Vor diesem Hintergrund fragen sich viele Eltern, ob die Landesregierung Schulkinder ausreichend schützt und ob es noch weitere Fälle gibt, in denen trotz vorliegender Strafanzeigen nicht reagiert wurde.
1. Warum haben im vorliegenden Fall weder Landesschulbehörde noch das Kultusministerium sofort gehandelt?
2. Wie viele Strafverfahren wegen Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und wie viele Disziplinarverfahren sind aktuell gegen Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anhängig?
3. Seit wann haben die Landesregierung, die Staatsanwaltschaft und die Landesschulbehörde jeweils Kenntnis von den Fällen, und wie schnell haben sie jeweils womit reagiert?
Anlass der Kleinen Anfrage und der bereits vorausgegangenen Unterrichtung des Kultusausschusses am 7. Oktober 2011 war die Pressemeldung über den Strafprozess gegen einen Grundschullehrer aus Hannover wegen sexuellen Missbrauchs Anfang der 90er-Jahre. Der Lehrer wurde Anfang Oktober rechtskräftig zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Mit Rechtskraft des Urteils ist das Beamtenverhältnis des Lehrers beendet, er verliert damit seine Pensionsansprüche.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:
Zu 1: Eine der betroffenen Frauen hatte im April 2010 Strafanzeige gestellt. Hierüber wurde die Niedersächsische Landesschulbehörde (NLSchB) - Regionalabteilung Hannover - erstmals im September 2010 durch die Polizei kurz informiert. Ende November 2010 nahm die Polizei erneut Kontakt zur Niedersächsischen Landesschulbehörde auf und teilte mit, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien. Das Kultusministerium wurde hierüber seitens der Niedersächsischen Landesschulbehörde Anfang Dezember 2010 informiert. Eine Nachfrage der Niedersächsischen Landesschulbehörde bei der Polizei Ende Dezember ergab, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien.
Die Niedersächsische Landesschulbehörde musste Ende 2010 entscheiden, ob sofort ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden sollte und ob der Lehrer von Dienst zu suspendieren war.
Nach § 18 des Niedersächsischen Disziplinargesetzes hat die Disziplinarbehörde die Pflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Die polizeilichen Ermittlungen waren noch nicht abgeschlossen. Der nach Aktenlage bekannte Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: Anfang der 90erJahre konnten die damals verübten Taten im Rahmen der Untersuchungen der Schulaufsicht nicht bewiesen werden. Strafanzeige wurde nicht gestellt. Der Lehrer wurde an eine andere Schule versetzt. In den vergangenen 18 Jahren hatte es keine aktenkundigen Vorfälle mit dem Betroffenen gegeben. Auf dieser Grundlage wurde entschieden, dass bezüglich der Einleitung des Disziplinarverfahrens das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen abgewartet werden sollte.
Nach § 38 des Niedersächsischen Disziplinargesetzes kann die betroffene Lehrkraft mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes enthoben werden, wenn u. a. durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt würde. Bei der Frage der Suspendierung im vorliegenden Fall geht es um die Frage der Gefährdung der aktuell unterrichteten Kinder. Deshalb wird noch einmal in Erinnerung gerufen, dass die polizeilichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren. Der Lehrer war nach zwei amtsärztlichen Gutachten gesundheitlich in hohem Maße beeinträchtigt und seit Januar 2007 nur noch 50 % dienstfähig. Die weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führte dann auch zur dauernden Dienstunfähigkeit ab Mai 2011 und
Das Disziplinarverfahren wurde unmittelbar nach Übersendung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft Hannover im Juli 2011 eingeleitet. Wegen der Folge des Verlustes der Beamtenrechte durch Gesetz wird das Disziplinarverfahren nunmehr eingestellt.
Zu 2: Ingesamt sind 17 Verfahren wegen Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Bereich der Niedersächsischen Landeschulbehörde bekannt. Es sind derzeit sieben Strafverfahren gegen Lehrkräfte anhängig. In einem Fall sind die polizeilichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Es werden elf Disziplinarverfahren geführt, ein weiteres steht unmittelbar vor der Einleitung. In einem Fall wird das Entlassungsverfahren betrieben, weil sich die betroffene Lehrkraft noch in der Probezeit befindet. Es gibt keine Verfahren gegen pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die differierenden Zahlen ergeben sich aus der Tatsache, dass die Strafverfahren zum Teil noch nicht eröffnet sind oder bereits abgeschlossen wurden, die Disziplinarverfahren aber noch weiterlaufen. Zudem wurden die tarifbeschäftigten Lehrkräfte ebenfalls aufgeführt, gegen die aufgrund ihres Status kein Disziplinarverfahren geführt, sondern arbeitsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden.
