Protokoll der Sitzung vom 06.06.2008

Es ist fahrlässig und den ökonomischen wie auch ökologischen Konsequenzen einer möglichen Fehlplanung nicht im Geringsten angemessen, wenn hier vonseiten der SPD in dem vorliegenden Antrag, aber auch von der CDU in ihrem jüngsten Positionspapier ungeprüft und unkritisch alte Lösungen für neue Probleme hochgejubelt werden.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Noch vor fünf oder sechs Jahren habe ich selbst für die Grünen hier ähnliche Anträge für die Y-Trasse, für die schnelle Umsetzung dieser Trasse eingebracht. Die Zeit ist aber weitergegangen. Heute geht es nicht mehr um schnellen Personenverkehr bei der Bahn, sondern um die Bewältigung des Güterverkehrs, der uns überrollt. Dafür ist die Y-Trasse dummerweise keine Lösung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will gern erklären, was sich tatsächlich substanziell verändert hat. Erstens hat die Zunahme des Güterverkehrs und insbesondere des Schienengüterverkehrs als Hinterlandanbindung der Häfen Bremerhaven und Hamburg und demnächst auch des Hafens Wilhelmshaven ein noch vor wenigen Jahren ungeahntes Ausmaß angenommen. So erklärte z. B. vor wenigen Tagen die Hamburg Port Authority, dass allein aus dem Hamburger Hafen von 2006 bis zum Jahre 2015, Herr McAllister, mit einer Verdreifachung der Containermenge für die Schiene zu rechnen ist. Durch bessere automatische Zugzusammenstellungen und Zugverlängerungen lasse sich diese Verdreifachung des Wachstums auf der Schiene bis 2015 allenfalls auf eine Verdoppelung der Zahl der Züge aus Hamburg - das würde statt 200 Güterzüge 400 Güterzüge pro Tag allein aus Hamburg bedeuten - reduzieren. Bereits heute sind aber die Kapazitäten auf den gängigen Trassen der DB AG weitgehend ausgeschöpft oder wie im Fall der Strecke von Hamburg nach Hannover mit 130 bis 140 % sogar bis an die Grenze des erträglichen Maßes überbelegt. In weiten Teilen - bei Störungen gilt dies ohnehin - ist deshalb Langsamfahren angeordnet, um mehr Züge auf den Gleisen hintereinander unterzubringen.

Die Fahrzeit ist unter diesen Zwangspunkten für die DB offensichtlich schon lange kein wirklich relevantes Thema mehr. Kapazität ist das Thema. Nach etlichen erheblich in die Länge gezogenen

