Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Meine Damen und Herren, vieles spricht dafür, dass kein Land dieser Erde im Laufe dieses Jahrhunderts von der demografischen Herausforderung verschont bleibt. Deutschland hat als Vorreiter im globalen Geleitzug die Chance, Konzepte

und Produkte zu entwickeln, die in Zukunft als Exportschlager unseren Wohlstand sichern können, so wie lange Zeit die deutsche Sozialversicherung beispielgebend war und unser heutiger Wohlstand darauf beruht, dass wir etwas können, was andere noch nicht so gut können. Wohlstand ist also Ausdruck von Vorsprung. Diesen Vorsprung haben wir unfreiwillig beim demografischen Wandel und können ihn beispielsweise in der Seniorenwirtschaft nutzbringend umsetzen.

Meine Damen und Herren, die profitierenden Branchen sind durch die Vorredner bereits hinreichend benannt. Ich möchte mich kürzer fassen, möchte aber noch auf drei Punkte hinweisen, die mir wichtig erscheinen.

Das ist zunächst die Rolle der Politik und des Staates. Wir können informieren, Bewusstsein schaffen und unterstützen. Die Marktpotenziale ansatzweise erkennen und beurteilen können wir nicht. Die Produktentwicklung geschieht im Wechselspiel von steigender Nachfrage und neuen technischen Erkenntnissen. Die Nachfrage sucht sich ihr Angebot. Die geburtenstarken Jahrgänge haben bisher in allen Lebensphasen die Märkte dominiert. Warum sollte das im Alter anders sein?

Zweitens sind Voraussetzungen zu schaffen, dass es überhaupt einen Markt für die Seniorenwirtschaft gibt, denn Seniorenwirtschaft braucht auch in Zukunft zahlungskräftige und zahlungsfähige Senioren. Wir haben heute einen Altersquotienten - er gibt das Verhältnis der 20- bis 59-Jährigen zu den Über-60-Jährigen an - von 100 : 44. Dieses Verhältnis wird sich im Jahre 2030 auf 100 : 71 verändern. Wenn man wieder auf ein Verhältnis von 100 : 44 kommen möchte, muss man den Schnittpunkt dieses Quotienten von 60 auf 71 Jahre erhöhen; das ist pure Mathematik. Ich bin sehr froh, dass in Berlin jetzt offenbar die Frage der Lebensarbeitszeit auch vor diesem Hintergrund aufgegriffen wird.

Wir müssen aufhören, meine Damen und Herren, unsere heutigen Lasten vor uns herzuschieben. Es ist einfach klüger, die Staatsverschuldung und strukturelle Probleme heute abzubauen, wenn die starken Jahrgänge im aktiven Berufsleben stehen, als darauf zu warten, dass sie in den Ruhestand gehen und versorgt werden wollen.

Eine dritte Anmerkung. Wenn wir den Gesundheitsmarkt als Chance begreifen wollen, die Export- und Wohlstandserträge für unser Land liefert,

dann müssen wir konsequenterweise marktfähige Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Schon die Verknappung der verfügbaren Arbeitskräfte in Zukunft zwingt uns zu Effizienzsteigerungen. Dies bedeutet zwangsläufig eine Ökonomisierung der Gesundheitswirtschaft, also Deregulierung und Wettbewerb. Vieles, was wir heute sozialpolitisch betrachten, braucht eine sehr viel ökonomischere Betrachtung.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Einen Bewusstseinswandel brauchen wir auch in anderen Bereichen. Ich nenne nur die Stichworte Biotechnik, Chemie, Pharmaindustrie, Energie. Wir müssen noch aus einigen ideologischen Schützengräben des letzten Jahrhunderts herauskommen.

Es gibt noch vieles in der Politik zu tun. Unsere vornehmste Aufgabe ist dabei nicht, der Wirtschaft Empfehlungen für die Produktentwicklung zu geben, sondern den Rahmen für Wohlstand unter veränderten Bedingungen zu schaffen. Darüber sollten wir bei der Beratung in den Ausschüssen sprechen. Wenn wir Denkblockaden überwinden, wenn wir die Chancen in den Mittelpunkt rücken und Vertrauen in die Zukunft ausstrahlen, dann haben wir gute Voraussetzungen, den demografischen Wandel positiv zu gestalten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt erteile ich Herrn Minister Schünemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel lässt keinen Bereich unserer Gesellschaft unberührt. Er wirkt sich zunehmend auch auf die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen aus. Gerade die Ausgaben für den Konsum der älteren Generation sind in den vergangenen zehn Jahren überproportional gestiegen. Sie werden aufgrund des Wandels der Bevölkerungsstruktur weiter steigen. Schon heute verfügen Seniorenhaushalte über einen beachtlichen Anteil der Kaufkraft. Im Jahre 2003 betrugen die Ausgaben der Haushalte von Menschen über 60 Jahren 308 Milliarden Euro, das ist fast ein Drittel der Gesamtausgaben für den

privaten Verbrauch in Höhe von 987 Milliarden Euro.

