Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das hat Ih- nen der Ministerpräsident gestern auch erklärt!)

Nun legen Sie im Bund ein Stipendienprogramm auf, Herr Klare, das an 8 % der leistungsstärksten Studierenden ausgezahlt werden soll. Dabei zeigen alle Auswertungen - der Kollege Perli hat es

eben ausgeführt -, dass diese Begabtenförderungsstipendien zu drei Vierteln an Kinder ausgezahlt werden, die aus Akademikerfamilien kommen. Das nationale Stipendienprogramm bedient damit also die Klientel, die eh schon zu den Siegern im Bildungssystem gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, das von Ihnen mitgetragene Stipendienprogramm dient nicht der Öffnung der Hochschulen, sondern es zementiert auf Kosten der Steuerzahler die Privilegien einer Bildungselite.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie weinen hier Krokodilstränen, wie schrecklich es sei, dass die Chancen im Bildungssystem vom Bildungsstatus der Eltern abhängen. Aber es ist Ihre Politik, die alles konterkariert, was an Bildungsreformen in den letzten Jahren oder Jahrzehnten auf den Weg gebracht wurde, um eben bildungsferne Schichten an die Hochschulen zu holen.

Das nationale Stipendienprogramm belegt einmal mehr: Dank Ihrer Politik verkommen alle Anstrengungen z. B. für das eigentlich sinnvolle Projekt einer offenen Hochschule, für das sich Herr Stratmann als Minister engagiert hat - dafür gilt ihm, wie man hier auch einmal sagen muss, trotz aller hochschulpolitischen Auseinandersetzungen, die wir mit ihm geführt haben, unser ausdrücklicher Dank -,

(Beifall bei den GRÜNEN)

zur virtuellen Option. Denn Ihre Politik der Studienfinanzierung berücksichtigt gerade nicht die, für die das Studium eben keine Selbstverständlichkeit ist.

Das ganze Programm ist ohnehin im Wesentlichen Blendwerk; denn die bereits um zwei Drittel deutlich reduzierten Gelder, die der Staat für dieses Programm einsetzt, fließen nur dann ab, wenn sie entsprechend durch die Wirtschaft gegenfinanziert werden. Diese Gegenfinanzierung - das wissen wir aus der Praxis - fließt im Allgemeinen aber nur sehr spärlich. Von daher ist dieses angeblich so große nationale Stipendienprogramm faktisch nur ein Scheinriese, ein Buchungstrick, mit dem Geld in den Haushalt eingestellt wird, das sicherlich zum Teil nie abgerufen werden wird.

In der Ablehnung des Stipendienprogramms stimmen wir daher mit dem Antrag der Linken ausdrücklich überein. Herr Perli, in Ihrem Antrag heißt

es, das BAföG solle erhalten und ausgebaut werden. In dieser Hinsicht sind wir allerdings etwas anderer Meinung.

Die Verdienste des BAföG um eine größere Durchlässigkeit unseres Bildungssystems sind sicherlich unbestritten. Trotzdem halten wir es nicht mehr für zeitgemäß. Wir möchten es deshalb zu einem Modell weiterentwickeln, das alle bisherigen direkten und indirekten Geldleistungen an Studierende und ihre Eltern zusammengefasst werden. Daraus erhalten dann alle Studierenden einen Sockelbetrag von 200 Euro monatlich. Studierende aus einkommensschwachen Familien erhalten als Vollzuschuss 460 Euro, der dann mit Wohngeld und Krankenversicherungsbeitrag auf knapp 800 Euro im Monat kommt. Ich kann dieses Konzept hier nicht weiter erläutern. Wir werden darüber im Ausschuss sicherlich noch gebührend diskutieren können.

In der ersten Lesung halten wir als Fazit fest:

Erstens. Solange am BAföG festgehalten wird, ist das Geld in diesem Rahmen besser eingesetzt als im nationalen Stipendienprogramm. Ein dauerhaftes Festhalten am BAföG halten wir aber für falsch.

