Die Freiheit, sich zu bewegen, und die Freiheit zur Meinungsäußerung sind fundamentale Rechte. Protestumzüge sind jeder Regierung fast immer ein Ärgernis. Auch hier geht es nicht um die Frage, ob die Polizei auf dem Boden des Grundgesetzes steht - das bestreitet niemand -, sondern es geht um Abwägungen von Freiheit und Sicherheit und um Ermessensausübung. Diese soll weder aus parteipolitischer noch aus rein polizeilicher Sicht erfolgen.
Auch die Neugliederung der Inspektionen ist ein Problem. Sie realisieren eine weitergehende Zentralisierung. Sie heben die Einräumigkeit zwischen den Polizeiorganisationen und den kommunalen
Gebietskörperschaften auf. Darüber hinaus wird im Zuge der Neugliederung eine Reihe von Kommissariaten zu Polizeistationen abgestuft mit der Folge, dass dort kein Rund-um-die-Uhr-Dienst mehr vorgesehen ist. So sieht Ihre Stärkung der ländlichen Räume aus.
Meine Damen und Herren, ein besonderes Problem sehen wir in der im Gesetzentwurf vorgesehenen Streichung der §§ 88 bis 90 NSOG, die bislang die Zuständigkeiten der Polizeibehörden regeln. Dass die auf die Bezirksregierungen bezogenen Regelungen des § 88 aufgehoben werden, ist von Ihrem Ansatz her konsequent; denn die wollen Sie ja abschaffen. Aber dass Sie die Zuständigkeiten des Landeskriminalamtes und der neuen Polizeidirektionen nicht mehr - wie bisher üblich und unseres Erachtens verfassungsrechtlich geboten - gesetzlich regeln, sondern nur noch auf dem Verordnungswege durchsetzen wollen, halten wir verfassungsrechtlich und auch in der Sache im Hinblick auf die Kompetenz eines Landtages für absolut problematisch. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Innenminister hat uns vorhin seine Verwaltungsreform insbesondere dadurch als Erfolg verkauft, dass er uns eine Reihe von Schlagzeilen vorgelesen hat. Ich hoffe, dass Sie die Schlagzeile von heute aus der NordwestZeitung genauso sensibel zur Kenntnis nehmen. Da heißt es:
„Prüfer rügen Schlamperei bei Reform. Rechnungshof kritisiert falsche Zahlen von Innenminister Schünemann.“
Meine Damen und Herren, die Polizeistrukturreform, die von den Regierungsfraktionen heute beschlossen werden soll, trägt nicht etwa einer sachlichen Notwendigkeit Rechnung, wie es uns öfter gesagt wird, sondern ist in erster Linie eine Folge der voreilig, ohne Aufgabenkritik und ohne Folgekostenabschätzung beschlossenen Zerschlagung der Bezirksregierungen.
Wir haben dazu ja sehr widersprüchliche Aussagen vernehmen müssen. Herr Staatssekretär Koller hat uns im Innenausschuss sinngemäß mitgeteilt: Machen Sie mich, der ich aus Bayern komme, bitte nicht für die Auflösung der Bezirksregierungen verantwortlich. Das ist politisch entschieden, und deswegen muss ich eine neue Polizeiorganisation machen. Der Herr Innenminister erklärte uns gerade in der letzten Plenarsitzung: Die Organisationsreform der Polizei habe überhaupt nichts mit der allgemeinen Verwaltungsreform zu tun, sondern diene ausschließlich der Effektivierung der Polizeiarbeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an einem kleinen Beispiel, das Ihnen der Landesrechnungshof ins Stammbuch geschrieben hat, verdeutlichen, wie diese neue Effektivität aussieht. Die derzeitige Polizeiinspektion Wesermarsch mit Sitz in Brake bearbeitet zurzeit eigenständig Delikte der so genannten Massenkriminalität. Zukünftig wird nach dem ersten Eingriff durch den Einsatz- und Streifendienst des zukünftigen Polizeikommissariats Brake die abschließende Sachbearbeitung durch die spezialisierte Tatortaufnahme der zukünftigen Polizeiinspektion Cuxhaven erfolgen. Dadurch fallen in Zukunft zusätzlich 151,4 km Fahrtstrecke Cuxhaven – Brake und zurück an. Die durchschnittliche Fahrzeit beträgt rund zwei Stunden. Der Landesrechnungshof hat festgestellt: Das bedeutet bei 200 angenommenen Fällen für die 14 zusammengelegten Polizeiinspektionen jährlich zusätzliche Gesamtkosten in Höhe von 600 000 Euro. Meine Damen und Herren, ineffektiver kann man qualifiziertes Polizeipersonal gar nicht einsetzen.
Die Neuordnung der Polizei, die CDU und FDP heute mit ihrer Mehrheit beschließen wollen, ist jedoch noch mehr als ein organisatorischer Vorgang und hat erhebliche Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Die Polizei wird eine eigenständige, hierarchisch durchstrukturierte Son
derverwaltung unter einer politischen Führung. Herr Dr. Lennartz hat dies auch schon ausgeführt. Meine Damen und Herren, es handelt sich bei dem von CDU und FDP vorgelegten Gesetzentwurf zur Umorganisation der Polizei deshalb um weit mehr als um eine harmlose Organisationsveränderung.
