Protokoll der Sitzung vom 11.07.2006

Es besteht mithin kein Grund, warum sich Schulen, die sich noch nicht ganz sattelfest fühlen, nicht noch Rat bei den Pilotschulen holen sollten.

(Ursula Körtner [CDU]: Genau das ist ja auch vorgesehen!)

- Das ist vorgesehen. - Die Schulen tun, wie wir erörtert haben, nichts, was sie bisher nicht auch getan haben, nur tun sie es jetzt unter Umständen anders, nämlich sogar unterstützt durch einen Grundsatzerlass. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Werner Schwarz, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Poppe, wir sind über Ihren Antrag in der Tat sehr verwundert. Erst alles und immer noch mehr fordern und dann, wenn die Sache ins Rollen kommt, kräftig auf die Bremse treten. Wäre Ihre Bildungspolitik ein Fahrrad, dann wären Sie mit diesem Antrag gerade über den Lenker geflogen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wo ist denn eigentlich das Problem? Hatten Sie Ihr Dagegen-Soll bisher noch nicht erfüllt, oder warum machen Sie das jetzt wieder so zum Reibungspunkt in der Diskussion? Schon 2003 haben Sie in Ihrem Antrag zur Qualität der Grundschule gefordert, die Landesregierung solle „die individuelle Förderung jedes Kindes sicherstellen.“ Dazu solle sie „die Vernetzung von Kindertagesstätten und Grundschulen verstärken.“ Das war, wie gesagt, 2003. Nun hat Ihre Partei gerade im Juni ein Pamphlet „Zukunft durch Bildung“ veröffentlicht.

(Werner Buß [SPD]: Ein Pamphlet?)

- Eine Dokumentation. Oder wie hätten Sie es gern? Ich schließe mich Ihnen an.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Dokumenta- tion! - Astrid Vockert [CDU]: Ein in- haltloses Papier!)

Sie haben eine Dokumentation veröffentlicht, in der eine Menge steht, aus unserer Sicht hin und wieder auch Unsinn. Seltsamerweise ist sie aber genau in dem Bereich, um den es hier jetzt geht, durchaus mit den von unserer Regierung schon ergriffenen Maßnahmen vergleichbar. Wir sind uns einig, aber Sie werfen sich, wie so oft, hinter den Zug bzw. hinter Ihr eigenes Abteil. Auf Seite 10 Ihres Beschlusses verlangen Sie für Kitas: „Die Entwicklung der Kinder wird dokumentiert. So garantieren wir eine effektive individuelle Förderung der Kinder.“ Eine Seite weiter verlangen Sie konkret ein „Berichtsheft“ und noch eine Seite später einen „bruchlosen und individuellen Übergang vom Kindergarten in die Grundschule“. Auf Seite 18 ist die Rede von einem „Lernbegleitheft“; das dürfte dasselbe sein.

Dann allerdings verlangen Sie die Abschaffung der Zensuren. In dem Antrag hingegen fordern Sie eine Vereinheitlichung.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Wo steht das?)

Darüber müssten wir vielleicht auch noch etwas eingehender beraten.

Wogegen spricht sich denn eigentlich Ihr Antrag aus?

(Ursula Körtner [CDU]: Das weiß kei- ner! Das wissen sie selber nicht!)

Die Landesregierung hat die Lerndokumentation als Modellprojekt aufgelegt, und das war ein Erfolg. Das Ministerium hat Handreichungen zur Verfügung gestellt, und die Pilotschulen haben ihre individuellen Ansätze veröffentlicht. Auf dieser Basis kann das Projekt nun für alle Schulen ausgeweitet und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Was spricht eigentlich dagegen?

(Ursula Körtner [CDU]: Das wissen sie selber nicht!)

Ich kann mit dem Antrag nichts anfangen. Wir sind uns doch einig, dass die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung eine gute Sache ist. Frau Kollegin Pfeiffer hat hier dezidiert dargelegt, was bisher gemacht worden ist und wie es weitergehen soll. Deswegen will ich das jetzt gar nicht weiter ausführen.

Die offene Gestaltung der Dokumentation entspricht doch voll und ganz der Eigenverantwortung der Schulen. Auf Basis der Handreichungen und

der Beispiele können sie einen individuellen Weg finden. Unsere Lehrer haben die Entwicklung ihrer Schüler doch auch schon vorher dokumentiert. Wie sonst kann man denn eigentlich Zeugnisse schreiben?

