Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Darüber hinaus wird die Bundesregierung - wie auch bei anderen Gesetzentwürfen - durch die Einflussnahme des Bundesjustizministeriums sicherstellen, dass der Gesetzentwurf verfassungsgemäß sein wird.

Meine Damen und Herren, Sie mögen gerne das Betreuungsgeld kritisieren. Aber bitte tun Sie nicht so, als wollten wir damit den Krippenausbau oder Ähnliches konterkarieren. Die niedersächsischen Zahlen belegen, dass das Gegenteil der Fall ist.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Schlusslicht! Gucken Sie mal nach Sachsen-Anhalt!)

Frau Reichwaldt hat gesagt, dass 62 000 Plätze fehlen. Dem ist nicht so. Richtig ist vielmehr, dass man zum 1. August 2013 insgesamt 62 000 Plätze braucht, um die Betreuungsquote von 35 % zu erfüllen. Aber was haben wir hier in Niedersachsen in den letzten Jahren denn getan? - Am 15. März 2006, also noch vor dem Krippengipfel, gab es in Niedersachsen bereits 10 750 Plätze für die U-3Betreuung. Zum 1. März 2011 - darauf beziehen sich all Ihre statistischen Daten, die Sie hier immer wieder falsch in den Raum werfen - hatten wir 36 730 Plätze. Das ist eine deutliche Steigerung. Seit dem Krippengipfel hat das Land Niedersachsen mehr als 20 000 neue Krippenplätze bewilligt und dafür Mittel in Höhe von mehr als 168 Millionen Euro an die Kommunen ausgezahlt.

Deshalb lasse ich es nicht zu, dass Sie landauf, landab behaupten, wir täten hier deutlich zu wenig. Wir haben sogar noch nachgesteuert, indem wir im Doppelhaushalt 2012/2013 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben. Ich bin mir sicher, dass wir zum 1. August 2013 die Betreuungsquote von 35 % erreichen. Dafür investieren wir in Niedersachsen im Zeitraum von 2008 bis 2013 rein aus Landesmitteln mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das ist ein klares Bekenntnis zum Krippenausbau in Niedersachsen.

Jawohl, wir sind für frühkindliche Bildung, und zwar in den Krippen, aber auch im Elternhaus, und wir lassen es nicht zu, dass Sie das den Eltern verbieten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Staudte das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Auch wir Grünen sagen selbstverständlich: Sollte das Betreuungsgeld wirklich eingeführt werden, wäre das der größte familienpolitische Fehler der letzten Jahrzehnte.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Das Thema Betreuungsgeld ist auch nicht nur eine Bundesangelegenheit. Schließlich kann man jeden Steuer-Euro nur einmal ausgeben, und über dieses Thema wird auch im Bundesrat verhandelt. Insofern wäre es schon interessant, hier eine andere Einschätzung der Landesregierung zu bekommen. Ich habe nämlich den Eindruck, dass auch die meisten CDU-Mitglieder vor Ort - und hier gerade diejenigen, die kommunale Verantwortung tragen - dem Betreuungsgeld sehr kritisch gegenüber stehen. In der Kreistagssitzung, die in dieser Woche bei uns stattfand, haben sich alle CDU-Abgeordneten der Stimme enthalten. Das war schon ein sehr deutliches Zeichen.

Ich glaube, Ihre positive Haltung gegenüber dem Betreuungsgeld ist vor allem der Koalitionsräson auf Bundesebene geschuldet. Die bayerische Schwesterpartei will dieses Betreuungsgeld unbedingt - ich glaube, sie will es aus Profilierungsgründen; denn mit Familienpolitik kann es nicht wirklich etwas zu tun haben -, und die gesamte

Bundes-CDU und auch die hiesige Landes-CDU lassen sich von der CSU einen Maulkorb verpassen. Ich finde, wenn die Bayern unbedingt ein Betreuungsgeld haben wollen, dann sollen sie doch ein Landesbetreuungsgeld, finanziert aus ihren eigenen Haushaltsmitteln, einführen. Wir in Niedersachsen haben definitiv ganz andere Herausforderungen zu meistern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade ist die Anzahl der Krippenplätze angesprochen worden. Um den Rechtsanspruch zu erfüllen, fehlen noch mindestens 19 000 bis 25 000 Plätze. Der Präsident des Niedersächsischen Städtetages, Herr Klingebiel (CDU), hat gesagt: Wir brauchen noch dringend 120 bis 150 Millionen Euro für Investitionen, um eine Klagewelle abzuwenden.

