Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

Unter diesen drei genannten Vorgaben wird die SPD-Fraktion selbstverständlich gern mitdiskutieren, mitentscheiden und unterstützen, im Sinne einer funktionsfähigen Justiz. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt erteile ich Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen uns nur einmal in unserer Welt umzuschauen und werden sehr schnell feststellen, dass das Leben, wie wir es in unserem Land gestalten können, weiß Gott keine Selbstverständlichkeit ist. Ich liebe dieses Land, denn es hat mir ein Leben in Wohlstand, in Frieden und in Freiheit ermöglicht. Ich möchte dafür allen danken, die in der Vergangenheit dafür gearbeitet haben, dass wir diese Gegenwart haben, gleich an welchem Arbeitsplatz und mit welcher Verantwortung sie dafür gearbeitet haben. Genauso wenig, wie diese Gegenwart, in der wir leben, für uns selbstverständlich sein kann, ist es selbstverständlich, dass wir in Zukunft ein Leben in Freiheit, in Frieden und in Wohlstand haben. Deshalb sind wir aufgefordert, heute diese Zukunft zu gestalten, meine Damen und Herren. Zu dieser Zukunft und für ein freiheitliches, demokratisches System ist für mich eine der Grundvoraussetzungen eine starke dritte Gewalt, eine starke Justiz.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es reicht dabei nicht aus festzustellen, dass wir heute an Überlast leiden. Es reicht auch nicht aus festzustellen, dass wir zu wenig Geld haben. Es reicht auch nicht aus, wenn wir alle miteinander sagen, dass wir in einer gewissen Erstarrung verharren.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Es gilt meines Erachtens vielmehr, die Menschen zu motivieren, ihnen Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen und sie damit zu gewinnen, an dieser Zukunft genauso mitzuarbeiten, wie unsere Vorgänger das getan haben. Was wir brauchen, sind zukunftsfähige Konzepte für alle Bereiche unseres Lebens, die auch den Menschen beschreiben, meine Damen und Herren, wie unsere Vorstellungen für das Leben von morgen aussehen. Einen Entwurf habe ich am vergangenen Freitag gemeinsam mit den Experten der von mir initiierten Arbeitsgruppe für die Justiz vorgestellt.

Das Ergebnis lautet: Für eine zukunftsfähige Justiz, eine weiterhin starke dritte Gewalt in unserem demokratischen Rechtsstaat ist eine grundlegende Strukturreform an Haupt und Gliedern erforderlich. Diese Studie definiert Leitlinien, nach denen eine solche Reform zu gestalten ist. Aber sie definiert nicht nur theoretische Leitlinien, sondern sie be

schreibt und benennt auch konkrete, und zwar aufeinander abgestimmte Maßnahmen, die es umzusetzen gilt. Die zentralen Aussagen hierzu lauten: Justizgewährung für den Bürger durch Rückbesinnung auf die Kernaufgaben, also die spruchrichterliche Tätigkeit, und Auslagerung, Herr Briese, all der Aufgaben, die von der Exekutive wahrgenommen werden können, reformierte, effiziente Organisationsstrukturen durch Zusammenführung der bisher fünf Fachgerichtsbarkeiten auf nur noch zwei

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

und - dieses Konzept geht eben nicht nur auf Aspekte des Sparens ein - Qualitätssicherung bei der Richterschaft durch eine reformierte Ausbildung auch im Bereich der Vergleichs- und Schiedsgerichtsbarkeit, hochwertige Auswahlverfahren und Richterassistenz sowie Straffung der Verfahrensstrukturen und der Prozessordnung, um Prozesse zu verkürzen und Tatsacheninstanzen zu straffen.

Meine Damen und Herren, wie soll es jetzt weitergehen? Unser nächstes Ziel wird auf jeden Fall sein, unter den Ländern schnellstmöglich zu einer Verständigung auf ein gemeinsames Bild zu kommen, um dann gemeinsam mit dem Bund diese Reform zügig voranzubringen. Es gibt Beispiele dafür, dass so etwas in kürzerer Zeit als in zehn Jahren zu schaffen ist. Ich bin durchaus zuversichtlich - trotz der hier bereits genannten Punkte wie die unterschiedlichen Äußerungen in Bund und Ländern -, weil erstens der Handlungsdruck sehr groß geworden ist und mich zweitens die positive Resonanz auf die Vorstellung dieser Studie hoffen lässt. Das gilt für den Bund, das gilt für die übrigen Länder, das gilt aber auch für dieses Land. Ich freue mich über diese Reaktion und über diese allgemeine Zustimmung. Denn, meine Damen und Herren, je schneller wir vorankommen, je schneller wir zu einem Bild kommen, desto eher können wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Justiz, aber auch die Menschen in unserem Land davon überzeugen, dass Schluss ist mit Einzelaktionen. Sie sehen Licht am Ende des Tunnels. Ich bin davon überzeugt, dass sie dann auch wieder bereit sind, motiviert und engagiert mitzuarbeiten, damit unsere Zukunft so aussieht, dass wir auch weiter ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand vor uns haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Bockmann hat mir eine Vorlage gegeben. Ich kann es mir nicht verkneifen, darauf einzugehen. Sie haben die Dreistufigkeit angesprochen und haben darauf hingewiesen, dass wir jetzt doch bitte das, was wir im Land tun können, auch umsetzen sollten. Wir wollen das selbstverständlich sehr gerne. Ich werde die Dinge, die hier im Land zu machen sind, angehen. Aber wenn Sie die Dreistufigkeit und die Experimentierklausel ansprechen, die uns handlungsfähig macht, dann muss ich darauf hinweisen, dass es die Experimentierklausel auch zuzeiten der SPD-geführten Landesregierung gegeben hat. Da muss man sich schon fragen, warum Sie, wenn Sie davon überzeugt sind, es nicht gemacht haben.

