Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Jetzt wird es spannend!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es nach der Mittagspause gleich vorwegzunehmen: Eine Zustimmung der SPD-Fraktion zu Steuererleichterungen auf Pump, wie im Antrag gefordert, wird es nicht geben - heute nicht und auch zukünftig nicht!

(Beifall bei der SPD)

Nach unserer Auffassung müssen die Konsolidierung der Haushalte und die Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates Vorrang vor schuldenfinanzierten Steuersenkungen erhalten. Nur wenn diese vorhanden ist, können eine Bereitstellung öffentlicher Leistungen und Investitionen in gesellschaftlich wichtige Bereiche wie Bildung und Infrastruktur erfolgen. Eine unzureichende Finanzausstattung trifft nämlich vor allem sozial Schwache, die auf einen handlungsfähigen Staat besonders angewiesen sind.

(Beifall bei der SPD)

Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, wollen aber mit Ihrem Antrag der Bevölkerung vorgaukeln, dass angesichts der derzeitigen guten

Situation bei den Steuereinnahmen große Spielräume für Steuergeschenke bestehen. Steuersenkungen von insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr werden versprochen. Der von Ihnen genannte angebliche Anpassungsbedarf beim Grundfreibetrag ist dabei lediglich ein Vorwand für die Durchsetzung der ohnehin politisch gewollten Steuersenkung, zumal Sie den Grundfreibetrag ohne echte Berechnungsgrundlage und bereits im Vorgriff auf einen noch zu erstellenden Bericht zum Existenzminimum anheben wollen.

Auch Ihre Behauptung, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heimlichen Steuererhöhungen aufgrund der sogenannten kalten Progression entgegenzuwirken, erweist sich bei genauerer Betrachtung als haltlos. Die Wahrheit ist: Sämtliche Experten, selbst die Bundesregierung, haben eingeräumt - - -

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das sind aber keine Experten!)

Sämtliche Experten, selbst die Bundesregierung, Herr Dr. Sohn, haben eingeräumt, dass die kalte Progression durch die in den vergangenen Jahren durchgeführten Tarifsenkungen bereits vollständig korrigiert worden ist.

Meine Damen und Herren, im Ergebnis würde eine Zustimmung zu den Steuersenkungsplänen im Bundesrat zu Einnahmeverlusten des Landes und unserer Kommunen in Höhe von rund 1 Milliarden Euro zwischen 2013 und 2017 führen. Dies ist auch angesichts der grundgesetzlichen Vorgabe der Schuldenbremse sowie eines strukturellen Haushaltsdefizits von durchschnittlich über 1 Milliarde Euro pro Jahr schlicht unverantwortlich.

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb, meine Damen und Herren, lehnen zu Recht auch die kommunalen Spitzenverbände ebenso wie wir weitere Eingriffe in die Haushalte der Städte und Gemeinden ab. Den Beweis dafür, wie man mit dem beabsichtigten Verzicht auf Steuereinnahmen gleichzeitig das Ziel der Haushaltskonsolidierung und -sicherung erreichen kann, haben Sie jedenfalls in den Ausschussberatungen trotz Ihrer zugegebenermaßen langatmigen Erklärungsversuche nicht erbringen können. Sie können den Beweis auch nicht erbringen, weil beides eben nicht geht und auch diese Landesregierung und auch dieser Finanzminister die Regeln der Mathematik nicht außer Kraft setzen können.

(Zurufe von der CDU)

Eines ist mit diesem Antrag allerdings klar geworden: In der Finanzpolitik, aber nicht nur in der Finanzpolitik, liegen Anspruch und Wirklichkeit bei dieser Landesregierung Lichtjahre voneinander entfernt.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Chris- tian Grascha [FDP])

- Immer schön abwarten! - Aber, meine Damen und Herren, dessen ungeachtet möchte ich meinen Redebeitrag an dieser Stelle nicht unversöhnlich zum Abschluss bringen. Legen Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, doch einen solide ausfinanzierten Vorschlag zur Gegenfinanzierung Ihrer Steuerpläne, der insbesondere die Steuermindereinnahmen ausgleicht, die sich aus der Erhöhung des Grundfreibetrages ergeben, vor! Greifen Sie endlich den Vorschlag der SPDgeführten Bundesländer - neuerdings ist dies auch der Vorschlag von Herrn Wolfgang Kubicki - nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes zur Gegenfinanzierung auf! Wenn Sie dies tun, werden wir uns sicher sehr zeitnah verständigen. Wenn nein, bleibt es bei meiner Eingangsbemerkung: Steuersenkungen auf Pump - mit der SPD niemals!

