Protokoll der Sitzung vom 14.06.2017

Lieber Herr Präsident, es sind noch genau drei Sätze.

Dostojewski hat mal gesagt: Wo es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt.

(Gerald Heere [GRÜNE]: Das war Satz 1)

Frau Abgeordnete Staudte, ich weiß nicht, woran Sie glauben. Aber ich habe die Gelassenheit zu sagen, das ist mir egal. Aber das, was Sie vorhin gesagt haben, ist mir nicht egal.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP - Zuruf von den GRÜNEN: Es geht nicht um den Glauben, es geht um Politik! - Weitere Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sitzungsvorstand hat die Geschäftsordnung in ihrem Wortlaut anzuwenden. Das war mindestens grenzwertig.

(Zuruf von der SPD: So etwas kann man nicht ertragen!)

Deshalb wird das im Ältestenrat von mir thematisiert werden, um dazu eine Klärung herbeizuführen.

Wir sind damit in der Lage, den nächsten Tagesordnungspunkt aufzurufen:

Tagesordnungspunkt 24: Abschließende Beratung: Klarheit, Wahrheit, Transparenz: Landesregierung muss „Seveso-Verdacht“ im Fall Ritterhude gutachterlich untersuchen lassen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4713 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Drs. 17/8187

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir treten daher in die zweite Beratung ein. Für die ursprünglichen Antragsteller hat der Kollege Martin Bäumer das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 14. September 2014 ist in Ritterhude die Chemiefabrik Organo-Fluid explodiert. Ein Mitarbeiter wurde damals getötet, und das nachbarschaftliche Umfeld, also die Häuser und Wohnungen der Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft gelebt haben, wurde schwer beschädigt.

Die Nachbarn, die damals miterleben mussten, dass ihre Häuser schwere Schäden erlitten hatten, hatten schon seit sehr vielen Jahren auf die nach ihrer Auffassung schlimmen Umstände hingewiesen, aber getan hatte sich damals nichts.

Der Fall Ritterhude war in den letzten drei Jahren sehr häufig Thema im Parlament mit Anfragen mündlicher oder schriftlicher Art, Unterrichtungen, einer Aktenvorlage und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Der jetzt von uns vorliegende Antrag hatte zwei Punkte im Sinn, nämlich erstens dafür zu sorgen, dass die Aktenbestände gerade im Bereich der Lieferlisten der Abfälle offengelegt werden, und dass zweitens ein Gutachten angefertigt wird, das messerscharf und klar beweist, dass es sich bei dem Unternehmen in Ritterhude nicht um ein Unternehmen gehandelt hat, das unter die Störfallverordnung hätte fallen müssen.

Die Aktenbestände sind aufgrund unseres Antrags Gott sei Dank offengelegt worden, aber ein Gutachten, das beweist, was hier behauptet wird, ist immer noch nicht da. Der Minister hat hier im Parlament und insbesondere im Umweltausschuss wiederholt behauptet, bei der Fabrik in Ritterhude habe es sich nicht um ein Unternehmen im Sinne der Störfallverordnung gehandelt. Er ist in seiner Beurteilung vom Kollegen Bajus am 29. Mai 2017 im Ausschuss für Umwelt, Energie und Klimaschutz bestätigt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass Sie von SPD und Grünen mal in diese Lieferlisten hineingeschaut haben. Dann hätten Sie sehen können, dass dort in der Zeit vom 1. bis zum 9. September 2014 ca. 150 t Flüssigkeiten angeliefert worden sind. Diese sind uns exakt aufgeschlüsselt worden. Bei den angelieferten Abfallarten handelte es sich um Lösemittel, Waschflüssigkeiten, Mutterlaugen und Lösemittelgemische.

Im Bereich des Abfalls ist die Materie ein wenig kompliziert. Man arbeitet dort mit Abfallschlüsseln. Die will ich Ihnen nicht vorenthalten: 070304, 140603, 070204, 070101. Die Abfälle, die dahin

terstecken, sind, wenn Sie ein bisschen tiefer einsteigen möchten, allesamt gefährlich, weil sich hinter diesem Schlüssel nämlich ein Sternchen befindet, sodass wir sagen können: Bei allen Abfällen, die damals wenige Tage vor der Explosion angeliefert worden sind, war klar ausgewiesen, dass es sich um gefährliche Stoffe handelt.

Die Gefährlichkeit eines Stoffes hat noch keine Relevanz dafür, ob die Mechanismen der Störfallverordnung ausgelöst werden oder nicht. Insofern muss man im nächsten Schritt genau nachschauen, welche Stoffe da sind und ob diese Stoffe etwas mit der Störfallverordnung zu tun haben. Auch das will ich Ihnen gerne darlegen.

Beim Abfall mit dem Schlüssel 070101 reicht eine Mengenschwelle von 50 t aus, um eine SevesoRelevanz auszulösen.

(Unruhe - Jens Nacke [CDU]: Ich kann den Kollegen kaum noch hören!)

Angeliefert wurden im September 23,4 t.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Bäumer, der Kollege Nacke weist darauf hin, dass er Sie kaum noch versteht.

