Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Arbeitsgruppen von Land und Kommunen zur Hilfebedarfsplanung werden hierbei weiterhin Hilfestellung leisten.

Als zweiten Punkt nenne ich das Quotale System. In dem ganzen Zusammenhang sind auch die Möglichkeiten des Quotalen Systems mit der gemeinsamen Finanzverantwortung von Land und Kommunen noch längst nicht ausgereizt. Wenn die Kommune ambulantes Wohnen anbietet, wird der finanzielle Aufwand dafür nach dem neuen niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII zur Hälfte auf dem Konto des Landes verbucht, obwohl die Kommune zuständig ist.

Der dritte Punkt bezieht sich auf die Experimentierklausel. Ab 1. Januar 2007 werden das Land und voraussichtlich fünf Kommunen von der neuen Experimentierklausel nach dem niedersächsischen Ausführungsgesetz zum SGB XII Gebrauch machen. Es soll die Hilfe aus einer kommunalen Hand vor Ort durch Übernahme der Landesaufgaben in der Eingliederungshilfe erprobt werden. Die Modellkommunen profitieren noch einmal zusätzlich, wenn sie bedarfsgerechte ambulante Hilfeangebote ausbauen; denn ihr Finanzanteil am gemeinsamen quotalen Topf mit dem Land bleibt während der Dauer des Experimentierzeitraums fest und steigt nicht um die Kosten der ambulanten Versorgung.

Der vierte Punkt schließlich betrifft das persönliche Budget. Mit den persönlichen Budgets ist ebenfalls die Chance verbunden, den ambulanten Bereich auszubauen. Für die Umsetzung sind die Kommunen zuständig. Liebe Frau Helmhold, ich finde es bedauerlich, dass gerade in der großen Region Hannover die rot-grüne Mehrheit noch im Mai dieses Jahres die Einführung des persönlichen Budgets abgelehnt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Hier ist die politische Begleitung notwendig. Ich bitte Sie, entsprechend tätig zu werden.

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Die Be- dingungen waren zu schlecht!)

- Ach so. Wir haben doch aber gerade gehört, dass die Bedingungen gut sind. Das verstehe ich jetzt nicht. - Die Landesregierung wird jedenfalls nicht nachlassen, Überzeugungsarbeit bei den Kommunen unter Hinweis auf den Erfolg des niedersächsischen Modellversuchs zur Einführung des persönlichen Budgets zu leisten.

Über diese vier Punkte hinaus meint der Antrag der Grünen das Zaubermittel gefunden zu haben, um bis 2009 5 % der vorhandenen stationären Plätze durch Zielvereinbarungen mit den Einrichtungsträgern in ambulante Angebote umzuwandeln. Die dafür ins Feld geführte Rahmenzielvereinbarung der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe enthält aber nur die Pflicht der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, auf die Einrichtungsträger einzuwirken. Sie sind an diese Vereinbarung also gar nicht gebunden. Ich bin gespannt, ob es wirklich zu der erwähnten Umwandlung kommt.

Für die CDU-Fraktion ist entscheidend, dass jeder Mensch mit Behinderung passgenaue und treffsichere Hilfe erhält. Dafür wollen wir die Möglichkeiten ambulanten Wohnens einschließlich rehabilitativer und begleitender Angebote wie Tagesstätten, Kontaktstellen und Krisenintervention voll ausschöpfen. Es ist damit aber unvereinbar, die vor Ort verantwortlichen Kommunen von oben mit festen Quoten - diese können zu niedrig oder zu hoch sein - zu bevormunden oder sogar an ihnen vorbei mit anderen Partnern Quoten zu vereinbaren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

CDU und FDP beabsichtigen, anhand des Grundsatzantrages beider Fraktionen eine Anhörung zur Eingliederungshilfe durchzuführen. Sie soll die Frage zum Gegenstand haben, welche weiteren Schritte zur Fortentwicklung der Eingliederungshilfe in Niedersachsen notwendig und gangbar sind. An dieser Stelle danke ich im Namen der CDU-Fraktion abschließend allen sehr herzlich, die auf Landes- und kommunaler Ebene in den Verbänden und Einrichtungen vorbildliche Arbeit leisten und dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen auch in Zukunft mit einer guten und menschlichen Unterstützung rechnen können. - Danke.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion ist Frau Kollegin Meißner schon auf dem Weg. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich brauche im Grunde genommen jetzt gar nicht mehr sehr viel zu sagen, weil Herr Matthiesen eben alles sehr ausführlich dargestellt hat. Ich teile seine Position voll und ganz.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich stimme auch Ihnen zu, Frau Helmhold, wenn Sie sagen, dass wir mehr ambulante Wohnformen brauchen. Wir brauchen Alternativen für Menschen mit Behinderungen. Frau Groskurt hat es schon gesagt: Menschen mit Behinderungen haben den Wunsch, genauso zu leben wie wir, soweit das geht. Sie wollen an der Gesellschaft teilhaben. Sie wollen Eigenständigkeit. Alles das wollen wir auch. Deshalb haben wir z. B. auch das persönliche Budget in Niedersachsen erprobt. In diesen Punkten stimmen wir absolut zu.