(Heike Bockmann [SPD]: Wir brauch- ten den Konsens!)

- Nein, Sie brauchten ihn nicht. Sie hätten es auf Landesebene sehr wohl selbst durchführen können, weil es diese Experimentierklausel gegeben hat.

(Heike Bockmann [SPD]: Als wenn Sie eine Konfliktlösung gewollt hät- ten!)

Meine Damen und Herren, wir werden das angehen. Ich bin ganz sicher - davon können Sie ausgehen -, dass wir das schaffen. - Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen zur Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt. Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 4: 16. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben - Drs 15/1250 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 15/1293 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drs. 15/1295

Im Ältestenrat haben die Fraktionen vereinbart, die Eingaben, zu denen Änderungsanträge vorliegen, erst am Freitag, den 17. September, zu beraten. Ich halte das Haus damit einverstanden, dass wir heute nur die Eingaben beraten, zu denen keine

Änderungsanträge vorliegen. Ich rufe dazu zunächst die Eingaben aus der 16. Eingabenübersicht in der Drucksache 1250 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer den Beschlussempfehlungen der Ausschüsse zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Damit ist das so beschlossen.

Die Tagesordnungspunkte 5 und 6 rufe ich vereinbarungsgemäß zusammen auf:

Tagesordnungspunkt 5: Zweite Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Umorganisation der Polizei und zur Änderung dienstund personalrechtlicher Bestimmungen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/960 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport und Berichtigung- Drs. 15/1245

und

Tagesordnungspunkt 6. Erste Beratung: Sachliche Zuständigkeit der Polizeibehörden muss gesetzlich geregelt werden - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1259

Die Beschlussempfehlung zu Tagesordnungspunkt 5 lautet auf Annahme mit Änderungen.

Der Berichterstatter zu Tagesordnungspunkt 5 ist der Abgeordnete Prof. Dr. Lennartz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Drucksache 1245 empfiehlt Ihnen der federführende Ausschuss für Inneres und Sport mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, den Gesetzentwurf mit den aus der Beschlussempfehlung ersichtlichen Änderungen anzunehmen. Dieses Votum wird auch von den mitberatenden Ausschüssen für Rechts- und Verfassungsfragen und für Haushalt und Finanzen getragen.

Ich will nun die wesentlichen Diskussionspunkte kurz ansprechen.

Die von den Fraktionen der CDU und der FDP im Verlauf der Beratungen vorgelegte Darlegung der voraussichtlichen Kosten der Organisationsreform wurde - insbesondere im Hinblick auf eine vom Landesrechnungshof im mitberatenden Ausschuss für Haushalt und Finanzen abgegebene Stellungnahme - kontrovers diskutiert. Der Landesrechnungshof kritisierte dort die Kostenfolgenabschätzung als zumindest in Teilen nicht nachvollziehbar. Dem schlossen sich die Vertreter der Oppositionsfraktionen an. Dagegen blieben die Vertreter der Regierungsfraktionen unter Berufung auf die Stellungnahmen der Vertreter des Ministeriums für Inneres und Sport bei ihrer Auffassung, es handele sich um eine schlüssige und den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Darstellung.

Die Vertreter von SPD und Grünen wendeten sich zudem dagegen, dass die Regelung der Zuständigkeit der Polizeibehörden abweichend vom bisherigen Rechtszustand nicht mehr im Gesetz, sondern im Erlassweg geregelt werden soll. Der Antrag, entsprechende Zuständigkeitsvorschriften ins Gesetz aufzunehmen, fand jedoch keine Mehrheit.

Gleiches gilt für den Antrag der Oppositionsfraktionen, die bisher von den Bezirksregierungen wahrgenommen Aufgaben im Katastrophenund Brandschutz statt den Polizeidirektionen künftig den Regierungsbüros zu übertragen. Die weiteren Einzelheiten zu den vorgeschlagenen Änderungen können Sie dem schriftlichen Bericht zum Gesetzentwurf entnehmen.

Abschließend bitte ich - notgedrungen - namens des Ausschusses für Inneres und Sport, entsprechend der Empfehlung in der Drucksache 1245 zu beschließen. - Schönen Dank.