und verteuerten Milliardenbaustellen der DB AG für ICE-Trassen, Herr Kollege Will, muss deshalb der Nutzen von nur gut zehn Minuten Zeitgewinn auf der Strecke von Hamburg nach Hannover im Verhältnis zum damit verbundenen Aufwand und Eingriff in die Natur sicher neu bewertet werden, vor allem wegen der Finanzierungskonkurrenz mit womöglich dringenderen Investitionen und Baumaßnahmen im Norden Deutschlands. Neue Gutachten belegen, dass es uns im Norden bei wachsender Nachfrage insbesondere im Güterverkehr, Herr McAllister, weniger an Bahntrassen, die noch Kapazitäten haben oder mit wenig Aufwand erheblich ertüchtigt werden könnten, insbesondere bei den NE-Bahnen, bei den nicht bundeseigenen Bahnen, mangelt. Vielmehr ist es so, dass uns vor allem die ungelöste Knotenproblematik in Hamburg, Bremen und Hannover daran hindert, deutlich mehr Züge pro Tag von Nord nach Süd zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir alle wissen, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Die Zeit für eine erhebliche Kapazitätsausweitung insbesondere für den Güterverkehr auf der Schiene drängt. Sollten die norddeutschen Häfen aufgrund mangelnder Hinterlandinfrastruktur verstopfen, so freut sich die Konkurrenz am Mittelmeer und am Schwarzen Meer. Die wirtschaftlichen Schäden für das niedersächsische Umland durch das dort dann wegbrechende Distributionswachstum wären extrem ärgerlich, weil vermeidbar. Bevor wir jetzt also auf Jahre Milliarden von Bundesmitteln durch den Bau der Y-Trasse binden, sollten wir uns die Zeit von wenigen Monaten nehmen und sinnvoll nutzen, um nach einer sorgfältigen Bestandsanalyse aller Bahnkapazitäten und Transportbedarfe die verschiedenen Ausbauszenarien und die vorhandenen Finanzierungsmittel kritisch miteinander zu vergleichen. Die Große Anfrage, die meine Fraktion zu diesem Thema eingebracht hat, und auch die Gutachten, die Hamburg und Niedersachsen zu diesem Thema in Auftrag gegeben haben, könnten dafür eine sehr wichtige Grundlage sein. Erst auf einer solchen Grundlage können die richtigen Zukunftsentscheidungen für die Bahn im Norden getroffen werden. Den vorliegenden Antrag der SPD sollten wir so lange zurückstellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Weisser-Roelle von der Fraktion DIE LINKE, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da im Jahr 2015 täglich rund 400 Güterzüge mehr als heute von und zu den Nordseehäfen rollen, muss das norddeutsche Schienennetz dringend ausgebaut werden. Darüber besteht Einigkeit hier in diesem Haus. Gerade für die wirtschaftliche Entwicklung der Seehäfen ist eine leistungsfähige Hinterlandanbindung von besonderer Bedeutung. Deshalb ist es dringend notwendig, den Schienenverkehr auch in Niedersachsen fit zu machen. Die Landesregierung, die DB AG und zu meiner Überraschung jetzt auch die SPD mit ihrem Antrag setzen auf die sogenannte Y-Trasse. Herr Will, ich muss Ihnen sagen, dass sich die SPD noch im Sommer 2007 für eine vollkommene Neubewertung der Trasse ausgesprochen hat. Von daher überrascht mich jetzt Ihre Zustimmung zur Y-Trasse.

(Beifall bei der LINKEN)

Studien des VCD und der Uni Hannover zeigen aber auf, dass man den zukünftigen Güterverkehr mit dieser Trassengestaltung nicht bewältigen kann. Außerdem ist die zwischen Hamburg, Bremen und Hannover gelegene Trasse viel zu teuer. Darauf komme ich noch zu sprechen. Ursprünglich - das wurde von den Grünen eben schon gesagt - wurde diese Hochgeschwindigkeitstrasse für den Personennahverkehr konzipiert, z. B. um Fahrgäste zwischen Hamburg und Hannover ein paar Minuten schneller transportieren zu können. Es geht dabei nur um 12 oder 13 Minuten. Aber auch diese Einsparung von 12 oder 13 Minuten ergibt sich nur bei Zugrundelegung einer Maximalgeschwindigkeit von ca. 300 km/h auf dieser Strecke. Es wäre allerdings noch zu klären, ab wann Züge mit einer Maximalgeschwindigkeit von 300 km/h zur Verfügung stehen. Die einzige Baureihe bei der DB AG, die mit dieser Geschwindigkeit fahren kann, ist auf anderen Strecken fest eingebunden. Von daher zieht auch dieses Argument nicht mehr.

Als die Planungen für die Y-Trasse begannen, stand, wie gesagt, der Hochgeschwindigkeitsverkehr im Vordergrund. Der Güterverkehr ist jedoch erheblich schneller gewachsen als der Personenverkehr. Deshalb muss das Schienennetz nun

ganz andere Anforderungen erfüllen, und diesen wird die Y-Trasse absolut nicht mehr gerecht.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Der Güterverkehr benötigt eigene, optimierte Strecken, deren Bau - das ist ganz wichtig - übrigens günstiger und billiger ist als der Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken.

(Beifall bei der LINKEN)

Für Güterzüge bedeutet die Nutzung der Y-Trasse weitere Schwierigkeiten.

