Warum wurden während des Castortransportes 2010 bis zu 1 500 Menschen bei Frosttemperaturen unter freiem Himmel in einer sogenannten Gefangenensammelstelle (GESA) und unter von Gerichten als unrechtmäßig bewerteten Bedingungen bis zu sieben Stunden festgehalten?
Während des Castortransportes 2010 kam es nach Auflösung einer Schienenblockade von ca. 1 500 Menschen im Bereich Harlingen in der Nacht zum 8. November 2010 auf freiem Felde zur Ingewahrsamnahme dieser Menschen in einer Art Wagenburg. Trotz Frosttemperaturen mussten die Betroffenen so bis zu sieben Stunden ausharren, ohne der Rechtslage entsprechend unverzüglich Richtern vorgeführt zu werden.
1. Auf welcher Rechtsgrundlage wurden diese massenhaften Ingewahrsamnahmen auf freiem Feld vorgenommen, und warum nutzte man nicht die dafür vorgesehenen GESAs in der Polizeikaserne in Lüchow?
2. Warum waren keine Richter vor Ort bzw. warum wurde die Annahme von Anträgen von Betroffenen auf eine Richtervorführung verweigert, um die Polizeimaßnahme rechtlich zu würdigen und um sicherzustellen, dass die Betroffenen, wie es ihr Recht ist, unverzüglich einem Richter vorgeführt werden konnten?
3. Warum benutzte die Einsatzleitung dieses Vorgehen zum wiederholten Male, obwohl es schon mehrfach in Gerichtsverfahren als unrechtmäßig beanstandet wurde?
Zu der vorliegenden Anfrage hat mir die Polizeidirektion (PD) Lüneburg als verantwortliche Behörde für die polizeilichen Einsatzmaßnahmen aus Anlass des Castortransportes aus La Hague nach Gorleben berichtet. Die PD Lüneburg weist darauf hin, dass die nachfolgenden Darstellungen auf den dort vorliegenden Berichten zum Einsatzgeschehen beruhen und es in Anbetracht der engen Terminsetzung nicht möglich war, alle Details aus der Einsatzdokumentation zu filtern und darzustellen.
Am 7. November 2010 begaben sich im Bereich Harlingen bereits in den Vormittagstunden mehrere Personengruppen in einer Größenordnung von 150 bis 1 000 Personen an bzw. auf den Gleiskörper. Bis 19 Uhr wuchs die Anzahl der Personen auf etwa 3 000 Personen an. Von Teilen dieser Personengruppe wurden Schottersteine in größeren Mengen aus dem Gleisbett entfernt, sodass das Gleis nicht mehr befahrbar war. Eine Instandsetzung konnte aufgrund der vorhandenen Blockade nicht durchgeführt werden.
Nachdem die Blockade von den Personen auch nach mehreren Kooperationsgesprächen freiwillig nicht beendet wurde, erging durch den Gesamteinsatzleiter der Polizei die Anordnung, die Transportstrecke zu räumen. Bereits vor Räumungsbeginn gab es große Abwanderungstendenzen. Nach der dritten Durchsage der Polizei zur Räumung der Gleisbesetzung gegen 1.40 Uhr wurde mit der Räumung begonnen. Insgesamt hatten bis dahin ca. 1 800 Personen die Blockade verlassen bzw. entfernten sich aus dem Bereich.
Da die Blockade in einer Trogstrecke stattfand, mussten die Polizeibeamten die Blockadeteilnehmer bis zu 1 000 m weit tragen, um das Gleis räumen zu können. Anschließend wurden die Personen vor Ort in Gewahrsam genommen, um eine erneute Blockade durch diese Personen zu verhindern.
Auf die Einholung der richterlichen Anordnung über die Ingewahrsamnahme vor Ort wurde vorerst verzichtet, da dies nach Einschätzung der Gesamteinsatzleitung mehr Zeit in Anspruch genommen hätte als die zu erwartende Dauer der Ingewahrsamnahme vor Ort.
Aufgrund der Vielzahl der Personen und der örtlichen Gegebenheiten dauerte das Wegtragen der Blockierer entgegen der ersten Einschätzung der Gesamteinsatzleitung wesentlich länger. So konnten bis ca. 4.25 Uhr lediglich 500 Blockierer von den Gleisen getragen und in Gewahrsam genommen werden. Parallel dazu wurden Transportkräfte nach Harlingen entsandt, die die in Gewahrsam Genommenen der Gefangenensammelstelle in Lüchow zuführen sollten, um diese dem dort anwesenden zuständigen Richter zur Entscheidung über die Ingewahrsamnahme vorzuführen.