Zweitens. Auch Stipendien können ein Baustein zur Finanzierung des Studiums sein. Aber in der jetzt angedachten Ausführung alimentieren Sie schwerpunktmäßig die, die es nicht nötig haben. Und diesen Irrweg gehen wir nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Zu dem Beitrag von Frau Heinen-Kljajić liegt die Wortmeldung zu einer Kurzintervention von Herrn Perli vor. Sie haben anderthalb Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Heinen-Kljajić, Sie haben natürlich recht, dass das BAföG in der jetzigen Form nicht das superperfekte Instrument ist. In der Debatte, die jetzt geführt wird, geht es doch aber darum, ob wir das Geld, das jetzt zur Verfügung gestellt wird, in ein Stipendienprogramm investieren wollen oder ob wir es im Moment vielleicht nicht erst einmal zur Stärkung des bestehenden BAföG einsetzen sollten. Ich bin mit Ihnen vollkommen einer Meinung, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt eine Grundsatzdebatte darüber führen müssen, ob man nicht ein besseres System entwickeln kann. Der

SDS, der Studierendenverband der Linken, fordert, dass man endlich anerkennt, dass auch ein Studium Arbeit ist, und zwar geistige Arbeit, und dass man die Studierenden dafür sozusagen auch entlohnen sollte. Das ist eine vollkommen legitime Forderung.

Wir sollten das BAföG jetzt nicht madigmachen. Es ist ein Fakt, dass das BAföG von der rechten Seite oftmals madiggemacht wird, obwohl es vielen Millionen Menschen ermöglicht hat, ein Studium aufzunehmen. Wir möchten das Geld, das jetzt in das Stipendienprogramm investiert wird, lieber in das BAföG fließen lassen. Ich hoffe, dass Sie uns dabei unterstützen. Über die Lösung des Grundsatzproblems können wir uns zu einem späteren Zeitpunkt verständigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Dr. Heinen-Kljajić möchte antworten. Sie haben anderthalb Minuten Redezeit. Bitte!

Nur zur Klarstellung: Herr Perli, nichts anderes habe ich gesagt. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass wir uns daran gestoßen haben, dass am BAföG festgehalten wird. Ich habe, wie ich glaube, eben aber auch deutlich gemacht, dass, solange an dem BAföG-System festgehalten wird, weil wir nicht die Mehrheiten haben, um es zu ändern, eine Aufstockung mit den Mitteln, die jetzt in das nationale Stipendienprogramm fließen sollen, absolut sinnvoll ist. Dabei haben Sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Toepffer. Ich erteile ihm das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Perli! Mit dem Gesetz zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms soll in Deutschland eine weitere starke Säule der Studienfinanzierung geschaffen werden. Mit diesem Programm soll die finanzielle Lage der Studierenden insbesondere dadurch verbessert werden, dass auch die Wirtschaft ihren Teil zur Finanzierung des akademischen Nachwuchses beiträgt.

Die Verbesserungen beim BAföG will ich hier nicht in allen Einzelheiten darlegen, sondern lediglich feststellen, dass der Gesetzentwurf zum BAföG zahlreiche Verbesserungen vorsieht, die bereits im laufenden Jahr zugunsten der Studierenden greifen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun aber zu Ihrem Antrag, Herr Perli, mit dem Sie sich gegen das nationale Stipendienprogramm wenden: Dieser Antrag bietet erfreulicherweise wieder einmal Gelegenheit, grundsätzliche Unterschiede zwischen der CDU und der Linken aufzuzeigen, und zwar ausnahmsweise ohne dass wir dabei die Geschichte der früheren DDR bemühen müssen.

Sie wenden sich mit Ihrem Antrag gegen die Bildung von Eliten. Offensichtlich haben Sie ein Problem mit Eliten. Ich weiß zwar nicht ganz genau, wieso, kann aber sagen, dass das in meiner Partei anders ist. Ich will hier nicht unbedingt Karl Marx bemühen, der die allgemeine Gleichheitsvorstellung einmal als Volksurteil bezeichnet hat. Ich würde eher Gesine Schwan bemühen, die festgestellt hat, dass sich in jeder Gesellschaft und unter jedem politischen System funktionale Eliten gebildet haben. Es ist nicht so, dass wir als CDU die Bildung von Eliten nur akzeptieren. Nein, wir wollen Eliten. Wir wollen Studentinnen und Studenten, die akademische Spitzenleistungen erbringen. Wir wollen hoch qualifizierte Fachkräfte und Nachwuchswissenschaftler. Wir wollen diese akademische Elite hier in Deutschland an unseren Hochschulen und nicht in Stanford, Yale oder anderswo in der Welt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer besondere Leistungen erbringt, der verdient eine besondere Förderung. Deswegen darf Studienfinanzierung nicht nur aus der Gießkanne verteilt werden. Unser entspanntes Verhältnis zu den akademischen Eliten erfährt nur eine einzige wichtige Einschränkung: Jeder muss in diesem Lande die Chance haben, durch seine Leistung Teil dieser Elite zu werden, und zwar unabhängig von seiner Herkunft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In diesem Punkt sind wir wieder beieinander. Natürlich wissen wir, dass die Chancengleichheit in dieser Hinsicht noch lange nicht hergestellt ist. Die einschlägigen Untersuchungen - ich denke, Herr Perli und ich haben dasselbe gelesen - sind auch mir bekannt. Wir wissen auch, dass die meisten

