Protokoll der Sitzung vom 12.09.2019

Das bedeutet nicht zuletzt, Freiräume an den Schulen zu schaffen, in Zeiten des Mangels damit zu arbeiten. Ich habe gestern schon gesagt, der Schulleitungsverband hat hier beispielsweise eine sehr spannende Überlegung angestellt. Er sagt: Man muss Freiräume geben, lieber qualitativ gute zwei Stunden in einem Fach, statt drei Stunden, die dann vielleicht ausfallen; lieber organisiert multiprofessionelle Teams einzubinden und diese dazu zu bringen, dass sie Schulen entlasten und Systeme besser machen, solange wir die Lehrkräfte nicht haben.

Wir sollten darauf vertrauen, dass Schulleitungen und Lehrkräfte ein gutes Gefühl dafür haben, wo sie an ihren Schulen den Mangel am besten verwalten. Wir wissen auch, dass das faktisch schon von vielen Schulen gemacht wird, aber sie bewegen sich dabei auf einem rechtlich nicht legitimen Weg. Wir sollten es ihnen ermöglichen, dass sie legal solche Lösungen künftig an ihren Schulen durchführen können, solange wir ihnen die Fachkräfte nicht zur Verfügung stellen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch auf das Thema Bedarfsplanung zu sprechen kommen; denn wir wissen nicht, wie eigentlich diese Zahlen zustande kommen. Sie sagen ja, Sie hätten genug Studienplätze. Dahinter kann ich nur ein großes Fragezeichen setzen. Permanent und überall fehlen Lehrkräfte, und es ist schlicht nicht transparent, wie Sie den Bedarf ermitteln. Meiner Meinung nach müssen wir an den Punkt kommen, dass wir politisch absehbare Weichenstellungen schon viel früher mit in die Studienplatzkapazitätsplanung einbeziehen. Da möchte ich selbstkritisch die Politik mit ansprechen. Natürlich sind auch wir gefragt, wenn wir Reformmaßnahmen auf den Weg bringen. In den letzten Jahrzehnten - das muss man so sagen - haben wir uns zu wenig gefragt, ob wir die Fachkräfte für unsere Maßnahmen haben und wie wir das aufwachsend organisieren können.

Man muss ja sagen, dass viele Maßnahmen der letzten Jahre vielleicht zum Fachkräftemangel beigetragen haben, da wir uns die Frage der Ausbildungskapazitäten in dem Zusammenhang oft zu selten gestellt haben.

Nichtsdestotrotz müssen wir jetzt handeln. Ich fordere Sie auf, Herr Tonne, Herr Thümler: Schaffen Sie mehr Ausbildungskapazitäten! Schaffen Sie mehr Möglichkeiten für die Weiterbildung, insbesondere auch für den Bereich der Förderschulen! Wir haben viel zu wenige Sonderpädagogen. Und insgesamt: Ducken Sie sich nicht mehr weg! Schauen Sie nicht mehr weg! Handeln Sie aktiv und nach vorne gerichtet, und entlasten Sie endlich unsere Schulen von dieser Misere!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg. - Für die Landesregierung hat das Wort Herr Minister Tonne. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Große Anfrage bietet immer ausführlich die Möglichkeit, sich über wichtige politische Themen miteinander auseinanderzusetzen - hier in diesem Fall über die Frage von Unterrichtsversorgung und über die Frage, was eigentlich gute Qualität von Schule ausmacht. Frau Hamburg, ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass bei allen unterschiedlichen Bewertungen, die man ziehen kann, hier

eine Rede gehalten wurde, die sich im Wesentlichen aus Behauptungen zusammensetzt,

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Nein!)

die durch die Antworten auf die Große Anfrage nicht gedeckt sind.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das behaupten Sie jetzt!)

Hier wird behauptet, es werde gekürzt, es bestehe die Absicht des Kürzens.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das haben Sie hier geschrieben!)

Das ist eine Angstmacherei, die stattfindet, und die eben nicht durch die Antworten, die wir gegeben haben, gedeckt ist.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich habe das bereits gestern im Rahmen der Aktuellen Stunde ausgeführt. Ich werbe sehr dafür, dass wir einen realistischen Blick darauf werfen, wo wir vorangekommen sind und wo wir definitiv noch weitere Schritte vor uns haben. Damit können wir auch einen realistischen Blick auf unsere Schulen zurückspiegeln, sodass wir ihnen sagen können: Wir kommen voran und sehen, wie groß die Belastung trotzdem bei euch ist. - Dann können wir gucken, wo unsere nächsten Angebote sind, um diese Belastung herunterzufahren.

Es ist auch gut, dass wir uns regelmäßig vergewissern, was eigentlich gute Schule ausmacht und wie wir unsere Schulen mit Lehrkräften sowie mit weiteren Ressourcen versorgen können, damit sie im Sinne unseres gemeinsamen Zieles, nämlich einer guten Bildung und Erziehung unserer Kinder, und zwar für jedes einzelne Kind, gut arbeiten können.

