Protokoll der Sitzung vom 08.12.2010

Der Finanzminister hat den Übergang im Sozialministerium eiskalt ausgenutzt und den Haushalt ordentlich geschröpft. Die Sozialministerin muss 2 % ihres Etats bringen, 65,5 Millionen Euro, und dazu kommen noch 30 Millionen Euro globale Minderausgabe. Diese 30 Millionen Euro nimmt sie erst einmal allein von der Behindertenhilfe. Das ist ja in Niedersachsen ein bewährtes Mittel. Das haben Sie schon dreimal gemacht, und die Einrichtungen haben entsprechend gelitten.

Wenn Sie die Kostensteigerungen im Personalbereich und im Sachkostenbereich aber nicht ausgleichen, meine Damen und Herren, dann hat das Auswirkungen. Entweder führt es zu Arbeitsverdichtung oder zu Entlassungen - beides verschlechtert die Qualität der Betreuung für die Betroffenen -, oder - dritter Weg - Einrichtungen müssen aus tariflichen Bindungen aussteigen. Damit allerdings hat die Landesregierung ja kein Problem; denn sowohl die Landwirtschaftsministerin als auch die Sozialministerin sind schon damit aufgefallen, dass sie in ihren jeweiligen vorherigen Arbeitsgebieten Hungerlöhne gerne bezahlt haben und diese auch verteidigen. Das scheint fast schon ein Qualifikationsmerkmal für eine schwarz-gelbe Landesregierung zu sein.

(Norbert Böhlke [CDU]: Sie wollten doch wieder sachlich werden, Frau Kollegin! Sie werden jetzt aber sehr persönlich und polemisch! Das ist un- glaublich! Das hat mit Sozialpolitik überhaupt nichts zu tun!)

- Natürlich hat es etwas mit Sozialpolitik zu tun, ob ich mich für Mindestlöhne einsetze oder nicht. Das ist aber wirklich originäre Sozialpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Auch im Bereich der Altenpflege sind in den letzten Jahren viele Einrichtungen aus tariflichen Bindungen ausgestiegen, weil es einfach nicht mehr ging. Das liegt u. a. daran, dass die Pflegesätze in Niedersachsen im Bundesvergleich skandalös niedrig sind. Das bedeutet: schlechte Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte, schlechte Pflege für die Betroffenen, schlechte Bezahlung. Kampagnen sowohl der katholischen Kirche als auch des Diakonischen Werks haben bislang nur wenig bewirkt. Das bleibt

eine schwärende Wunde der Sozialpolitik in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So wundert es denn auch nicht, meine Damen und Herren, wenn immer weniger Menschen masochistisch genug sind, zu so schlechten Bedingungen in der Pflege arbeiten zu wollen.

Frau Helmhold, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Riese?

Sehr gern.

Frau Helmhold, wenn Sie hier wiederholt über die Pflege herziehen und sich über die schlechte Pflege auslassen, dann wüsste ich gerne, was Sie reitet, die Menschen, die mit Hingabe in der Pflege tätig sind, derartig zu disqualifizieren.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Sie ha- ben sich mit dieser Frage disqualifi- ziert! - Weitere Zurufe von der LIN- KEN)

Frau Helmhold, Sie haben das Wort. Bitte!

Herr Riese, da die Uhr angehalten wird, will ich Ihnen auf diese unqualifizierte Frage dennoch eine Antwort geben. Wenn ich den Finger in die Wunde lege und sage, Pflegekräfte arbeiten an der Grenze der Belastbarkeit - wenn Sie einmal in die Einrichtungen gehen und mit den Pflegekräften sprechen, werden Sie das sehen -, bedeutet das doch nicht, dass ich denen vorwerfe, dass sie nicht mehr können, sondern ich sage damit: Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden, damit vernünftige Pflege zu vernünftigen Bedingungen geleistet werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Es ist ja gut, dass sich die Sozialministerin nach langem Drängen dazu entschlossen hat, das dritte Ausbildungsjahr im Rahmen der Umschulung weiter zu fördern. Das ist eine sehr gute Entscheidung.

(Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig!)

Das wird allerdings nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken, und Imagekampagnen werden schon gar nicht helfen, solange jeder Mensch, der die Augen offenhält, die traurige Realität in den Einrichtungen sieht.

(Roland Riese [FDP]: Das müssen Sie der SPD erzählen!)