Zu 3: Im Folgenden wird dargestellt, wann die Staatsanwaltschaft, die Niedersächsische Landeschulbehörde und die Landesregierung von den einzelnen Fällen Kenntnis erlangt und mit welcher Maßnahme sie reagiert haben.
Hinsichtlich der Kenntnis und des Tätigwerdens der Landesregierung wird darauf hingewiesen, dass die zuständige Disziplinarbehörde die Niedersächsische Landesschulbehörde ist. Das Kultusministerium wird - auch aufgrund des Erlasses vom 5. Juli 2010 - über die Entscheidungen, die in Disziplinarverfahren aufgrund von sexuellem Fehlverhalten und Überschreiten der gebotenen Distanz ergehen, informiert. Durch die Vorlagepflicht haben wir sichergestellt, dass das Kultusministerium seine gesetzlichen Möglichkeiten gemäß § 35 des Niedersächsischen Disziplinargesetzes fristgerecht wahrnehmen kann. Innerhalb von drei Monaten besteht die Möglichkeit zur Aufhebung von Einstellungen sowie zur Verschärfung von Maßnahmen.
Während des laufenden Disziplinarverfahrens erfolgt lediglich in Ausnahmefällen eine Information des Kultusministeriums. Einzelfälle werden häufig ohne Angabe von Namen mitgeteilt. Insoweit kann der Zeitpunkt der Kenntnis nur in Einzelfällen eindeutig benannt werden.
Zu den in der Beantwortung der Frage 2 angesprochenen 17 Fällen ist im Einzelnen Folgendes zu sagen:
Diese Frage kann durch die Niedersächsische Landsregierung nicht beantwortet werden, da die zuständige Staatsanwaltschaft zu einem anderen Bundesland gehört.
Die Niedersächsische Landesschulbehörde hat am 17. August 2007 Kenntnis erlangt. Am 22. August 2007 ging der angeforderte Haftbefehl ein. Am 28. August 2007 wurde das Disziplinarverfahren eingeleitet und wurde die Lehrkraft suspendiert. Seither ist das Verfahren wegen des Strafverfahrens ausgesetzt.
Das Kultusministerium erhielt Kenntnis des Falles im Rahmen der Zusammenstellung der Disziplinarverfahren wegen sexuell motivierten Fehlverhaltens bzw. wegen Überschreitung der gebotenen Distanz im August 2010 im Zusammenhang mit der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Frau Korter.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg erhielt am 10. August 2011 Kenntnis von den Vorwürfen und beantragte noch am selben Tag Durchsuchungsbeschlüsse. Das Verfahren wurde am 6. Oktober 2011 mit einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls abgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft Hannover erhielt am 12. September 2011 Kenntnis von den Vorwürfen und beantragte noch am gleichen Tag den Erlass
Die Niedersächsische Landesschulbehörde hat Kenntnis am 5. August 2011 erlangt. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft wurden personalrechtliche Maßnahmen zurückgestellt, um die Beweissicherung nicht zu gefährden. Der Lehrkraft wurde am 15. August 2011 das Führen der Dienstgeschäfte verboten. Am 5. Oktober 2011 wurde das Disziplinarverfahren eingeleitet und wegen des Strafverfahrens ausgesetzt.
Das Kultusministerium wurde am 10. August 2011 durch die Niedersächsische Landesschulbehörde informiert.
Die Staatsanwaltschaft erhielt am 25. Mai 2011 Kenntnis von den Vorwürfen. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens erfolgte am 17. August 2011. Die Mitteilung an die Niedersächsische Landesschulbehörde erfolgte am 4. Oktober 2011.
Am 27. April 2011 erhielt die Niedersächsische Landesschulbehörde Kenntnis von der Strafanzeige gegen die Lehrkraft. Diese wurde am 29. April 2011 von der Arbeitsleistung freigestellt.
Das Kultusministerium hat Kenntnis durch Vorlage der Aufstellung der laufenden Disziplinarfälle und arbeitsrechtlichen Fälle mit sexuellem Hintergrund im Oktober 2011 zur Vorbereitung einer Unterrichtung des Kultusausschusses erlangt.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieselbe Person zwei Ermittlungsverfahren geführt. Sie hat jeweils am 15. April 2010 Kenntnis von den Vorwürfen erlangt und die Verfahren jeweils am 14. Mai 2010 eingestellt.