Herr Dr. Lennartz, Sie können gleich stehen bleiben, weil Sie der Erste sind, der sich zu Wort gemeldet hat.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt eine andere Rolle angenommen. - Die Neuordnung der Polizei ist aus unserer Sicht mehr als ein organisatorischer Vorgang und hat erhebliche Auswirkungen. Die Polizei wird eine eigen

ständige, hierarchisch strukturierte Sonderverwaltung unter parteipolitischer Führung. Das bedeutet die Abkehr von der traditionellen Eingliederung der Polizei in die allgemeine Verwaltung. Die Polizei bildet künftig eine geschlossenere Gesellschaft. Bis zur Leitung des Ministeriums gibt es keinen unabhängigen zivilen Beamten. Unser Leitbild der Bürgerpolizei steht auf dem Spiel.

Die von den Fraktionen der CDU und der FDP vorgelegte Gesetzesfolgenabschätzung/Kostenabschätzung der Umorganisation, kommt zu dem Ergebnis, dass Gesamtkosten in Höhe von 8,3 Millionen Euro entstehen werden. Wir halten diese Zahl für weitaus zu tief gegriffen. Nach unseren Berechnungen werden Kosten von mindestens 12,5 Millionen Euro anfallen, die aber merkwürdigerweise nicht im Kontext der Gesetzesfolgenabschätzung zur Drucksache 1121 - Abschaffung der Bezirksregierungen - eingerechnet werden.

In unserer Kritik sehen wir uns durch die gerade gestern eingetroffene Stellungnahme des Landesrechnungshofes bestätigt. Ich will nicht im Detail darauf eingehen, aber eines liegt jedenfalls auf der Hand: Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass auch die Umorganisation unterhalb der Polizeidirektionen, also auf der Ebene der Polizeiinspektionen und auch auf der Ebene der örtlichen Polizeieinheiten, Kosten verursachen kann und - wie er behauptet - wird. Das erscheint in Ihrer Gesetzesfolgenabschätzung überhaupt nicht.

(Zustimmung von Heiner Bartling [SPD])

Die zusätzlich entstehenden Kosten sollen offensichtlich die Polizeibeschäftigten durch die Wiedereinführung der dreigeteilten Laufbahn mitfinanzieren. Dagegen wehren wir uns vehement. Wenn Sie wirklich sparen wollten, dann würden Sie nicht sieben Polizeidirektionen schaffen, sondern würden mit vier Polizeidirektionen auskommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es hätte gereicht, die Polizeidirektionen Hannover und Braunschweig auszubauen und zusätzlich in Oldenburg und Lüneburg Polizeidirektionen zu schaffen. Die Aufgaben der so genannten funktionalen Direktion in Hannover, insbesondere die Zuständigkeiten der Bereitschaftspolizei, hätten bei der Polizeidirektion Hannover und die Aufgaben der Wasserschutzpolizei hätten bei der Polizeidirektion Oldenburg ressortieren können.

In Ihrer jetzigen Vorlage des Gesetzentwurfs sind die Zuordnungen von Polizeiinspektionen problematisch bzw. falsch. So sollen die Polizeiinspektionen Nienburg und Schaumburg zu Göttingen, die Polizeiinspektionen Aurich, Leer und der kreisfreien Stadt Emden zu Osnabrück kommen. Ohne die gewaltsame Zuordnung der letztgenannten Inspektionen zu einer Polizeidirektion Osnabrück gäbe es keine sachliche Berechtigung für die Schaffung einer Polizeidirektion in Osnabrück.

Aus unserer Sicht ist es ein fataler Fehler, dass Sie den Anlass der Neuorganisation der Polizei nicht mit einer Aufgabenkritik verbunden haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Im Rahmen dieser Aufgabenkritik wäre zu prüfen gewesen, an welchen Stellen man polizeiliche Tätigkeit auf ihre sinnvollen Kernbereiche reduzieren kann. In diesem Kontext wäre zu prüfen gewesen, ob beispielsweise die Verkehrsunfallaufnahme weiterhin von der Polizei wahrzunehmen ist. Es wäre auch zu prüfen gewesen, ob Polizeieinsätze bei privaten Großveranstaltungen weiterhin notwendig sind. Nach unserer Auffassung hätte auch vorwärts gebracht, die Einführung des Ordnungsbegriffs, den Sie im vergangenen Dezember beschlossen haben, wieder rückgängig zu machen, weil Sie damit sozusagen die Polizei von Aufgaben entlasten, die sie für andere, wichtigere Tätigkeiten einsetzen könnte.

Völlig neu ist die Zuständigkeit der Polizei für Hoheitsangelegenheiten, für die allgemeine Gefahrenabwehr, für Brand- und Katastrophenschutz. Der Staat tritt nun als Polizei auf. Dazu gehören das Melde-, das Versammlungs- und das Demonstrationsrecht.

Die Freiheit, sich zu bewegen, und die Freiheit zur Meinungsäußerung sind fundamentale Rechte. Protestumzüge sind jeder Regierung fast immer ein Ärgernis. Auch hier geht es nicht um die Frage, ob die Polizei auf dem Boden des Grundgesetzes steht - das bestreitet niemand -, sondern es geht um Abwägungen von Freiheit und Sicherheit und um Ermessensausübung. Diese soll weder aus parteipolitischer noch aus rein polizeilicher Sicht erfolgen.