Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Brammer das Wort zu einer Zusatzfrage.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich frage Sie: Welche Zweifel gibt es seitens der Landesregierung an dem Funktionieren von vierzügigen Integrierten Gesamtschulen?

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Brammer. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Althusmann. Bitte schön!

Erstens. Es gibt natürlich vierzügige Gesamtschulen. Daran besteht kein Zweifel.

Zweitens. Die Fünfzügigkeit macht auch mit Blick auf die Schülerzahlen Sinn. Der pädagogische Ansatz und Anspruch der Integrierten Gesamtschule, meine Damen und Herren - verschweigen Sie es nicht immer -, gehen davon aus, dass wir eine Drittellösung haben: 33 % Hauptschulempfohlene, 33 % Realschulempfohlene und 33 % Gymnasialempfohlene.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht! - Weiterer Widerspruch von der SPD)

- Doch! Ich will Ihnen auch sagen, warum das sinnvoll ist. Sie glauben, dass Sie mit diesem Schulmodell beweisen können, dass es über eine bestimmte Art des Unterrichts in den verschiedenen Schuljahrgängen und über andere pädagogische Maßnahmen besser gelingt als im anderen System, dem sogenannten dreigliedrigen Schulsystem, Kinder zu einem Bildungserfolg zu bringen. Diese Behauptung ist aber schlicht falsch.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf)

- Oh, dazu könnte ich Ihnen genügend Experten und Wissenschaftler nennen - ich möchte nur Herrn Köller und Herrn Baumert nennen -, die durch die Bank weg sagen, dass der Glaube, dass das integrierte Schulsystem Kinder mit sozialen Benachteiligungen besser zu einem Schulabschluss führe, ein Aberglaube ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist ein Aberglaube!

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

- Ich will doch nur auf eines aufmerksam machen: Sie wollen uns immer wieder glauben machen, dass die Absenkung der Zügigkeit das einzige Mittel sei, mit Ihnen zu einem Schulfrieden zu kommen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Ich finde das schade. Bei uns könnte man nämlich vermuten, dass es Ihnen nur noch darum geht, neben den Gymnasien, die Sie inzwischen anerkennen, am liebsten nur noch Gesamtschulen in Niedersachsen zu haben, meine Damen und Herren. Dazu könnte es auf dieser Seite des Hauses aber andere Ansichten geben. Ich würde also sehr dafür plädieren, dass wir uns nicht immer nur über die Zügigkeit unterhalten, sondern dass wir die Qualität und die Berufsorientierung der jeweiligen Schulform stärker in den Blick nehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Olaf Lies [SPD])

Herr Althusmann, herzlichen Dank. - Die nächste Zusatzfrage stellt der Herr Kollege Poppe von SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem Bereich der Gymnasien, den Sie gerade ansprachen, Herr Minister: Angesichts der aktuellen Formulierungen des Ministerpräsidenten, er werde nichts tun, was Gymnasien gefährden würde - so etwas sagt man ja nur, wenn man eine Gefährdung sieht -, und der Äußerung von Herrn Minister Althusmann, das Gymnasium sei stark aufgestellt, frage ich die Landesregierung: Sieht sie das Gymnasium als gefährdet an, wenn Gesamtschulen mit vier Zügen, in Ausnahmefällen auch mit drei Zügen, eingerichtet werden?

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Poppe. - Herr Minister Althusmann, Sie haben das Wort.

Ich habe noch einen Nachtrag zu meiner Antwort auf die Frage von Herrn Brammer zu machen, nachdem mir Herr Lies zugerufen hatte, wie die

Frage zu verstehen sei, nämlich ob eine IGS auch mit vier Zügen funktionieren könne. Natürlich kann eine IGS auch mit vier Zügen funktionieren.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Sehr gut sogar!)

Wir haben bereits bestehende IGSen mit vier Zügen. Noch einmal: Ich habe gesagt, dass wir uns nach der Aufhebung des Verbots der Neuerrichtung von Gesamtschulen ganz bewusst in dieser Frage entschieden haben, die wir heute kritisch überprüfen. Bitte warten Sie ab, zu welcher Entscheidung wir am Ende kommen werden, ob es nämlich an dieser Stelle eine Veränderung geben soll.

Ich will aber darauf aufmerksam machen - das hängt mit der Frage von Herrn Poppe zusammen -, dass eine weitere Einrichtung von Gesamtschulen, insbesondere von Integrierten Gesamtschulen, auch zu Lasten von Gymnasien gehen könnte. Ich will auch sagen, wo. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass unsere Gymnasien in Niedersachsen gut und sogar sehr gut aufgestellt sind. Grundsätzlich!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Grundsätzlich sage ich auch, dass unsere Gymnasien den Wettbewerb mit anderen Schulformen überhaupt nicht scheuen müssen. Das tun sie auch nicht. Wenn ich mit Herrn Audritz vom Philologenverband oder der mit Herrn Brandt spricht, sagt er: Wissen Sie was, Sie können so viele Gesamtschulen einrichten, wie Sie wollen, Angst haben wir vor ihnen nicht.