Wir wollen, dass sich die Schülerinnen und Schüler unter Ausbildung aller in ihnen angelegten Möglichkeiten und Fähigkeiten so entwickeln, dass sie an unserer Gesellschaft teilhaben können. Das ist ein hehres Ziel, und das ist es, woran wir uns immer wieder messen lassen müssen. Hieran sind die Rahmenbedingungen an unseren Schulen immer wieder anzupassen und weiterzuentwickeln. Bildungspolitik ist auch ein stetiger Prozess. Daher möchte ich auch an dieser Stelle einen recht herzlichen Dank an mein Haus richten. Es war eine erhebliche Zusatzbelastung, diese Informationen zusammenzutragen. Das ist sehr gut und ordentlich gemacht worden. Dafür von mir ein großer Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU sowie Zustimmung von Horst Kortlang [FDP])

Meine Damen und Herren, es wäre sicherlich zu kurz gegriffen, wenn man die Qualität von Schule allein am rechnerischen Unterrichtsversorgungswert festmachen und sich dabei nur auf den Quotienten von Lehrkräfte-Iststunden im Vergleich zu Lehrkräfte-Sollstunden beziehen würde. Daher diskutieren wir im Forum Eigenverantwortliche Schule gemeinsam mit Lehrerverbänden und Gewerkschaften über die Entwicklung von Indikatoren für eine qualitätsorientierte Schulstatistik. Alle stellen fest: Ganz so einfach ist das nicht. Welche Indikatoren nimmt man? - Der Wille ist aber da, sich dieser Frage, was Qualität von Schule eigentlich ausmacht, zu stellen.

Nach aktuellem Stand ist ein höherer Differenzierungsgrad der verschiedenen Daten gewünscht. Ich halte eine andere, eine adressatengerechtere Art der Darstellung der statistischen Daten und Indikatoren für notwendig. In einem ersten Schritt bringen wir das jetzt in die jährlich veröffentlichte Statistikbroschüre mit ein.

Um der einzelnen Schule gerecht zu werden, müssen wir die jeweiligen besonderen und übrigens oftmals auch sehr unterschiedlichen Bedingungen betrachten. Um diesen Bedingungen gerecht zu werden, sind im Klassenbildungserlass auch Zusatzbedarfe festgelegt, mit denen die konkrete Bildungsarbeit der einzelnen Schulen durch zusätzliche Stundenzuweisungen unterstützt wird. Es ist das übergeordnete Ziel der Landesregierung, eine landesweit ausgewogene und bedarfsgerechte Unterrichtsversorgung mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften für die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen zu erreichen.

Von diesem Grundsatz weichen wir nicht ab, aber gleichwohl sehen wir, wie schwierig es in jedem Einzelfall und in den Regionen ist. Daher bedarf es neben der großen Linie immer wieder auch flexibler kurzfristiger Lösungen. Die Versorgung der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen mit Lehrkräften stellt übrigens bundesweit eine Herausforderung dar, da es für viele Lehrämter zu wenige grundständig ausgebildete Lehrkräfte gibt. Zu suggerieren, das sei ein originär niedersächsisches Problem, ist an dieser Stelle auch falsch.

(Beifall bei der SPD)

Besonders groß ist die Herausforderung mit Blick auf Lehrkräfte mit dem Lehramt für Haupt- und Realschulen und damit einhergehend für Oberschulen sowie dem Lehramt für Sonderpädagogik. Bereits seit dem Jahr 2016 wurden umfassende Maßnahmen ergriffen, um die Lehrkräfteversorgung in Niedersachsen zu sichern und gleichzeitig die Bildungsqualität zu erhöhen.

Das möchte ich gerne einfließen lassen: Ihrem Hinweis, wir sollten endlich etwas bei dem Lehramt für Sonderpädagogik unternehmen, möchte ich entgegnen, dass die Studienplatzzahlen seinerzeit verdoppelt worden sind. Die Botschaft habe ich vorhin nicht gehört.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Lasse Weritz [CDU])

Deswegen haben wir mit Blick auf das neue Schuljahr das Sonderprogramm „Starke Sek I-Schulen“ vorgestellt, in dessen Rahmen besondere Unterstützungsmaßnahmen für Schulen vorgesehen sind, die unter schwierigeren Rahmenbedingungen arbeiten müssen, weil wir die Stellen dort nicht so einfach besetzen können. Dann kommt die Forderung, jetzt endlich etwas strukturell zu machen. Welchen strukturellen Vorschlag unterbreiten Sie? Dieser strukturelle Vorschlag ist ein Sozialindex. Mit einem Sozialindex habe ich jedoch noch nicht eine einzige Stelle mehr besetzt, damit ist strukturell auch noch nichts erreicht.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Aber gerechter verteilt!)

Auch das ist deutlich zu kurz gesprungen, um das als Antwort anzubieten.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Personalplanung ist dabei ein kontinuierlicher und dauerhafter Prozess, der sich nicht nur auf die Einstellungstermine eines jeden Jahres bezieht, sondern auch auf kurzfristige Versorgungsveränderungen an Schulen reagieren muss. Genau das passiert auch durch passgenaue Angebote.