(Volker Bajus [GRÜNE]: Das hat auch etwas mit den Inhalten zu tun!)

Zu Recht.

Das greife ich auf. Meine Aufgabe ist es, hier einzugreifen und Sie alle zu bitten, die Geräuschkulisse zu reduzieren, weil Herr Bäumer das Wort hat und nicht der Rest des Plenums.

Beim Abfall mit dem Schlüssel 070204 reicht eine Mengenschwelle von 5 t, um Seveso-Relevanz auszulösen. Angeliefert wurden 20,14 t.

Beim Abfall mit dem Schlüssel 070304 reichen 10 t. Angeliefert wurden im September 2014 allein 40 t.

Und beim Abfall mit dem Schlüssel 140603 reicht eine Mengenschwelle von ebenfalls 10 t. Angeliefert wurden aber 21,5 t.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind deutliche Hinweise, dass hier die Störfallverordnung hätte gelten können. Der Minister hat dies stets pauschal verneint, ist uns aber an dieser Stelle eine fachlich-sachlich nachvollziehbare Begründung außerhalb eines einfachen und schlichten Neins schuldig geblieben.

Ein Gutachten, lieber Herr Minister, hätte an dieser Stelle ein für alle Mal Zweifel ausräumen können. Ich wundere mich, dass Sie das nicht vorgelegt haben. Damit haben Sie nach meiner Auffassung eine Chance vertan.

Im Umweltausschuss am 29. Mai 2017 gab es zu diesem Thema eine schriftliche Unterrichtung. Interessant war dort, dass uns erklärt worden ist - da bitte ich, mal zuzuhören, auch auf der linken Seite -:

„Zur Aufklärung der relevanten genehmigungsrechtlichen Fragestellungen und zur Beurteilung des praktizierten Anlagebetriebs hat die Staatsanwaltschaft Verden ein umfangreiches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Das Sachverständigenbüro hat die Vorlage des Gutachtens für Juni 2017 avisiert.“

(Zuruf von Jens Nacke [CDU])

Meine sehr geehrten Damen und Herren - - -

Herr Kollege Bäumer, ich habe keinen Spaß daran, Sie ständig zu unterbrechen, aber die Geräuschkulisse ist unerträglich. Alle, die sich daran beteiligen, müssten das eigentlich selbst wissen. Zum Beispiel Herr Hilbers: Sie müssen da jetzt nicht Diskussionen führen. Ich greife nur ein Beispiel heraus.

Wir haben eine Debatte. Da redet einer. Man sitzt auf dem Platz und hört dem Redner zu. An die Spielregel sollten wir uns halten. Ein einzelner Zwischenruf ist keine Ruhestörung, aber ständiges Gemurmel schon. - Jetzt ist Ruhe, und Herr Bäumer setzt fort. Bitte!

Mitte Juni 2017 ist quasi morgen; denn morgen ist der 15. Juni.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP)

Wir haben im Ausschuss vorgeschlagen, dass man das Gutachten im Zusammenhang mit unserem Antrag berät, sich vorstellen lässt und dass wir diesen Antrag noch etwas schieben, damit wir ihn im August 2017 beraten können.

Das hat der Kollege Bajus, ein Vertreter von Klarheit, Wahrheit und Transparenz, wie sich die Grünen immer plakativ nennen, abgelehnt. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie machen hier das Gegenteil von Klarheit, Wahrheit und Transparenz; denn ich weiß nicht, warum Sie vor diesem Gutachten Angst haben.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wie wahr!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Fazit. Fachlich aussagekräftige Beweise für die fehlende Relevanz der Störfallverordnung in Sachen Ritterhude liegen uns bis zum heutigen Tag nicht vor. Den grünen Eifer, diesen Antrag so kurzfristig zu beerdigen - übrigens ohne Redebeitrag von der SPD -, kann man nicht erklären. Er wirkt an dieser Stelle höchst verdächtig.

Leider ist die Staatsanwaltschaft auch knapp drei Jahre nach der Explosion in Ritterhude immer noch nicht so weit, dass sie diesen Fall zu Ende ermittelt hat. Es stellen sich weiterhin die Fragen: Warum ist das Unternehmen explodiert? Wer hat dort jahrelang diesen Zustand geduldet? - Im Zusammenhang damit war ja auch schon einmal die Rede vom früheren Landrat Mielke. - Und: Wer trägt für all das, was dort passiert ist, die Verantwortung?

Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der linken Seite dieses Hauses, Sie können unseren Antrag heute ablehnen. Das Thema ist für uns damit aber noch längst nicht erledigt.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Bäumer. - Noch einmal die allgemeine Ansage: Für keinen Redner ist es schön, wenn er ständig unterbrochen werden muss, weil die Geräuschkulisse zu laut ist. Wir haben hier einfache Spielregeln. Wer sich unterhalten will, geht mit dem, mit dem er sprechen will, vor die Tür. Dort stört es nicht. Wer aber hier drin sitzt, der hört dem Redner oder der Rednerin zu. Ich bitte Sie jetzt, sich an diese Regeln zu halten.

Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Bosse für die SPD-Fraktion.