ergeben, wenn das nicht der Fall ist, haben wir im Osten erlebt. Wir müssen Strukturen flexibel und veränderbar halten. Aber eine Frage ist in diesem Zusammenhang für uns wichtig: Wer definiert die Qualität von Leistungen, die öffentlich-rechtlich erbracht werden? Wer definiert die Qualität der Strukturen, die insoweit zur Debatte stehen? - Daseinsvorsorge? - In Ordnung. Aber wer definiert, was Daseinsvorsorge ist und was Daseinsvorsorge für die Menschen, für die wir sie betreiben, erbringen soll? - Die Frage, ob das die EU macht oder ob das die Länder machen, ist eindeutig. Unsere Antwort darauf ist genauso eindeutig: Die Definitionshoheit über die öffentlich-rechtliche Daseinsvorsorge wollen wir haben und wollen wir nicht der EU geben.
Es gilt, die Rolle der EU auf Missbrauchsaufsicht zu begrenzen. Kommissar Monti hat in den von mir schon angesprochenen Gesprächen mit ihm verdeutlicht, dass die Kommission überhaupt kein Interesse daran hat, die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten zu verändern. Darum geht es nicht. Er hat deutlich gemacht, dass er die öffentlich-rechtliche Daseinsvorsorge respektiere.
Die Kommission und Kommissar Monti haben diese Pflicht. Wir haben ihnen als Pflicht in ihre Aufträge hineingeschrieben, vorgelegten Beschwerden nachzugehen, vorgelegte Beschwerden zu prüfen. Wir selbst reichen Beschwerden gegen andere, von denen wir den Eindruck haben, dass sie den Wettbewerb verzerren, zur Prüfung ein.
Meine Damen und Herren, Monti versicherte, es gebe keinen Grund für Sorgen um den Bestand der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge. Manch einer mag denken: Die Kunde höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube! - Na gut. Die Zukunft und die Debatte um diese Frage werden das Ergebnis zeitigen. Auch Niedersachsen wünscht verbindliche wettbewerbsrechtliche Regelungen der Art,
dass die von mir angesprochene eigenständige, autonome Definition der Qualität tatsächlich bei uns liegt. Wir wünschen selbstverständlich auch, dass die Weiterentwicklung von Strukturen der Daseinsvorsorge in Zukunft möglich ist und möglich sein wird.
Die öffentlich-rechtlichen Banken und Sparkassen sind aus Sicht der Landesregierung ein unverzichtbares Element der föderalistischen Struktur unserer Bundesrepublik. Die Sparkassen sind zudem die quasi konkrete Umsetzung der kommunalen Selbstverwaltung. Sie tragen durch ihre regionale, durch ihre örtliche Bindung zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung von Regionen, Dörfern und Städten bei. Da beißt keine Maus einen Faden ab. Das wollen wir so auch erhalten.