Wir werden den Gesetzentwurf aus drei Gründen ablehnen: Der Gesetzentwurf ignoriert erstens das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff. Zweitens ist die Finanzfolgenabschätzung nichts anderes als eine traurige Fortsetzung der Trickserei bei den Zahlen zur Verwaltungsreform. Drittens zementiert dieser Gesetzentwurf eine Polizeiorganisation, die auf eine zivile Vernetzung des Polizeiapparates völlig verzichtet.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum großen Lauschangriff deutlich gemacht, dass die Regelungen der Strafprozessordnung zur akustischen und optischen Wohnraumüberwachung in weiten Teilen verfassungswidrig sind. Dieses Urteil hat unmittelbare Auswirkungen auf die Polizeigesetze der Länder; denn die dortigen präventiven Eingriffsermächtigungen sind mindestens ebenso grundrechtsrelevant wie die vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Vorschriften der Strafprozessordnung. Dies hätte bei dieser Gesetzesänderung korrigiert werden müssen.
Es ist auch nicht hinzunehmen, dass uns bis heute niemand verlässlich sagen kann, was die Polizeireform überhaupt kosten wird. Es entspricht vielleicht nicht dem neuen Stil der CDU/FDP-Mehrheit, aber wir legen großen Wert darauf, einen Überblick über die Folgekosten und die haushaltsmäßigen Auswirkungen zu haben, bevor wir eine Umorganisation dieses Ausmaßes verabschieden.
Die Stellungnahme des Landesrechnungshofs liegt dem Landtag allerdings seit zwei Tagen vor. Sie weist der Landesregierung bei der Kostenfolgeabschätzung derart viele Versäumnisse nach, dass man glauben könnte, der Innenminister würde schon wieder mehr oder weniger absichtlich mit falschen Zahlen hantieren. Der Rechnungshof hat Ihnen in seiner Stellungnahme nachgewiesen, dass Sie Kosten für die Übernahme von Aufgaben der Bezirksregierungen unterschlagen haben und an anderer Stelle Einsparungen gegengerechnet haben, die mit der Polizeiorganisation nichts zu tun haben.
Meine Damen und Herren, eine so schlampige und offensichtlich unrichtige Folgekostenabschätzung lässt nur einen Schluss zu: Zum zweiten Mal versucht der Innenminister, sich ein Reformvorhaben schönzurechnen. Ich wünsche mir im Interesse des Landeshaushalts, dass endlich ein seriöser Umgang mit Zahlen stattfindet.
Meine Damen und Herren, wir lehnen den Gesetzentwurf heute aber nicht nur ab, weil Sie die Folgekosten unehrlich und unvollständig dargestellt haben. Wir halten den Gesetzentwurf auch inhaltlich für falsch, weil zugunsten eines straff hierarchisch organisierten Polizeiapparates vollständig auf jede zivile Vernetzung der Polizei verzichtet werden soll.
Nicht nur die Herauslösung der Polizei aus den Bezirksregierungen wird die zivile Vernetzung der Polizei aufheben. Auch die organisatorische Einheit zwischen Landkreisen und Polizeiinspektionen soll aufgegeben werden, ohne dass dafür überzeugende Gründe genannt werden können. Weder Aufklärung noch Prävention von Straftaten können besser organisiert werden, wenn die hierfür erforderlichen Fachleute der Polizei nicht mehr an Ort und Stelle - da, wo sie gebraucht werden -, sondern weit weg an vermeintlich zentraler Stelle vorgehalten werden. Eine solche Organisation der polizeilichen Arbeit ist nicht nur teuer, sondern führt auch zu längeren Wartezeiten für den Bürger und zu einem Wiederaufleben der Aufteilung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei.
Ich hielte es für wesentlich effizienter, alle Polizistinnen und Polizisten - darum haben wir uns bemüht - zu Spezialisten bei der Aufnahme von Alltagskriminalität auszubilden, als dies einigen wenigen ausgewählten Spezialisten an zentralen Standorten zu überlassen.
Der Arbeitsalltag eines Polizisten aus der Polizeistation vor Ort wird künftig in hohem Maße darin bestehen, die Kollegen aus der zentralen Inspektion anzurufen und auf deren Eintreffen zu warten. Wenn das, meine Damen und Herren, zukünftig die wesentliche Aufgabe der Beamtinnen und Beamten sein wird, dann hätten Sie tatsächlich einen
Grund für die Wiedereinführung des mittleren Dienstes. Ich warne auch hier ausdrücklich vor der Zerschlagung der zweigeteilten Laufbahn. Ich füge hinzu: Es passt einfach nicht zueinander, über die Wiedereinführung des mittleren Dienstes zu diskutieren und gleichzeitig fünf neue Polizeipräsidenten in die B-Besoldung zu bringen.
