Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

Aus unserer Sicht wäre es der erste Schritt - auch im Interesse eines echten Einwanderungslandes -, wenn man schnellstmöglich eine Arbeitserlaubnis erteilen könnte. Arbeit ist nämlich ein wesentlicher Integrationsfaktor.

(Beifall bei der FDP, bei den GRÜ- NEN und bei der SPD und Zustim- mung bei der CDU)

Abschließend darf ich für uns festhalten: Es gibt sinnvolle und gute staatliche Maßnahmen, zu denen wir fast alle gemeinsam stehen. Jeder hat ein Stück weit die eigene Integrationsleistung durch sein eigenes Verhalten mit in der Hand. Wir sollten diejenigen juristisch anerkennen, die längst hier integriert leben und dadurch ein deutliches Signal setzen; denn es macht wenig Sinn, auf der einen Seite für Integration zu kämpfen, aber diejenigen, die längst integriert sind, nicht entsprechend anzuerkennen.

Für meine Fraktion kann ich festhalten - das als letzte Bemerkung -: Härte darf man nicht immer mit Stärke verwechseln. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, anhaltender Beifall bei allen Fraktionen - Wolfgang Jüttner [SPD]: Respekt! Das war eine sehr kluge Rede!)

Frau Kollegin Langhans von den Grünen hat jetzt das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Rösler, nach dieser Rede müssten Sie dem Antrag der SPD und der Grünen zur Altfall- und Bleiberechtsregelung eigentlich zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Fußballweltmeisterschaft ist in diesen Plenartagen häufig als Beleg für Weltoffenheit und Toleranz bemüht worden. Auch Sie, Herr McAllister, haben das getan. Sie haben etwas Ähnliches mitbekommen und das auch positiv bewertet. So ist es auch mir gegangen: Ich habe Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund mit deutschen Fahnen auf den Wangen gesehen, Familien mit ihren Kindern mit deutschen Fahnen. Sie sind im Autokorso Fahnen schwingend durch die Innenstadt gefahren. Es ist nur die Frage: War das ein Zeichen für gelungene Integration?

Zumindest eines ist wohl deutlich geworden: Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich Multikulturalität und Patriotismus nicht ausschließen.

Und jetzt, meine Damen und Herren? Die Weltmeisterschaft ist zu Ende, die Party auch. Die harte Wirklichkeit hat uns wieder. Nicht zum ersten Mal wenden wir uns der notwendigen Forderung nach einer Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge zu. Nach massivem öffentlichen Druck - hier sind insbesondere die beiden Kirchen zu nennen - stellen wir fest: Die Landesregierung und mit ihr die CDU bewegen sich - millimeterweise wie ein schwerer Tanker ohne eigenen Antrieb, gezogen und gedrängt von der öffentlichen Meinung und im Schlepptau - das habe ich

zumindest bisher so wahrgenommen - immer die FDP. Aber immerhin, sie bewegen sich.

Meine Damen und Herren, der Innenminister hat den Vorschlag gemacht, Jugendlichen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einzuräumen und sie nicht mehr mit Erreichen des 18. Lebensjahres in Länder abzuschieben, in denen sie nicht zu Hause sind und deren Sprache sie meist nicht mehr sprechen. Sie sollen nach den Vorstellungen des Innenministers allein, getrennt von ihren Familien, hier bleiben können.

Meine Damen und Herren, keine Politik - und schon gar nicht die christdemokratische - kann hinnehmen, dass Familien auseinander gerissen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Freiwilligkeit hat bereits mein Kollege Wenzel etwas gesagt.

In der Debatte um das Zuwanderungsgesetz war es die CDU, die eine Altfallregelung verhindert hat. Seit 2003 läuft in Niedersachsen die Kampagne „Hier geblieben! Recht auf Bleiberecht“. Sie wird getragen von einem breiten Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsinitiativen und den beiden Kirchen. Wir haben in diesem Zusammenhang damals in einem Antrag auf die Notwendigkeit, langjährig geduldeten Asylbewerbern endlich eine Aufenthaltsperspektive zu geben, hingewiesen. Damit sollte ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden, in der sie seit Jahren leben.