Lassen Sie mich dies an drei Beispielen deutlich machen. Erstens beziehe ich mich auf die Anbindung des Hamburger Hafens. Die Nutzung der Y-Trasse ist in diesem Fall erst nach einer Fahrt über 50 km auf vorhandenen Strecken möglich. Diese Strecken weisen bereits eine durchschnittliche Belastung auf. Das heißt, eine echte Kapazitätserhöhung ist nicht gegeben.

Zweitens spreche ich die Anbindung der bremischen Häfen an. Die Nutzung der Y-Trasse ist erst nach Fahrt durch den hoch belasteten Knoten Bremen möglich. Das heißt, eine Kapazitätserhöhung ist nicht gegeben.

Drittens. Bei diesen drei Beispielen will ich es belassen, obwohl noch weitere Beispiele angeführt werden könnten. Eine Anbindung im Raum Hannover würde für den Güterverkehr eine Fahrt durch den Hauptbahnhof Hannover bedeuten. Diese stellt aber aufgrund der für Personenzüge ausgelegten Gleise ein gravierendes Hindernis dar. Auch hier ist eine echte Kapazitätserhöhung nicht gegeben.

Fazit: Aufgrund von Trassenüberschneidungen führt die Strecke nicht zu einer deutlichen Ausweitung der Kapazität des Güterverkehrs. Zudem sind die zu erwartenden Baukosten der Strecke noch offen. Es ist mit einer Kostenexplosion zu rechnen. Kurzum, die bisherige Trassenplanung weist erhebliche Defizite auf. Die Y-Trasse löst die Probleme des wachsenden Güterverkehrs auf keinen Fall.

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Die von der SPD vorgeschlagene Vorverauslagung von Planungsmitteln durch das Land Niedersachsen ist für die Linken deshalb überhaupt nicht akzeptabel. Für uns haben der Ausbau von vorhandenen Strecken und die Aktivierung von stillgelegten Strecken Vorrang vor dem Bau der Y-Trasse. Wir werden uns in der notwendigen Fachdebatte vor allem auf

Alternativen zur Y-Trasse konzentrieren, mit denen es gelingt, tatsächlich den zu erwartenden und von uns allen gewünschten zunehmenden Güterverkehr auf der Schiene - ich betone: auf der Schiene - zu bewältigen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun erteile ich Herrn Heineking von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Gerd Will, apropos Versprechen, Wackelkurs und Rotenburger Rundschau: Ich wäre als Wähler aus dem Bereich Rotenburg über diesen Antrag der SPD-Landtagsfraktion schon ein wenig verwundert. Im Wahlkampf zur Landtagswahl 2008 hat SPD-Politiker Ralf Borngräber behauptet und geprahlt, eine Prioritätenumkehr in seiner Partei erreicht zu haben.

(David McAllister [CDU]: Wo ist der eigentlich? - Keine Ahnung. - Gemeint hat der heutige Kollege und damalige Landtagskandidat der SPD-Fraktion damit, statt der Y-Trasse genieße zumindest für die Landes-SPD nun der Ausbau bestehender Streckenverbindungen Priorität. (Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Dies konnten wir am 2. Juni 2008 in der Rotenburger Rundschau lesen. Heute stellen wir fest, dass daraus eine Umkehr von der Umkehr geworden ist. Die Wählerinnen und Wähler mögen sich ihren Reim auf diese deutliche Diskrepanz zum Wahlprogramm der SPD machen.

(Zustimmung bei der CDU - David McAllister [CDU]: Will! Wo ist Born- gräber? Ist der nach Hause?)

Nun zum Antrag.