Der Unterschied zu Ihrem Antrag - das hat Herr Matthiesen eben schon erläutert - ist, dass wir es nicht für richtig halten, von oben herab eine Quote vorzugeben, die erfüllt werden soll. Das ist doch realitätsfremd. Es ist z. B. auch beim persönlichen Budget, von dem Sie gesagt haben, es sei, z. B. im Emsland, nur zaghaft in Anspruch genommen worden, nicht so, dass die Menschen es vor Ort nicht wollten. Die Bedarfe sind unterschiedlich. Auch die Gegebenheiten, die Leistungsanbieter, die man in Anspruch nehmen kann, sind sehr unterschiedlich. Das ist der Grund dafür, dass die Nachfrage z. B. in Braunschweig wesentlich stärker war. Deshalb müssen wir, so meine ich, erreichen, dass vor Ort, also dort, wo die Menschen wohnen, Hilfe bedarfsgerecht und nach Maß zugeschnitten wird. Herr Matthiesen hat dies ja eben bereits ausgeführt. Das geht am besten über eine Bedarfsfeststellung, eine gute Beratungsstruktur für die Betroffenen und ihre Angehörigen und eine Verteilung der Mittel vor Ort über das Quotale System. Die Experimentierklausel, die wir im nächsten Jahr erproben wollen, ist ja auch schon angesprochen worden.

Auch wir möchten das persönliche Budget flächendeckend einführen. Aber wir haben auch schon gemerkt, dass das zum Teil an den Gegebenheiten vor Ort scheitert. Die Kommunen können das nicht immer so umsetzen, wie wir es gerne hätten. Städte haben in diesem Bereich ganz eindeutig einen Vorteil gegenüber dem ländlichen Raum. Die flächendeckende Einführung des persönlichen Budgets bis zum 31. Dezember 2007 ist

vielleicht wünschenswert. Aber zu erwarten, dass das geschafft werden könnte, ist nicht unbedingt realitätsnah.

In der Tendenz, dass wir mehr ambulante Wohnformen brauchen, stimmen wir Ihnen völlig zu. Aber wir halten einen anderen Weg als den, den Sie einschlagen wollen, für richtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Frau Kollegin Helmhold zu Wort gemeldet. Sie haben eine Restredezeit von 1:19 Minuten.

Das muss reichen. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja schön, dass wir uns im Ziel einig sind. Allerdings meine ich, dass wir mit dem Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, einfach ein bisschen ehrgeiziger sind als Sie, und zwar indem wir sagen, Politik muss konkret das vorgeben, was sie will. In diesem Sinne sagen wir: Unser Ziel ist es, bis Ende 2009 5 % der derzeit vorhandenen stationären Plätze in ambulante Angebote umzuwandeln. Das möchten wir, weil wir wissen, dass es für die Menschen gut ist. Niemand von Ihnen hat das bestritten. Auch hat keiner der Vorredner bestritten, dass diese Angebote tatsächlich fehlen.

Das Instrument, das wir Ihnen vorschlagen, um diese Ziele zu erreichen, ist eine Zielvereinbarung. Das ist durchaus üblich. Ich kann mir vorstellen, dass man damit, wenn man in konkrete Gespräche eintritt, gemeinsam zu einem sehr guten Ergebnis wird kommen können.

Ich finde, wir müssen ehrgeiziger und präziser in dem sein, was wir wollen. Ich fand Ihren Antrag vom Mai zwar im Allgemeinen ganz schön und richtig, aber im Konkreten nicht ausreichend, um das zu erreichen, was im Sinne der behinderten Menschen in Niedersachsen notwendig wäre.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Ross-Luttmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung setzt den gesetzlich verankerten Grundsatz „ambulant vor stationär“ in Niedersachsen seit Jahren konsequent um.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir unterstützen und fördern die Ausweitung ambulanter Hilfestrukturen. Grundsätzlich sind ambulante Maßnahmen in Niedersachsen Aufgabe des örtlichen Trägers im eigenen Wirkungskreis. Das Land dagegen ist als überörtlicher Träger für unter 60-Jährige für stationäre und teilstationäre Maßnahmen zuständig. Der Vollständigkeit halber muss man manchmal auch die Zuständigkeitsregelungen nennen.

Vonseiten des Landes haben wir bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um das ambulante betreute Wohnen in Niedersachsen zu stärken und den Zuwachs an stationären Angeboten zu begrenzen.

Erstens. Wir setzen bei den Familien und bei den Kindern mit Behinderungen an. Das Land fördert Früherkennungsstellen und familienentlastende Dienste. Mein Haus moderiert die Verhandlungen zum Abschluss einer Landesrahmenempfehlung für interdisziplinäre Frühförderstellen. Dies alles verfolgt das Ziel, so früh wie möglich die Weichen für ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu stellen und eine Heimbetreuung zu vermeiden.

