Protokoll der Sitzung vom 18.08.2010

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Die Arbeitsebene der staatlichen Umweltverwaltung macht einen guten Job. Die in internationalen und europäischen Vereinbarungen und Regelwerken festgelegten Reduktionsziele für Schadstoffeinleitungen und die daraus abgeleiteten Grenz- und Richtwerte sind ausführlich dargestellt.

Ich kann mir vorstellen, dass auch interessierte Bürgerinnen oder Schüler und Studenten diese

Anfrage nutzen können, wenn sie sich mit dem Thema Nordseeschutz befassen - ein schöner Nebeneffekt unserer parlamentarischen Arbeit.

Meine Damen und Herren, nach dem Lob für die fachliche Seite der Antwort der Landesregierung auf unsere Anfrage muss ich die politische Seite leider kritisieren. Die politischen Entscheidungen der Landesregierung, die Maßnahmen, die die Landesregierung ergreift, um die Probleme der Schadstoffbelastung der Nordsee anzugehen, um eine bessere Wasserqualität zu erreichen, sind in einigen Teilen unzureichend und in anderen Teilen schlicht und einfach falsch.

Zum Nährstoffproblem in der Nordsee: Die Reduktionsmöglichkeiten bei den punktförmigen Eintragsquellen - in erster Linie den Kläranlagen - sind nahezu ausgeschöpft. Das Hauptproblem ist der Eintrag durch die Landwirtschaft. 58 % der Stickstoffeinträge an der Ems gelangen über das Grundwasser in die Flüsse und damit in die Nordsee - ein zunehmendes Problem; denn schließlich beobachten wir, dass unser Trinkwasser immer stärker mit Nitrat belastet ist und die Schwierigkeit, sauberes Grundwasser für die Trinkwassergewinnung zu fördern, gerade im Nordwesten des Landes immer größer wird.

Die Landesregierung stellt dazu lapidar fest, dass Maßnahmen zur Grundwasserreinhaltung nur sehr langfristig wirken. Richtig, das ist bekannt. Aber auf die Frage, wie dieses Problem angegangen werden soll, bleiben Sie eine Antwort schuldig.

Ihr politisches Credo, meine Damen und Herren, ist die Freiwilligkeit der Teilnahme der Landwirte an gewässerschonenden Bewirtschaftungsmaßnahmen. Sie ersetzen aber nur politisch vorausschauendes Handeln durch Klientelpolitik. Ich erinnere daran, dass die Einleitungen durch Kläranlagen nur deshalb so drastisch zurückgegangen sind, weil die technischen Anforderungen an die Abwasserreinigung in den vergangenen 30 Jahren über gesetzliche Regelungen durchgesetzt worden sind. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist in der Landwirtschaft nicht geeignet, die Nährstoffbelastung unserer Gewässer in den Griff zu bekommen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Denn seit Beginn der 90er-Jahre - seitdem ist der Ausbau der Kläranlagen abgeschlossen - nimmt die Nährstoffbelastung der Gewässer nicht mehr ab, weil die intensive landwirtschaftliche Nutzung der Flächen und damit die Stickstoffeinträge weiter

zunehmen. Genau das zeigt die Erfahrung der letzten 30 Jahre.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch ökonomisch, meine Damen und Herren, ist Ihr Weg eine Sackgasse. Der Verzicht auf politische Steuerung führt in der Zukunft auch volkswirtschaftlich und haushaltspolitisch zu höheren Kosten. Sie stellen sogar fest, dass eine vollständige Berücksichtigung der Düngemittelverordnung allein nicht ausreicht, um in vielen Gebieten die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen. Bei der Beratung des Wassergesetzes haben Sie noch genau das Gegenteil festgestellt. Jetzt stellen wir fest: Das war nicht richtig. - Auf die Idee, gesetzliche Anforderungen entsprechend zu ändern, kommen Sie nicht. Freiwillige Maßnahmen reichen eindeutig nicht aus - schon gar nicht solche untauglichen Maßnahmen zur Reduzierung der Nährstoffeinträge, wie die Landesregierung sie anbietet. So fördert Niedersachsen Maßnahmen der grundwasserschonenden Landwirtschaft aus dem Agrarumweltprogramm mit 44 Millionen Euro. Dahinter verbirgt sich z. B. die Förderung des Anbaus von Zwischenfrüchten oder Untersaaten mit 110 Euro pro ha oder der Anbau von Winterrübsen vor Wintergetreide.