Bei solchen Aussagen liegt die Wahrheit wie immer in der Mitte. Wir haben uns das doch genau angeschaut. Die kleineren Gymnasien des Sekundarbereichs I, die teilweise sehr stark in der Fläche verankert sind, die zum Teil sehr gut funktionieren, werden von den Eltern zunehmend gewählt. Ich selbst habe die Einrichtung eines solchen kleinen Gymnasiums im Landkreis Lüneburg miterlebt, nämlich in Bleckede; es startete mit zwei Zügen und ist jetzt dreizügig. Diese kleineren Gymnasien, in der Regel noch ohne Oberstufe, also Sek-IGymnasien, werden wie alle anderen Schulformen, also wie die bestehenden Hauptschulen und die bestehenden Realschulen, bei jedweder Neueinrichtung einer Schule hinsichtlich der Zügigkeit einen Verlust erleiden - oder auch nicht. Dies gilt es zu bedenken, wenn man sagt, dass die Schulstrukturen langfristig aufgestellt werden sollten, um die Gymnasien zu schützen. Der Ministerpräsident

hat ja gesagt, die Gymnasien seien für ihn im Prinzip nicht verhandelbar. Wir brauchen nämlich auch für den ländlichen Raum gymnasiale Angebote.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Insofern, Herr Poppe, gucken wir uns das sehr genau an und geben dort, wo es aus unserer Sicht vertretbar ist, den kommunalen Schulträgern entsprechende Empfehlungen. Es bedarf aber immer eines Antrags des Schulträgers auf Einrichtung einer weiteren Schulform. Der Schulträger muss darüber entscheiden, ob er es verantworten kann, dass andere Schulformen in der Folge gegebenenfalls aufgelöst werden. Bei der Neugründung von Integrierten Gesamtschulen findet das zurzeit in der Regel nur bei Haupt- und Realschulen statt. Die neu gegründeten Integrierten Gesamtschulen sind zu 70 bis 80 % ehemalige Haupt- und Realschulen und arbeiten im Vergleich zu den bestehenden Integrierten Gesamtschulen nur mit einem sehr geringen gymnasialen Angebot.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Nun hat sich für die SPDFraktion Frau Kollegin Heiligenstadt mit ihrer zweiten und damit letzten Zusatzfrage zu Wort gemeldet. Ohne Eingangsbemerkung!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Angesichts der Tatsache, dass sich der, ich sage einmal, kleine Bildungsgipfel beim Landeselternrat gerade nicht mit dem Thema Abitur nach 13 oder 12 Jahren beschäftigt hat, sondern ausschließlich mit Fragen der Schulstruktur und der Zulässigkeit von kleineren Gesamtschulen sowie mit Prognosezeiträumen für die Errichtung von neuen Gesamtschulen und mit der Möglichkeit, diese Schulform auch ersetzend zuzulassen - das sind drei ganz konkrete Forderungen -, frage ich die Landesregierung: Wie will die Landesregierung den berechtigten Forderungen der kommunalen Schulträger nach mehr Flexibilität vor Ort in Bezug auf diese Forderungen gerecht werden?

(Zustimmung bei der SPD und bei Ina Korter [GRÜNE] - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wartet mal ab!)

Für die Landesregierung antwortet Minister Althusmann. Bitte schön!

Das ist relativ einfach. Am Ende wird zu entscheiden sein, ob § 106 Schulgesetz geändert werden muss. Nach dieser Vorschrift ist der Schulträger verpflichtet, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien vorzuhalten, ergänzt um Gesamtschulen. Wir müssen danach letztendlich darüber entscheiden, ob es andere ersetzende Formen geben kann und wie weit das Angebot an die kommunalen Schulträger geht, ob wir ihnen sagen: Das ist unsere Vorstellung von weiterführenden Schulen insbesondere im Sek I-Bereich, und das ist unsere Vorstellung von der Aufstellung der Gymnasien. Aus meiner Sicht sollte es in jedem Landkreis nicht nur ein gymnasiales Angebot, sondern auch ein Gymnasium geben. Und dann werden wir uns am Ende darüber unterhalten müssen, welche weiteren Schlussfolgerungen aus einer solchen schulgesetzlichen Änderung in eine Verordnung überführt werden müssen.

Ich habe mir noch einmal die Pressemitteilung des Landeselternrats geholt. Der Landeselternrat sagt:

„Der Elternwille bei der Anwahl der weiterführenden Schulen bleibt erhalten.“

Wir hatten dazu eine Parlamentsdebatte, die in Erinnerung geblieben ist. Wir haben das inzwischen aber alles besprochen, und ich denke, dass wir hier auf einem guten Weg sind. Insofern kann man heute, glaube ich, sagen: Der Elternwille bleibt erhalten.

„Alle weiterführenden Schulen des Niedersächsischen Schulgesetzes können fortgeführt werden,“

- das heißt im Prinzip Bestandsschutz -

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: „Kön- nen“!)

- Sie haben Recht, es heißt dort nicht „müssen“, sondern „können“; das ist also noch vorsichtiger formuliert -

„dabei ist Inklusion Aufgabe aller Schulformen.“

Ja, das wird sich in den nächsten Jahren langfristig so entwickeln.

„Mehr Flexibilität für Schulträgerentscheidungen vor Ort.“

Das habe ich dargestellt. Man kann § 106 durchaus ändern, aber das ist eine politische Entscheidung. Darüber werden wir aus meiner Sicht noch

im Laufe dieses Jahres zu entscheiden haben, damit die Schulträger schon relativ früh wissen, was dann auf sie zukommt. Wie der Zeitplan am Ende zu entscheiden sein wird, werden wir sehen. Warten wir es einmal ab.

„Senkung der Hürden für die Neueinrichtung von Gesamtschulen und eine Lockerung der Verpflichtung für die Schulträger, sämtliche Schulformen vor Ort anbieten zu müssen.“

Das ist eine sehr strittige Frage, die mit § 106 korrespondiert: Was sind ersetzende, was sind ergänzende Schulformen? - Das wird politisch zu diskutieren sein.

„Herabsetzung der Mindestzügigkeit für die Einrichtung neuer Gesamtschulen und der Wegfall der 14-JahrePrognose für die Schülerzahlen.“