Stipendien in unserem Land an diejenigen vergeben werden, deren Eltern selbst Akademiker sind. Das ist vollkommen richtig. Wir wissen weiter, dass Kinder aus nicht akademischen Familien weitaus mehr Chancen erhalten müssten, um die Elite zu erreichen.

Bevor wir uns nun aber pauschal gegen ein nationales Stipendienprogramm wenden, müssen wir doch erst einmal feststellen, warum die bisherigen Stipendienprogramme so ungleich greifen. Tatsache ist, dass sich 78 % der Studierenden, die Finanzierungsprobleme haben, noch nie um ein Stipendium beworben haben. Es ist auch Tatsache, dass Studenten aus bildungsfernen und einkommensschwachen Familien schlechter über Stipendienmöglichkeiten informiert sind als Kinder aus Akademikerfamilien. Festzustellen ist übrigens auch, dass diejenigen, die Stipendien anbieten, dies manchmal in einer Art und Weise tun, die Studierende eher abschreckt als ermutigt. Das gilt gerade auch für sogenannte parteinahe Stiftungen. Da hilft es nicht, wenn im Auswahlprozess durchaus andere Faktoren als schulische oder studentische Leistungen gewichtet werden. Viele Studierende wissen doch gar nicht, dass fehlende überdurchschnittliche Leistungen über ehrenamtliches Engagement oder andere Auswahlfaktoren ausgeglichen werden können.

Was Studium und Schule angeht, so sei noch Folgendes erwähnt: Überdurchschnittliche Leistungen sollen oftmals nicht reichen. Manch einer verlangt gleich herausragende Schul- und Studienleistungen, so etwa die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wem die nahesteht, das muss man ja nicht betonen. Offensichtlich hat man zumindest dort kein Problem mit der akademischen Elite.

Meine Damen und Herren, wenn man das Problem lösen will, muss man anders vorgehen, als das nationale Stipendienprogramm zu verteufeln. Wir müssen über die Vergabekriterien sprechen. Die derzeitige Planung sieht vor, nicht allein Noten abzulesen. Auch die überwundenen Hindernisse, der Weg, den die Studierenden zurückgelegt haben, sollen ebenso gewichtet werden wie soziale Belange und ein möglicher Migrationshintergrund. Wir müssen darüber reden, wie die unterschiedlichen Vergabekriterien bei der Auswahl der Stipendiaten berücksichtigt werden sollen.

Wir müssen darüber reden, wie das nationale Stipendienprogramm dazu beitragen kann, dass sich unsere akademische Elite aus allen Bevölkerungsschichten rekrutiert. Wir müssen mit dem Stipen

dienprogramm verhindern, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten von vornherein aus der akademischen Elite ausgeschlossen werden. Das ist unsere Aufgabe!

Vielleicht können die Ausschussberatungen dazu beitragen, das Programm in dieser Hinsicht zu verbessern. Hoffnung macht mir da eine Pressemitteilung der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag. Diese Pressemitteilung schließt mit folgenden Worten - ich zitiere -:

„… die Rahmenbedingungen für Studierende müssen sich verbessern. Dazu ist ein nationales Stipendienprogramm unabdingbar.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention erhält Frau Dr. Andretta anderthalb Minuten Redezeit. Bitte sehr!

Herr Präsident! Herr Kollege Toepffer, erstens, wir haben hier in Deutschland doch kein Elitenproblem. Wir haben das Problem, dass wir eine Elite haben, die sich selbst reproduziert, sich abschottet und nicht zulässt, dass über Leistung andere dazukommen können. Das ist doch das, worüber wir hier reden!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne auf die PISA-Studie verweisen. Sie hat eines deutlich gemacht: Wir können gerne über Eliten reden. Aber hier gilt immer noch der Satz: Klasse braucht Masse. - Davon kann bei uns bei der Abschottung der Hochschulen keine Rede sein.