(Ursula Körtner [CDU]: Das war schon zu SPD-Zeiten so!)

Die Systematisierung hilft allen; da sind wir uns einig. Also lassen wir uns gemeinsam weiter daran arbeiten. Für konstruktive Vorschläge, sehr geehrter Herr Poppe, haben wir immer ein offenes Ohr.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister Busemann, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ja wirklich der Tag der bildungspolitischen Debatten. Aber, mit Verlaub, manchmal braucht man auch als Kultusminister eine gewisse Nervenstärke, um bestimmte Argumentationsketten nachzuvollziehen.

(Walter Meinhold [SPD]: Die brauchen wir aber auch, Herr Minister!)

- Das weiß ich, Herr Kollege Meinhold. Das verbindet uns beide ja auch.

Wenn wir über die Eigenverantwortliche Schule diskutieren, findet man alles richtig, aber wenn es zum Schwur kommt, ist plötzlich alles falsch.

Dasselbe gilt für die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung. Auch dort gibt es einen Grundkonsens. Aber wenn es dann irgendwann einmal konkret wird, heißt es gleich wieder: Das ist zu kompliziert, das verstehen wir nicht, Unterstützung muss her, Ressourcen müssen her.

Können wir das Thema nicht einfach einmal eine Hausnummer tiefer hängen? Können wir es nicht einmal aus der parlamentarischen Debatte herausholen und es im Schulalltag umsetzen? Im Ziel sind wir uns doch einig. Spätestens seit PISA wissen wir doch, wo die Fehler liegen, und diese Fehler wollen wir doch alle miteinander korrigieren.

Wir alle wollen, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten

optimal gefordert und gefördert werden. Das Ziel der begabungsgerechten individuellen Förderung ist schon seit längerem im Schulgesetz verankert. In den Grundsatzerlassen und eben auch durch die Verpflichtung zur Dokumentation der individuellen Lernentwicklung wird es nur noch konkretisiert. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo es um die Umsetzung geht. Ich bitte darum, das Thema nicht so hoch zu ziehen.

Der Begriff der individuellen Förderung ist schon seit längerem Standard in der Lehrerausbildung.

(Ursula Körtner [CDU]: So ist es!)

Die vielen guten Lehrerinnen und Lehrer, die wir bekommen, wissen, was damit gemeint ist und was damit zu geschehen hat.

Jetzt geht es um die Umsetzung an den Schulen. Manche Schulen dokumentieren schon seit Jahr und Tag und manchen - das befremdet mich manchmal sogar - muss man immer wieder erklären, wie es gehen soll und was wir uns dabei denken.

Meines Erachtens kann man in diesem Kontext nicht von einem übereilten Vorgehen sprechen. Im Schuljahr 2004/2005 haben wir die Verpflichtung zur Dokumentation ausgesetzt, um den Schulen Zeit zu geben, sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Sie erinnern sich sicherlich noch an das Lamento: Was haben die da nur schon wieder für eine Idee gehabt? Was sollen wir denn noch alles gleichzeitig machen? - Daraufhin haben wir gesagt: Wir setzen es ein Jahr aus, dann kann man sich entsprechend vorbereiten.

Auf einer Fachtagung mit Eltern- und Lehrerverbänden und mit Schülervertretungen im März 2005 gab es breite Übereinstimmung über die Notwendigkeit der individuellen Unterstützung. Es folgte eine weitere Aussetzung der Verpflichtung zur Dokumentation um ein Jahr, um in einer Pilotphase mit insgesamt 47 Schulen aller Schulformen zu erproben, wie die Dokumentation gelingen kann. Rund 100 weitere Schulen kamen freiwillig dazu und haben die Pilotphase begleitet. Selbstverständlich haben wir die Erfahrungen, Hinweise und Anregungen der Pilotschulen systematisch ausgewertet. Es gab einen ständigen Informationsaustausch, regionale Tagungen, Unterstützung durch Multiplikatoren und eine strukturierte Abfrage. Im Ergebnis haben die beteiligten Schulen bedarfsgerechte und vor allem auch arbeitsökonomische

Dokumentationsformen entwickelt. Wir verfügen jetzt über erprobte Beispiele für alle Schulformen.