„Die Sicherung der Mobilität, die Reduzierung verkehrsbedingter Belastungen sowie Verkehrsmanagement und Telematik sind wichtige Stichpunkte im Bereich Verkehr.“

Dies hat unser Wirtschaftsminister Walter Hirche in seiner Unterrichtung über die Arbeitsschwerpunkte seines Ressorts in der 16. Wahlperiode im Wirt

schaftsausschuss deutlich gemacht. Weiter erklärte Minister Hirche:

„Bei der Schiene bleibt die Y-Trasse das wichtigste Verkehrsprojekt. Es wird zügig in Angriff genommen.“

Infrastrukturprojekte können nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Planungen sind nicht ohne Weiteres beliebig veränderbar. Das gilt in gleichem Maße für einmal festgelegte Streckenführungen. Damit alle Aufgaben im Staat finanziert werden können, brauchen wir eine wachsende Wirtschaft, die Gewinne erzielt, die Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft, sodass Steuern eingenommen werden können. Damit die Wirtschaft wachsen kann, brauchen wir eine gut funktionierende Infrastruktur. Wesentlich höhere Anstrengungen sind in der Zukunft beim Ausbau der Hafeninfrastruktur notwendig. Bei all diesen Vorhaben sind eine transparente Vorgehensweise und eine ehrliche Diskussion mit den Beteiligten vor Ort notwendig.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wer insbesondere am globalen Wachstum der Güterverkehre teilhaben möchte, der benötigt funktionierende Häfen. Häfen funktionieren, wenn die Güter wirtschaftlich und effizient umgeschlagen und transportiert werden können. Deshalb brauchen wir funktionierende und optimierte Anbindungen an Autobahnen, Schienen und Wasserstraßen.

Da die Alternative zur Y-Trasse wenig Sinn macht, sind wir für eine zügige Planung und Finanzierung. Deshalb verhandelt unsere Landesregierung bereits längst mit der Bahn und den anderen Küstenländern. Die Maßnahme Y-Trasse hat bereits Fahrt aufgenommen. Im Masterplan Güterverkehr und Logistik gehört die Wiederaufnahme der Planungen für die Y-Trasse zur besseren Hinterlandanbindung der Häfen zu den wichtigsten Projekten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Klar ist aber auch: Die Y-Trasse allein wird nicht ausreichen. Zur Bewältigung des zunehmenden Güterverkehrs und zum Ausbau der Schieneninfrastruktur sind weitere Maßnahmen notwendig, u. a. die Zweigleisigkeit und Elektrifizierung der Strecke Wilhelmshaven–Oldenburg, der Ausbau der Knoten Oldenburg, Bremen und Hamburg, das dritte Gleis Lüneburg–Stelle, der Ausbau der Verbindung Bremen–Soltau–Uelzen. Die CDU-Frak

tion hat sich bereits sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und dazu ein Positionspapier entwickelt. Dieses empfehle ich auch den Kolleginnen und Kollegen der Opposition zur Lektüre.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Der Bundesverkehrsminister hat bereits 20 Millionen Euro für die Planung der Y-Trasse vorgesehen. Benötigt werden allerdings wesentlich mehr. Hier sind der Bund und die DB Netz AG in der Pflicht, die entsprechenden Summen bereitzustellen. Deshalb laufen zurzeit entsprechende Verhandlungen.

Da sich die Zahlen im Güterverkehr in den nächsten Jahren verdoppeln werden, darf bei den Planungen und Finanzierungsgesprächen keine Zeit verschwendet werden. Bundesverkehrsminister Tiefensee von der SPD trägt die Verantwortung in diesem Bereich. Sollten die norddeutschen Küstenländer und der Bund diese Herausforderung nicht meistern, profitieren möglicherweise südeuropäische Länder wie Kroatien, Slowenien oder Griechenland.

Zum Schluss fordert die SPD in ihrem Antrag, dass Niedersachsen Planungskosten verauslagen sollte. Schön wäre es auch, wenn die SPD-Fraktion für ihre Forderungen einen Finanzierungsvorschlag machen würde, ohne dass dadurch die Neuverschuldung erhöht wird. Mein Vorschlag ist, eine entsprechende Aufforderung an Bundesverkehrsminister Tiefensee zu formulieren, damit das Bundesverkehrsministerium seinen Pflichten nachkommt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste Rednerin ist Frau König von der FDPFraktion. Bitte schön!