Im Zusammenhang mit dieser Debatte hatte Herr Biallas damals noch eine Härtefallkommission als „öffentlich finanzierte Wärmestube für Gutmenschen“ bezeichnet. Jetzt ist die CDU auch auf diesem Gebiet etwas weiter. Wieder einmal nicht aus eigenem Antrieb, sondern wieder einmal geschoben, gezerrt und geschubst haben Sie sich der Meinung der breiten Öffentlichkeit gebeugt. Zugegeben, es ist auch nicht besonders angenehm, regelmäßig an die eigenen christlichen Werte erinnert zu werden, die man ständig verletzt.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, in Ihrem Änderungsvorschlag zu den von den Fraktionen der SPD und der Grünen vorgelegten Bleiberechtsanträgen beschreiben Sie im Wesentlichen die derzeitige Situation. Sie sparen nicht mit Pauschalisierungen und Unterstellungen. Sie be

schränken sich auf Überprüfungen und verweisen auf Evaluierungen. Humanitäre Aspekte, um eine Bleiberechtsregelung zu gestalten, fallen wie immer weitgehend unter den Tisch.

Übrig bleibt ein Vorschlag von Herrn Schünemann. Dieser ist insofern positiv zu beurteilen, als er eine Gesetzeslücke schließt, aufgrund derer bei einer wie auch immer gearteten Bleiberechtsregelung 18-jährige Jugendliche möglicherweise nicht vor einer Abschiebung geschützt würden.

Aber das reicht nicht aus. Allein in Niedersachsen leben mehr als 17 000 Menschen mit dem Status der Duldung. Das bedeutet, sie dürfen ihren Landkreis nicht ohne Genehmigung verlassen. Für erteilte Genehmigungen werden sie regelmäßig zur Kasse gebeten. Ein Großteil dieser Menschen muss seinen Lebensunterhalt mit Wertgutscheinen bestreiten. Das ist auch eine Besonderheit in Niedersachsen, die in vielen anderen Bundesländern als besonders diskriminierende Praxis bereits abgeschafft worden ist.

Auf die Ausbildungs- und Arbeitsverbote ist bereits hingewiesen worden.

Meine Damen und Herren, diesen Menschen muss endlich eine Zukunftsperspektive gegeben werden. Hauptvoraussetzung kann dabei nicht wieder die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sein.

Ich möchte nicht noch einmal Frau Erpenbeck zitieren. Das hat mein Kollege Wenzel bereits getan. Am Ende bleibt übrig, dass Kranke, Behinderte und allein Erziehende gnadenlos ausgewiesen werden müssen.

Herr Schünemann, Sie haben in Ihrer Rede auf den Entwurf des Evaluierungsberichtes hingewiesen und eine Zahl von geduldeten Personen genannt, die aus humanitären Gründen hier bleiben durften. Da sind sie wieder, die humanitären Gründe. Der Anteil Niedersachsens an dieser Zahl bewegt sich im homöopathischen Bereich. Das bedeutet, meine Damen und Herren, Ihre CDUKollegen aus den anderen Bundesländern müssen offensichtlich Spielräume im Gesetz genutzt haben, die dieser Landesregierung bisher verborgen geblieben sind.

Bewegen Sie sich! Kommen Sie endlich in der Wirklichkeit an! Denn ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger fordert von diesem Land, endlich eine Bleiberechtsregelung zu schaffen.

Die Anträge der Fraktionen der Grünen und der SPD zusammen mit dem Vorschlag von Herrn Schünemann sind eine gute Voraussetzung dafür, eine vernünftige Bleiberechtsregelung zu schaffen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt hat Herr Kollege Biallas von der CDUFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst aufgrund des Redebeitrags der Kollegin Langhans einen Hinweis geben. Ich will daran erinnern: Als Minister Schünemann vor geraumer Zeit den Vorschlag machte, dass man bezüglich des Bleiberechts zwischen Eltern und Jugendlichen, die lange in Deutschland gelebt haben bzw. die hier aufgewachsen sind, unterscheiden müsste und den Jugendlichen eine Möglichkeit geben sollte, hier zu bleiben, gab es großen Protest. Man sagte beispielsweise, da würden Familien auseinander gerissen. Man lehnte das also ab.

