Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

Viertens schreiben Sie, längere Ladenöffnungszeiten würden nur den Großkonzernen nutzen. Das nehme ich einmal als Kampffloskel heraus. Der Supermarkt in meinem Wohngebiet, wo ich lebe, ist inhabergeführt. Auch dieser hat bis 21 Uhr geöffnet, weil viele Pendler in Schierbrok mit dem Zug ankommen und dann gegen 20 Uhr zu Fuß zum Supermarkt gehen, um noch einzukaufen, meine Damen und Herren. Das ist doch die Lebenswirklichkeit der Menschen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Fünftens schreiben Sie: „Durch erweiterte Öffnungszeiten lässt sich nicht die Kaufkraft vermehren.“ Das stimmt! Aber sie schafft für manche Menschen, die sonst bei anderen Öffnungszeiten keine Zeit hätten einzukaufen, überhaupt erst die Möglichkeit, ihr Geld in den Supermärkten und im Einzelhandel auszugeben, meine Damen und Herren. Auch das gehört zur Wirklichkeit.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sonst würden die verhungern? Also wirklich! - Hans-Henning Adler [LINKE]: Was haben die Menschen früher ge- macht?)

- Ja, früher, Herr Adler! Erstens haben Menschen früher nicht solch flexible Arbeitszeiten und solch flexible, andere Arbeitsverhältnisse gehabt wie heute. Sie müssen einfach anerkennen, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Deswegen brauchen wir diese flexiblen Modelle. Ich habe es gesagt: Die Lebenswirklichkeit der Menschen hat sich verändert.

Zweitens habe ich von der sozialen Teilhabe geredet. Ich habe davon gesprochen, dass auch Menschen, die lange arbeiten - in Früh- oder Spätschicht -, die Chance haben sollen, einkaufen zu

gehen, sodass das nicht jemand anders in der Familie erledigen muss.

Drittens ist hier ein Punkt noch gar nicht beleuchtet worden: Das ist der Onlinemarkt in unserer Gesellschaft. Wenn diese Menschen keine Chance mehr haben, im Einzelhandel vor Ort einzukaufen, dann wird der Onlinemarkt im Internet, der jetzt schon eine ganz große Bedeutung hat, weiter wachsen. Dort werden sicherlich Arbeitsplätze geschaffen. Aber es werden auch Arbeitsplätze zerstört, wenn wir nicht die Möglichkeit geben, dass diese Menschen auch vor Ort einkaufen; denn dann kaufen sie nur noch im Internet ein. Auch das muss man bei der ganzen Debatte beachten.

(Glocke des Präsidenten)

- Mein letzter Satz. - Meine Damen und Herren, keine Lockerungen beim Sonntag, Schutz der Familien, Teilhabe der Menschen, Sicherung von Arbeitsplätzen - all das ist mit dem bestehenden niedersächsischen Ladenöffnungsgesetz garantiert. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mir liegen drei Meldungen zu Kurzinterventionen auf den Beitrag von Herrn Focke vor, nämlich von Herrn Kollegen Adler, von Frau Helmhold und von Herrn Schwarz.

Zunächst erteile ich Herrn Adler für eineinhalb Minuten das Wort.

(Unruhe)

- Ich bitte, die Gespräche etwas zu dämpfen oder hinauszugehen. - Bitte schön, Herr Adler!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, was Sie eben über die Nachtarbeit gesagt haben, war nun wirklich unterirdisch! Selbstverständlich sind wir dafür, dass man die Nachtarbeit so weit wie möglich zurückdrängt, soweit es geht. In bestimmten Bereichen lässt sie sich aber natürlich nicht vermeiden, z. B. in Krankenhäusern. Das versteht sich doch von selbst. An der Stelle verstehe ich Ihre Polemik überhaupt nicht.

Wissen Sie, es geht um etwas ganz anderes. Es geht darum, wie die Arbeitszeit im Verhältnis zum

Lebensrhythmus organisiert ist. Wir sind der Meinung, dass es nicht nach den Interessen der Wirtschaft gehen sollte, sondern nach den Interessen der Menschen, ihrer Gesundheit und ihrem natürlichen Lebensrhythmus. Das ist das Merkmal!

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Jeden Tag drei Stunden - das muss doch reichen!)

Noch etwas zu den Ausflugsorten: Nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung werden die Ausflugsorte von der Landesregierung definiert. Wir haben in den Gesetzentwurf hineingeschrieben, dass wenigstens der Landtag dazu einen Beschluss fassen muss; denn es ist doch völlige Willkür, welcher Ort Ausflugsort ist und welcher nicht. Das kann doch nicht allein von der Regierung bestimmt werden! So steht es aber gegenwärtig im Gesetz. Das müssen wir, meine ich, schon machen.

Wenn wir unseren eigenen Gesetzentwurf etwas nachgebessert haben, so handelt es sich um Rücksichtnahme auf gewachsene Strukturen und nicht um Inkonsequenz.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Adler. - Frau Helmhold, Sie haben für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Herr Kollege Focke, man musste fast den Eindruck haben, dass wir zu früheren Zeiten, als die Geschäfte vielleicht um 19 oder 20 Uhr geschlossen haben, im Grunde am Hungertuch genagt haben, weil wir es nicht mehr geschafft haben, unsere Lebensmittel einzukaufen, und dass wir erst jetzt dazu in der Lage sind. So ist es doch nicht!