Drei Jahre nach der Föderalismusreform hat Niedersachsen noch immer kein Heimgesetz. Man hat fast den Eindruck, als legten Sie es darauf an, auch hier das Schlusslicht unter den Bundesländern zu werden, wie schon weiland beim Behindertengleichstellungsgesetz.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Dafür schaffen Sie aber die Investitionsförderung im Bereich der Kurzzeitpflege kurzerhand völlig ab, obwohl sie nicht in jedem Fall fehlplatziert ist, sondern, wie der Landesrechungshof schreibt, nur in etwa 60 % der Fälle. Jetzt gleich alle zu bestrafen, die die wichtige Kurzzeitpflege anbieten, ist vollkommen falsch und kurzsichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Krankenhausinvestitionen haben Sie mal eben um 40 Millionen Euro geleichtert. Das war sozusagen der zweite richtig große Brocken.

(Norbert Böhlke [CDU]: Konjunktur- programm II, sage ich dazu!)

Nun ein Wort zur Bundespolitik und zur Rolle der Sozialministerin.

(Glocke des Präsidenten)

Bei der Neubestimmung der Regelsätze hat sich die Sozialministerin von ihrer Vorvorgängerin einseifen und kurzfristig sogar zur Kumpanin bei dieser seltsamen Chipkartenlösung machen lassen. Während die Hartz-IV-Empfänger eine Erhöhung um sage und schreibe 5 Euro bekamen, freute sie sich, dass die Armutsquote in Niedersachsen doch von 14,7 auf 14,6 % gesunken war -

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Wahnsinn!)

ein Hohn in den Ohren der 200 000 betroffenen Kinder und ihrer Eltern.

Weiterhin sorgt diese Landesregierung durch die Verweigerung anständiger Löhne dafür, dass es tunlichst bei dieser Armut bleibt. Denn das Jobwunder, das hier immer wieder beschrieben worden ist, basiert doch im Wesentlichen auf prekärer

Beschäftigung. Das darf man nicht vergessen. Das nützt den Sozialkassen überhaupt nicht. Bei jedem Euro, der da verdient wird, legt der Staat immer noch drauf.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wissen Sie, was ich ganz besonders skandalös finde?

(Glocke des Präsidenten)

Dass in Zukunft sogar Unterstützungsleistungen von Freunden und Verwandten - wenn ein Hartz-IV-Empfänger vom Amt erst einmal gar kein Geld bekommt und jemand sagt: Damit du etwas zu essen kaufen kannst, gebe ich dir 200 Euro - als Einkommen gezählt werden, sodass hinterher gesagt wird: Deshalb kriegst du für diesen Monat rückwirkend kein Hartz IV mehr. - Das ist ein Skandal.

Frau Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass am Redepult eine rote Lampe leuchtet. Das bedeutet: Letzter Satz!

Ja, ich komme zum letzten Satz. - Bei der Umsetzung des Bildungspakets droht das blanke Chaos. Der Rechtsanspruch wird ab dem 1. Januar bestehen. Kein Mensch weiß, wie das gehen soll. Frau Ministerin, ich wäre froh, wenn Sie uns das einmal erklären würden. Denn Sozialpolitik findet in den Ebenen statt, und diese Mühen muss man auch in Niedersachsen auf sich nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich die Kollegin Mundlos von der CDUFraktion gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Helmhold, eine falsche Sache wird nicht dadurch richtig, dass sie eine Reihe von Vorsprechern und ein Heer von Nachsagern findet.

Für die Festsetzung der Pflegesätze haben wir extra einfache Verfahren zugelassen. Davon ist Gebrauch gemacht worden, und Sätze sind ge

stiegen. Ich informiere Sie gern bei Gelegenheit, wenn Sie das nicht wissen sollten.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn die Pflegeentgelte steigen, zahlen am Ende die Kommunen und die Angehörigen drauf und nicht die Kassen. - Wenn man bei der vollen Wahrheit bleiben will, dann gehört dazu auch: Am Ende treiben Sie diejenigen, die diesen Mehrpreis nicht zahlen können, in die Sozialhilfe.

(Norbert Böhlke [CDU]: So ist es!)

Das ist nun wirklich überhaupt nicht sozial.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Helmhold möchte antworten. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Mundlos, was ich nicht richtig finde, ist, dass in Niedersachsen im Schnitt sehr viel niedrigere Pflegesätze gezahlt werden als in anderen Bundesländern.