Meine Damen und Herren, eine wirksame Förderung wie die Umstellungsprämie für den ökologischen Landbau, die die Eintragseinbußen in den ersten beiden Jahren der Umstellung abfedert, hat die Landesregierung erheblich heruntergefahren. Auch das eine kontraproduktive Entscheidung!

Kommen wir zum Frage- und Antwortkomplex Salzeinleitungen in die Nordsee: Die erschreckendste Zahl in den Darstellungen der Landesregierung bezieht sich auf den Umfang der in Niedersachsen genehmigten Salzeinleitungen, die direkt in die Nordsee fließen: 128 Millionen m3 Salzlauge jährlich. Das ist fast zehnmal so viel wie das, was über Werra und Weser eingetragen wird. Im letzten Jahr betrug die genehmigte Einleitungsmenge noch 87 Millionen m3 Lauge. Diese Einleitungsgenehmigungen gelten über einen langen Zeitraum - über 30 Jahre, teilweise sogar unbefristet.

Nach Auffassung der Landesregierung hat die Einleitung von mehreren Milliarden Kubikmetern Salzlauge in die Nordsee keine negativen, schädlichen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme. Das ist aus unserer Sicht zu hinterfragen. Der Kavernenbau an der Küste - allein 234 Kavernen am Standort Jemgum bei Wilhelmshaven - hat nicht

nur eine energiepolitische und eine raumordnerische Dimension, sondern auch eine ökologische, die gründlich geprüft sein will. Aber bislang passiert all das ohne Umweltverträglichkeitsprüfung.

Auch die umfangreiche Rechtfertigung der Ablehnung einer Pipeline für die Abwässer des thüringisch-hessischem Kalibergwerks überzeugt in Ihrer Antwort nicht. Die Kritik an der Arbeit des runden Tisches - das Nachtreten - ist zudem schlechter Stil. Sie leiten über die Kavernengenehmigung ein Vielfaches an Salzlaugen in die Nordsee ein. Durch Ihre selbst verursachten Genehmigungen sind Sie sogar dabei, die Mengen noch zu steigern. Gleichzeitig verweigern sie sich einer langfristigen Lösung für die Laugen, die die Nordsee über Werra und Weser erreichen. Sie, Herr Sander, sind der heimliche Verbündete der Firma K+S, die jetzt die Planfeststellung für die Ursprungsvariante eingeleitet hat - so, als hätte es in den letzten zwei Jahren keine Debatte gegeben.

Mit Ihrer Unterstützung wird die schlechteste aller Varianten gewählt. Die Süßwasserflüsse Werra und Weser werden weiterhin als Pipeline missbraucht. Die Nordsee erreicht mit den Kavernen ein Vielfaches der Menge der Salzfracht, die bislang in die Nordsee gelangte. Wir hingegen suchen nach einer Lösung für ein Umweltproblem, das uns noch Jahrzehnte - und in Form der Haldenwässer sogar für viele Jahrhunderte - belasten wird. Wir suchen nicht nach einer Lösung für die Firma K+S. Das sind, wie sich jeder vorstellen kann, nicht unsere Freunde und Verbündeten, Herr Sander. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der SPD bitten wir, ihr Votum in dieser Hinsicht noch einmal zu überprüfen.