Ich will der Vollständigkeit halber daran erinnern, dass es die Regelung, Sonderregelungen für Jugendliche zu gewähren, bereits seit 1990 im Zuwanderungsgesetz gibt. 1990 gab es in Niedersachsen eine rot-grüne Landesregierung. Nach den eben gehörten Beiträgen hätte man eigentlich denken müssen, dass das damals mit großem Protest aufgenommen worden ist, aber das Gegenteil war der Fall. Das, was Herr Minister Schünemann aktualisiert vorgeschlagen hat, ist seit 1990 möglich gewesen und von Rot-Grün in Einzelfällen durchaus praktiziert worden. Das will ich zur Klarheit feststellen.

Ich will mir sehr viel Mühe geben, ein paar sachliche Hinweise zu dieser Debatte zu machen. Es geht mir gar nicht darum, aufzurechnen, wer in der Vergangenheit was richtig und was falsch gesehen hat. So sehr hat sich die Situation in den letzten drei Jahren auch nicht verändert. Ich bin ja nun schon seit einigen Jahren Mitglied des Landtages. Ich erinnere daran, das war so, als Sie, Herr Kollege Bartling, Minister waren; auch bei Gerhard Glogowski war das so: Es gab von Zeit zu Zeit Fälle, bei denen eigentlich alle Fraktionen der Auffas

sung waren, dass es in diesen besonderen Einzelfällen dazu kommen müsste, dass eine Familie oder Einzelperson in Deutschland bleiben dürfen. Wir alle waren uns einig. Aber das, was dieses Parlament in seiner großen Mehrheit wollte, scheiterte - ich sage gar nicht: persönlich an Herrn Bartling oder an Herrn Glogowski - schon damals häufig an gesetzlichen Regelungen. Damit will ich sagen, dass wir zunächst einmal - auch wenn wir weiterdenken, wenn sich Probleme verschärft oder vervielfältigt haben - an Recht und Gesetz gebunden sind. Das muss ich hier so deutlich sagen.

Deswegen will ich auch anfügen: Es hilft überhaupt nicht weiter, wenn man die Schuldigen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums sucht. Das ist passiert. Es ist gesagt worden, im Ministerium seien alle harte Hunde. Nein: Die Mitarbeiter wenden geltendes Recht an. Dafür verdienen sie unseren Respekt.

(Zustimmung bei der CDU)

Auch von Herrn Bachmann ist vorhin das Positionspapier der SPD unter dem Titel „Faire Chancen, klare Regeln“ angesprochen worden. Herr McAllister hat das ja auch aufgenommen. Darin sind eine Fülle von Dingen enthalten, bei denen man anerkennend staunt, dass die SPD an der Stelle angekommen ist, wo sie angekommen ist.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Nur wenn man die letzten Jahre ignorant war!)

Ich will ein Beispiel geben. Es nützt ja nichts, die Realität auszuklammern. Zur Realität hat immer gehört, dass viele Bürgerinnen und Bürger häufig darunter gelitten haben, dass einige derer, die bei uns das Gastrecht genießen und dauerhaft hier bleiben wollen, es mit Recht und Gesetz nicht so genau genommen haben. Das haben wir als CDU hier auch angesprochen. Immer wieder ist als Echo gekommen: Das ist ja ausländerfeindlich, das ist Ausländerhetze.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Quatsch!)