Die Lehrkräfte-Sollstunden setzen sich aus den Pflichtstunden, den Poolstunden und den Stunden für die bereits erwähnten Zusatzbedarfe zusammen. Für das Schuljahr 2018/2019 betrug der Anteil der Zusatzbedarfe rund 19 % an den Sollstunden. Hiervon entfallen rund 42 % auf die Inklusion und ca. 35 % auf den Ganztag. Diese Daten bilden sich in dem jeweiligen Wert der Lehrkräfte

Sollstunden pro Schülerin und Schüler in den verschiedenen Schulformen ab.

Der durchschnittliche Wert hat sich vom Jahr 2012 von 1,5 auf 1,7 erhöht. Das klingt in der Relation sehr niedrig, macht aber deutlich, dass es eine kontinuierliche Steigerung der Qualität in Schule gegeben hat, weil mehr Stunden zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren.

Das ist ein sehr kontinuierlicher Prozess über all die Jahre hinweg, wobei niemand behauptet, dass wir mit dem heute erreichten Stand am Ziel angekommen sind; auch das will ich sehr deutlich sagen.

Die landesweite durchschnittliche Unterrichtsversorgung hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt und für das Jahr 2018/19 den Wert von 99,4 % erreicht. Wir rechnen für dieses Jahr mit einer weiteren Steigerung.

Für Niedersachsen lässt sich die Entwicklung folgendermaßen darstellen: Das Land hat im zurückliegenden Einstellungsverfahren und im aktuellen Verfahren jeweils deutlich mehr neue Lehrkräfte eingestellt, als dauerhaft aus dem Dienst ausgeschieden sind, und damit mit rund 68 500 hauptamtlichen und hauptberuflichen Lehrkräften an den allgemeinbildenden Schulen einen neuen Höchststand erreicht. Allein im Jahr 2019 haben wir mittlerweile rund 800 Lehrkräfte mehr eingestellt, als ausgeschieden sind. Das ist ein richtig gutes Ergebnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Durch Schönrechnen wird die Schule nicht besser!)

Infolge des gleichzeitigen Anstiegs auch der Zusatzbedarfe konnte mit dem Zuwachs der Lehrkräfte-Iststunden eine Unterrichtsversorgung auf einem guten Niveau - aber noch unter 100 % - erreicht werden. Deshalb wollen wir auch dort weiterhin besser werden.

Herausforderungen ergeben sich insbesondere durch den Anstieg der Zusatzbedarfe. Die Zusatzbedarfe für die Inklusion an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen sind beispielsweise von 2013 auf das 3,7-Fache im Jahr 2018 angestiegen. Eine nicht ausreichende Anzahl von Bewerbungen von Lehrkräften für die Besetzung der zur Verfügung stehenden Stellen, insbesondere für Schulen im Sekundarbereich I, ist gleichwohl festzustellen.

Mit Blick auf das nächste Jahr gibt es noch eine besondere Herausforderung durch die Umstellung von G 8 auf G 9, sodass wir im Jahr 2020 noch einmal einen Einstellungspeak haben werden, für den wir aber entsprechende Vorsorge getroffen haben.

Gerade aus dem Bereich der Grund-, Haupt- und Real- sowie Oberschulen mussten auch im aktuellen Einstellungsverfahren Stellen an die Gymnasien und Gesamtschulen verlagert werden, um Stellenbesetzungen zu ermöglichen. Wir haben damit das große Potenzial an Lehrkräften mit gymnasialem Lehramt wiederum genutzt, um insbesondere an den Gymnasien Einstellungen auch über die Abdeckung der Bedarfe hinaus zu realisieren. Die zusätzlichen Einstellungen an dieser Schulform erfolgten mit der Maßgabe der Unterstützung des Sekundarbereiches I. In diesem Einstellungsverfahren betraf das 150 Stellen.

Ziel der künftigen Einstellungsverfahren ist und bleibt es natürlich, durch eine möglichst bedarfsgerechte Stellenbesetzung das Ausgleichsvolumen und damit den Bedarf an Abordnungen zu verringern. Ja, auch das gehört dazu: Dort sind wir nicht so weit, wie wir eigentlich sein möchten. Aber die denkbare Alternative, Stellenverlagerungen nicht vorzunehmen und ausgebildete Lehrkräfte damit nicht einzustellen, ist nun keine wirkliche Alternative, aber immer noch besser, als Stellen offenzulassen und Bewerberinnen und Bewerber nicht einzustellen, meine Damen und Herren.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das löst die akuten Probleme doch nicht!)

- Frau Kollegin Hamburg, die Alternative wäre, diese Einstellungen nicht vorzunehmen.

(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Sie brauchen mehr Möglichkeiten, um et- was an den Schulen zu verbessern!)

Wenn Sie das nicht möchten, dann müssen Sie das sagen. Dann werden Stellen nicht verlagert, sondern bleiben offen, und Lehrkräfte, die ausgebildet sind, kommen nicht in den Schuldienst.