Was Sie hier eben behauptet haben - das ist mir wirklich wichtig -, stimmt doch nicht. Sie behaupten, Ihr Gesetz zu den Ladenöffnungszeiten schütze den Sonntag. Haben Sie nicht die Stellungnahmen der Kirchen in Niedersachsen gelesen, die Ihr Gesetz bekämpfen und sagen: „Das geht so nicht, das ist ein Angriff auf die Verfassung.“?

Sie behaupten, Ihr Gesetz schütze die Familie. Wir haben eindeutige Stellungnahmen der Familienverbände, die sagen: Das Ladenöffnungszeitenrecht ist ein Eingriff in die gemeinsame Zeit von Familien; das wollen wir so nicht haben!

Der Vergleich mit den Krankenhäusern und dem dortigen Nachtdienst ist wirklich hanebüchen, Herr Focke. Es gibt den Rettungsdienst, die Polizei, Krankenhäuser, die Feuerwehr - da muss das sein. Aber da, wo es nicht sein muss, muss man Menschen doch nicht unnötig Arbeitszeiten aussetzen, die ihre Gesundheit gefährden! Sie kennen all die Befunde: Die Zahl psychischer Erkrankungen nimmt zu, Burn-out nimmt zu, die Familien haben keine Zeit mehr füreinander. Und all das ist vollkommen unnötig - nur damit man noch rumlaufen kann und nachts um 10 oder um 12 Uhr einkaufen kann!

(Glocke des Präsidenten)

Das Schärfste ist, dass uns Herr Riese dann noch erzählt, das alles sei gar nicht so; denn wenn man um 10 Uhr - - -

(Der Präsident schaltet der Rednerin das Mikrofon ab)

Vielen Dank, Frau Helmhold, die Redezeit ist abgelaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nun hat der Kollege Schwarz von der SPD-Fraktion ebenfalls für eine Kurzintervention für 90 Sekunden das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Herr Focke, einmal unterstellt, sie kennen die Beschlüsse der CDA, also der Arbeitnehmervereinigung innerhalb Ihrer CDU: Wären Sie dann bereit, mit uns gemeinsam diesen Gesetzentwurf in den Ausschuss zurückzuüberweisen, die kommunalen Spitzenverbände anzuhören und dann genau das zu beschließen, was auch Beschlusslage Ihrer CDA ist, nämlich einen Beschluss möglichst für ein Sonntagsbeschäftigungsverbot und gegen eine Rund-um-dieUhr-Beschäftigung zu fassen? Wenn wir das machen würden, finde ich, wären Sie glaubwürdig, und wir hätten hier noch unmittelbar vor Ablauf dieser Legislaturperiode eine gemeinsame Entscheidung.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Focke wünscht, auf die Kurzinterventionen zu antworten. Bitte sehr, eineinhalb Minuten!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Herr Adler, Sie haben von den Interessen der Menschen gesprochen. Ich sage Ihnen das ganz deutlich: Aus meiner direkten Nachbarschaft und Umgebung weiß ich, dass die Menschen heute nicht mehr immer von 8 bis 16.30 Uhr bei der Arbeit sind. Natürlich gibt es das noch im großen Maße. Aber es gibt heute auch ganz andere Beschäftigungsmodelle. Heute gibt es Teilzeitbeschäftigung, flexible Beschäftigung, Home-Arbeit, Arbeit mit mehrtägiger Abwesenheit. All dem muss man Rechnung tragen.

Jemand von Ihnen hat gesagt, ich hätte polemisiert. Frau Helmhold hat das Beispiel Krankenhaus angesprochen. Wissen Sie, auch eine Krankenschwester kommt einmal von der Nachtschicht und will vielleicht, kurz bevor sie ins Bett geht, einkaufen, weil sie nichts zu Hause hat, um ihren Kindern das Brot für die Schule zu machen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ach, jetzt hören Sie doch auf!)

Ich kann ein anderes Beispiel nennen: die Facharbeiterin im Kunststoffgewerbe, die nachts produziert. Auch sie kommt morgens von der Nachtschicht und kann nicht schnell einkaufen, bevor sie ins Bett geht, weil Sie es verbieten wollen, weil Sie festlegen wollen, wann die Geschäfte aufmachen und wann eben nicht.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wir ma- chen, dass die Menschen hungern!)

Herr Schwarz, die Diskussion im Ausschuss war sehr kurz. Sie haben bei allem abgewunken. Sie haben gesagt: Das ist parlamentarisch immer gang und gäbe gewesen. Sie haben Herrn HumkeFocks entsprechend beschimpft.

(Zurufe: Nur Humke! Nicht Humke- Focks!)

Ich kann nur sagen: Wir haben ein gut funktionierendes Ladenöffnungsgesetz, und bei dem wird es auch bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Uwe Schwarz [SPD]: Fragen Sie doch Herrn Böhlke oder Herrn Matthiesen! Sie kennen die Beschlüsse!)

Zu Wort gemeldet hat sich jetzt Frau Ministerin Özkan. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Ministerin. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz über die Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten hat der Landtag im Jahr 2007, wie ich meine, ein modernes und ausgewogenes Gesetz beschlossen. Übrigens, Herr Schwarz: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht über unser niedersächsisches Ladenöffnungszeitengesetz entschieden, sondern über ein anderes. Insoweit muss man schon sehr genau schauen, weil die Gesetze doch sehr unterschiedlich sind. Deswegen kann man nicht automatisch sagen, dass unser Gesetz verfassungswidrig ist.

(Uwe Schwarz [SPD]: Haben Sie das geprüft?)

Im Übrigen ist die Beschwerde oder Klage der Gewerkschaft ver.di eben nicht vom Verfassungsgericht angenommen worden, sodass man nicht sagen kann, hier sei eine Prüfung nicht vorgenommen worden.