Zweitens. Wenn ein Leistungsanbieter Planungen für neue stationäre Angebote an uns heranträgt, beteiligen wir seit Jahren die betreffenden Kommunen vor Ort. Wir fragen ab, ob dort ein zusätzlicher Bedarf gesehen wird. Denn wenn Bedarfe bestehen, dann müssen wir bedarfsorientiert handeln, vor allem bei Planungen von neuen Einrichtungen für Menschen mit seelischen Behinderungen. Bei diesen Abstimmungen wird immer in den Blick genommen, ob der geltend gemachte Bedarf nicht besser ambulant abgedeckt werden kann. In vielen Fällen ist es dadurch bereits gelungen - wie z. B. in Hannover oder Cloppenburg -, dass anstelle neuer Heime ambulant betreute Plätze geschaffen wurden.

Drittens. Wir schaffen finanzielle Anreize für die Kommunen im Quotalen System. So fördern wir die Anstrengungen vor Ort finanziell auf der Basis der Neuregelung zum Quotalen System im Ausfüh

rungsgesetz zum SGB XII. Bei der Berechnung der Landesquote bleiben 50 % der kommunalen Aufwendungen für ambulant betreutes Wohnen unberücksichtigt. Dadurch sinkt der kommunale Anteil, und der Landesanteil steigt. Die jeweilige Kommune profitiert also finanziell davon, wenn durch Anstrengungen im ambulanten Bereich Heimkosten vermieden werden und gleichzeitig das Land durch eine höhere Landesquote diesen Bereich subventioniert.

Dieses System hat sich gerade für eine Umsteuerung von stationär auf ambulant bewährt. Landesweit hat sich der Aufwand der örtlichen Träger für die Eingliederungshilfe im ambulant betreuten Wohnen - der Bereich, den Sie ansprachen - seit Einführung des Quotalen Systems nahezu verdreifacht: von ca. 13 Millionen Euro im Jahre 2001 auf ca. 38 Millionen Euro im Jahre 2005. Das zeigt, dass ambulante Angebote in Niedersachsen vorhanden sind und gut angenommen werden. Davon profitieren die leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen, die zunehmend auf ambulante betreute Angebote zurückgreifen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das gilt nicht nur für neu hinzukommende Leistungsberechtigte. Das System wird durchlässiger; denn betroffene Menschen mit Behinderungen profitieren unmittelbar. Wir wissen von vielen Sozialhilfe- und Einrichtungsträgern, dass in den letzten Jahren eine bedeutende Anzahl ehemals in vollstationären Einrichtungen betreuter Menschen in ambulante Wohnformen gewechselt ist.

Frau Helmhold, gestatten Sie mir noch einen persönlichen Einschub: Als Ministerin habe ich in den letzten Wochen und Monaten viele Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen besucht. Ich habe mit vielen Beschäftigten in den Werkstätten gesprochen, und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin stolz darauf, was unsere Einrichtungen in Niedersachsen für Menschen mit Behinderungen leisten

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und wie kreativ sie zu mehr Eigenverantwortlichkeit von behinderten Menschen beitragen. Von daher möchte ich eine Lanze für die betreffenden Einrichtungen brechen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Situation in Nordrhein-Westfalen lässt sich nicht ohne Weiteres auf Niedersachsen übertragen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber die Idee!)

Anders als in Niedersachsen sind in NordrheinWestfalen die Landschaftsverbände zentral für alle Bereiche der Eingliederungshilfe zuständig. Schon deshalb lässt sich das Modell nicht 1 : 1 übertragen. In Niedersachsen ist für das erfolgreiche Umsteuern auf ambulante Hilfe die Praxis der örtlichen Träger bei der Entscheidung über die effizienteste Hilfeform im Einzelfall ganz entscheidend.

Meine Damen und Herren, auf Initiative des Landes wird gemeinsam mit den Kommunen an der flächendeckenden Implementierung der Instrumente der Hilfeplanverfahren und der Hilfekonferenzen gearbeitet. Die Umsetzung auf der Ebene der 46 örtlichen Träger ist aufgrund der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Ressorts zwar noch unterschiedlich. Aber immer mehr örtliche Träger greifen zu diesen Instrumenten der effizienten Bedarfssteuerung im Einzelfall. Wir sind uns sicherlich einig, dass das ein gutes Hilfeinstrument ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das gilt gleichermaßen für die Einführung des persönlichen Budgets im Bereich ambulanter Leistungen. Über 50 Menschen erhalten in Niedersachsen ein persönliches Budget als Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch. Das trägerübergreifende Budget stellt allerdings immer noch eine erhebliche Hürde dar. Ich möchte der Vollständigkeit halber ganz gerne ein paar Zahlen beisteuern: In den 14 Regionen, in denen das Bundesmodell zum persönlichen Budget erprobt wird, gibt es derzeit 217 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Davon erhalten nur 18 Menschen mit Behinderung ein trägerübergreifendes Budget. Von daher sollten wir zunächst einen ersten Schritt machen und das bei uns in Niedersachsen erprobte persönliche Budget im ambulanten Bereich in Niedersachsen möglichst flächendeckend einführen, gerade auch im Hinblick auf die Einführung des Rechtsanspruches auf das persönliche Budget zum 1. Januar 2008.

(Beifall bei der CDU)