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Klein für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Beratungen über die Schuldenbremse lässt bereits Zweifel daran aufkommen, ob CDU und FDP es damit wirklich ernst meinen. Alle von uns vorgeschlagenen Konkretisierungen wie die Vereinbarung einer langfristigen Finanzrahmenplanung zum Abbau des strukturellen Defizits, die gleichberechtigte Berücksichtigung von Einnahmen und Ausgaben bei der Erreichung des Haushaltsausgleichs oder die inhaltlichen Festlegungen eines Ausführungsgesetzes wurden von der rechten Seite dieses Hauses abgelehnt oder ignoriert. Jetzt schreckt Schwarz-Gelb auch nicht mehr davor zurück, den Menschen weismachen zu wollen, man beherrsche die Quadratur des Kreises.

An dieser Stelle muss auch ich für mich schlicht und einfach die Gesetze der Mathematik in Anspruch nehmen: Steuersenkungen auf der einen

Seite und eine Schuldenbremse auf der anderen Seite ergeben nun mal keine Gleichung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deshalb lehnen wir diese Steuersenkungen ab und erwarten, dass auch die Landesregierung im Bundesrat so handelt.

Kommen wir zu den Tricks der Bundesregierung! Um ihr Steuersenkungsgesetz, das umso größer ausfällt, je höher das Einkommen ist, zu rechtfertigen, hat sie es mit der Erhöhung des Grundfreibetrages zur steuerlichen Freistellung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums kombiniert. Völlig unüblich wurde deshalb eine Abschätzung des Existenzminimums bereits im Voraus vorgenommen. Eigentlich wäre die Anpassung erst später erforderlich gewesen. Darüber könnte man ja reden, aber durch die gleichzeitige prozentuale Rechtsverschiebung des gesamten Steuertarifs kommt es zur bekannten schwarz-gelben Umverteilungspolitik von unten nach oben. Während die 20 % mit den niedrigsten Einkommen mangels Steuerzahlungen ganz leer ausgehen, greifen die 20 % mit den höchsten Einkommen allein die Hälfte der Entlastungen von insgesamt 6 Milliarden Euro ab.

Die geplante Erhöhung des Grundfreibetrages um 350 Euro bringt dem steuerpflichtigen Geringverdiener rund 50 Euro mehr im Jahr, sie verschiebt aber die Eintrittsgrenze für den Spitzensteuersatz um mehr als 2 300 Euro, was dem Spitzenverdiener ein Plus von 350 Euro jährlich beschert. Das ist die christlich-liberale Version von Gerechtigkeit. Von der halten wir gar nichts.

Trick Nr. 2 ist die Behauptung, dass entsprechende Gehaltserhöhungen durch den Steuertarif aufgefressen werden, sodass am Ende weniger im Portemonnaie ist. Das ist in der Tat ein Effekt, der theoretisch möglich ist, in den letzten Jahrzehnten aber nicht ein einziges Mal eingetreten ist, Herr Grascha. Das ist Unsinn.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zu- ruf von Christian Grascha [FDP])

Bei Trick Nr. 3 wird der Eindruck erweckt, als ergebe sich all das zwangsläufig aus der Erhöhung des Grundfreibetrages. Das ist falsch; hier wird bewusst getäuscht. Es gibt keinerlei technische Notwendigkeit oder verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, auch oberhalb des Existenzminimums Steuerentlastungen vorzunehmen, wenn das Existenzminimum steigt. Bei einer Erhöhung des Grundfreibetrages und einem un

veränderten Steuertarif hätten alle Steuerpflichtigen gleichmäßig 50 Euro mehr im Portemonnaie. Sie können die steuerliche Freistellung des Existenzminimums aber auch ohne rechtliche und technische Probleme mit Steuererhöhungen an anderer Stelle kombinieren. Genau das ist die Alternative der Grünen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir, meine Damen und Herren, wollen den Grundfreibetrag sogar um 500 Euro erhöhen, was jedem Steuerzahler 70 Euro pro Jahr an Entlastung bringt und in der Summe 2,5 Milliarden Euro kostet. Gleichzeitig wird der Spitzensteuersatz für alle Einkommen ab 80 000 Euro auf 49 % erhöht. Das erbringt 5,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern. Per Saldo, Herr Grascha, sind das 3 Milliarden Euro an höheren Steuereinnahmen bei - zumindest aus unserer Sicht - größerer sozialer Gerechtigkeit und höherer Steuergerechtigkeit. Das Paket der Bundesregierung reduziert die Steuereinnahmen um über 6 Milliarden Euro und hilft nur den Reichen. Da darf man sich über Protestwähler nicht mehr wundern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Dr. Sohn zu Wort gemeldet. Herr Dr. Sohn, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dammann-Tamke, es ist ein bisschen schade, dass Sie nicht auf die Argumentation in der ersten Plenumsdiskussion eingegangen sind. Dort war ja auf die Frage, was das für die Steuerzahler eigentlich bedeutet - das hat Herr Klein eben auch noch einmal unterstrichen -, reichlich eingegangen worden. Dazu haben Sie leider nichts gesagt.