Ich stelle fest: Die Landesregierung verweist in ihrer Antwort erneut auf ein neues Verfahren zur Reduktion der Laugenabfälle im Bergwerk Rossleben. Wir halten das, was hier vorgeschlagen wird, für zwiespältig, weil es dabei zum Teil schlicht und einfach um Abfallbeseitigung geht. Wir werden uns das Konzept aber mit einer Delegation des Umweltausschusses einmal ganz genau anschauen.

Beim Thema Werra/Weser und Laugeneinleitung stehen wir insgesamt vor einem politischen Desaster, wenn alles so bleibt, wie es jetzt geplant ist. Wir sind bereit für einen Neuanfang, und wir erwarten auch bei den anderen Fraktionen ein Umdenken.

(Glocke des Präsidenten)

Auch die Belastung der Nordsee mit chemischen und toxischen Stoffen ist ein weitgehend ungelöstes Problem, auch wenn es hierbei einige Fortschritte gibt, beispielsweise bei den TBT-haltigen Schiffsanstrichen. Aber wir wissen auch, dass persistente Stoffe wie Lindan und DDT noch über Jahrzehnte - jedenfalls über ganz lange Zeiträume - nachweisbar sind. Hier muss gehandelt werden.

Meine Damen und Herren, die Antwort auf unsere Große Anfrage ist in ihrem fachlichen Teil eine hervorragende Arbeit. In ihrer politischen Dimension, dort, wo die Landesregierung ihre politischen Ziele zum Schutz unserer Gewässer und der Nordsee hätte darstellen können, fallen die Darstellungen deutlich ab und zeigen, dass die Landesregierung zwar das fachliche Potenzial für eine hervorragende Umwelt- und Meeresschutzpolitik in Form von Fachkompetenz vorhält, aber dass der politische Gestaltungswille vollkommen fehlt.

(Glocke des Präsidenten)

Es fehlen die politischen Vorgaben, es fehlt am Willen der zuständigen Ministerinnen und Minister. Zuständig ist nicht nur der Umweltminister, sondern auch die Agrarministerin, der Wirtschaftsminister. Das Kabinett als Ganzes ist zuständig, weil es hier um einen Lebensraum geht - um die Nordsee, die für unser aller Zukunft von immenser Bedeutung ist.

Herr Wenzel, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zu meinem letzten Satz, Herr Präsident. - Von daher glaube ich, dass es notwendig ist, einen neuen Anlauf zu starten, um den Meeresschutz voranzutreiben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Sander das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, Sie haben kritisiert, dass es sehr lange gedauert hat, bis die Antwort

vorlag. Sehen Sie es doch einmal positiv: Wir haben uns sehr lange mit den einzelnen Fragen befasst und sehr gründlich gearbeitet. Sie haben eben Gott sei Dank anerkannt, dass das fachlich ausgezeichnet ist.

Ich will mich zunächst für Ihre Anfrage bedanken, wobei man natürlich immer auch fragen muss, warum Sie diese Große Anfrage gestellt haben. Ausgangspunkt war Ihr Unverständnis darüber, dass der Landtag - insbesondere auch die SPD, die der Landesregierung gefolgt ist - die von Ihnen geforderte Pipeline abgelehnt hat, eine Pipeline, die Sie als ideale Lösung sehen.

Zum Thema Pipeline darf ich kurz Folgendes anmerken, weil Sie dieses Thema wieder hervorgeholt haben: Sie wissen, dass der Meeresschutz an Land anfängt. Sie wissen auch ganz genau, dass Sie der Firma K+S mit einer schnellen Ableitung von Salzabfällen über eine Pipeline einen Bärendienst erweisen würden. Denn Sie müssten nicht nur die veranschlagten 500 Millionen ansetzen, sondern auch die Folgekosten für Naturschutz, Ersatzmaßnahmen usw. Das macht noch einmal einen Betrag von ungefähr 500 Millionen Euro aus, sodass man bei dem Bau der Pipeline mit Kosten in Höhe von rund 1 Milliarde Euro zu rechnen hat.