Ein Problem, das hier heute noch nicht angesprochen worden ist, aber das in diesem Zusammenhang auch genannt werden muss, besteht im drohenden Fachkräftemangel bei den Erziehern und Erzieherinnen. Das Statistische Bundesamt sagt, 2014 werden in Niedersachsen 4 500 Erzieherinnen fehlen. Hier müssten wir sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen und Konzepte vorlegen, damit wir endlich die Wahlfreiheit bekommen.

Ich glaube, es gab noch nie ein Geldgeschenk, das von so vielen kritisiert worden ist. DGB-Chef Sommer und Arbeitgeberpräsident Hundt sagen, das Betreuungsgeld passt nicht in unsere Zeit, es ist ein bildungs- und arbeitsmarktpolitisch falsches Signal. DIHK-Präsident Driftmann sagt, das Betreuungsgeld konterkariert die Frauenerwerbstätigkeit. Und es gibt sogar verfassungsrechtliche Bedenken, letztmalig geäußert von der GoetheUniversität in Frankfurt. Auch die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das Betreuungsgeld ab, sogar die Mehrheit Ihrer Sympathisanten und Wähler. Laut Umfragen sagen 52 %, dass sie das Betreuungsgeld in dieser Form nicht umgesetzt wissen wollen.

Frau Mundlos, Sie haben eben behauptet, wir würden die Menschen gängeln wollen. Das stimmt nicht. Wir sind für die Realisierung einer Wahlfreiheit. Die Menschen - die Eltern, die Familien - sollen selbst entscheiden können, ob sie ihre Kinder selbst betreuen oder ob sie sie in einer Krippe, von einer Tagesmutter oder von einem Tagesvater betreuen lassen wollen. Eine solche Wahlmöglichkeit sehen Sie nicht vor.

Das Babycasting ist hier schon angesprochen worden. Im Moment können sich die Einrichtungen

aussuchen, welche Kinder sie betreuen wollen. Die Eltern müssen sich und ihre Kinder präsentieren. Es ist gerade nicht so, dass die Eltern sich tatsächlich für die Einrichtung entscheiden können, die ihnen gefällt.

Minister Althusmann führt immer gerne an, das Land macht schon so viel, es stehen noch 265 Millionen Euro zur Verfügung, bis der Rechtsanspruch Gültigkeit erlangt. Dazu muss ich zwei Anmerkungen machen: Erstens. Von diesen 265 Millionen Euro kommen lediglich 52 Millionen Euro vom Land, 213 Millionen Euro aber kommen vom Bund. Wo ist hier also das große Engagement der Landesregierung? - Zweitens: Die 265 Millionen Euro stehen nicht noch zur Verfügung, sondern die standen zur Verfügung. Mittlerweile sind es gerade einmal noch 20 Millionen Euro, um die Kommunen bei den notwendigen Investitionen zu unterstützen.

Frau Staudte, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Vockert?

Herzlichen Dank. - Frau Kollegin Staudte, ist Ihnen bekannt, dass es eine Vereinbarung zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und dem Land gibt, in der sich die kommunalen Spitzenverbände mit der Aufteilung in der Form, wie sie erfolgt ist, einverstanden erklärt haben?

Ich glaube, die Kommunen hatten gar keine andere Wahl. Sollten sie etwa sagen, dass sie das Geld nicht nehmen und in Zukunft alles allein finanzieren wollen? - Ich glaube, das kann nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Kollegin Staudte, kurz vor der Zwischenfrage hatten Sie noch eine Sekunde Redezeit. Ich bitte Sie um Ihren letzten Satz. Bitte!

Noch einen Satz zur haushaltspolitischen Verantwortung. Insbesondere vonseiten der CDU wird immer wieder suggeriert, dass sie besonders viel