Aufgrund einer Vielzahl von Traktorblockaden im Einsatzraum verzögerte sich das Eintreffen der Transportkräfte erheblich, zum Teil konnte der Einsatzort von diesen Kräften gar nicht erreicht werden. Unter den gegebenen Bedingungen konn
te eine Zuführung von in Gewahrsam genommenen Personen nur in sehr begrenztem Umfang erfolgen. Eine Zuführung aller Personen hätte erheblich mehr Zeit in Anspruch genommen als die Durchführung der Maßnahmen selbst.
Insgesamt zwölf Personen sind zur Gefangensammelstelle nach Lüchow verbracht worden. Der erste Transport mit drei Jugendlichen erreichte gegen 3.30 Uhr die Gefangenensammelstelle in Lüchow. Die drei Jugendlichen wurden ab ca. 5.55 Uhr den berechtigten Personen übergeben. Der nächste Gefangenentransport erreichte mit neun Personen gegen 8.20 Uhr die Gefangenensammelstelle in Lüchow, wobei die letzte der Personen gegen 8.39 Uhr in die Gefangenensammelstelle aufgenommen wurde. Die richterliche Vorführung dieser Personen wurde daraufhin sofort vorbereitet.
Nachdem die Räumungsmaßnahmen beendet und 1 217 Personen vor Ort in Gewahrsam genommen waren, konnte das Gleisbett wieder betriebsbereit hergestellt werden. Gegen 8.20 Uhr setzte der Transportzug seine Fahrt fort. Als der Zug gegen 9.03 Uhr die vor Ort In Gewahrsam Genommenen im Bereich Harlingen passiert hatte und somit der Grund für die Ingewahrsamnahme entfallen war, sind alle in Gewahrsam Genommenen umgehend entlassen worden.
Zu 1: Die Ingewahrsamnahmen sind gemäß §§ 18 ff. Nds. SOG durchgeführt worden. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen.
Zu 2: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Amtsgericht Dannenberg waren während des Castortransportes rund um die Uhr in Lüchow in der Gefangenensammelstelle einsatzbereit vor Ort.
Am Sonntag, Montag und am Dienstag, d. h. vom 7. bis 9. November 2010, bis zum Eintreffen des Castors im Zwischenlager in Gorleben, waren Richterinnen und Richter rund um die Uhr in der extra eingerichteten Zweigstelle des Amtsgerichts in der Gefangenensammelstelle der Polizeiunterkunft in Lüchow anwesend. In diesem Rahmen waren fünf Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Dannenberg sowie der abgeordnete Direktor des Amtsgerichts Winsen/Luhe permanent im Einsatz. In Rufbereitschaft waren - ebenfalls abgeordnet - 17 Richterinnen und Richter des Landgerichts Lüneburg. Ebenso vor Ort waren Kräfte der sogenannten mittleren Beschäftigungsebene (Ge
schäftsstellen- und Schreibkräfte). Der Dienst fand in der Gefangenensammelstelle statt, die entsprechend mit der notwendigen EDV und sonstigem für ein rechtsstaatliches Verfahren erforderlichem Material ausgestattet ist.
Ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren, das - auch im Interesse der Betroffenen - jedenfalls einzuhalten ist, erfordert bestimmte, auch formelle, Voraussetzungen. So ist u. a. neben einer zweifelsfreien Identitätsfeststellung eine sorgfältige Dokumentation des Verfahrens zwingend erforderlich. Hierfür ist eine entsprechende Ausstattung der Richterinnen und Richter notwendig. Diese war in der Gefangenensammelstelle vorhanden, wäre jedoch vor Ort im Bereich Harlingen nicht zu leisten gewesen.
Über Verweigerungen der Annahme von Anträgen liegen der PD Lüneburg keinerlei Kenntnisse vor. Die richterliche Vorführung der zur Gefangenensammelstelle verbrachten Personen wurde sofort vorbereitet. Die Personen wurden jedoch aus dem Gewahrsam entlassen, bevor eine richterliche Vorführung stattfinden konnte. Eine freiwillige Angabe der Personalien, um den Rechtsweg nach § 19 Abs. 2 Nds. SOG zu gewährleisten, war bereits im mobilen Gewahrsam möglich und angeboten worden. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen.
Zu 3: Die Gesamteinsatzleitung hat sowohl in der Vorbereitung als auch im Einsatz die ihr bekannte Rechtsprechung zu Freiheitsentziehungen berücksichtigt. Es sind sowohl Heißgetränke und Decken verteilt als auch Toiletten bereitgestellt worden. Zur Rechtmäßigkeit von Einschließungen im Freien wird von hier auf die Beschlüsse des OLG Celle vom 25. Oktober 2004 (16 W 145/04) und des LG Lüneburg vom 18. Februar 2008 (10 T 43/06) verwiesen, die die Rechtmäßigkeit der Einschließung von 724 Personen auf freiem Feld zur Nachtzeit während des Castortransportes 2002 festgestellt hatten. Insbesondere heben beide Entscheidungen hervor, dass die mit der Ingewahrsamnahme verbundenen Unannehmlichkeiten, wie Kälte und eine nur mäßige Versorgung mit Toiletten, nicht zur Rechtswidrigkeit des Gewahrsam führen.