Meine Damen und Herren, allein diese wenigen Zahlen machen deutlich: Die Seniorinnen und Senioren haben als Konsumentengruppe eine enorme Bedeutung. Aber zugleich müssen wir feststellen, dass es gerade für Ältere noch immer eine ganze Reihe von alltäglichen Hindernissen im Umgang mit zahlreichen Produkten gibt, und zwar nur deshalb, weil sich die Hersteller die spezifischen Interessen und Anliegen der älteren Generation oftmals nicht ausreichend bewusst machen. Die Bemühungen der Wirtschaft, diesen wachsenden, in wenigen Jahrzehnten riesigen Markt zu bearbeiten, sind bislang bestenfalls in Ansätzen auszumachen. Ich bin davon überzeugt: Wenn sich das nicht ändert, wenn Industrie, Handel und Dienstleister nicht lernen, stärker auf die Wünsche und Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen, werden sie auf einem wichtigen Markt das Nachsehen haben.

Dabei geht es gar nicht darum, Produkte und Angebote für die ältere Generation handhabbarer zu machen. Man muss nicht erst 60 Jahre oder älter sein, um eine Reihe von Erfahrungen selbst gemacht zu haben: mühselig zu öffnende Verpackungen, schlecht lesbare Hinweise, unverständliche Bedienungsanleitungen. Deshalb sage ich: Es geht um menschengerechte Produkte. Ich appelliere an die Wirtschaft, bei der Produktentwicklung nicht nur jüngere Kunden im Auge zu haben. Die Wirtschaft sollte stärker mit den Alten rechnen und sich mit ihrem Angebot auf sie einstellen. Das reicht von der größeren Auswahl von EinPersonen-Portionen im Supermarkt bis hin zu speziellen Dienstleistungsangeboten, leicht handhabbaren Gebrauchsgegenständen und eben auch verständlichen Bedienungsanleitungen. Solche Angebote bieten mehr Komfort und mehr Lebensqualität für alle, nicht nur für alle alten Menschen. Hier eröffnen sich große Marktchancen, mit intelligenten Produkten und Dienstleistungen eine Generationen übergreifende Kundschaft zu gewinnen.

Hierauf aufmerksam zu machen, hierfür noch mehr Bewusstsein zu schaffen, ist ein wichtiges Anliegen. Deshalb hat das Sozialministerium in der vergangenen Woche das diesjährige Niedersachsen-Forum „Alter und Zukunft“ zum Thema Seniorenwirtschaft in Niedersachsen durchgeführt. Ich freue mich sehr, dass diese Veranstaltung in Bad Nenndorf ausgesprochen erfolgreich war und auf große Resonanz gestoßen ist. Das hat deutlich

gemacht: Es war richtig, diese Thematik aufzugreifen und mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, der Verbraucherzentralen, der Seniorenvertretungen, der Verbände und der Wissenschaft über dieses wichtige Thema zu sprechen; denn Niedersachsen hat alle Chancen, dass unser Land Vorreiter auf dem Markt der Seniorenwirtschaft wird.

Ich bin überzeugt davon, dass langfristig gerade diejenigen Branchen und Wirtschaftsregionen erfolgreich sein werden, die sich bereits heute gezielt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen und Kunden in ihren jeweiligen Lebensphasen einstellen, die sozusagen die Demografiefestigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen frühzeitig prüfen.

Niedersachsen ist Gesundheitsland. Allein in diesem Bereich sind mehrere tausend Unternehmen tätig und geben vielen Menschen Beschäftigung. Schon heute produzieren die Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft bei uns Güter und Dienstleistungen im Wert von 25 Milliarden Euro jährlich. Im Hinblick auf eine alternde Gesellschaft existiert hier ein enormes Wachstumspotenzial. Das gilt auch für den bei uns im Land starken Tourismusund Freizeitsektor. Das gilt für den Wohnungsmarkt, der sich mit dem demografischen Wandel verändern wird. Auch hier gibt es neue Produkte zu entwickeln, die eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung Älterer erleichtern.

Der Dienstleistungssektor insgesamt wird stark anwachsen. Dienstleistungen aus einer Hand zielen insbesondere auf die Bedürfnisse von älteren Menschen ab. Diese sind auch bereit, für ein besseres Angebot mehr Geld zu investieren. Ich bin sicher: Die telefonisch oder online bestellte Lebensmittellieferung wird in Zukunft Normalität werden.

Wir wollen die guten Impulse, die wir in der letzten Woche auf unserem Niedersachsen-Forum zur Seniorenwirtschaft erhalten haben, aufgreifen und fortsetzen. Deshalb sind wir bereit, eine „Landesinitiative Seniorenwirtschaft“ mit ins Leben zu rufen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Enno Ha- genah [GRÜNE]: Na also!)