- Gut, dass Sie das sagen, Herr Jüttner. Ich habe hier schon gestanden und das angesprochen. Dann hieß es gleich: ausländerfeindlich. Dazu gehört, dass wir alles abwägen. Auf der einen Seite will sich der überwiegende Teil hier gut integrieren; diesen Menschen müssen wir dabei helfen. Integration ist eine Sache auf Gegenseitigkeit. Auf der anderen Seite gibt es - Sie haben es selber geschrieben; das finde ich gut - auch ein Problem,

das man klar ansprechen muss. Ich zitiere aus dem SPD-Papier:

„Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen und Konflikten. Verständigungsprobleme in Schulen oder Bürgerämtern, Pöbeleien in öffentlichen Verkehrsmitteln, Gewalt und Einschüchterung an Schulen mit einem hohen Ausländeranteil, religiöser Fanatismus extremistischer Organisationen - - -“

Auch das gehört ehrlicherweise dazu. Wenn wir Integration ermöglichen wollen, dann müssen wir versuchen, diejenigen - -

(Unruhe)

Herr Biallas, einen Moment, bitte! - Hier ist ein Murmeln zu vernehmen. Der Geräuschpegel wird dem Thema nicht gerecht. Ich bitte um mehr Ruhe.

Ich habe es gerade sachlich vorgetragen; sonst wird mir besser zugehört. Aber ich versuche, es sachlich fortzusetzen.

Dazu, denjenigen, die sich hier integrieren lassen wollen und denen wir dabei helfen, auch eine Chance zu geben, gehört, Herr Kollege Jüttner, der Dialog der Kulturen und der Religionen. Ein solcher Dialog findet auf vielen Ebenen statt. Er setzt allerdings zweierlei voraus: erstens, dass diejenigen, die sich an dem Dialog der Kulturen und Religionen beteiligen, etwas über die anderen wissen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen - vielleicht kann ich es auch deshalb, weil ich mich aufgrund meines Studiums da ein bisschen besser auskenne -, dass mir manchmal grau vor Augen wird, wenn über den Islam geredet wird, weil es eben den Islam nicht gibt. Es gibt ganz viele verschiedene Strömungen. Setzt man sich nicht vorher damit auseinander, dann ist dieser Dialog außerordentlich schwierig. Zweitens gehört zum Dialog, dass uns dann, wenn wir uns als Christen oder aus der christlichen Kultur kommend verstehen, ein Dialog nur gelingt, wenn wir selber wissen, wo wir stehen, und wenn wir selber über das Auskunft geben können, was unser Leben prägt, woran wir uns orientieren und was unsere Werte sind. Dazu kann ich nur sagen, dass es in der deutschen Bevölkerung aus meiner Sicht jedenfalls noch einen

ganz erheblichen Nachholbedarf gibt, bevor ein solcher Dialog gelingen kann.

Nun mache ich noch eine Anmerkung zu dem vorhin erhobenen Vorwurf, der Minister werbe nicht genug dafür, dass junge Leute in den Polizeidienst einträten. Man kann sich zwar darüber streiten, ob genug geworben wird. Aber das Problem ist eher darin zu sehen, dass in diesem Landtag über viele Jahre Einigkeit darin bestand, dass eine der Voraussetzungen dafür, Polizeibeamter oder -beamtin zu werden, seit Einführung der zweigeteilten Laufbahn immer die Fachhochschulreife, also das Abitur, ist. Das heißt, der Kreis derjenigen, die dafür tatsächlich in Frage kommen, ist aufgrund dieser Regelung, über die man ebenfalls streiten kann, relativ klein. Von denen, die aufgrund ihrer Vorbildung dazu in Frage kämen, wollen wiederum nicht wahnsinnig viele Polizist werden. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Zahl junger Leute mit türkischem Hintergrund stiege, die Polizeibeamter oder -beamtin werden wollen.

Meine letzte Bemerkung: Wir wollen doch einmal sehen, was im Herbst aus der Innenministerkonferenz bezüglich der Änderung des Zuwanderungsgesetzes herauskommt. Ich mahne an, abzuwarten, was die gegenwärtig stattfindende Evaluation ergeben wird. Wir sollten also erst einmal Sachverhaltsaufklärung betreiben und dann sehen, welche Probleme es gibt und wie man sie lösen kann.