haushalterische Verantwortung übernimmt. Sie wollen, dass die Schuldenbremse schon 2017 und nicht erst 2020 eingeführt wird. Aber wenn Sie wirklich verantwortlich handeln würden, dann würden Sie dafür sorgen, dass Steuergelder hier nicht verpulvert werden, und dann hätten Sie den Mut, endlich einmal Prioritäten zu setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt liegt noch die Wortmeldung des zuständigen Ministers vor. Bitte schön, Herr Minister Althusmann. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Staudte, Sie haben gesagt, die Kommunen konnten nicht anders. Das ist auch nachzuvollziehen; denn immerhin haben wir ihnen zur Förderung der Betriebskosten - nicht zur Förderung der Investitionen - 450 Millionen Euro bis 2013 angeboten. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern, die das anders organisiert haben, ist Niedersachsen hier vorbildlich vorgegangen,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gelte ja gemeinhin als jemand, der zunächst einmal vom Guten ausgeht, und das selbst bei Vertretern der Opposition. Nun stelle ich fest, dass wir zum Thema Betreuungsgeld heute eine Aktuelle Stunde im Niedersächsischen Landtag haben, dass dazu morgen die verschobene Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag stattfindet, dass wir am Freitag im Bundesrat darüber abstimmen und dass am Sonntag in Nordrhein-Westfalen gewählt wird. Das, meine Damen und Herren, mag Zufall sein. Aber ich würde sagen: Sie sind auf dem Holzweg. Führen Sie die Debatte über das Betreuungsgeld wieder auf den sachlichen Kern der Frage zurück, was für die Familien in unserem Land gut ist. Denn das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt Befürworter, und es gibt Gegner des Betreuungsgeldes. Allerdings wundert mich, Frau Heiligenstadt, dass niemand von Ihnen erwähnt hat, dass in allen skandinavischen Ländern, die in der bildungspolitischen Debatte gemeinhin hoch gelobt werden, das Betreuungsgeld parallel zum Krippenausbau eingeführt

wurde. In Norwegen wird im Moment darüber gestritten, ob das sinnvoll war ist.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Ja, das war nämlich nicht sinnvoll!)

Es gibt Argumente für das Betreuungsgeld - z. B. das Mehr an Wahlfreiheit für Eltern -, und es mag auch Argumente gegen das Betreuungsgeld geben, z. B. wegen möglicher Mitnahmeeffekte oder wegen der Befürchtung, dass diejenigen, die eigentlich eine Kindertagesstätte oder eine Krippe besuchen sollten, davon abgehalten würden. Aber was es in Deutschland mit Sicherheit nicht geben darf, ist, dass der Staat den Familien zukünftig vorschreibt, wie sie ihre Kinder zu erziehen und wann und wo sie ihre Kinder in die Krippe zu stecken haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es handelt sich hierbei zum Teil um eine hysterisch-kämpferische Diskussion.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Hyste- risch ist hier niemand!)

Ich finde, sie sollte wieder auf normales Maß zurückgeführt werden. „Fernhalteprämie“, „Herdprämie“ oder die sonstigen Diffamierungsvokabeln, die Sie hier benutzen, werden der Sache nicht gerecht.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Staudte?

Gerne.

Vielen Dank. - Herr Dr. Althusmann, Sie haben gerade gesagt, der Staat solle den Eltern nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu betreuen hätten. Stimmen Sie mir nicht zu, dass die Realität eine andere ist? Wir haben zu wenig Betreuungsplätze, die Eltern und Familien gehen leer aus, und damit schreibt der Staat den Eltern im Prinzip sehr wohl vor, dass sie ihre Kinder den ganzen Tag selbst betreuen müssen, ob sie wollen oder nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Abgeordnete Staudte, Ihnen mag in der Diskussion über das Betreuungsgeld entgangen sein, dass der Bund, der in erster Linie darüber debattiert hat, letztendlich die Frage gestellt hat, ob Eltern einen Platz nutzen wollen oder überhaupt nutzen können. Artikel 6 des Grundgesetzes, Frau Abgeordnete Staudte, gewährt der Familie Gestaltungsfreiheit. Das umfasst das Recht der Eltern, ihr familiäres Leben und ihre familiären Beziehungen nach ihren eigenen Vorstellungen auszurichten. Ob das Kind von Eltern betreut wird oder Eltern Dritte mit der Kinderbetreuung betrauen, entscheiden die Eltern und nur die Eltern. Eine Kindergarten- oder gar Krippenpflicht ist mit Artikel 6 des deutschen Grundgesetzes auf keinen Fall zu vereinbaren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu Frau Heiligenstadt. Die Absicht, das Betreuungsgeld einzuführen, wurde bereits 2008 von der Großen Koalition in § 16 SGB VIII festgeschrieben. Die Länder - auch die SPD-geführten Länder - haben der Regelung, Eltern, die ihre kleinen Kinder zu Hause betreuen, eine monatliche Zahlung zu leisten, im Zuge der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes im Bundesrat zugestimmt.

In der Aufgeregtheit der Debatte wird sehr oft vergessen, dass es im Kern um die bestmögliche Bildung, die bestmögliche Erziehung und die bestmögliche Betreuung für unsere Kinder geht.