Ich möchte dabei hervorheben: Dies soll keine staatliche Initiative werden. Dies ist ganz wichtig, darauf werden wir Wert legen. Mir ist es wichtig, dass dabei alle Akteure zusammenwirken, wie

Handels- und Handwerkskammern, die Gewerkschaften ebenso wie die Verbände der Wohnungswirtschaft, des Tourismus, die Wohlfahrtsverbände, die Wissenschaft und eben auch die öffentliche Hand.

Ich begrüße es, dass die Wolfsburg AG bereits Vertreter der genannten Bereiche zu einem ersten runden Tisch im Oktober versammelt hat. Dabei waren auch Vertreter der Fraktionen des Landtages und der Landesregierung vertreten. Wir haben deutlich gemacht, dass wir diese Initiative mittragen.

Wir sind gegenwärtig dabei, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, um eine Landesinitiative zur Seniorenwirtschaft ins Leben zu rufen und handlungsfähig zu machen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir bei den Beratungen in den Ausschüssen dazu kommen werden - gerade, wenn wir die privaten Initiativen in den Vordergrund stellen -, eine Beschlussempfehlung zu formulieren, die vom ganzen Haus getragen wird. Das wäre für die Sache der Seniorenwirtschaft sehr wichtig. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den Grünen)

Ich erteile Herrn Hagenah das Wort. Ihm steht noch eine Restredezeit von 1:41 Minuten zur Verfügung.

(Reinhold Coenen [CDU]: Muss das noch sein?)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So eine Situation kann ich mir doch nicht entgehen lassen: Von uns wird ein Antrag eingebracht, von der SPD-Fraktion wird er unterstützt, von den Fraktionen der CDU und FDP wird er als grottenschlecht bewertet,

(Zurufe von der CDU)

und dann springt uns die Landesregierung bei und sagt: Genau so muss es gemacht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU: Da haben Sie wohl etwas falsch verstanden!)

Ich habe mir ja eigentlich gedacht, dass Sie sich vorher immer über das abstimmen, was Sie sagen.

(Zuruf von der CDU)

Aber heute bin ich wieder einmal etwas schlauer geworden. Offensichtlich arbeiten Parlament und Regierung doch etwas eigenständiger, als ich immer dachte. Das, was Minister Schünemann gerade für die Landesregierung gesagt hat, ist tatsächlich genau das, worauf unser Antrag abzielt.

(Reinhold Coenen [CDU]: Dann seien Sie doch froh! - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Ziehen Sie Ihren Antrag zu- rück!)

- Augenblick! - Aber da muss man doch mit einer Frage darauf hinweisen: Was war denn das für eine Tagung in Bad Nenndorf? - Da ging es um Seniorenwirtschaft. Aber das Wirtschaftsministerium war dort überhaupt nicht beteiligt, sondern das hat das Sozialministerium alleine gemacht.

Das müssen wir doch korrigieren. Die müssen zusammenarbeiten. Es müssen auch alle Fraktionen dabei sein, Herr Hermann, damit Sie nicht mehr solche Reden halten und dann auf dem falschen Fuß erwischt werden. Wie gesagt, die Landesregierung hat das etwas anders dargestellt, als Sie gestartet sind.

Ich bin froh, dass wir auf diese Art und Weise jetzt doch noch zu einer konstruktiven Debatte kommen, und freue mich auf die Ausschussberatung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Federführend soll sich der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr mit dem Antrag beschäftigen, mitberatend der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, der Ausschuss für Haushalt und Finanzen, der Ausschuss für Inneres und Sport, der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, der Umweltausschuss und der Ausschuss für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Außerdem soll sich die Enquete-Kommission damit beschäftigen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung: Förderung der Mädchen- und Jungenhilfe in Niedersachsen gezielt weiterentwickeln Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2315

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Groskurt. Ich erteile es ihr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das niedersächsische Förderprogramm „Lebensweltbezogene Mädchenarbeit“ wird Ende Dezember 2005 nach vierjähriger Laufzeit beendet sein. Die Abschlussveranstaltung zog Bilanz, präsentierte Ergebnisse u. a. zu der Frage: Ist die Geschlechtergerechtigkeit erreicht? Die Antwort kennen wir alle: Nein.

Damit diese Frage bearbeitet werden kann, liegt unser Antrag auf den Tischen. Es darf keine Lücke in der Jugendhilfearbeit entstehen. Die SPDFraktion hat den Antrag „Förderung der Mädchenund Jungenhilfe in Niedersachsen gezielt weiterentwickeln“ eingebracht, damit eine kontinuierliche Arbeit mit Mädchen und Jungen gewährleistet wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben hier eine gemeinsame Verantwortung, die wir nicht parteipolitisch auseinander definieren sollten. Da auch Sie, liebe Kolleginnen Gesine Meißner und Britta Siebert, bei der Abschlussveranstaltung das seit 2002 durchgeführte Förderprogramm „Lebensweltbezogene Mädchenarbeit“ offiziell gelobt und für die weitere Jugendarbeit gute Wünsche ausgesprochen haben, gehe ich davon aus, dass Sie das genauso sehen und unseren Antrag unterstützen werden.

(Beifall bei der SPD)