Unser Wohlstand ist abhängig von der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und damit im hohen Maße von den Fähigkeiten der Menschen. Dieses gilt besonders für Deutschland als rohstoffarmes Land.
Ingenieure und Naturwissenschaftler haben in den vergangenen Jahrhunderten einen enormen Beitrag geleistet, Wohlstand zu schaffen und zu sichern, Arbeitsplätze zu schaffen und damit Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Die Entwicklung aufgrund des demografischen Wandels gibt bereits heute Hinweise darauf, dass wir nicht nur weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter haben werden, sondern der Anteil von Absolventen ingenieur- und naturwissenschaftlicher Studiengänge geringer geworden ist.
Bereits heute fehlen in Deutschland jährlich 35 600 Ingenieure. Dieses wird sich in den nächsten Jahren sogar noch erhöhen. Allein die Tatsache, dass die offenen Stellen nicht wiederbesetzt werden können, kostet die Volkswirtschaft in Deutschland bis zu 7 Milliarden Euro pro Jahr. Der Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern wird zu einer Innovations- und damit Wachstumsbremse.
Unsere Wirtschaft in Niedersachsen braucht Ingenieure und Naturwissenschaftler. Unsere Volkswirtschaft kann sich nur positiv entwickeln, wenn es Menschen gibt, die neue Produkte erfinden, entwickeln und anbieten.
1. Wie sieht sie die Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten im Hinblick auf die Zahl der Absolventen dieser Fachrichtungen im Vergleich zu allen anderen Studiengängen?
2. Welche Anstrengungen werden unternommen, um bei jungen Menschen das Interesse für das Ingenieurwesen und die Naturwissenschaften bereits in der Schule zu wecken?
Die Niedersächsische Landesregierung hat in den vergangenen Jahren deutliche Prioritäten im Bildungsbereich gesetzt. Dabei steht der sich vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung abzeichnende Ingenieur- und Fachkräftemangel besonders im Fokus. Dieser kann nur durch eine nachhaltige Förderung der MINT-Bereiche und
Bereits während der Schulzeit wird daher durch zahlreiche Projekte und Maßnahmen das Interesse für die MINT-Fächer bei Schülerinnen und Schülern geweckt, um sie für ein späteres Studium oder eine Ausbildung in diesem Bereich zu begeistern.
Den „nicht klassischen“ Zielgruppen eröffnet die Landesregierung mit der Weiterentwicklung des Konzeptes der „Offenen Hochschule“ den Weg an die Hochschule, was zu zusätzlichen Absolventen - insbesondere im MINT-Bereich - führen wird.
Auch die Auswirkungen der doppelten Abiturjahrgänge (2011 in Niedersachsen und Baden-Würt- temberg, in Bayern 2012, in Nordrhein-Westfalen 2013) sieht die Landesregierung als Chance, gerade den MINT-Bereich zu stärken; denn bei der Umsetzung der Vereinbarungen zum Hochschulpakt 2020 werden die zusätzlichen Studienanfängerplätze schwerpunktmäßig in diesem Bereich geschaffen.
Zu 1: Die Zahlen der Hochschulabsolventen insgesamt und die Zahlen der Absolventen in den Fächergruppen „Mathematik, Naturwissenschaften“ sowie „Ingenieurwissenschaften“ sind in den vergangenen Jahren stark angestiegen. So stieg die Zahl der Hochschulabsolventen insgesamt in Niedersachsen von 22 923 im Jahr 2005 um 26,8 % auf 29 066 im Jahr 2009, in den beiden genannten Fächergruppen zusammen sogar von 6 851 im Jahr 2005 um 38,6 % auf 9 494 im Jahr 2009.
Angesichts der o. g. Schwerpunktsetzung im Bereich der MINT-Studiengänge bei den Vereinbarungen zum Hochschulpakt 2020 geht die Landesregierung davon aus, dass die Zahl der Absolventen in diesen Fächergruppen mittelfristig, d. h. zumindest bis 2015, weiter steigen wird. Die weitere Entwicklung ist Gegenstand fortlaufender Beobachtungen und Grundlage für weitere zu ergreifende Maßnahmen.
Zu 2: Die Landesregierung hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um bei jungen Menschen das Interesse für Ingenieur- und Naturwissenschaften bereits in der Schule zu wecken.
Zum Schuljahresbeginn 2006 bzw. 2007 wurden dazu für den Primarbereich und den Sekundarbereich I neue kompetenzorientierte Lehrpläne in Kraft gesetzt. Damit wurde auch die Bedeutung der