Ich will das nicht wiederholen, sondern jetzt zu der Einnahmeseite des Staates kommen, zu der Sie leider auch nichts gesagt haben. Wir hatten das ja im Ausschuss diskutiert, und das dürften auch keine Geheimzahlen sein. Auf unsere Nachfrage wurde das vom Finanzministerium noch einmal bestätigt. Für Niedersachsen bedeutet das 39 Millionen Euro minus - nur für das Land.

(Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Das habe ich explizit angeführt!)

Dann erhöht es sich 2014 auf 106 Millionen Euro, 2015 auf 129 Millionen Euro, und auf diesem Niveau wird sich das dann verstetigen.

(Christian Grascha [FDP]: Alles schon eingeplant!)

Für die Kommunen kommt das noch einmal oben drauf. Auch diese Zahlen könnte ich jetzt wiederholen. Der Finanzminister kann seine Löwenmähne schütteln, bis sich der Kopf abdreht, man kommt natürlich trotzdem auf die Zahlen, die Herr Brinkmann genannt hat, nämlich bis 2017 auf ungefähr - beides zusammengenommen - 1 Milliarde Euro. Und dann müssen Sie tatsächlich erklären, wie Sie diese 1 Milliarde, aufaddiert auf diesen Zeitraum, eigentlich gegenfinanzieren wollen, wenn Sie gleichzeitig die Nettokredite nach und nach auf null fahren wollen.

Es ist, Herr Dammann-Tamke, unredlich, so zu tun, als würden Sie das sozusagen aus den Rippen schwitzen und als würde das nicht Sozialabbau bedeuten.

Natürlich ist die kalte Progression, ohne dass auf der anderen Seite die Steuerbelastungen für Reiche steigen - insofern ist es schon eine Gleichung -, im Ergebnis dieser Gleichung der Sozialabbau. Und da beißt keine Maus einen Faden ab.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU])

Dagegen stehen - und das will ich hier auch noch einmal, weil hier der zweite verd.ianer nach Herrn Brinkmann steht, ausführen -

(Jens Nacke [CDU]: Sie verstehen einfach die Zusammenhänge nicht! die Positionen von ver.di, die mit denen der Partei DIE LINKE weitgehend deckungsgleich sind, die klar sagen, dass es hinsichtlich dieser kalten Pro- gression - was daran Ideologie ist, habe ich das letzte Mal ausführlich gesagt - sinnvolle Gegenvor- schläge gibt. Die sinnvollen Gegenvorschläge lie- gen sowohl von gewerkschaftlicher Seite als auch von der Partei DIE LINKE auf dem Tisch. Die Ent- lastung, die wir dort vorschlagen, beträgt dann 912 Euro plus Soli, also etwa 960 Euro im Jahr, bei einem zu versteuerndem Einkommen von knapp 40 000 Euro im Jahr. Der Grenzsteuersatz liegt bei etwa 38 500 Euro. Es gibt natürlich zu dem, was Sie vorschlagen, Entlastungsmodelle. Die vermeiden das, was Sie machen, nämlich keine Entlastung für die unteren Einkommen und hohe Entlastung für die hohen Einkommen. Vielmehr es gibt vernünftige soziale Steuermodelle, die das machen, was Not tut, näm- lich Entlastung für die unteren Einkommen und stärkere Belastung für die oberen Einkommen. Das ist das, was wir durchsetzen werden. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Mir liegt eine Meldung für eine Kurzintervention vor, und zwar von Herrn Dammann-Tamke auf den Beitrag von Herrn Dr. Sohn.

Herr Dr. Sohn, wenn Sie rechtzeitig in der Debatte gewesen wären, hätten Sie gehört, dass ich explizit die Zahlen genannt habe, die zeigen, was das für das Land Niedersachsen bedeutet. Ich habe die 39 Millionen Euro, die 106 Millionen Euro und, aufwachsend auf ein Maximum, die 130 Millionen Euro genannt.

Ich habe an Sie ganz konkret die Frage, wie Sie bis 2017 dann auf ein Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro an Steuermindereinnahmen für das Land Niedersachsen kommen. Diese Milchmädchenrechnung kann ich nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Dr. Sohn möchte antworten. Auch Sie haben anderthalb Minuten.