Meine Damen und Herren, bei der Umsetzung in den Schulen geben wir den Schulen bewusst einen großen Gestaltungsfreiraum; denn wir sind auf dem Weg in die Eigenverantwortliche Schule. Ich will auch gar nicht alles vorschreiben. Aber ich sage Ihnen auch: Erst wird kritisiert, dass wir Erlasse herausgeben, aber wenn irgendwo wieder etwas abzufragen ist, heißt es: Wo bleiben die Richtlinien, wo bleiben die Erlasse? - Insofern müssen Sie schon einmal insgesamt klären, wie Sie mit uns umgehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

In der Eigenverantwortlichen Schule wollen wir den Gestaltungsspielraum auch in diesem Bereich in den Schulen haben. Ich sage auch in diesem Zusammenhang wieder: Mir kommt niemand durch die Wache, der nichts macht. Darum geht es! Wie man es dann macht, ist an den Schulen höchst eigenverantwortlich zu klären.

In dem Kontext müssen bestimmte Vorgaben umgesetzt werden, damit die Dokumentation ihren Zweck auch erfüllt; denn sie begleitet die Schülerinnen und Schüler während ihrer gesamten Schulzeit. Wenn sie oder er die Schule wechselt, soll die neue Schule wichtige Informationen erhalten, um den individuellen Unterstützungsbedarf zu erfassen und ihm gerecht zu werden.

Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ist für uns die Vergleichbarkeit ein unverzichtbares Element bei der Dokumentation der individuellen Lernentwicklung. Jede Schule muss sich auf ein einheitliches Konzept verständigen. Verpflichtend müssen in allen Schulen differenzierte Angaben zum Arbeits- und Sozialverhalten gemacht werden. Die Bereiche Lesen, Rechtschreibung und Mathematik werden in allen Schulen erfasst. Weiterhin sind in der Grundschule die Wahrnehmungsfähigkeit und die Ausprägung der Motorik in den Blick zu nehmen. Bei den weiterführenden Schulen ist es der Lernentwicklungsstand in der ersten Fremdsprache.

Meine Damen und Herren, wir beginnen mit der verpflichtenden Dokumentation bewusst im ersten und im fünften Schuljahrgang, damit unsere Lehrkräfte nicht überfordert werden und Erfahrungen für die Fortschreibung nutzen können. Wir beginnen also mit dem ersten und dem fünften Schul

jahrgang, und die Dokumentation wird dann entsprechend Jahr für Jahr aufgestockt.

Dieses Verfahren ist mit den Lehrerverbänden und anderen, also der Schulszene insgesamt, so abgestimmt worden. Die Schulen machen das auch nicht aus dem hohlen Bauch heraus. Sie erhalten Handreichungen, es gibt Beispielsammlungen im Internet und begleitende Fortbildungsangebote im kommenden Schuljahr. In vielen Regionen gibt es bereits Netzwerke zwischen den Schulen, die sich austauschen und beraten. Weil nach dem Material gefragt wird, weise ich darauf hin, dass die Handreichungen zur individuellen Lernentwicklung und ihre Dokumentation im Entwurf ebenso fertig gestellt sind wie Materialien aus der Schulpraxis zu den Handreichungen für diesen gesamten Sektor. Ich meine, dass die Schulen das notwendige Rüstzeug an die Hand bekommen, um die Dokumentation in einzelnen Schritten - eins plus fünf und dann aufstockend - umzusetzen.

Abschließend, meine Damen und Herren: Individuelle Lernentwicklung bewegt sich im Feld von Fordern und Fördern. Das geschieht nicht irgendwie am Rand, sondern das ist Kernaufgabe von Schule.

Wir haben hier auch so manche Diskussion rund um die Gesamtschule gehabt. Wissen Sie, was ich an den Gesamtschulen ganz interessant finde? Dass sie um dieses Kriterium nicht herumjaulen. Die machen es und werben sogar damit. Also, es geht doch! Insofern muss ich dem Schulwesen im Übrigen sagen: Schaut euch da an, wie so etwas funktioniert; dann muss ich auch nicht mit allzu vielen Erlassen und Handreichungen arbeiten. Das, was man leisten kann und als notwendig erkannt hat, muss man entsprechend umsetzen und darf nicht die übliche Funktionärsdebatte darüber führen, wie viele Stunden, wie viele Stellen, wie viel Geld, wie viel Freizeit und wie viel Entlastung usw. dafür benötigt wird.