- Ich kenne ja Ihre Propaganda, Herr Biallas, dass ich den Wert der Arbeit dieser Herren Polizeipräsidenten nicht ausreichend würdige. Aber darum geht es doch überhaupt nicht, sondern: Wenn Sie über die Wiedereinführung des mittleren Dienstes und die Absenkung der Besoldungsgruppen auf A 7 und A 8 diskutieren und gleichzeitig B-3Stellen schaffen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass heute 5 000 Leute des öffentlichen Dienstes - die Masse davon waren Polizeibeamte gegen diese Landesregierung demonstrieren.
Mit diesem Gesetzentwurf geht auch die Zuständigkeit für Brand- und Katastrophenschutz aus der Bündelungsbehörde Bezirksregierung an die Polizeidirektionen. Da vier Bezirksregierungen durch sechs Flächenpolizeidirektionen ersetzt werden, müssen hier mindestens 14 neue Stellen geschaffen werden. Auch diese Kosten werden übrigens in der Gesetzesfolgenabschätzung unterschlagen. Ich warne ausdrücklich davor, worüber Sie im Innenministerium verhandeln, nämlich die beiden neuen Brand- und Katastrophenschutzabteilungen jeweils mit weniger als sieben Stellen auszustatten. Sollten Sie hier wirklich tricksen und den Rat Ihrer eigenen Fachleute in den Wind schlagen, so werden wir Ihnen die Versäumnisse im Brand- und Katastrophenschutz zu gegebener Zeit unter die Nase reiben. Das wird für den Innenminister bestimmt keine angenehme Veranstaltung.
Meine Damen und Herren, ich bedauere es, dass anstelle einer sinnvollen und vernünftigen Optimierung der Strukturen, die durchaus notwendig ist, eine Zerschlagung der gewachsenen und funktionierenden Organisation stattfindet. Sie hätten mit
kleinen Veränderungen, von Fachleuten beraten, bessere Ergebnisse erreicht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 28. April dieses Jahres wurde der vorliegende Gesetzentwurf von den Fraktionen der CDU und der FDP in den Landtag eingebracht.
In jener Sitzung wurde dargestellt, warum wir eine Umorganisation wollen. Herr Professor Lennartz und auch Herr Bartling, zu Ihrem Verständnis betone ich das gerne noch einmal: In der Koalitionsvereinbarung haben unsere Fraktionen festgeschrieben, die bestehende Polizeiorganisation grundlegend zu überprüfen und im erforderlichen Umfang Strukturveränderungen vorzunehmen. Ziel dieser Strukturveränderung ist die Schaffung einer effektiven und effizienten Polizeiorganisation zur weiteren Verbesserung der inneren Sicherheit in Niedersachsen. - An dieser Zielsetzung hat sich bis heute nichts geändert.
Übrigens, Herr Bartling, unmittelbares Ziel der Umorganisation ist es nicht, im Landeshaushalt Kosten einzusparen, sondern für uns ist es sehr wichtig, die innere Sicherheit in Niedersachsen deutlich zu verbessern.
Meine Damen und Herren, herausstellen möchte ich, dass bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs und bei unserer Meinungsfindung die Fachleute bei der Polizei eine sehr große Rolle gespielt haben.
Auf der Grundlage des Abschlussberichts der vom Innenministerium eingerichteten Arbeitsgruppe „Organisation der Polizei“ wird es zukünftig in Niedersachsen acht Polizeibehörden geben. Neben dem Landeskriminalamt sind dies die sechs regionalen Polizeidirektionen an den Standorten Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Olden
burg und Osnabrück sowie die Polizeibehörde für zentrale Aufgaben. Kriterien für diese räumliche Gliederung waren die vorhandene Organisationsund Personalstruktur, die Orientierung an den Landkreisgrenzen, die Kriminalitätsdaten, die Einsatztaktik und Verkehrsdaten, aber auch die regionalen Strukturdaten über Fläche und Einwohner. Dieser neue Zuschnitt gewährt weitestgehende Ausgewogenheit im Arbeitsaufkommen der einzelnen Polizeidirektionen und führt dadurch zu einem hohen Maß an Funktionalität und Effektivität.
Durch die Zusammenlegung der bisherigen 50 Polizeiinspektionen auf zukünftig 33 Inspektionen wird zusätzliches Personal für polizeiliche Exekutiv- und Präsenzaufgaben frei.
Meine Damen und Herren, durch diese Umstrukturierung werden im Ergebnis die Rahmenbedingungen der polizeilichen Arbeit verbessert. Die Stärkung der Fläche wird außer durch die beschlossene zusätzliche Einstellung von Polizeianwärtern durch die Verschlankung der Stäbe erreicht, und die Kriminalitätsbekämpfung wird durch einen konzentrierten Einsatz von Kompetenzen und Ressourcen optimiert.
Und ganz wichtig ist: Das, was unsere niedersächsischen Polizeibeamten in den Arbeitsgruppen vorgestellt haben, fand insbesondere in der Anhörung im Innenausschuss großen Anklang und breite Zustimmung.