Genau dieser Betrag von 1 Milliarde Euro ist für uns, auch für die Landesregierung, der Punkt; denn damit ist das Problem nicht gelöst. Ich bin froh, dass Sie eben klar und deutlich gesagt haben, dass unsere Bemühungen, die wir am runden Tisch immer mit dargestellt haben, dass nämlich andere Maßnahmen der Reduzierung des Abfallaufkommens im Produktionsprozess von Kali und Salz unbedingt wichtig sind, auch von Ihnen geteilt werden. Inzwischen ist eine Firma auf Kali und Salz zugegangen, um das Abfallaufkommen im Produktionsprozess zu reduzieren. Wir versprechen uns davon eine ganze Menge.

Dass ich der heimliche Verbündete von Kali und Salz sei, ist allerdings etwas abenteuerlich. Eine solche Behauptung passt eigentlich gar nicht zu Ihnen, sondern würde zu einem Ihrer Fraktionskollegen passen, der nur mit Behauptungen, Unterstellungen und Beschimpfungen arbeitet. Insofern nehme ich das als freundliche Darstellung hin.

Wir als Landesregierung werden Kali und Salz weiterhin daran erinnern, dass das Unternehmen die eingeleiteten Mengen weiter reduzieren muss. Verständlicherweise haben die beiden anderen betroffenen Länder, nämlich Hessen und Thüringen, in dieser Frage ganz andere Interessen. Sie

können den Umweltgedanken in der Form gar nicht weiter durchsetzen.

Weil ich gerade von Thüringen gesprochen habe: Herr Wenzel, lassen Sie uns gemeinsam einige Dinge vorantreiben! Sie haben gesagt, bei uns sei die Situation mit den Kläranlagen technisch bestens in Ordnung. Wir haben die dritte Reinigungsstufe eingeführt und reden über die vierte Stufe. Wir müssen aber auch unsere Nachbarländer wie Thüringen, die noch nicht flächendeckend über funktionierende Kläranlagen verfügen, einbinden und eventuell auch darauf aufmerksam machen, dass in diesem Bereich eine mindestens ebenso wichtige Verpflichtung besteht.

Sie haben die Landwirtschaft angesprochen. Das ist ein altes Thema. Da muss etwas passieren. Darüber sind wir uns einig. Sie haben zwar keine Jahreszahl genannt. Sie erkennen aber an, dass es wichtig ist, dass wir unser Grundwasser sauber halten. Allerdings muss man dabei immer einen Zeitraum von rund zehn Jahren berücksichtigen.

Alles in allem, Herr Wenzel, sind wir als Landesregierung Ihnen für diese Große Anfrage dankbar; denn wir hatten die Gelegenheit, all unsere Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit schon eingeleitet haben, aufzuzeigen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir werden selbstverständlich in der Zukunft weitere Maßnahmen, die wir aufgeführt haben, abarbeiten.

Meine Damen und Herren, wir sind es, die glücklich und froh sind, dass das Wattenmeer der Nordsee als Weltnaturerbe anerkannt worden ist. Mit dieser Anerkennung ist auch mit Blick auf die nächsten Generationen die besondere Verpflichtung verbunden, dass wir es in einem guten ökologischen und naturschutzfachlichen Zustand erhalten. Daher haben Sie uns, die Landesregierung, an Ihrer Seite.

Wir haben schon viel getan. Aber wie bei all diesen Dingen reicht das noch nicht aus. Die Europäische Meeresschutzstrategie verpflichtet uns zum Handeln. Insofern setzen wir nicht nur auf Freiwilligkeit, sondern werden auch durch diese Strategie verantwortlich angeleitet, etwas mehr zu tun.

In dem Sinne freue ich mich auf eine weitere positive Begleitung durch Sie mit Ihrem Fachwissen. Gemeinsam mit unserem Haus und dem darin bereitstehenden Fachwissen werden wir die Ziele bis 2013 und darüber hinaus verfolgen; denn die

Meeresschutzstrategie muss bis 2015 aufgestellt sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion hat sich der Kollege Dr. Hocker zu Wort gemeldet.